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Vertreibung aus dem Paradies

100 Jahre Steueroasen zwischen Nummernkonten, Briefkastenfirmen und Karibikinseln

AutorHans-Lothar Merten
VerlagFinanzBuch Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783960920359
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Apple, Starbucks, Hoeneß - so unterschiedlich die Akteure auch sind, ein Ziel eint sie: Keine oder nur wenig Steuern auf Vermögen. Und auch der kleine Mann sucht allzu oft sein Heil in der Steuerflucht. Obwohl immer wieder brandaktuell, ist das Phänomen »Steuerflucht« alles andere als neu. Bereits Ende des Ersten Weltkriegs begann die Schweiz, ein Modell zu etablieren, das fast 100 Jahre erfolgreich funktionieren sollte. Inzwischen gibt es unzählige Nachahmer, die »Kundschaft« mit Niedrigststeuern anlocken - darunter nicht nur die Cayman Islands, sondern auch Bundesstaaten der USA. Und so wechselhaft die Geschichte der Steueroasen auch ist - ihre Macher hinter den glitzernden Bank- und Kanzleifassaden sind ihren Jägern immer eine Spur voraus. So wird es Steueroasen auch künftig geben. Ihnen selbst geht es heute teils besser denn je. Die Geschichte der Steueroasen, des schwarzen Lochs der Weltwirtschaft, wird also wohl fortgeschrieben werden müssen. Und keiner kennt das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Fahndungsbehörden und Finanzberatern besser als Hans-Lothar Merten.

Hans-Lothar Merten ist gelernter Bankkaufmann und studierter Betriebswirt. Er arbeitet als freier Publizist mit den Schwerpunkten Finanzen, Offshore sowie Steuern und ist seit mehr als zwanzig Jahren erfolgreicher Fachautor. Im FinanzBuch Verlag ist von ihm bereits »Vermögen richtig schützen« erschienen.

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Leseprobe

I.
VERFLIXTE STEUERWELT


STEUERN JA – ABER IN MAßEN


»Nur die kleinen Leute zahlen Steuern«, sagte die New Yorker Millionärin Leona Helmsley einmal. Nur war sie selbst nicht groß genug oder nur zu schlecht beraten, um wegen Steuerbetrugs und Steuerhinterziehung dem Gefängnis zu entkommen. Vier Jahre Haft und 7,1 Millionen Dollar Strafe lautete damals das New Yorker Gerichtsurteil. Schlecht beraten war vor einigen Jahren auch der damalige und heutige Bayern-Präsident Uli Hoeneß. Der hatte über ein geheimes Konto in der Schweiz im großen Stil an der Börse spekuliert und seine Gewinne nicht bei seinem Heimatfinanzamt in Deutschland angegeben. 2014 spricht ihn das Landgericht München wegen Hinterziehung von mindestens 28,5 Millionen Euro schuldig. Hoeneß wurde zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.

Um nicht wegen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung im Gefängnis zu landen, haben sich in Deutschland in den letzten drei Jahren über 50 000 Steuersünder bei den Finanzbehörden selbst angezeigt. Das Hoeneß-Urteil, weitere CD-Daten-Ankäufe der Finanzbehörden, Offshore-Leaks, Lux Leaks und Panama Papers haben sie aufgeschreckt und die Flucht nach vorne antreten lassen. Denn mit Gefängnisstrafe wird hierzulande bestraft, wer 1 Million Euro und mehr Steuern hinterzieht. Das Hoeneß-Urteil hatte gezeigt, dass es bei Steuervergehen jetzt auch Prominenten an den Kragen geht.

Während den »kleinen Leuten« die Steuer vom Arbeitgeber direkt vom Gehalt in Abzug gebracht und an den Fiskus abgeführt wird, müssen Freiberufler und Besserverdiener ihren Steuerpflichten erst nach Eingang des Steuerbescheids nachkommen – häufig ein Jahr später. Und als ob das nicht schon Vorteil genug wäre, setzen sie auch noch alles daran, ihre Steuerverpflichtungen so weit als möglich herunterzudrücken. Berater und Banken im In- und Ausland helfen ihnen dabei. »Offshore« heißt in vielen Fällen das Zauberwort. Profaner: Steueroasen. Die bieten alles, von dem Steuermüde träumen. Von Briefkastenfirmen, anonymen Stiftungen und Trusts zum Verstecken von Vermögenswerten bis hin zu Nullsteuern.

