Vorwort
Sie sei an der »Gläsernen Decke« gescheitert. Mit dieser Erklärung versuchte Hillary Clinton im November 2016 ihre Niederlage in der Wahl um die Präsidentschaft der Vereinigten Staaten als einen Sieg der Männer über die Frauen umzudeuten. Die Gläserne Decke bezeichnet eine von Männernetzwerken errichtete Barriere, die Frauen auf ihrem Karriereweg aufhalten soll. Sie ist eine geniale Metapher des Feminismus: Indem sie unsichtbar ist, entzieht sie sich der Notwendigkeit, ihre Existenz zu belegen. Die weitverbreitete unkritische Akzeptanz des Bildes von der Gläsernen Decke erinnert dabei an das Märchen »Des Kaisers neue Kleider«. Sich als Opfer zu stilisieren und auf diese Weise den anderen (im Zweifelsfalle der Verschwörung des Patriarchats) die Schuld für das eigene Scheitern zu geben – das ist ein alter Reflex des Feminismus. Dass es Hillary Clinton nicht gelungen ist, in einigen traditionell demokratisch wählenden Bundesstaaten eine ausreichende Zahl der Wähler für sich zu mobilisieren, hat eine Reihe von Gründen – die Tatsache, dass sie eine biologische Frau ist, gehört sicher nicht dazu. Natürlich hat Frau Clinton eine beträchtliche Anzahl von politischen und persönlichen Gegnern, einige vielleicht auch deswegen, weil sie als Vertreterin des Feminismus gilt. Aber: Wer sollte ernsthaft glauben, dass Hillary Clinton, die ehemalige Außenministerin der USA, bestens vernetzt und finanziell gefördert von einer mächtigen Koalition aus Wirtschaft und Politik (darunter Unternehmen der Rüstungsindustrie und Staaten wie Saudi-Arabien), aufgrund ihres Geschlechtes an einer ominösen, von böswilligen Männern eingezogenen Decke gescheitert sei?
Wie tief dieses Denken in vielen Köpfen verwurzelt ist, zeigt sich daran, dass Clintons Behauptung auch in Deutschland bereitwillig aufgegriffen wurde. So bezeichnete der ZDF-Reporter und Redakteur der Hauptredaktion Politik und Zeitgeschehen Gert Anhalt in seiner Wahlanalyse die Kandidatur Clintons als vergeblichen Kampf gegen die Gläserne Decke.1
Was weltanschaulich dahintersteckt, konnte man ebenfalls am 9. November sehen, als in der Sendung »Maischberger« das Wahlergebnis als angeblicher Sieg der sogenannten »wütenden weißen Männer« (Sandra Maischberger) interpretiert wurde – obwohl auch 41 Prozent der US-amerikanischen Frauen für Donald Trump gestimmt hatten.2 Die dort als Publizistin geladene Feministin Alice Schwarzer fasste, nachdem sie Hillary Clinton als Ikone des Feminismus gelobt hatte, diese Sicht auf die Dinge in der ihr eigenen prägnanten Weise zusammen: »Die weißen Männer sind ein Problem.«
Die Folgen solcher in den Medien ständig wiederholter Ansichten sind fatal. Indem komplexe soziale Prozesse auf einen postulierten Geschlechtergegensatz reduziert werden, wird dieser Geschlechtergegensatz zumindest zum Teil erst konstruiert. Menschen werden nicht in ihrer Individualität betrachtet, sondern als Vertreter eines Kollektivs (die Frauen versus die Männer). Das Resultat ist, dass ein Teil der Bevölkerung sich in seinem antagonistischen Weltbild bestätigt fühlt3, während ein anderer Teil sich von einer oktroyierten Ideologie bedroht fühlt. Wer sich davon ein Bild machen möchte, braucht nur die Diskussion entsprechender Themen in den sozialen Medien zu verfolgen, wo Fakten und Argumente gegenüber Vorurteilen und Hass kaum eine Rolle mehr spielen.
Der vorliegende Band versammelt kritische Beiträge zur aktuellen Genderpolitik und ihren Folgen. Die theoretische Grundlage dieser Politik ist das Konzept des Gender-Mainstreamings, eine moderne Version des Feminismus. Da die Begrifflichkeiten in der aktuellen Diskussion nicht immer stringent verwendet werden, sei hier eine kurze Definition gegeben: Feminismus ist der Oberbegriff für die Theorie, aber häufig auch für die Praxis der Frauenbewegung. Gender-Mainstreaming ist die neueste Variante des Feminismus (das Geschlecht wird zur zentralen sozialen Kategorie und soll in allen gesellschaftlichen Bereichen berücksichtigt werden). Gleichstellungs- oder Genderpolitik ist die Umsetzung des Konzepts des Gender-Mainstreamings.
Die historische Keimzelle des Feminismus stellt die Frauenrechtsbewegung dar, die seit dem Ende des 18. Jahrhunderts die Errungenschaften der Aufklärung auch für Frauen eingefordert hat.4 Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts war Gleichberechtigung das Hauptanliegen der Frauenbewegung. Weil die Gleichberechtigung nicht die gesellschaftlichen Veränderungen hervorbrachte, die die Protagonistinnen erwartet hatten, verlagerte sich seit den 1960er-Jahren das Interesse zunehmend auf die Selbsterfahrung und das Selbstverständnis von Frauen in der Auseinandersetzung mit tradierten sozialen Rollen. In einer bewussten Absetzung von der vermeintlich männlichen Weltdeutung in den Wissenschaften, in der Literatur und in der Kunst setzte die Suche nach einer weiblichen Weltsicht ein und führte zur Entstehung einer grundsätzlichen feministischen Kritik an den politischen und sozialen Verhältnissen.
