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Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) zur Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung

Ein Manual für die ambulante Therapie

AutorChristian Stiglmayr, Hans Gunia
VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783844424249
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis42,99 EUR
Die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) von Marsha Linehan ist ein evidenzbasiertes Therapieprogramm zur Behandlung von Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS). Wesentliches Behandlungsziel der DBT ist der Aufbau bzw. die Verbesserung von funktionalen Strategien zur Emotionsregulation. Das vorliegende Therapiemanual beschreibt erstmals ausführlich das konkrete therapeutische Vorgehen innerhalb der ambulanten DBT. Das Buch liefert zunächst eine Beschreibung des Störungsbildes, informiert über diagnostische Verfahren und erläutert die Entstehung der Störung. Anschließend wird anhand zahlreicher Beispieldialoge das therapeutische Vorgehen in den einzelnen Sitzungen detailliert beschrieben. Dabei werden die zur Anwendung kommenden DBT-Strategien jeweils gekennzeichnet (Adhärenz-Ratings), was die Umsetzung des Vorgehens in der therapeutischen Praxis deutlich erleichtert. Es wird aufgezeigt, wie Patienten Strategien zur Reduktion extremer Emotionalität sowie dysfunktionaler stimmungsabhängiger Verhaltensweisen erlernen können. Einige Strategien, wie z.B. Kettenanalysen, werden dazu erstmalig im deutschsprachigen Raum vorgestellt. Darauf aufbauend werden Methoden vermittelt, die es den Patienten ermöglichen, dem eigenen Erleben mit mehr Akzeptanz und Vertrauen zu begegnen. Die konsequente Anwendung der erlernten Strategien kann schließlich über Selbstakzeptanz, Wertschätzung und Selbstfürsorge zu einem neuen und erfüllten Leben führen. Weiterhin wird auf schwierige Therapiesituationen, wie z.B. krisenhaftes Verhalten, Dissoziation, Wut auf den Therapeuten, eingegangen. Sowohl erfahrene Praktiker als auch Psychotherapeuten, die am Anfang ihrer beruflichen Tätigkeit stehen und sich auf die DBT-Zertifizierung vorbereiten wollen, finden in diesem Manual wertvolle Anregungen.

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Leseprobe

|11|Kapitel 1
Beschreibung der Borderline-Persönlichkeitsstörung


1.1 Klinisches Erscheinungsbild


Die Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) ist eine schwere, chronische psychische Erkrankung, welche zu den Persönlichkeitsstörungen gezählt wird. Im DSM-5 (APA/Falkai et al., 2015) wie auch im vorausgegangenen DSM-IV-TR (Saß et al., 2003) ist die Störung durch neun Kriterien gekennzeichnet. Diese können drei psychopathologischen Dimensionen zugeordnet werden: (1) Störungen der Affektregulation, (2) Störungen der Identität und (3) Störungen der sozialen Interaktion.

Zentrales Kennzeichen von Störungen der Affektregulation sind sehr schnell auslösbare, übermäßig starke und lang anhaltende emotionale Zustände. Je nach Ausmaß können diese emotionalen Zustände von den Betroffenen nicht mehr differenziert wahrgenommen werden, werden als unkontrollierbar erlebt. Distinkte Emotionen weichen zunehmend einem diffusen Gefühl innerer Anspannung; dissoziatives Erleben wird häufig zusätzlich berichtet (Stiglmayr et al., 2005). Diese als höchst unangenehm erlebten Spannungs- und dissoziativen Zustände werden mithilfe schnell wirksamer, aber langfristig dysfunktionaler Verhaltensweisen wie Selbstverletzungen oder Suizidversuchen alsbald zu beenden versucht (Kleindienst & Bohus, 2009). Impulsives Verhalten in Form von erhöhtem Alkohol- oder Drogenkonsum, Essattacken oder Hochrisikoverhalten (z. B. auf Bahngleisen spazieren gehen oder auf Hochhäusern balancieren) können ebenfalls Folge einer gestörten Affektregulation sein. Bei manchen Betroffenen sind zusätzlich heftige Wutausbrüche zu beobachten; anderen hingegen ist ein Gefühl von Wut auf andere Personen völlig fremd, richten diese stattdessen gegen sich selbst.

Störungen der Identität zeichnen sich bei Borderline-Patienten durch vier unterschiedliche Kategorien aus (Wilkinson-Ryan & Westen, 2000):

  • ein vollständiges Aufgehen in einer einzigen sozialen Rolle (Rollen-Absorption);

  • dem Gefühl der „inneren Zerrissenheit“ (schmerzhafte Inkohärenz);

  • einer, in Abhängigkeit von der jeweiligen Bezugsperson, ständig wechselnden Identität (schmerzhafte Inkonsistenz);

  • Schwierigkeiten, eine soziale Rolle in all ihren Anforderungen anzunehmen, ohne das Gefühl zu entwickeln, sich darin zu „verlieren“ (fehlende Rollenakzeptanz).

Aufgrund der instabilen Identität findet sich häufig ein chronisches Gefühl der inneren Leere, was von vielen Betroffenen als ausgesprochen quälend empfunden wird.

