EINFÜHRUNG
Der Prozess gegen die Templer oder besser die «Templeraffäre» beschäftigt die Nachwelt noch immer, weil sie so ungeheuerlich ist: Dieser internationale, mächtige religiöse Orden mit seiner militärischen Ausrichtung, der direkt dem Papst unterstellt war, wurde vom französischen König Philipp IV. dem Schönen der Ketzerei angeklagt. Am 13. Oktober 1307 wurden die Templer im französischen Königreich verhaftet und eingekerkert, ihre Güter beschlagnahmt und unter königliche Zwangsverwaltung gestellt. In den folgenden Oktober- und Novembertagen 1307 machten sie nach Verhören und unter der Folter verstörende Geständnisse: Bei ihrer Aufnahme in den Orden verleugneten sie Christus, traten das Kreuz des Herrn mit Füßen oder bespuckten es, gaben sich obszönen Praktiken und der Sodomie hin; ihre Priester weihten die Hostien nicht bei der Messe; ihre Zusammenkünfte fanden nachts und im Geheimen statt etc.
Dies ist der Ausgangspunkt der Templeraffäre.
Der Templerorden (1120–1307)
Zu Beginn fanden sich einige Ritter zusammen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, die heiligen Stätten von Jerusalem, der Stadt Christi, und die in der Folge des ersten Kreuzzugs (1095–1099) gegründeten lateinischen Staaten zu verteidigen: das lateinische Königreich Jerusalem, die Grafschaft Tripolis, das Fürstentum Antiochia und die Grafschaft Edessa, wobei letztere bald wieder von der Bildfläche verschwand. Diese Staaten brauchten Männer, Waffen und Geld, um sich gegen die muslimischen Reiche in dieser Region zu wehren, die bald nach dem Überraschungserfolg des ersten Kreuzzuges reagierten und die Rückgewinnung verlorenen Terrains in Angriff nahmen. Im Lauf des 12. und 13. Jahrhunderts kam die Unterstützung – in Form stetiger Kreuzzugsexpeditionen – aus dem Abendland, aber auch aus eigenen Mitteln der lateinischen Staaten selbst, die über Heere nach abendländischem Vorbild verfügten. Doch dies reichte nicht aus. Ein paar christliche Ritter scharten sich um Hugues de Payns, einen Ritter aus der Champagne, und stellten sich in den Dienst der Domherren vom Heiligen Grab. In der Überzeugung, keine Zeit verlieren zu dürfen, wollten sie sich zu einem religiösen Orden zusammenschließen und sich unter der Führung eines Meisters einer Ordensregel und dem Gelübde des Gehorsams, der Keuschheit und der Armut unterwerfen. Im Jahr 1120 wurden sie von König Balduin II. von Jerusalem und vom Patriarchen der Heiligen Stadt anerkannt. Noch fehlte ihnen die Bestätigung durch die Römische Kirche und den Papst. Diese war nicht selbstverständlich, denn ihr Vorhaben war neu und geradezu revolutionär: die Gründung eines neuen religiösen Ordens, dessen Bestimmung nicht wie beim benediktinischen Mönchtum und seiner zisterziensischen Variante in der Meditation und Kontemplation lag, sondern vielmehr in der Aktion und, noch weitergehend, in der militärischen, also gewaltsamen Aktion, bei der man tötete und getötet wurde.
Diese Anerkennung erfolgte im Januar 1129 auf dem Konzil von Troyes unter der Leitung eines päpstlichen Legaten und in Anwesenheit des Zisterzienserabtes Bernhard von Clairvaux (des späteren heiligen Bernhard). Rasch fand der Orden Anhänger im niederen und mittleren Adel, und auch die Mächtigen wurden auf ihn aufmerksam. Eintritte in den Orden und Schenkungen häuften sich und sicherten ihm die ökonomischen Mittel und menschlichen Ressourcen, die zur Erfüllung seiner Mission an der «Front» notwendig waren: Schutz der Pilger, die nach Jerusalem wallfahrten, und Verteidigung der Kreuzfahrerstaaten.
Die aragonesischen, kastilischen und portugiesischen Herrscher, die auf der Iberischen Halbinsel die Reconquista vorantrieben und gegen die nach dem Zerfall des Kalifats von Cordoba entstandenen muslimischen Kleinreiche kämpften, begriffen rasch die Bedeutung, die der Templerorden gewinnen konnte, und stifteten ihm immer mehr Burgen und Ländereien mit dem Auftrag, diese zu verteidigen, sie aber vor allem mit Mannschaften auszurüsten und zu bewirtschaften.
Der Orden verdankte seinen Namen der Tatsache, dass er sein Hauptquartier in Jerusalem an der Stelle errichtet hatte, an der man den einstigen Tempel Salomos vermutete. In Wahrheit handelte es sich um den Standort von Salomos Königspalast, über dem die arabischen Eroberer die al-Aqsa-Moschee gebaut hatten. Die genaue Bezeichnung des Ordens lautete: Orden «der armen Kampfgefährten Christi und des salomonischen Tempels» (pauperum commilitonum Christi Templique Salomonici), abgekürzt Templerorden. Ab den 30er Jahren des 12. Jahrhunderts entwickelte sich der Orden beträchtlich und machte eine umfassende Organisation erforderlich.