Während sich die erste und die zweite Frauenbewegung am Ideal der Gleichberechtigung im Sinne von Gleichheit vor dem Gesetz und Chancengleichheit orientierten, wurde die Gleichstellung im Sinne von Ergebnisgleichheit zum erklärten Ziel der sogenannten dritten Phase der Frauenbewegung. Sie entstand in den 90er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts und geht einher mit einer konsequenten Ausblendung und Diskreditierung der Wahrnehmungen von Männern, sofern diese sich nicht explizit zum Feminismus bekennen. Um in allen relevanten Bereichen der Gesellschaft im Idealfall ein Geschlechterverhältnis mit mindestens 50 Prozent Frauenanteil zu erreichen, wurde die Strategie des Gender-Mainstreamings entwickelt.
Grundlegend für Gender-Mainstreaming sind die Thesen des Psychologen John Money und der Feministin Judith Butler, denen zufolge das Geschlecht nur ein soziales Konstrukt sei. Auf der Grundlage dieser Behauptung wird gefordert, den »heteronormativen«, dichotomen Geschlechtsbegriff der Biologie (sex) durch die Vorstellung sozialer Geschlechter (gender) abzulösen und damit jedem Versuch, geschlechtliche Unterschiede biologisch zu erklären, den Boden zu entziehen.5 Indem die geschlechtliche Identität vom biologischen Körper getrennt und als frei wählbar angesehen wird, sollen auch Homosexuelle und Transgender vom Konzept des Gender-Mainstreamings vereinnahmt werden.
Auf der Vierten UN-Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 wurde Gender-Mainstreaming als politische Ideologie etabliert. Diese besagt, dass das Geschlecht zur zentralen sozialgesellschaftlichen Kategorie wird und in allen gesellschaftlichen Bereichen berücksichtigt werden soll oder, wie es auf der Konferenz in Peking formuliert wurde, »dass es keine geschlechtsneutrale Realität gibt und die Belange der Geschlechter in allen Entscheidungs- und Entwicklungsprozessen Berücksichtigung zu finden haben«. Zwar soll das Programm des Gender-Mainstreamings theoretisch die Belange beider Geschlechter berücksichtigen, doch im Hinblick auf die Berichte der Vierten Weltfrauenkonferenz sowie auf andere internationale und nationale Erklärungen und konkrete Maßnahmen zur Umsetzung des Programms wird offensichtlich, dass Frauen »die zu Begünstigenden« sind. In der Aktionsplattform von Peking heißt es: »Zur Umsetzung der Aktionsplattform wird es notwendig, dass die Regierungen einzelstaatliche Einrichtungen auf höchster politischer Ebene zur Förderung der Frau, geeignete ressortinteressierte und ressortübergreifende Verfahren mit entsprechender personeller Ausstattung sowie andere Institutionen schaffen beziehungsweise deren Wirksamkeit verbessern, die damit beauftragt und dazu in der Lage sind, die Teilhabe der Frau auszuweiten und eine gesellschaftsdifferenzierte Analyse in Politiken und Programmen einzubeziehen.«6 Hier ist bereits als zentrales Mittel zur Umsetzung der Gender-Mainstreaming-Ideologie die Konzeption des Top-down-Prozesses festgeschrieben, also die per Anweisung von oben nach unten durchzusetzende Umgestaltung der Gesellschaft.
Seit Gender-Mainstreaming 1995 auf der UN-Weltfrauenkonferenz in Peking zur Richtlinie politischen Handelns wurde, hat es einen beispiellosen Siegeszug angetreten und ist mit Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam am 1. Mai 1999 zu einem erklärten Ziel der Europäischen Union geworden. Auch auf nationaler Ebene hat Gender-Mainstreaming sich in allen Bereichen etabliert, auf die der Staat Einfluss nehmen kann (genannt seien etwa Regierung, Verwaltung, Justiz, Bundeswehr, Polizei, staatliche Medien, staatliche Schulen und Hochschulen). Damit hat Gender-Mainstreaming einen erheblichen Einfluss auf die gesamte staatliche Verwaltung einschließlich des Wissenschaftsbetriebes und der Bildungs- und Erziehungseinrichtungen. Es ist das erklärte Ziel der Vertreter des Gender-Mainstreamings, mittels pädagogischer Einflussnahme im Sinne der Genderpolitik gerade auf die Weltanschauung der jüngeren Generation einzuwirken. Hier spielen Schulen, Hochschulen und Medien eine besondere Vermittlungsrolle.
Im Bereich der öffentlichen Medien wird dies durch die direkte Einflussnahme der staatlichen Gleichstellungspolitik verstärkt. So kommt es, dass in den Medien neben den immer wiederholten falschen Aussagen zur angeblichen Geschlechterungerechtigkeit noch die absurdesten Meldungen zu dieser Thematik aufgegriffen werden, also etwa Beiträge über Frauen als die besseren Minenlastwagenfahrer (FAZ 26.10.2016) oder über die Frage nach der Art der Dialoge zwischen Frauen und Männern...