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Sachen und Sätze

Untersuchungen zur symbolischen Reflexion der Sprache

AutorDirk Westerkamp
VerlagFelix Meiner Verlag
Erscheinungsjahr2014
ReiheBlaue Reihe 
Seitenanzahl416 Seiten
ISBN9783787326822
FormatePUB/PDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis31,99 EUR
Was sind systematische Metaphern? Wie intelligent ist die Buchstabenschrift? Müssen Wahrheitstheorien wahr sein? Wie ist das Verhältnis von Sachen (i.e. kulturellen Gegenständen) und Sätzen (d.h. sprachlichen Einheiten) zu beschreiben? Dirk Westerkamps grundlegende Untersuchung widmet sich dem noch kaum systematisch behandelten Verhältnis von Sprach- und Kulturphilosophie. Die Aufgabe der Kulturphilosophie besteht in der theoretischen Reflexion kultureller Tatsachen. Sprache wird ihr dabei nicht nur als Medium des kulturellen Gedächtnisses zum Thema: Die Sprache ist sowohl selbst eine kulturelle Tatsache als auch Bedingung der Möglichkeit kultureller Faktizität überhaupt. Die Kulturphilosophie muss sich daher der Sprachanalyse bedienen, um ihren Gegenstand, das sich ständig neu anordnende Ensemble kultureller Tatsachen, angemessen bestimmen zu können. In einer Reihe von gründlichen Einzelstudien untersucht Dirk Westerkamp das Verhältnis von Sachen und Sätzen als systematisches Problem, das die Formen der symbolischen Reflexivität der Sprache in zwei ihrer wichtigsten philosophischen Facetten zu diskutieren erlaubt: in sowohl sprachphilosophischer wie wahrheitstheoretischer Hinsicht. Sprache und Schrift werden damit auf doppelte Weise thematisch: einmal als symbolische Ordnung kultureller Tatsachen und zweitens als Medien unseres Wahrheitsverständnisses. Entsprechend geht es im ersten Teil des Buches anhand des Leitbegriffs der symbolischen Reflexion um Verstehen und Nichtverstehen, Metaphern und Schrifttheorie und im zweiten um die Problematik einer sprachpragmatischen Wahrheitstheorie kultureller Tatsachen. In der hierfür gewählten Perspektive wechseln nicht nur historische und systematische, sondern auch methodische Zugänge: Sprachanalyse, Hermeneutik und Kulturphilosophie gehen eine ebenso spannungsreiche wie produktive Verbindung ein.

Dirk Westerkamp ist Professor für theoretische Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität Kiel und Mitherausgeber der »Zeitschrift für Kulturphilosophie«. Zuletzt erschien in der »Blauen Reihe«: Sachen und Sätze. Untersuchungen zur symbolischen Reflexion der Sprache (2014).

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Leseprobe

Die symbolische Reflexion der Sprache

1. Sprache als Thema und Medium der Philosophie1

Philosophie ist die Kunst, sinnvolle Unterscheidungen zu treffen. Ihre Distinktionen sind begrifflicher Art. Sie werden im diskursiven Medium der Sprache geäußert und bestimmen unser Verhältnis zur Welt, zu Anderen, zu uns selbst. Im Alltag vermeinen wir auch sprachlos wahrnehmen, uns einer Sache vorsprachlich bewusst sein oder nonverbal kommunizieren zu können. Die Reflexion der Philosophie dagegen ist unhintergehbar begrifflich-symbolisch. Sie kann ihre Erkenntnisse nicht malen, singen oder tanzen.2 Philosophie denkt entlang einer Sprache, die für sie eine doppelte Funktion gewinnt: Sprache ist ihr Thema und ihr Medium zugleich.3 Nur in der Sprache kann die Philosophie über ihren Gegenstand und ihre Methode selbst sprechen.

Insofern die Sprache nicht Welt abbildet, sondern ein Bild der Welt entwirft, reflektieren ihre Differenzierungen nicht notwendig reale Unterschiede. In einer vorsprachlichen und vorkulturellen Welt gibt es, so Lockes Beispiele (für »gemischte Modi«4), keinen Ehebruch, keine Prozession, kein Sakrileg. Begriffliche Unterscheidungen solcher Art kommen allererst durch kulturelle Sprachpraktiken in die Welt. Auch dürfte schwierig sein, vermutet bereits Moses Mendelssohn, ohne Sprache überhaupt Bestimmtes wahrnehmen zu können. Wie sollte möglich sein, »durch die bloße Anstrengung der Aufmerksamkeit, Merkmale herauszubringen, für die wir noch keine Worte wissen«5. Unser Wahrnehmen und Denken ist von vornherein zeichenhaft und symbolisch, »weil der Mensch, ohne Hülfe der Zeichen, sich kaum um einen Schritt vom Sinnlichen entfernen kann«6.

