Im Namen Gottes,
des Erbarmers, des Barmherzigen
An meine christlichen
Brüder und Schwestern
Mit dem vorliegenden Buch wendet sich ein iranischer Muslim an seine christlichen Brüder und Schwestern in Iran und überall auf der Welt.
Ich beabsichtige mit der Herausgabe dieses Buches, die verehrten Christen und Christinnen mit dem bekannt und vertraut zu machen, was der Koran über Jesus Christus und Maria (Friede sei mit ihnen beiden) aussagt. Jeder Mensch möchte erfahren, wie andere über ihn denken und sprechen. Deshalb mag es für Sie, verehrte christliche Brüder und Schwestern, von Interesse sein, die Sicht des Islams auf die christliche Religion und die christliche Gemeinschaft kennenzulernen.
Diese Sicht soll Ihnen jedoch weder anhand der Worte und Taten der Muslime im Verlaufe ihrer 1400jährigen Geschichte noch aus dem Munde Ihrer eigenen Glaubensbrüder und -schwestern vermittelt werden, deren Aussagen entweder mit den Ihren übereinstimmen oder ihnen entgegengesetzt sind, sondern durch den Koran, der eine authentische und bedeutende Quelle darstellt und Sie als «Nazarener» oder «Angehörige des Buches» (Ahl al-Kitâb) bezeichnet.
Sie werden gewiß manches darüber gehört oder in Ihren Geschichtsbüchern gelesen haben, wie der Stifter der islamischen Religion und seine Anhänger sich gegenüber Christen verhielten und wie sie allgemein über das Verhältnis zwischen Islam und Christentum dachten. Sie werden sich an Darstellungen und Deutungen erinnern, die richtig oder falsch sein können. Sie wissen um die Tatsache, daß man wie bei allen anderen Lehren oder Ideologien auch im Falle des Islams unterscheiden muß zwischen der Religion und ihrem Begründer auf der einen Seite und den unterschiedlichen, oft widersprüchlichen Aussagen und Taten der Gläubigen und ihrer Führer im Laufe der Geschichte auf der anderen Seite.
Bei den Aussagen und Handlungen des Propheten bezüglich der Christen, die uns bekannt sind, handelt es sich um schriftliche und mündliche Überlieferungen, die erst zwei oder drei Jahrhunderte nach seinem Tod kodifiziert worden sind. Folglich besteht die Möglichkeit, daß diese Überlieferungen zu den widersprüchlichen und irre führenden Traditionen gehören, die – bewußt oder unbewußt, mit Absicht oder aus Unwissen – erst nach Kürzungen oder Hinzufügungen beziehungsweise nach späteren Eingriffen ihre heutige Gestalt angenommen haben. Der Koran hingegen ist über seine Stellung als Quelle und Grundlage des Islams und der Muslime hinaus ein Buch, das absolute Souveränität gegenüber allen Informationen und späteren Texten genießt. Auch heute sind sich Gläubige und Wissenschaftler einig über die Authentizität und «Unberührtheit» des Korans. Der Wortlaut des Korans ist nicht verändert worden und muß daher als Maßstab für die Richtigkeit oder Falschheit der späteren Überlieferungen und Texte gelten.
Der Angehörige einer Religion hat ein Interesse daran, daß nichts als die wahre und ursprüngliche Botschaft seiner Religion verbreitet, gehört und bewertet wird, und daß die Reaktionen verschiedener Denkschulen und Völker auf das, was seine Religion über diese Denkschulen und Völker sagt, auf richtigen Informationen beruhen. Aber auch die Anhänger der jeweiligen Religion selbst sollten darauf achten, ihre Überzeugungen und Handlungen nach dem zu richten, was in ihrer Offenbarung tatsächlich gesagt und beabsichtigt worden ist. Aus den oben genannten Gründen und in der Hoffnung, eine Arbeit getan zu haben, die sowohl das Wohlgefallen Gottes finden als auch nützlich für alle Christen und Muslime sein möge, lege ich allen christlichen und muslimischen Brüdern und Schwestern das vorliegende Buch vor.
Es ist möglich, daß dieses Buch, das die Aussagen des Korans über die Christen ins Gedächtnis rufen möchte, für Wissenschaftler und Orientalisten, die besser als der Autor über den Islam und seine Beziehungen zu den Christen unterrichtet sind, das bereits Bekannte lediglich wiederholt. Wenn dies der Fall sein sollte, bitte ich um Entschuldigung, Ihre Zeit in Anspruch genommen zu haben. Ich vermute aber, daß die meisten Leser und Leserinnen dieser Zeilen von den Aussagen des Korans über die Christen bislang kaum etwas gewußt haben oder sogar falsch unterrichtet waren. Aus diesem Grunde mag die Lektüre dieses Buches der Festigung und Berichtigung der eigenen Glaubensgrundlagen dienen oder zumindest zur Vermehrung des Wissens beitragen und deshalb von Interesse sein. Das Verhältnis von Islam und Christentum, die Aussagen des Korans über Jesus, Maria und die Christen und ein Vergleich des Korans mit dem Alten und Neuen Testament sind von großer Bedeutung und sollten das Interesse und die Wißbegierde jedes Christen und jedes wahrheitssuchenden Wissenschaftlers wecken.
