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E-Book

Politische Kommunikation in Deutschland

Zur Politikvermittlung im demokratischen System

AutorUlrich Sarcinelli
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl360 Seiten
ISBN9783531914589
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Der Band bietet eine systematische Gesamtschau der Politikvermittlungsprobleme im demokratischen Systems Deutschlands. Thematisiert werden: Demokratie und kommunikationstheoretische Grundfragen, Kommunikationsprobleme im parlamentarischen Regierungssystem Deutschland sowie Fragen zur politischen Kommunikationsforschung und Kommunikationspolitik. Für die 2. Auflage wurde das Buch vollständig überarbeitet und ergänzt.

Dr. Ulrich Sarcinelli ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Koblenz-Landau, Campus Landau sowie Leiter des Frank Loeb-Instituts Landau.

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Leseprobe
Parteien und Wahlen (S. 185-186)

11 Parteien und Politikvermittlung: Von der Parteien- zur Mediendemokratie?

11.1 „Parteienstaat - oder was sonst?": Einführung und Problemstellung


Unter dem Titel „Parteienstaat - oder was sonst?" (Grewe 1951) erschien bereits Anfang der fünfziger Jahre ein Aufsatz, der den Anstoß zu einer bis in die Gegenwart anhaltenden Serie von Diskussionen und Publikationen gab. Diese Debatte war und ist gekennzeichnet durch leidenschaftliche Plädoyers für die Parteien ebenso wie durch prinzipielle Infragestellungen der besonderen Rolle der Parteien in Deutschland. Die über engere Fachkreise hinausgehende Auseinandersetzung mit Parteien findet hierzulande allerdings vorwiegend im Modus von Verfallsprognosen, Untergangsszenarien, zumindest aber Legitimationskrisendiagnosen statt (vgl. z.B. Krippendorf 1962, Dittberner/Ebbighausen 1973, Scheer 1979, Wildenmann 1989, Wiesendahl 1992 und 2006, von Alemann 1996).

Dies hat dazu geführt, dass das Parteiensystem in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zu einem politischen ‘Patienten’ mit einer Art wanderndem Sterbedatum geworden ist. Keiner anderen demokratischen Institution wurden so viele vorschnelle Nachrufe gewidmet wie den Parteien und ganz besonders den Volksparteien. Gemessen am anhaltenden ‚nekrologischen’ Interesse in Wissenschaft und Publizistik müssen Parteien in Deutschland eigentlich als eine Art „anachronistische( s) Wunder" (Dürr 1999: 205) und als politische Überlebenskünstler erscheinen. Es überrascht deshalb nicht, dass es immer wieder wissenschaftlichen Verdruss über die anhaltende Verdrossenheitsdebatte gibt (vgl. Lösche 1996).

Auch angesichts neuer Herausforderungen in der modernen Mediengesellschaft dürfte deshalb die Rede vom „Ende der Parteien" eher der Steigerung publizistischer Aufmerksamkeit geschuldet sein als einer nüchternen Beschreibung der politischen Wirklichkeit entsprechen. Häufig tot gesagt, erweist sich das deutsche Parteiensystem trotz nicht zu übersehender Schwierigkeiten und Schwächen als robust und erstaunlich wandlungs- und anpassungsfähig. Daran ändert auch nichts der anhaltende, vor allem CDU und SPD betreffende und flächendeckende Mitgliederschwund (vgl. Niedermayer 2007: 370-375), der immer wieder als Krisensymptom genannt, in langfristiger Perspektive aber durchaus auch als Normalisierungsprozess bewertet werden kann. So hat es in der Nachkriegsgeschichte der Parteien Phasen der Konzentration ebenso gegeben wie Phasen des Entstehens neuer Parteien, die dann das Parteienspektrum erweitert haben.

Diesen Anpassungsprozess mag man als „Abstieg" (Wiesendahl 1992), als demokratischen Verfallsprozess oder als „Wechseljahre" (von Alemann 1996) bezeichnen. Von anderen Prämissen ausgehend kommt der Beobachter – zumal mit vergleichendem Blick und von außen betrachtend und historisch vergleichend – zu einer weit weniger pessimistischen Einschätzung des deutschen Parteiensystems. Es habe, so derDeutschlandkenner Gordon Smith, in nahezu jeder Hinsicht „eine eindrucksvolle Bilanz vorzuweisen. Über die Jahre hat es sich als eines der stabilsten in Westeuropa erwiesen" (Smith 1996: 221). Schließlich zeigt ein Blick über die Grenzen gerade auch in Transformationsländer, dass Parteien nach wie vor und auf nicht absehbare Zeit als die zentralen Vermittlungsinstanzen und Kommunikationsagenturen zwischen Bürger und Staat gebraucht werden (vgl. Klingemann 2000).