Nichts spricht dafür, dass Sprache wie in einem schlierenlosen Spiegel einfach die Unterschiede reflektierte, die wir in der Welt vorfinden und auch ohne Sprache für uns da wären. Demgegenüber ging das hochdifferenzierte mittelalterliche Sprachdenken noch von einer weitgehenden »Isomorphie zwischen Sein, Denken und sprachlichem Ausdruck«7 aus. Es fand eine wohlgeordnete, nach Ursachen, Gattungen und Arten unterteilte Welt in den begrifflichen Unterscheidungen und sprachlichen Ordnungen der Dinge selbst wieder. Unzulänglichkeiten sprachlicher Repräsentation wurden nicht auf eine vermeintlich weltfremde Natur der Sprache, sondern auf deren unvollkommenen Gebrauch zurückgeführt.

Neuzeitlich bestimmend sind andere Auffassungen geworden: dass die Dinge an sich selbst betrachtet dem menschlichen Geist entweder auch sprachunabhängig zugänglich seien; oder dass sie überhaupt nicht, auch nicht sprachlich, erfasst werden können. Wilhelm von Humboldt und Karl Leonhard Reinhold haben an der Schwelle zur Moderne vehement sowohl der ersten als auch der zweiten Auffassung widersprochen, der noch ihr ›Lehrer‹ Kant anhing. Während Humboldt für unmöglich hält, »aus der Sprache herauszutreten und die Dinge unabhängig von ihr zu betrachten«8, kritisiert Reinhold die Sprachvergessenheit metaphysischen Denkens, welches dem »Wahn einer ohne […] Sprache möglichen, […] begriffslosen, innerlichen Wahrnehmung […] und [der] Einbildung unmittelbarer Vorstellungen«9 aufsitze. Humboldts und Reinholds Thesen von der Vergeblichkeit des Heraustretens aus der Sprache leugnen keineswegs die Möglichkeit auch sprachunabhängiger Erfahrungsgegenstände oder Sachverhalte (facta bruta). Fraglich aber ist, ob es sie, als sprachunabhängige, für uns geben kann. Denn mag Welt auch unabhängig von Sprache existieren, so ist doch unsere Erkenntnis von Wirklichkeit »unaufhebbar sprachbezogen«10. Vereinbar ist dies problemlos mit der Einsicht, dass aus der »Sprachgebundenheit« allen Erkennens gleichwohl nicht schon »die Sprachgeborenheit alles Erkannten«11 folge.

Ihre Unumgänglichkeit im menschlichen Weltzugang hat zu der hermeneutischen Überzeugung geführt, Sprache sei das »universale Medium, in dem sich das Verstehen selber vollzieht«12. Zwar scheint sie nur eines unter vielen zur Verfügung stehenden Medien. Aber das Bild, die Brille, das Mikroskop, der Computer und diverse andere mediale Objekte sind Erkenntnismedien nur in Verbindung mit der »propositionalen Artikulation«13 der Sprache. Sie ist nicht das Medium, das jeweils besser erkennen, sondern welches überhaupt erst etwas als etwas verstehen lässt. Auch in der Laborsituation reicht der vielsagende Blick auf ein Präparat nicht aus, um einen Geltungsanspruch – z. B. »Dieses Enzym X könnte für eine Therapie der Krankheit Y nützlich sein« – zu äußern, sondern es bedarf der propositional-behauptenden Kraft der Sprache. Medien sind Erkenntnismedien stets nur im Verein mit der Artikulation von Sprache und Schrift.

