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Sprachdiagnostik im Kindesalter

AutorFranz Petermann, Jessica Melzer, Julia-Katharina Rißling
VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl135 Seiten
ISBN9783840927560
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Störungen der Sprachentwicklung gehören zu den häufigsten Entwicklungsstörungen in der frühen Kindheit. Vor dem Hintergrund der Heterogenität des Störungsbildes und der Abhängigkeit der Symptomatik vom Alter der betroffenen Kinder gestaltet sich die Diagnostik von Sprachentwicklungsstörungen jedoch entsprechend komplex. Beeinträchtigungen können sich auf verschiedenen Ebenen (wie Aussprache, Wortschatz und Grammatik) manifestieren und dabei das Sprachverständnis und die Sprachproduktion betreffen. Für eine zuverlässige Identifikation von Sprachentwicklungsstörungen werden daher standardisierte Testverfahren gefordert, die Testgütekriterien gerecht werden und an den Entwicklungsstand von Kindern im Vor- und Grundschulalter angepasst sind. Der vorliegende Band gibt zunächst einen Überblick über den Verlauf der Sprachentwicklung im Kindesalter. Die folgenden Abschnitte widmen sich den Grundlagen der Sprachdiagnostik in den ersten drei Lebensjahren sowie im Vor- und Grundschulalter, den Besonderheiten der Sprachdiagnostik bei Mehrsprachigkeit, methodischen Anforderungen an die Sprachdiagnostik, dem Leistungsspektrum sprachdiagnostischer Verfahren und der Klassifikation von Sprachentwicklungsstörungen. Nach einem Überblick über das diagnostische Vorgehen werden verschiedene aktuelle Verfahren zur Sprachstandserhebung vorgestellt und unter praktischen und methodischen Gesichtspunkten kritisch überprüft. Hierzu gehören Elternfragebögen, Screeningverfahren für monolinguale und mehrsprachige Kinder sowie allgemeine und spezifische Sprachtests. Ein ausführliches Fallbeispiel aus der Praxis rundet den Band ab.

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Kapitelübersicht
  1. Sprachdiagnostik im Kindesalter
  2. 1Sprachentwicklung
  3. 2Grundlagen der Sprachdiagnostik
  4. 3 Methodische Anforderungen an die Sprachdiagnostik
  5. 4Leistungsspektrum sprachdiagnostischer Verfahren
  6. 5Sprachentwicklungsstörungen
  7. 6Diagnostische Verfahren zur Erfassung sprachlicher Kompetenzen
  8. 7Fallbeispiel
  9. Literatur
  10. Anhang
Leseprobe

|20|2 Grundlagen der Sprachdiagnostik


Vor dem Hintergrund der Heterogenität von Sprachstörungen und der Abhängigkeit der Symptomatik vom Alter der betroffenen Kinder gestaltet sich die Diagnostik von umschriebenen Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache entsprechend komplex. Daher wird der Einsatz von psychometrischen Testverfahren und die Überprüfung mehrerer sprachlicher Ebenen sowohl im Sprachverständnis als auch in der Sprachproduktion empfohlen (AWMF, 2013). Die eingesetzten Testverfahren sollten um eine Beobachtung des Sprachverhaltens sowie um den Bericht der Eltern über die Spontansprache und die Sprachentwicklung des Kindes ergänzt werden (Bishop & McDonald, 2009). Eine informelle Erfassung der sprachlichen Fähigkeiten kann nicht als ausreichend betrachtet werden (Ptok et al., 2014). Das diagnostische Vorgehen wird im Folgenden näher betrachtet. Dafür wird zunächst auf die wichtigsten Punkte zur Anamnese und zur Beurteilung der Spontansprache sowie auf die Möglichkeiten der Früherkennung eines Sprachentwicklungsrisikos eingegangen. Anschließend wird der Schwerpunkt auf das testdiagnostische Vorgehen gelegt und die Herausforderungen der Diagnostik bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern werden thematisiert.

2.1 Sprachdiagnostik in den ersten Lebensjahren


Vor allem in den ersten drei Lebensjahren lässt sich eine umschriebene Entwicklungsstörung des Sprechens und der Sprache nicht ohne Weiteres diagnostizieren, da die Abgrenzung zwischen der normalen Variation des Spracherwerbs und einer gestörten sprachlichen Entwicklung oft nicht ausreichend gelingt (vgl. Kany & Schöler, 2014). Die Früherkennung eines Sprachentwicklungsrisikos ist jedoch zentraler Bestandteil der kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen (v. a. U6 bis U9), wobei auch hier das diagnostische Vorgehen nicht einheitlich geregelt ist (vgl. Sallat, 2014).