War in Deutschland lange Zeit – nicht zuletzt mit bundespräsidialem Segen (von Weizsäcker) – die Kritik an der Überdehnung des Parteienstaates und an der Uminterpretation des grundgesetzlichen Mitwirkungs- in einen politischen Allzuständigkeitsanspruch bestimmend, so scheint inzwischen eine andere Sorge vorherrschend. Bezweifelt wird, dass die Parteien ihr eigentliches politisches Privileg, die Vermittlung zwischen gesellschaftlicher Vielfalt und staatlicher Einheit, die Transformation von „Volkswillensbildung" in „Staatswillensbildung" (Grimm 1991: 265) zu organisieren, nicht mehr hinreichend gewährleisten könnten. Bei der Frage, ob Parteien noch zum Management zunehmender Komplexität und zur Legitimation des Entscheidungsnotwendigen in der Lage sind, kommt vor allem die „defizitäre(n) Kommunikation zwischen Parteien und Bürgern" (Stöss 2001: 35) in den Blick.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt5
Vorwort zur 2. Auflage11
Teil 1: Politische Kommunikation als Forschungsgegenstand und als politisches Handlungsfeld14
Politische Kommunikation und Kommunikationspolitik15
1 Politische Kommunikation in der deutschen Politikwissenschaft – akademischer Appendix oder mehr?15
1.1 Politische Kommunikation als Begriff und als Forschungsgegenstand15
1.2 Zur politikwissenschaftlichen Kommunikationsforschung in Deutschland19
1.3 Sozialtechnologische Kurzschlüsse politischer Kommunikationsforschung23
1.4 Politische Kommunikation im institutionellen Kontext: Für eine „Kontextualisierung“ der politikwissenschaftlichen Kommunikationsforschung26
1.5 Forschungspraktische Konsequenzen28
2 Medienpolitik – Meinungsvielfalt, Demokratie und Markt31
2.1 Einleitung und Problemstellung31
2.2 Begriffliche Grundlegung: Medienpolitik oder Kommunikationspolitik?32
2.2 Begriffliche Grundlegung: Medienpolitik oder Kommunikationspolitik?32
2.3 Mediengesellschaft im Wandel: Der politische, gesellschaftliche und ökonomische Bezugsrahmen medienpolitischen Handelns35
2.4 Akteure, Akteurskonstellationen und Kompetenzen der Medienpolitik39
2.5 Steuerung und Selbststeuerung: Theoretische und praktische Elemente kooperativer Medienpolitik42
2.6 Institutionalisierung von Medienkritik als medienpolitisches Regulativ50
Teil 2: Legitimation durch Kommunikation: Demokratie- und kommunikationstheoretische Grundlegung52
Öffentlichkeit und Vertraulichkeit53
3 Öffentlichkeit, öffentliche Meinung und Demokratie53
3.1 Einleitung53
3.2 Historische, demokratietheoretische und verfassungsrechtliche Aspekte53
3.3 Theoretische Erklärungsansätze55
3.4 Öffentliche Meinung, veröffentlichte Meinung und politisches System in Deutschland61
4 Publizität und Vertraulichkeit im kooperativen Staat65
4.1 Politik im kooperativen Staat: Einleitung und Problemstellung65
4.2 Vertraulichkeit in der Politik: Demokratieprobleme und Effizienzchancen66
4.3 Diskrete Willensbildung und Entscheidungsvorbereitung in der „Verhandlungsdemokratie“69
4.4 Publizitäts- und Diskretionsspiele: Politiker, Öffentlichkeitsarbeiter und Journalisten72
4.5 Fazit: Publizität, Diskretion und Indiskretion als Kommunikationsmodi77
Legitimation und Präsentation80
5 Legitimität durch politische Kommunikation80
5.1 Definition und analytische Differenzierungen80
5.2 Problemstellungen, Gegenstände und systematische Zugänge82
5.3 Legitimitätserzeugung im Medium der Öffentlichkeit: Demokratietheoretische Grundmodelle84
5.4 Zur Anschlussfähigkeit von Legitimität an Arbeits- und Handlungsfelder politischer Kommunikation90
5.5 Legitimitätsempfindlichkeit und politische Kommunikation: Tendenzen und Ambivalenzen94
6 Politischer Stil in der Mediengesellschaft96
6.1 Stilwandel als Demokratiewandel: These96
6.2 Stilbewusstein und Stilbrüche: Drei Beispiele98
6.3 Stile: Zur Dimensionierung einer wissenschaftlich peripheren Kategorie100
6.4 Elemente mediendemokratischer Stilbildung102
6.5 Stildefizite der Mediendemokratie: das Verblassen des Amtsethos107
Darstellungspolitik und Entscheidungspolitik109
7 Die Medien und das politische System: Zum Spannungsverhältnis zwischen „Darstellungspolitik“ und „Entscheidungspolitik“109
7.1 Demokratie als „Herrschaft der öffentlichen Meinung“?109
7.2 Politik und Medien: Drei Sichtweisen und ihre Konsequenzen111
7.3 Zur Unterscheidung zwischen „Entscheidungspolitik“ und „Darstellungspolitik“115
7.4 „Darstellungspolitik“ und „Entscheidungspolitik“ in konstruktiver und destruktiver Beziehung124