In allen anderen Ländern werden dagegen Steuern durch den Staat für beinahe sämtliche wirtschaftlichen Aktivitäten erhoben. Ein Angestellter mit Durchschnittsgehalt, unverheiratet und ohne Kind musste 2015 im Schnitt 49,4 Prozent seiner Arbeitskosten, also Bruttoverdienst plus Sozialbeiträge der Arbeitgeber, abliefern. Unter den 34 OECD-Ländern rangiert Deutschland damit auf dem dritthöchsten Platz, nur in Belgien und Österreich ist die Last höher. Damit ist die Hälfte vom Brutto netto weg. Hinzu kommen zum Beispiel noch Kapitalertrag- oder Erbschaftsteuern und natürlich noch die indirekten Steuern (Mehrwertsteuer). Die OECD kritisiert seit Langem die hohe Steuer- und Abgabenlast in Deutschland.

Das Steuerrecht ist das am stärksten in die Grundrechte des Bürgers eingreifende Recht – abgesehen vom Strafrecht. Eine prominente Rolle im Steuerrecht nimmt der Gleichheitssatz mit den Prinzipien der Leistungsfähigkeit und der Folgerichtigkeit ein. Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) besagt: »Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.« Das Leistungsfähigkeitsprinzip, wonach jeder nach Maßstab seiner individuellen ökonomischen Leistungsfähigkeit besteuert werden soll, hat Verfassungsrang und bildet den Hauptmaßstab für die Gleichheitsprüfung im Steuerrecht. Vergleichbare Fallgruppen müssen somit vom Staat auch vergleichbar besteuert werden.

Steuern sind Zwangsabgaben ohne direkte Gegenleistung, um damit die soziale Umverteilung zu organisieren und Leistungen der öffentlichen Hand zu finanzieren. Dabei werden Steuern zum Teil progressiv erhoben. Mit anderen Worten: Staatliche Leistungen werden zum Großteil von vermögenden Privatpersonen und Unternehmen finanziert. Seit es Steuern gibt, beschäftigen die sich jedoch damit, der Steuerlast auszuweichen beziehungsweise sich ihr ganz zu entziehen. Zwangsabgaben, deren Zahlung sie sich zwar nicht verweigern, deren Höhe sie jedoch durch entsprechende Handlungen und Maßnahmen stark verändern können.

Die Höhe der Steuerschuld ist abhängig von der Steuerbemessungsgrundlage und dem Steuersatz. Während Steuerpflichtige auf den Steuersatz keinen direkten Einfluss haben, kann die Bemessungsgrundlage durch legale und illegale Aktivitäten der Steuerpflichtigen mehr oder weniger verringert werden. Auch kann durch Falsch- oder Nichtangabe steuerlich relevanter Tatbestände erst gar keine Bemessungsgrundlage entstehen. Alles Aktivitäten, die dem Ziel der Reduzierung der Steuerschuld dienen – also Steuervermeidung, Steuerhinterziehung oder Steuerbetrug. Diese werden nachfolgend unter dem Begriff Steuerentzug subsummiert.

STEUERENTZUG – STEUERHINTERZIEHUNG UND STEUERVERMEIDUNG


Im Zuge der Globalisierung und der steigenden Mobilität des Kapitals haben sich für multinationale Unternehmen wie auch für Privatpersonen neue Wege und Alternativen eröffnet, die den Steuerentzug vereinfachen und damit die Steuereinnahmen von Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern erheblich mindern. Eine dieser Möglichkeiten ist die Verlagerung von Vermögen und Gewinnen in eine Steueroase, wo Kapital steuerfrei vermehrt wird. Das führt sowohl in den Industrie- als auch in den Schwellen- und Entwicklungsländern zu Steuerausfällen in Milliardenhöhe. Allein den EU-Staaten sind dadurch nach Berechnungen der EU-Kommission im letzten Jahr rund 140 Milliarden Euro entgangen.