Die Beurteilung des Sprachstands erfolgt in diesem Alter vor allem über Elternfragebögen. Die Untersuchung von Rosenfeld und Kiese-Himmel (2011) zeigt, dass für die U7 und U7a mehrere standardisierte Screening|21|verfahren zur Verfügung stehen, die eine zuverlässige Einschätzung hinsichtlich einer unauffälligen oder auffälligen Sprachentwicklung ermöglichen. Sachse und Kollegen (2007) konnten zudem für diese Altersgruppe eine hohe Übereinstimmung zwischen den Ergebnissen in Elternfragebögen und standardisierten Testverfahren nachweisen. Die Autoren empfehlen für die Diagnostik bei jüngeren Kindern den Einsatz von Elternfragebögen, die bei einem auffälligen Befund um eine differenzierte Testdiagnostik mit dem Kind ergänzt werden kann (Sachse et al., 2007).

Auch wenn Kinder mit einer auffälligen Sprachentwicklung in den ersten Lebensjahren ein erhöhtes Risiko tragen, eine umschriebene Entwicklungsstörung des Sprechens und der Sprache zu entwickeln, muss berücksichtigt werden, dass eine verzögerte Sprachentwicklung nicht gleichbedeutend mit einer Störung des Spracherwerbs ist (vgl. Petermann & Szagun, 2011; Szagun, 2013). So konnten auch Ullrich und von Suchodoletz (2011) in ihrer Studie feststellen, dass etwa die Hälfte der Kinder, die im Alter von etwa zwei Jahren noch deutliche Rückstände in der sprachlichen Entwicklung aufwiesen, bei einer erneuten Überprüfung ein Jahr später diese Rückstände aufgeholt haben. Eine sichere Identifikation von Kindern mit umschriebenen Entwicklungsstörungen des Sprechens und der Sprache ist daher erst gegen Ende des dritten Lebensjahres beziehungsweise mit vier Jahren möglich (von Suchodoletz, 2011). Obwohl eine Sprachkompetenz des Kindes mit zwei Jahren bei unauffälliger Entwicklung sicher beurteilt werden kann (vgl. Hachul, 2015; siehe auch Abschnitt 5.4), kann eine fundierte Diagnose über eine Sprachentwicklungsstörung aufgrund des vorliegenden variantenreichen Sprachentwicklungstempos erst sehr viel später gestellt werden.

Mit zunehmendem Alter stellen standardisierte Testverfahren zur Erfassung der sprachlichen Kompetenzen eines Kindes die Methode der Wahl dar.

2.2 Sprachdiagnostik im Vor- und Grundschulalter


Das Vor- und Grundschulalter stellt die zentrale Altersspanne für die Erhebung des allgemeinen Sprachstands dar. Dies wird zum Beispiel durch die kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen um den 47. und den 62. Lebensmonat (U8 und U9) deutlich, bei denen die Überprüfung der Sprachentwicklung von zentraler Bedeutung ist (Sallat, 2014). Die Entscheidung, ob ein Förder- bzw. Therapiebedarf besteht, und wenn ja in welchem Umfang, wird häufig erstmalig im Zuge der U8 getroffen, da eine umschriebene Entwicklungsstörung des Sprechens und der Sprache erst ab einem Alter von vier Jahren diagnostiziert werden kann (AWMF, 2013; Sallat, 2014). Die Abgrenzung zwischen einer Sprachförderung und sprachtherapeutischen Maßnahmen ist in diesem Zusammenhang zentral.

|22|Zur Erhöhung der Bildungschancen von Kindern aus Migrationsfamilien und solchen Kindern, die ein Risiko für die Entwicklung einer Lese- und Rechtschreibstörung aufweisen, wurden als Reaktion auf die internationalen Schulleistungsstudien (PISA) verbindliche Sprachstandserhebungen im Vorschulalter eingeführt (Sallat, 2014). Diese unterscheiden sich jedoch im Testsetting (Einzel- oder Gruppentestungen) und in den eingesetzten Verfahren zur Sprachstandserhebung erheblich. Zudem besteht innerhalb der Bundesrepublik Deutschland kein Konsens darüber, zu welchem Zeitpunkt eine solche Überprüfung durchzuführen ist und ob diese für alle Kinder verpflichtend oder nur für spezielle Gruppen (z. B. nur für Kinder mit einem Migrationshintergrund) zu empfehlen ist. Zu berücksichtigen gilt in diesem Kontext auch, dass bei dieser Form der Sprachstandserhebung lediglich die Kinder erreicht werden, die eine vorschulische Institution (Kindergarten oder Kindertagesstätte) besuchen (Sallat, 2014).