Das konkrete Umfeld des Templers ist das Haus (domus); die Häuser sind zusammengefasst in Komtureien, diese wiederum in Provinzen: französisches Königreich, Provence, Poitou-Aquitaine, Auvergne, England, Deutschland, Italien, Sizilien, Aragón, Kastilien und Portugal. An der Spitze des Ordens stehen ein Meister oder Großmeister sowie ein knappes Dutzend Würdenträger wie Marschall, Seneschall, Drapier (Haushofmeister des Ordens), Turkopolier (Befehlshaber der leichten berittenen Bogenschützen nach Türkenart) etc.
Der Orden umfasst drei Kategorien von Ordensbrüdern: die Ritter, die allein zum Tragen des weißen Mantels mit dem roten Kreuz berechtigt sind, dann die Knappen und die Priester oder Kaplane. Die zahlreichen Knappen sind unterteilt in waffentragende, kämpfende Knappen einerseits und dienende Ordensbrüder andererseits, die zur Arbeit, zur Bewirtschaftung der Güter und zu handwerklichen Tätigkeiten bestimmt sind.
Nach dem Vorbild der Templer entstanden noch andere geistliche Ritterorden im Heiligen Land und in jenen Gebieten Europas, in denen die Christen auf «Ungläubige» trafen, das heißt Muslime (in Spanien) und Heiden (Slawen und Preußen im Baltikum): zum Beispiel die iberischen Orden von Calatrava, Alcantara, Avis und Santiago oder auch die deutschen Orden an den Grenzen der preußischen Territorien. Der Deutsche Orden, am Ende des 12. Jahrhunderts im Heiligen Land gegründet, fasste rasch Fuß in Preußen und in Livland. Eine Besonderheit war der Orden des heiligen Johannes vom Spital zu Jerusalem, kurz Hospitaliter- oder Johanniterorden genannt. Noch vor dem ersten Kreuzzug war in Jerusalem ein Hospital gegründet worden, in dem Pilger beherbergt, verpflegt und bei Bedarf auch medizinisch versorgt wurden. Mit dem Erfolg des Kreuzzuges wurden die Johanniter zur Zentrale eines Netzes von Häusern im Okzident. Zunächst als Hospitaliterorden anerkannt, wandelte er sich im Verlauf des 12. Jahrhunderts zu einem militärischen Verband und wurde zu einem den Templern ebenbürtigen Orden, zu seinem Partner und Rivalen.
Anfangs gelang es den Lateinern im Heiligen Land dank ihrer Tatkraft und einer aktiven Militärstrategie, ihre muslimischen Gegner in Schach zu halten, die zunächst noch untereinander zerstritten waren. Um das Jahr 1160 gab es zwar die Grafschaft Edessa nicht mehr, doch erlebten die anderen lateinischen Staaten ihre größte Ausdehnung. Aber dann verbünden sich die Muslime: Nûr-al-Dîn (gestorben 1176) vereinigt Nordsyrien und Damaskus, sein Nachfolger Saladin führt sein Werk fort und setzt sich in Ägypten durch. 1187 werden die Lateiner bei Hattin vernichtend geschlagen und müssen Jerusalem aufgeben. Das Königreich besteht nur noch aus ein paar Landfetzen mit Tyrus als Stützpunkt. Von diesem Hafen aus brechen die Lateiner auf, um Akkon zu belagern. Unterstützt von den Teilnehmern des dritten Kreuzzuges, dessen Galionsfigur der englische König Richard Löwenherz ist, erobern sie nach und nach die Küste zurück und errichten erneut das Königreich Jerusalem, allerdings in verringertem Umfang: ein langer Küstenstreifen, dessen Hauptstadt Akkon wird. Jerusalem bleibt in der Hand Saladins und seiner Nachfolger aus der Dynastie der Ayyubiden. Die Grafschaft Tripolis und das Fürstentum Antiochia bestehen mit verkleinertem Territorium weiter.
Das Kräfteverhältnis zwischen Lateinern und Muslimen verkehrt sich vollständig. Dies führt dazu, dass die geistlichen Ritterorden dank der ihnen im Okzident zur Verfügung stehenden Mittel eine wachsende politische und militärische Rolle spielen und zu den eigentlichen Herren des lateinischen Orients werden. Sie sind die Herren beeindruckender Festungswerke wie des Krak des Chevaliers der Hospitaliter, des Château Pèlerin der Templer, die auszurüsten und zu unterhalten allein sie in der Lage sind; von ihnen hängen nun Verteidigung und Überleben der lateinischen Staaten ab. Sie bestehen bis zum Jahr 1250. In diesem Jahr übernehmen die Mameluken (Armeeeinheiten aus ursprünglich türkischen Sklaven) die Macht in...