Vorwort
Am 16. November 2016 um 12 Uhr 02 traten die Parteivorsitzenden der Großen Koalition im Rahmen einer Pressekonferenz vor die Medien und verkündeten, was im Grunde zu diesem Zeitpunkt bereits jeder wusste oder zumindest ahnte: Man habe sich auf einen gemeinsamen Kandidaten für die Wahl des nächsten Bundespräsidenten geeinigt, und dieser Kandidat sei Frank-Walter Steinmeier. So wenig überraschend der Fakt an sich war, so ungewöhnlich entwickelte sich nichtsdestotrotz die Pressekonferenz – vor allem aus dem Grund, dass die Aussagen der Parteivorsitzenden so deutlich und so überzeugt wie auch überzeugend ausfielen. Was zu der Kandidatur zu sagen war, das fasste zunächst Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Worten zusammen, Steinmeier sei der richtige Kandidat in dieser Zeit – mit einer deutlichen Betonung des Wortes dieser.1 Mit dieser Zeit war unausgesprochen natürlich auch gemeint, es handele sich um eine Zeit, in der die Regierung und die Politiker der etablierten Parteien allgemein um ihr Ansehen und ihre Glaubwürdigkeit zu kämpfen hatten, in der große Gruppen der Wählerschaft sich Populisten zuwandten und deren Worten wesentlich mehr Glauben schenkten als denen von Regierung und parlamentarischer Opposition.
Die bisherige Außenminister Steinmeier sei ein Kandidat, der die Unterstützung sehr vieler Bürger und Bürgerinnen haben werde, so die Kanzlerin. Die Menschen wüssten, er sei ein Mann, dem sie ihr Vertrauen schenken könnten. Seine Erfahrung, seine Fähigkeit zum Ausgleich, seine Bodenständigkeit und seine Kenntnis der Welt jenseits der eigenen Staatsgrenzen – all das mache Frank-Walter Steinmeier zu einem sehr guten Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten der Bundesrepublik. Als dann der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel das Wort ergriff, unterstrich er mit seinen Aussagen im Grunde noch einmal das, was die Kanzlerin zuvor schon ausgedrückt hatte. Frank-Walter Steinmeier sei nicht nur jemand, auf den sich die Spitzen der Großen Koalition einigen konnten, er sei vor allem auch jemand, der auf die Unterstützung sehr vieler Bürger des Landes zählen könne. Gabriel ergänzte dies mit dem Hinweis, bei der Wahl eines Bundespräsidenten trete dessen Parteizugehörigkeit in den Hintergrund, stattdessen würden andere Eigenschaften in den Vordergrund treten – vor allem gehe es in diesem Zusammenhang um ein Maß an Vertrauen über politische Lager hinweg. Denn dieses Vertrauen müsse eine Persönlichkeit genießen, um für das Amt des Bundespräsidenten geeignet zu sein – bei Frank-Walter Steinmeier sei genau das der Fall. Dieses Vertrauen und auch die Integrität brauche man gerade jetzt in einer Zeit und in einem Land der Umbrüche sowie der wachsenden Gegensätze innerhalb der Gesellschaft. Es gehe auch um Verantwortung, unter anderem für die guten Traditionen, die in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland gewachsen seien. Es gehe um Verantwortung für den Frieden in Europa und der Welt, und es gehe um die Verantwortung beziehungsweise das Verantwortungsbewusstsein für die Herausforderungen der Zukunft. Alles in allem verkörpere Steinmeier sowohl die angesprochene Verantwortung als auch das Vertrauen, das Deutschland in diesen Zeiten benötige.
Ein Bundespräsident habe laut Sigmar Gabriel zwar keine exekutiven Aufgaben, aber er habe die Aufgabe, dem Land eine überzeugende Stimme zu geben – und zwar nach innen ebenso wie nach außen. Der neue Präsident müsse über die Kraft des Dialogs in beide Richtungen verfügen – das treffe auf Frank-Walter Steinmeier wie auf keinen Zweiten im Land zu. Er könne zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion vermitteln, er könne genau das auch tun zwischen wohlhabenden Bürgern und jenen, die soziale Härten zu erdulden haben. Hinzu komme, dass der langjährige Außenminister das Rüstzeug mitbringe, um den Dialog mit den Partner Deutschlands in Europa und der Welt führen zu können. Die Einigung auf den Kandidaten Steinmeier sei eine gute Nachricht für Deutschland, die auch international Gehör finden werde.
Als sowohl Angelika Merkel als auch Sigmar Gabriel den Kandidaten und dessen Kandidatur derart gelobt hatten, war es an der Zeit für den dritten Parteivorsitzenden, die passenden Worte zu finden. Das war CSU-Chef Horst Seehofer, der in den Monaten zuvor nicht unbedingt mit einem Hang zur Einigkeit mit der Kanzlerin aufgefallen war. Ihm und seiner Partei, so Seehofer, komme es nach Joachim Gauck darauf an, wieder einen guten Bundespräsidenten für das Land zu bekommen, Frank-Walter Steinmeier sei dafür sehr gut geeignet. Seehofer unterstrich dessen große Erfahrung auf nationalem wie internationalem Parkett, der Kandidat stehe zudem für Ruhe und Besonnenheit. Außerdem, betonte der CSU-Vorsitzende, sei Steinmeier ein Mann des Ausgleichs. Auch Seehofer hob mit seinen Worten auf die aktuellen Anforderungen an die Politik und den Staat ab: Genau die besagten Eigenschaften brauche man in dieser Zeit besonders stark.