Humboldt hat für den Umstand, dass sich reale und ideale Gegenstände nicht einfach von selbst, sondern sprachlich vermittelt zeigen, den Begriff der »Weltansicht«14 geprägt. Von sprachlichen Weltansichten hängt ab, was wir als Gegenstände sollen wahrnehmen können. Daher wäre aus dem Umkreis unserer Sprache nur »insofern hinauszugehen möglich […], als man zugleich in den Kreis einer andren hinübertritt«15. Hermeneutischen Vollzug nennt Gadamer im Anschluss an Humboldt den sprachlichen Verstehensprozess zwischen Text und Interpret(inn)en. Einen ähnlichen, allerdings auf konkrete Situationen sprachlicher Praxis bezogenen Gedanken hat Donald Davidson unter dem Namen »Triangulation« formuliert; er meint die triviale, aber grundlegende »Dreiecksanordnung, die aus den zwei Akteuren und einem gemeinsam beobachteten Gegenstand besteht«16. Demnach vollzieht sich alles Erkennen in einer symbolischen Dreiecksbeziehung von subjektiver, intersubjektiver und objektiver Erkenntnis, welche den Akteuren durch das gemeinsame Primärmedium der Sprache zugänglich wird. Davidson führt dies zu dem evidenten, aber weitreichenden Schluss, dass die »Identifizierung der Gegenstände des Denkens […] auf einer sozialen Grundlage«17 beruhe.

Dass sprachliches Verstehen – als Verständnis durch Sprache und Verstehen von Sprache – triangularisch strukturiert und damit stets an ein uns vorgängiges Du gerichtet ist, wie erstmals Humboldt erkannt hat,18 impliziert nicht notwendig das Gelingen von Verstehen. Wenn Sprache das Primärmedium unseres Selbst-, Fremd- und Weltverständnisses sein sollte, dann markieren ihre Grenzen auch die des Verstehens: »Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.«19 Deshalb ist auch der Versuch des Begreifens von allem, was anders als Sprache ist, selbst sprachlich vermittelt. Wenngleich die Philosophie an die Grenzen der Sprache und des Verstehens geht, um sich mit Mitteln des Begriffs auch des Nichtbegrifflichen anzunehmen,20 bleibt sie doch in erster Linie eine »Anstrengung des Begriffs«21. Kritisch hat Adorno an diesen Hegelschen Gedanken angeknüpft und bemerkt, der Weg der Philosophie führe zur »Anstrengung des Begriffs, das nichtbegriffliche Moment zu vertreten und es durch den Inbegriff selber zur Geltung kommen zu lassen«22.

Vollends verlassen könnte Philosophie die Sphäre des Begriffs nur um den Preis der Selbstaufgabe. Ihre Sprache ist die Sprache des Begriffs, der Begründung und der Argumentation. Das allerdings schließt das Vermögen, auch die Sprache der Metapher, des Beispiels und der Darlegung zu sprechen, notwendig ein. Denn nur dem Ensemble ihrer Vermögen, der kognitiven so gut wie der kommunikativen und imaginativen, verdankt die Philosophie ihre Kunst, sinnvolle begriffliche Unterscheidungen, epistemische Aussagen und normative Geltungsansprüche zu begründen. Der begrifflich-argumentative wie zugleich verallgemeinernde Charakter philosophischer Sprache markiert freilich die äußerste Konsequenz jener synthetischen Funktion, die in der symbolischen Reflexion der Sprache selbst angelegt scheint. Cassirer hat sie als »Synthesis des Verschiedenen«23 bezeichnet, in welcher Heterogenes, Getrenntes, Verschiedenes eine begriffliche Einheit eingehen. Jeder Begriff, erinnert Nietzsche, »entsteht durch Gleichsetzen des Nicht-Gleichen«24: Begriffliche Synthesis sieht ab von den Qualitäten des Synthetisierten, zehrt vom »Fallenlassen dieser individuellen Verschiedenheiten«25. Daher hat die Sprachphilosophie von Humboldt über Nietzsche bis zu Cassirer und Goodman stets die Erinnerung an den abstrahierend-fixierenden wie zugleich produktiven und welterschließenden Charakter der Begriffsbildung wachgehalten. Auch im Sprechen und Schreiben sollten wir uns »als Subjekt und zwar als künstlerisch schaffendes Subjekt«26 nicht vergessen.

Begriffliche Synthesis hat freilich nicht nur objektiv-weltordnende Funktion, sie ist auch immer schon auf Intersubjektivität gerichtet. Nur wenn der Begriff, den alle verwenden, von den Vorstellungen, die jeder Einzelne konkret mit ihm verbindet, absieht, wird sprachliche Verständigung möglich. Nur weil das Konkrete in allgemeinen Termini bezeichnet wird, lässt es sich...

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