Der Populismus ist wieder da
»Kennt man den bescheidenen Vorrat der Tricks und das Wesen ihres Effekts, so sollte es möglich sein, die Massen dagegen zu ›impfen‹, so daß sie sie als abgefeimte, aber auch abgebrauchte Instrumente erkennen, sobald sie ihnen vorkommen. Wer sich über die beabsichtigten Wirkungen Rechenschaft ablegt, wird nicht länger ihnen naiv verfallen, sondern sich schämen, so dumm sich zu erweisen, wie die Demagogen ihn einschätzen. Sachlich-aufklärende Broschüren, die solche Widerstände zu wecken vermögen, die Mitwirkung von Rundfunk und Film, die Bearbeitung der wissenschaftlichen Resultate für den Schulgebrauch sind praktische Mittel, der Gefahr des völkischen Massenwahns für die Zukunft energisch vorzubeugen.«1
Der Populismus ist wieder da. Das heißt: Er war eigentlich nie weg. Aber er versteckte sich in politischen Debatten und tauchte nur auf, wenn es wieder einmal darum ging, den politischen Gegner zu diffamieren. »Das ist doch Populismus!«, rief dann ein Diskutant dazwischen, z. B. wenn Sahra Wagenknecht von DIE LINKE oder Markus Söder von der CSU besonders scharfe Formulierungen benutzten, um ihrer Parteilinie Nachdruck zu verleihen.
Nun aber ist der Populismus mit voller Wucht zurückgekehrt. Der ›Linkspopulismus‹, einst Bezeichnung für anarchistische oder kapitalismuskritische Weltanschauungen, wird in der akademischen Diskussion als ernsthafte Position diskutiert.2 Allenthalben liest man in den Medien von der ›rechtspopulistischen‹ AfD in Deutschland oder dem ›nationalpopulistischen‹ Front National in Frankreich. Sie gehören zu »Europas Populisten« (RP Online), zusammen mit der englischen Ukip (UK Independence Party), der österreichischen FPÖ, der Schweizerischen Volkspartei und der polnischen Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit).
Insbesondere der Begriff ›Rechtspopulismus‹ dient dazu, Aussagen zu etikettieren, die zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus verortet werden. Gleichzeitig vertreten ›Rechtspopulisten‹ verwirrenderweise Argumente, die eher neoliberalen oder sogar libertären Argumentationsformen zuzuordnen wären. Ungeachtet der Tatsache, dass der klassische Konservativismus und der Liberalismus ideengeschichtlich eigentlich direkte ideologische Gegner sind, sehen Konservative wie Liberale aus und Liberale wie Konservative.3 Sogenannte Linke übernehmen rechte Ideen wie den Nationalismus, sogenannte Rechte eignen sich linke Strategien an.4
Kurz gesagt: Es herrscht ein vollkommenes Durcheinander. Politische Ausschluss- und Diffamierungsstrategien stehen neben akademischen Debatten, die entweder das Phänomen ›Populismus‹ beschreiben oder die Position ›Populismus‹ vertreten wollen. Definitionen von Populismus werden selbst als populistisch wahrgenommen oder wegen einer angeblichen Schwammigkeit des Begriffs ganz abgelehnt.
Empirische und logische Beschreibung
Der Populismus erscheint, schon wegen der Endung ›-ismus‹, wie eine ideologische Einstellung unter anderen: Populismus, Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, aber auch Liberalismus, Sozialismus oder Nationalismus sind oft wenig mehr als bloße Etiketten, die auf ein bestimmtes Denken aufgeklebt werden. Gegen den Verdacht, es handle sich bei solchen Titeln wie ›Populist‹ und ›Populismus‹ nur um solche einfachen Diffamierungsversuche im politischen Alltagsgeschäft, schreiben Wissenschaftler Bücher, die erklären, was der ›Populismus‹ eigentlich ist. Sie beschreiben ihn als Gegenstand der Politikwissenschaft, der Soziologie, der Geschichte oder der Sozialpsychologie.5
Der Vorteil dieser Behandlung liegt darin, dass der ›Populismus‹ als empirisches Phänomen ernst genommen wird. Politische Überzeugungen, soziale Bewegungen und Mentalitäten gehören, als Kategorien, zur Selbstbeschreibung einer Gesellschaft durch die Wissenschaft dazu. Weil sie in dieser Beschreibung als empirische Gegenstände vorausgesetzt werden, erscheint ihre Zuschreibung eindeutig und verlässlich.