Alle drei Parteivorsitzenden hoben also im Grunde die identischen Eigenschaften beziehungsweise Vorzüge des Kandidaten hervor, und sie taten das in erstaunlicher Klarheit und Kürze. Als sowohl Merkel als auch Gabriel und Seehofer ihre Ausführungen beendet hatten, waren kaum mehr als sechs Minuten verstrichen. Zu diesem Zeitpunkt allerdings hatte einer der Anwesenden noch gar nichts gesagt, und bei dieser Person handelte es sich um Frank-Walter Steinmeier. Der war den lobenden Worten mit meist regungslosem Gesicht und schwer zu deutender Mimik gefolgt, musste nun aber ebenfalls ein Statement zu seiner Kandidatur abgeben.
Wie die drei Parteivorsitzenden kam Steinmeier schnell auf die aktuellen Umstände zu sprechen. Es sei ihm eine Ehre, gerade in diesen stürmischen Zeiten als Kandidat vorgeschlagen worden zu sein. Seine Freude auf die Aufgaben des Bundespräsidenten sei groß, sein Respekt davor sei jedoch noch größer. Er habe in der vergangenen Wochen sehr viele ermunternde Zuschriften bekommen, gleichsam sei die Verantwortung des Amts des Bundespräsidenten gerade in diesen krisenbefangenen Zeiten sehr groß. Genau vor diesem Hintergrund sei das Vertrauen der Menschen in die Demokratie und deren Repräsentanten ein wichtiges Gut. Dieses Vertrauen sei jedoch eine tendenziell sehr knappe Ressource, um die man immer wieder ringen müsse.
Steinmeier beschränkte sich nicht allein auf solche erwartbaren Aussagen, er ergänzte sie mit einem Beispiel, das ein erster Hinweis darauf sein dürfte, wie ein Bundespräsident Steinmeier die ihm eigenen internationale Erfahrung mit der ihm ebenfalls eigenen Bodenständigkeit kombinieren dürfte. Er berichtete nämlich davon, wie er kurz zuvor von einer seiner vielen Reisen in die Krisengebiete der Welt in seinen brandenburgischen Wahlkreis zurückgekehrt sei, wo ihm bei einer Veranstaltung ein Mann eine Frage gestellt habe. Und diese habe darin bestanden, ob man als Bürger dieses Landes angesichts der Umwälzungen in der Welt eigentlich Angst haben müsse um die Zukunft hier in Deutschland. Das, so Steinmeier, sei keine einfache Frage gewesen, auf die es auch keine einfache Antwort gebe. Die Antwort, die er gegeben habe, sei die gewesen, dass sich die Sorgen mit Blick auf die Welt da draußen gut nachvollziehen ließen. In seinem Amt als deutscher Außenminister habe er aber eben auch den anderen Blick erfahren. Nämlich den der Welt auf Deutschland. Genau mit diesem Blick aber könne er gar nicht anders, als zuversichtlich sein. Denn Deutschland verkörpere wie vielleicht kein anderes Land der Welt die Erfahrung, dass aus Krieg Frieden werden kann, dass auch auf Teilung Versöhnung folgen kann. Es verkörpere auch die Erfahrung, dass nach der Raserei von Nationalismus und Ideologien so etwas wie politische Vernunft einziehen kann. Genau das sei etwas, wofür Deutschland stehe, und das sei etwas, das man einbringen könne in diese unfriedlich gewordene Welt.
Steinmeier nannte noch weitere Beispiele für all das, was für die Umwälzungen der Zeit stehe und bei den Menschen für ein Gefühl der Unsicherheit beziehungsweise der Veränderungen sorge. Er sprach den Brexit an, die Wahlen in den USA und auch die angespannte Lage in der Türkei. Das alles seien politische Erdbeben, die an dem Land und den Menschen rüttelten – die jedoch auch für ein Wachrütteln sorgen könnten. Es komme nun vor diesem Hintergrund auf eine lebendige und wache politische Kultur an. Daran wolle er als Bundespräsident mit allen zusammenarbeiten – über Partei-, aber auch soziale Grenzen hinweg. Es gehe ihm um eine Kultur, in der man miteinander streiten, gleichsam aber respektvoll miteinander umgehen könne.
Letztlich dauerte die Pressekonferenz zur Vorstellung des Kandidaten Steinmeier kaum eine Viertelstunde, und diese wiederum teilten sich vier Personen. Trotzdem wurde in der kurzen Zeit sehr viel darüber gesagt, wer Frank-Walter Steinmeier ist und was die Deutschen von ihm als Bundespräsidenten erwarten können. Der Sozialdemokrat ist ein Mensch, der Bürger und auch Politiker aufeinander zubewegen kann, einer, der mehr eint, als dass er Streitigkeiten oder Auseinandersetzungen forciert. Letztlich zeigten die Ausführungen am 16. November einen Frank-Walter Steinmeier, den das politische Deutschland schon seit Jahrzehnten schätzt, den die Bevölkerung aber erst in den letzten rund zehn Jahren wirklich wahrgenommen hat – weil er sich nie in die erste Reihe drängte, sondern vielmehr meist im Hintergrund die Fäden zog. Und wenn er dann doch einmal in der ersten Reihe stand, dann blieb er auch dort er selbst – was von den Bürgern jedoch häufig erst im Nachhinein honoriert wurde, als mit einem gewissen Abstand die Frage...