Erst im Rahmen der Schuleingangsuntersuchung, also um das fünfte Lebensjahr, findet in Deutschland eine flächendeckende Erhebung des Sprachstands statt. Solche Untersuchungen werden von den schulärztlichen Diensten der lokalen Gesundheitsämter durchgeführt. Die Schuleingangsuntersuchung klärt grob ab, ob ein Förder- oder Therapiebedarf besteht. Allerdings muss im Anschluss eine vertiefende Sprachdiagnostik (z. B. in einem Kinderzentrum, bei einem Kinderarzt) erfolgen, um differenziert eine Intervention einleiten zu können. Auch im Zusammenhang der Schuleingangsuntersuchungen zeigt sich ein heterogenes Bild in der Auswahl entsprechender sprachdiagnostischer Verfahren und ihrer Umsetzung in der diagnostischen Praxis (Rausch, 2013). Als wichtige Bestandteile in der Sprachdiagnostik gelten dabei übergreifend die Anamnese- und Explorationsphase zu Beginn des diagnostischen Prozesses, der Einsatz von standardisierten Testverfahren zur Sprachstandserhebung und die Erfassung des allgemeinen und kognitiven Entwicklungsstands (AWMF, 2013).

2.2.1 Anamnese und Exploration

Nach von Suchodoletz (2013b) beziehen sich die zentralen Themen der Elternexploration auf

  • die aktuell vorliegenden Sprech- oder Sprachauffälligkeiten,

  • mögliche komorbide Beeinträchtigungen,

  • die bisherige Entwicklung der Sprache und

  • auf den Störungsverlauf.

So sind zum Beispiel das Erreichen typischer Meilensteine der Sprachentwicklung (wie das Lallen oder die Produktion erster Wörter und Zweiwortsätze) sowie die Spracherwerbsbedingungen von besonderem Interesse (Chilla, 2011; Zorowka, 2008). Darüber hinaus tragen Kinder, die von Ver|23|haltensauffälligkeiten betroffen sind, ein erhöhtes Risiko, dass die umschriebene Entwicklungsstörung des Sprechens und der Sprache nicht erkannt wird oder die Verhaltensprobleme als schwerwiegenderes Problem erlebt werden, wodurch die Sprachproblematik in den Hintergrund tritt (von Suchodoletz, 2003).

Weiterhin bietet eine Einschätzung der Stärken und Schwächen in anderen Entwicklungsbereichen eine wichtige Information, wobei dazu ein allgemeiner Entwicklungstest, wie der ET 6-6-R, herangezogen werden muss (vgl. Petermann & Macha, 2015). Neben der bisherigen Sprachentwicklung und den Erwerbsbedingungen sollten die Fähigkeiten in den einzelnen Sprachbereichen (Lautbildung, Wortschatz, Grammatik) und das Kommunikationsinteresse des Kindes erfragt werden. Zudem sollten Hinweise auf mögliche Ursachen der Sprachdefizite sowie die inner- und außerfamiliären Entwicklungsbedingungen thematisiert werden (Chilla, 2011; von Suchodoletz,...

Inhaltsverzeichnis
Sprachdiagnostik im Kindesalter1
Vorwort der Herausgeber7
Inhaltsverzeichnis9
Vorwort13
1Sprachentwicklung14
1.1 Sprachentwicklung bis zum Ende des Grundschulalters14
1.2Besonderheiten des Mehrsprachigkeitserwerbs19
2Grundlagen der Sprachdiagnostik22
2.1Sprachdiagnostik in den ersten Lebensjahren22
2.2Sprachdiagnostik im Vor- und Grundschulalter23
2.3Sprachdiagnostik bei Mehrsprachigkeit30
3 Methodische Anforderungen an die Sprachdiagnostik34
3.1Objektivität34
3.2Reliabilität35
3.3Validität37
3.4Normierung38
3.5Weitere Gütekriterien38
4Leistungsspektrum sprachdiagnostischer Verfahren40
4.1Chancen und Grenzen der Sprachdiagnostik40
4.2 Abgrenzung von Normalität, Verzögerung und Störung41
5Sprachentwicklungsstörungen44
5.1 Abgrenzung zwischen primären und sekundären Sprachstörungen44
5.2Symptomatik der Sprachentwicklungsstörung45
5.3Klassifikationssysteme50
5.4Früherkennung von Sprachentwicklungsstörungen57
6Diagnostische Verfahren zur Erfassung sprachlicher Kompetenzen60
6.1Elternfragebögen60
6.2 Screeningverfahren zur Sprachstandserfassung für monolinguale und mehrsprachige Kinder69
6.3Allgemeine Sprachtests79
6.4Spezifische Sprachtests97
7Fallbeispiel110
7.1Vorstellungsgrund110
7.2Anamnese110
7.3Diagnostik111
7.4Schlussfolgerungen118
Literatur119
Anhang131

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