Genau darin liegt aber auch ihr Nachteil. Wer diese Kategorien in einer empirischen Beschreibung anwendet, der muss davon ausgehen, dass es das, was mit ihnen beschrieben wird, wirklich gibt. Damit werden Argumente allerdings nicht selten auf psychische Einstellungen reduziert. Die bloß empirische Beschreibung lässt eine bestimmte, argumentativ vertretene Position als Eigenschaft der Person erscheinen, die sie vertritt. Die innere Welt der Gedanken und die äußere Welt der argumentierenden Rede werden miteinander identifiziert. Das kann zu dem Eindruck führen, dass selbst die empirisch forschenden Wissenschaften nicht ohne ideologische Unterstellungen auskommen.
Hier kann die Logik Abhilfe schaffen, indem sie zunächst einmal Argumente als Argumente ernst nimmt. Sie prüft, ob ein Redebeitrag gerechtfertigt Geltung beanspruchen kann oder nicht. Erst vor diesem Hintergrund beschreibt sie etwas, aber nicht die Eigenschaften einer Person, sondern die Form und Struktur ihres Arguments. Die Logik gesteht der argumentierenden Person von vornherein zu, es immer auch anders sehen zu können. Sie nimmt das Gegenüber auch dann noch ernst, wenn dieses sich aktiv vom rationalen Diskurs durch Provokation und Polemik abzugrenzen versucht.
Der Grund dafür liegt nicht in der Naivität, z. B. an das Gute in jedem Menschen zu glauben oder alle Menschen in jeder Situation für vernünftig zu halten. Er liegt in der begründeten Annahme, dass ein Gegenargument nur dann überzeugend sein kann, wenn es sich an seine eigenen Maßstäbe und Kriterien hält. Zudem endet die Beantwortung von Polemik mit Polemik, von Provokation mit Provokation in fruchtlosem Geplänkel. Da es aber in der Logik darauf ankommt, Argumente zu prüfen und nicht nur mit mehr oder weniger rhetorischem Geschick zu kontern, liegt ein solches Geplänkel nicht in ihrem Interesse.
Argument statt Person
Ich möchte im Folgenden die Art und Weise vorstellen, wie die Logik als Dialektik mit dem populistischen Denken umgeht. Sie beschreibt es als ein Geflecht von verschiedenen Annahmen, die durch bestimmte argumentationslogische Eigenschaften miteinander verbunden sind. Diese Eigenschaften betreffen also das Argument und sind in diesem Sinne formal, d. h. unabhängig von der Person, die sie gebraucht.6 Was diese Argumentationsformen als ›populistisch‹ auszeichnet, ist eine bestimmte Grundvoraussetzung als Ausgangspunkt. Verwendet man sie ohne diese Grundvoraussetzung, fallen sie unter die rhetorischen Mittel oder unter das, was man als Sophistik oder Eristik bezeichnet. Das heißt: Nicht jede Inanspruchnahme dieser Mittel ist gleich ›populistisch‹. Aber jede Inanspruchnahme, die dazu dient, die Grundvoraussetzung von ›populistisch‹ durchzusetzen, ist es.
Die argumentationslogische Beschreibung des populistischen Denkens besitzt gegenüber anderen Beschreibungen des ›Populismus‹ einen entscheidenden Vorteil. Sie zeichnet nicht bestimmte Weltanschauungen als populistisch aus, um sie gegen andere Weltanschauungen negativ abzusetzen. Sie versteht den ›Populismus‹ gar nicht als Ideologie, sondern als eine Form des Argumentierens. Und diese Form kann jeder in Anspruch nehmen, nicht nur die Anhänger dieser oder jener Weltanschauung. Ob jemand populistisch argumentiert und denkt, entscheidet sich also ausschließlich über die Form des Arguments.7
Das bedeutet...