Störungen der sozialen Interaktion sind vor allem durch einen permanenten und sehr schnellen Wechsel zwischen Idealisierung und Abwertung des Gegenübers gekennzeichnet. Damit einher geht eine unangemessene Nähe-Distanz-Regulation. Das Beziehungsverhalten von Borderline-Patienten ähnelt in vielen Fällen denen von Pubertierenden. Aus diesem Grund bezeichnet Martin Bohus Borderline-Patienten als „chronisch Pubertierende auf hohem Niveau“.

1.2 Diagnostische Kriterien


Eine erste typologische Definition der Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) erschien 1980 im DSM-III (APA, 1980). Der Begriff „Borderline“ fand erstmalig 1938 bei dem Psychoanalytiker Adolf Stern Erwähnung. Er versuchte mit diesem Begriff Phänomene zu beschreiben, welche sich im Übergangsbereich von Neurose und Psychose befanden. Die entsprechenden Patienten waren offenbar „zu krank“ für die klassische Psychoanalyse, interpretierten jedoch nicht, wie die psychotischen Patienten, die reale Welt ständig falsch. Im Unterschied hierzu beschrieben Hoch und Polantin (1949) als Anhänger der psychiatrischen Tradition von ihnen als „borderline cases“ bezeichnete Patienten mit einer Reihe formaler und inhaltlicher Denkstörungen und entwickelten das Konzept der pseudoneurotischen Schizophrenie. Auf der Grundlage dieser Beschreibungen führte Knight (1953) schließlich den Begriff der Borderline-Störung ein. Erst durch die Arbeiten |12|von Otto Kernberg (1975/1980) fand die Vielgestaltigkeit und Vieldeutigkeit der Konzepte um den Begriff „Borderline“ eine Eindämmung. Im Rahmen seines Vereinheitlichungsversuches zur Beschreibung des Borderline-Störungsbildes sprach Kernberg zunehmend von Persönlichkeitsstörung. Nach Kernberg handelt es sich hierbei nicht um Personen, welche sich im Grenzbereich zwischen Neurose und Psychose befinden, sondern um stabile Persönlichkeitsmerkmale. Nur unter extremen Belastungen oder regressionsfördernden Bedingungen seien psychotische Episoden möglich. In Abgrenzung zur Neurose treten Verhaltensauffälligkeiten wie Zwänge, Ängste, Phobien etc. in ihrer qualitativen und quantitativen Ausgestaltung nur fluktuierend auf. Diese Deskription hatte schließlich auch entscheidenden Anteil an der Aufnahme der BPS in das DSM-III. In den aktuellen Auflagen des DSM (DSM-5; APA/Falkai et al., 2015) sowie der ICD (ICD-10; WHO/Dilling et al., 1991) sind die diagnostischen Kriterien einer BPS klar definiert.

Diagnostische Kriterien für die Borderline-​Persönlichkeitsstörung nach DSM-5 (Abdruck erfolgt mit Genehmigung aus der deutschen Ausgabe des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Fifth Edition © 2013, Dt. Ausgabe: © 2015, American Psychiatric Association. Alle Rechte vorbehalten)

  1. Ein tiefgreifendes Muster von Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, im Selbstbild und in den Affekten sowie von deutlicher Impulsivität. Der Beginn liegt im frühen Erwachsenenalter, und das Muster zeigt sich in verschiedenen Situationen. Mindestens fünf der folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:

    1. Verzweifeltes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden. (Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, die in Kriterium 5 enthalten sind.)

    2. Ein Muster instabiler und intensiver zwischenmenschlicher Beziehungen, das durch einen Wechsel zwischen den Extremen der Idealisierung und Entwertung gekennzeichnet ist.

    3. Identitätsstörung: ausgeprägte und andauernde Instabilität des Selbstbildes oder der Selbstwahrnehmung.

    4. Impulsivität in mindestens zwei potenziell selbstschädigenden Bereichen (Geldausgaben, Sexualität, Substanzmissbrauch, rücksichtsloses Fahren, „Essanfälle“). (Beachte: Hier werden keine suizidalen oder selbstverletzenden Handlungen berücksichtigt, die in Kriterium 5 enthalten sind.)

    5. Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstmordandeutungen oder -drohungen oder Selbstverletzungsverhalten.

    6. Affektive Instabilität infolge einer ausgeprägten Reaktivität der Stimmung (z. B. hochgradige episodische Dysphorie, Reizbarkeit oder Angst, wobei diese Verstimmungen gewöhnlich einige Stunden und nur selten mehr als einige Tage andauern).

    7. Chronische Gefühle von Leere.

    8. Unangemessene, heftige Wut oder Schwierigkeiten, die Wut zu kontrollieren (z. B. häufige Wutausbrüche, andauernde Wut, wiederholte körperliche Auseinandersetzungen).

    9. Vorübergehende, durch Belastungen ausgelöste paranoide Vorstellungen oder schwere dissoziative Symptome.

Die ICD-10 übernahm weitgehend die deskriptive Sichtweise des DSM zur Charakterisierung der BPS. Diese wird dort als emotional instabile Persönlichkeitsstörung, Borderline-Typus geführt. Daneben wird eine zweite Störungsvariante beschrieben, die emotional instabile Persönlichkeitsstörung, impulsiver Typus. Diese kennzeichnet Personen, deren mangelnde Impulskontrolle zu gewalttätigem und bedrohlichem Verhalten führt – Verhaltensweisen, welche sich vor allem bei Männern beobachten lassen (Fiedler & Mundt, 1995)....

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