Die Themen des Buches
Die verehrten Leser werden mit hoher Wahrscheinlichkeit in diesem Buch Aussagen finden, die ihr eigenes Wissen ergänzen oder sich davon unterscheiden. Zu den Themen gehören die Verehrung und Würdigung Jesu Christi und seiner Mutter Maria. Wenn Sie die entsprechenden Verse genau lesen, werden Sie feststellen, daß die Verehrung und Würdigung Jesu Christi und Marias im Koran und die Rolle, die einer solchen Mutter bei der Erziehung eines solchen Sohnes für die Menschheit zuteil wird, über die Aussagen der vier Evangelien hinausgehen. Der Koran bestätigt alle Wunder und übermenschlichen Handlungen und Zeichen des Messias und schreibt sie einer höheren Macht – Gott – zu. Er räumt Jesus Besonderheiten und eine Stellung ein, die er keinem der anderen Propheten, noch nicht einmal seinem letzten Propheten, Mohammed, zugesteht. Auch die Reinheit und Unberührtheit Marias gegenüber den Verleumdungen ihres Volkes wird im Koran vehement verteidigt.
Ein weiterer Gegenstand dieses Buches ist die ausführliche und genaue Auseinandersetzung des Korans mit den früheren Propheten und deren Anhängern. Die meisten Aussagen des Korans über das Christentum betreffen den Messias und seine Anhänger. Genauer gesagt, handelt es sich hierbei um 175 Verse oder 3163 Wörter, die 4,1 Prozent des gesamten Korans ausmachen. Übrigens enthält der Koran noch mehr Hinweise auf Mose, die Juden und ihre Propheten als auf Christus und die Christen.
Im allgemeinen richtet der Koran sein Augenmerk nicht ausschließlich auf die Muslime, sondern spricht außer über die beiden Gruppen der «Angehörigen des Buches» (Ahl al-Kitâb) wiederholt auch von den früheren semitischen Propheten und beleuchtet die verschiedenen Entwicklungsstadien des göttlichen Planes, die Menschheit einzuladen, den einen Gott anzubeten. Etwas mehr als ein Fünftel des Korans (22 Prozent), also etwa 1500 Verse, bezieht sich auf die früheren Propheten. Es ist nicht die Absicht des Korans, das Evangelium für ungültig zu erklären oder die christliche Religion als «überholt» zu betrachten.
Zu Beginn unserer Untersuchung mag es so scheinen, als gehe es dem Koran aufgrund der Erfordernisse der Zeit und der bestehenden Rivalitäten darum, die Christen zu tadeln, zurechtzuweisen oder sich von ihnen abzuwenden. Man könnte also den Eindruck gewinnen, daß der Koran die Religion Jesu Christi abschaffen will. Es könnte so aussehen, als ob der Koran die Christen auffordere, ihre gesamten Überzeugungen und Schriften, besonders die Evangelien, mit einemmal einem Museum zu übergeben, um sich sofort und ohne Umwege der neuen Religion anzuschließen und dem Gesetz des Islams, der Scharia, zu folgen.
Im folgenden werden Sie sehen, daß jene Verse des Korans, welche von der Geburt und der Sendung Jesu Christi künden und Vorschläge für den Umgang mit Christen beziehungsweise Stellungnahmen der Muslime gegen -über den Angehörigen dieser Religion beinhalten, Jahre vor der Auswanderung (Hidschra) Mohammeds von Mekka nach Medina entstanden sind. Insgesamt manifestiert sich jedoch in diesen Aussagen eher der Aufruf zur Erneuerung als offene Feindseligkeit. Die meisten Verse des Korans, die sich mit dem Christentum beschäftigen, beziehen sich auf Glaubensüberzeugungen und grundlegende Kritikpunkte, während ein geringerer Teil der Verse aus dem 7. und 8. Jahr nach der Hidschra von der hinterhältigen Kooperation mancher Buchbesitzer mit den Götzendienern Arabiens in Kriegen gegen den Propheten handelt oder sich mit Spott und Polemik gegen die neue Religion auseinandersetzt. Im Falle der zweiten Gruppe von Versen klingen Vorsicht, Zurückhaltung und teilweise sogar Protest oder Tadel mit.
Die besondere Botschaft und Verantwortung des Korans gegenüber den Buchbesitzern
Der Überbringer des Korans begegnet den Christen und anderen Buchbesitzern entgegen der allgemeinen Meinung nicht als Rivale oder als jemand, der kompromißlos auf seinen Überzeugungen und Standpunkten besteht. Er hat eine Botschaft für sie und sieht sich verantwortlich für ihre Belange. Er stellt sich als Erneuerer und Lehrer der Christen vor, der nur den Auftrag der...