Blutige Mitgift
Kunigunde 1465–1520
Will man die Lebensgeschichte eines Menschen nachzeichnen, dann gilt es vor allem, sein Umfeld, seine Zeit und seine Herkunft zu erforschen, denn aus vielerlei Wurzeln bildet sich ein Charakter, werden Aktionen und Reaktionen erklärbar.
Dabei ergeben sich erhebliche Schwierigkeiten, wenn es sich um Begebenheiten handelt, die ein halbes Jahrtausend zurückliegen. Zwar kannten Kunigundes erste Biographen (und auch deren Leser) die Rahmenbedingungen genau, unter denen die Tochter Kaiser Friedrichs III. und Schwester Maximilians I. aufgewachsen ist und gelebt hat. Aber gerade weil ihnen dieses Umfeld so selbstverständlich war, gingen sie in ihrer Schilderung nicht näher darauf ein – und das Bild Kunigundes wirkt auf den heutigen Leser schemenhaft und verschwommen.
Es gilt also, den Hintergrund von Kunigundes Dasein zu erhellen, um so ihr Wesen plastischer hervortreten zu lassen. Allerdings könnte man dabei leicht in den Fehler verfallen, die Menschen, ihr Tun und ihr Lassen aus heutiger Sicht zu erklären und Schlüsse zu ziehen, die mit der Wirklichkeit des ausgehenden Mittelalters nicht das geringste zu tun haben. Was uns heute absurd erscheint, war damals vielleicht allgemeines Gedankengut, was wir für selbstverständlich halten, hingegen umwälzend und revolutionär.
Erschwerend kommt hinzu, daß die Frau in jenen Tagen, zumindest solange sie nicht verheiratet war, de facto als selbständiges Wesen nicht registriert wurde. Es ist bezeichnend, daß aus Kunigundes Jugendtagen kein authentischer Ausspruch, keine einzige aktive Handlung belegt ist. Um so bemerkenswerter ist, daß die Überlieferung aus ihren letzten Lebensjahren, nachdem sie Witwe geworden war, ihr ausdrücklich sehr klares Denken und strebsames Vorgehen bescheinigt.
Wir werden diesem Phänomen in weiteren Biographien von Habsburgertöchtern wieder begegnen: Erst als Ehefrauen werden sie überhaupt wahrgenommen, verwitwet gelten sie endlich als eigenständige Menschen.
Schon wenn wir uns mit Kaiser Friedrich III. beschäftigen, dessen Leben in zahllosen wissenschaftlichen Arbeiten von allen Seiten ausgiebig beleuchtet worden ist, geraten wir in Schwierigkeiten bei der Deutung seines Charakters und seiner Motivationen. Des Kaisers Zeitgenossen sowie Generationen von Historikern hielten schlichtweg fast gar nichts von ihm. Erst in den letzten zwanzig Jahren erfährt er eine wesentlich freundlichere Beurteilung. Seine notorische Schlafmützigkeit wird als bedächtige Politik, sein Geiz als Sparsamkeit, sein ständiges Zögern als kluges Taktieren gewertet.
So dürfen wir auch nicht in den Fehler des rationalistischen 19. Jahrhunderts verfallen und ihm seinen Hang zur Astrologie, zu Amuletten, zur Alchemie, zur Beschwörung günstiger Vorzeichen ankreiden, was überhaupt nicht mit seiner vielfach erwähnten aufrichtigen Frömmigkeit in Einklang zu stehen scheint. Für die meisten Menschen des späten Mittelalters waren derlei Praktiken durchaus mit ihrer Religiosität zu vereinbaren, denn sie glaubten einfach, durch Sprüche und Zeichen den Lauf des Schicksals beeinflussen, Böses abwenden zu können.