8 Symbolische Politik: Einschätzungen und Fehleinschätzungen einer politischen Allerweltsformel126
8.1 Das Symbolische als Konstitutivum sozialer Realität127
8.2 Exkurs: Murray Edelmans „Politik als Ritual“130
8.3 Funktionen „symbolischer Politik“132
8.4 „Symbolische Politik“ im massenmedialen Kontext136
8.5 Das neue Interesse für das Symbolische in der Politik137
8.6 Fazit: Zur Ambivalenz symbolischer Politik140
Teil 3: Politische Kommunikation und Demokratieentwicklung in Deutschland141
Bürger und politische Eliten142
9 Bürger in der Mediendemokratie: Medienkompetenz und politische Bildung142
9.1 Medienkompetenz für die politische Bildung – was sonst?142
9.2 Der lange Weg der Kommunikationsgesellschaft144
9.3 Medien als gesellschaftliche und politische Wirklichkeitsgeneratoren147
9.4 Wandel der Legitimitätsgrundlagen des demokratischen Systems149
9.5 Medienkompetenz in der politischen Bildung152
9.6 Einige praktische Hinweise158
10 Von der politischen Elite zur Prominenz?160
10.1 Eliten und Demokratie160
10.2 Mediencharisma und Amtsverantwortung162
10.3 Max Weber revised: Die Mediendemokratie als Variante einer plebiszitären Führerdemokratie164
10.4 Medienprominenz und politische Kompetenz167
10.5 Politiker als Stars171
10.6 Politikvermittlungsexperten: eine neue Elite in der demokratischen Grauzone?172
10.7 Mediale Präsenz und institutionelle Bindungen175
Parteien und Wahlen178
11 Parteien und Politikvermittlung: Von der Parteien- zur Mediendemokratie?178
11.1 „Parteienstaat - oder was sonst?“: Einführung und Problemstellung178
11.2 Vom Aufmerksamkeitsprivileg zum Flexibilitätsmanagement: Funktionen und Funktionswandel181
11.3 Grundlagen der Politikvermittlung „nach innen“ und „nach außen“: Parteien als Kommunikatoren und als Kommunikationsraum186
11.4 Politikvermittlung im Rahmen neuer institutioneller Arrangements191
11.5 Auf der Suche nach einem neuen Parteitypus199
11.6 Von der Mitgliederpartei zur Medienpartei? Befunde und Forschungsdefizite201
11.7 Ausblick: Die Parteien in der Mediengesellschaft205
12 Wahlkampfkommunikation: Modernisierung von Wahlkämpfen und Modernisierung von Demokratie210
12.1 Wahlkampf für den homo oeconomicus oder für den homo politicus?210
12.2 Parteiendemokratie in der Mediengesellschaft213
12.3 „Amerikanisierung“ oder „Modernisierung“ der Wahlkämpfe?216
12.4 Die individualisierte Mediendemokratie als Wahlkampfumfeld220
12.5 Modernisierungstrends: Wahlkampfkommunikation und Öffentlichkeit im Wandel222
12.6 Politik als Dauerwahlkampf? – Begrenzung und Entgrenzung228
Parlament und Öffentlichkeit232
13 Parlamentarische Öffentlichkeit und Öffentlichkeitsarbeit: Zwischen Public Relations und Parlamentsdidaktik232
13.1 Parlament und Öffentlichkeit232
13.2 Parlamentsimage und Parlamentsverdrossenheit235
13.3 Die Entzauberung des Parlaments238
13.4 Dimensionen parlamentarischer Öffentlichkeitsarbeit in der Gegenwart240
13.5 Parlamentarische Öffentlichkeitsarbeit: Thesen zur Einlösung einer kommunikativen Bringschuld244
14 Arenen parlamentarischer Kommunikation: Vom repräsentativen zum präsentativen Parlamentarismus?249
14.1 Einleitung und Problemstellung249
14.2 Medienattraktive Versammlungsöffentlichkeit und das Ideal des klassisch-liberalen Parlamentarismus250
14.3 Das Parlament als Politikvermittler in der (post)parlamentarischen Demokratie253
14.4 Arenen parlamentarischen Handelns in der Mediengesellschaft255
14.5 Schlussfolgerungen266
Regieren und Repräsentieren269
15 Stilbildung und Machtsicherung: Bundespräsident und Bundeskanzler in der politischen Kommunikation269
15.1 Staatsamt und politische Kommunikation270
15.2 Der Bundespräsident: Stilbildung durch Staatsrepräsentation270
15.3 Der Bundeskanzler: Machtsicherung durch Politikpräsentation278
15.4 Zur Medialisierung der „Kanzlerdemokratie“: Von Kohl über Schröder zu Merkel – Ein Exkurs281
15.5 Demokratiegewinne oder Demokratieverluste?289
16 Demokratie unter Kommunikationsstress? Das parlamentarische Regierungssystem in der Mediengesellschaft292
16.1 Politische Legitimation in der Mediengesellschaft292
16.2 Die Parteiendemokratie in der Mediengesellschaft298
16.3 Das Parlament: medienattraktives Staatsnotariat oder mehr?302
16.5 Die liberale Demokratie im Medienzeitalter: Mehr als die Legitimation des Augenblicks312
Literatur315
Nachweise365

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