Die zunehmende Globalisierung, die hohe Mobilität von Kapital, die Informationsbereitstellung durch das Internet und nicht zuletzt der zunehmende Wettbewerb zwischen den heute rund 40 ernstzunehmenden Steueroasen haben in den letzten zwei, drei Jahrzehnten dazu geführt, dass die Nutzung der Steueroasen für Privatpersonen und Unternehmen immer einfacher wird. Vor allem Unternehmen werden bei der Suche nach neuen Schlupflöchern in den komplexen Steuersystemen immer kreativer. Große Wirtschaftsprüfungsgesellschaften helfen ihnen dabei.

Dabei ist Steuerentzug keine Straftat, in vielen Ländern aber verboten. Wer sich durch eine ungewöhnliche und unangemessene rechtliche Gestaltung Steuervorteile verschafft, kann von den Steuerbehörden belangt und zur Nachzahlung verdonnert werden. In Deutschland ist der »Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten zur Steuerumgehung« seit 1919 in § 42 der Abgabenordnung (AO) geregelt. Auch in anderen Ländern mit einer gemeinsamen Rechtstradition wie Australien, Irland, den USA, Kanada oder Großbritannien finden sogenannte »general anti-avoidance rules« (GAAR) immer mehr Verbreitung.

Grundsätzlich aber wird in der internationalen Gesetzgebung unterschiedlich definiert, wann ein Steuerentzug vorliegt:

  • Manche Staaten sprechen von Steuerentzug, wenn ein Steuerpflichtiger absichtlich einen anderen Weg als den üblichen gewählt hat, um weniger Steuern zu zahlen – wenn also »Bewusstsein über das Unrecht« vorliegt.
  • Andere hinterfragen, ob die jeweilige steuerliche Gestaltung künstlich und kompliziert ist und keinem anderen wirtschaftlichen Zweck dient, als Steuern zu sparen.
  • Eine dritte Option, die aber bisher nur im englischsprachigen Ausland Eingang gefunden hat, ist, Steuerentzug als Handlung zu definieren, dessen Resultat im Widerspruch zu den Zielen des Gesetzgebers steht.
  • Die meisten Länder fahnden nach einer Kombination aus Absicht und Künstlichkeit der steuerlichen Gestaltung.

Einig sind sich die meisten Gesetzgeber in puncto Steuerentzug aber in einer Sache:

  • Zunächst muss die Finanzbehörde die unangemessene rechtliche Gestaltung nachweisen. Dann obliegt es dem Steuerpflichtigen, außersteuerliche Gründe für die von ihm gewählte Gestaltung aufzuzeigen.

Im Einzelfall kann das auch für die Finanzbehörde ganz schön verzwickt werden.

Die komplexen Steuergesetze sind ein Grund dafür, warum auch »normale« Steuerpflichtige das Steuerrecht nicht nur als überkomplex und unsystematisch, sondern als ungerecht empfinden und den Steuerentzug sogar legitimieren. Sie gehen häufig davon aus, dass sie im Gegensatz zu den Reichen und den Unternehmen nicht alle legalen Steuerminderungen nutzen können. Weil sie über entsprechende Gesetze nicht informiert sind, sich teure Berater nicht leisten können und sie deshalb zu viel Steuern zahlen. Dazu kommt die steuerliche Sonderbehandlung großer Konzerne. Die Bürger spüren, dass hier die Steuergerechtigkeit verletzt wird – also dass alle ihren fairen Anteil an Steuern zahlen sollen. Genauso war das zuvor schon bei den vergleichsweise glimpflichen Urteilen für die Steuersünder Zumwinkel und Hoeneß. Das senkt die Steuermoral der »einfachen« Steuerpflichtigen.

Letztlich kann jeder Steuerpflichtige durch Steuerentzug einen höheren Nutzen bzw. ein höheres Nettoeinkommen erzielen. Nämlich dann, wenn der Steuerentzug nicht durch die zuständige Finanzbehörde aufgedeckt wird. Das ist nach Michael G. Allington und Agnar Sandmo der Grundgedanke eines rationalen Steuerhinterziehers.

WO EIN...


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