Friedrichs bekannteste Obsession besteht in den berühmten fünf Buchstaben A. E. I. O. U., die er bereits von seinem zweiundzwanzigsten Lebensjahr an auf jeglichem seiner Besitztümer, vom kleinsten Gegenstand bis zum imposanten Schloß, aufmalen, aufprägen oder für die Ewigkeit einmeißeln ließ. Noch in der Schule lehrte man uns, diese Vokalfolge als »Austria est imperare omni universo« (Alles Erdreich ist Österreich Untertan) zu verstehen und unterstellte damit dem jungen Mann schier überirdische hellseherische Gaben, den Aufstieg des Hauses Habsburg zur Weltherrschaft betreffend.
Zu jener Zeit kann indes nicht einmal ein tollkühner Wunsch der Vater des Gedankens gewesen sein, weil Friedrich damals nichts weiter war als ein kleiner, unbedeutender Landesfürst, dessen Horizont bestimmt nicht viel weiter reichte als bis zu den Grenzen seiner Steiermark. Er konnte weder damit rechnen, daß er einmal römisch-deutscher Kaiser werden, noch daß sein Jahrzehnte später geborener Sohn Maximilian das reiche Burgund erheiraten und sein Enkel Karl Spanien erben würde. Von der aberwitzigen Vorstellung der Entdeckung eines späteren habsburgischen Weltreichs im fernen Westen durch Christoph Kolumbus einmal ganz zu schweigen.
Die hochfahrend-imperiale Deutung, das weiß man heute sicher, wurde dem A. E. I. O. U. erst mehr als 200 Jahre später durch plumpe Hinzufügungen in Friedrichs Notizbuch unterlegt. Das Geheimnis der ursprünglichen Bedeutung, die auch seinen Zeitgenossen nicht bekannt war, hat er mit ins Grab genommen. Wichtig war ihm wohl in erster Linie, alles Eigentum penibel zu markieren, gewitzt durch üble Erfahrungen mit seinem Onkel und Vormund, Herzog Friedrich von Tirol, der dem früh zur Halbwaise gewordenen Knaben sein Erbe unter den fadenscheinigsten Vorwänden lange vorenthalten hatte.
Das Rätsel, warum Kaiser Friedrich III. bei der Taufe seiner fünf Kinder, von denen nur zwei überlebten, von einer alten Tradition abwich und die in der Familie seit eh und je gebräuchlichen Vornamen durch solche mehr oder weniger bekannter Heiliger ersetzte, läßt sich leichter lösen. Friedrich war der Religion mehr verbunden als die meisten seiner Vorfahren, und er hat sich Vorteile für das Schicksal und das Seelenheil seiner Söhne und Töchter erwartet, wenn er diese in innige Beziehung zu den großen Vorbildern der Kirche brachte. Seine Lieblingsheilige war St. Kunigunde, und so lag es nahe, daß er auch eine Tochter so nannte. Von Interesse mag sein, wieso Friedrich die heilige Kunigunde so offensichtlich bevorzugte – sie war keine Märtyrerin, keine Kämpferin, sondern heiliggesprochen wegen ihrer Keuschheit. Sie war die Gemahlin Kaiser Heinrichs II., der um die Jahrtausendwende regierte. Als das Gerücht auftauchte, sie hätte ihren Mann betrogen, stellte sich Kunigunde einer Feuerprobe: Sie betonte, daß sie nicht nur keine Ehebrecherin, sondern, trotz langjähriger Ehe, unberührt wie die Heilige Jungfrau sei. Unversehrt wandelte sie über zwölf glühende Pflugscharen und legte so wunderbaren Beweis für ihre Behauptungen ab.
Zwangsläufig stellt sich die Frage, warum Friedrich ausgerechnet die unbefleckte Kaiserin zu seiner bevorzugten Heiligen gemacht hat. Es böte sich ein weites Spekulationsfeld für moderne Sexualwissenschaftler, wenn es gälte, das Verhältnis Friedrichs gegenüber den Frauen zu untersuchen, wobei auch Friedrichs Ehe und die Beziehung zu seiner Tochter Kunigunde mit einbezogen werden müßten, sowie die Tatsache, daß er, obwohl jahrzehntelang Witwer, niemals wieder geheiratet hat.
Hier ist indes nur Platz für nüchterne Tatsachen, die auf der lakonischen Feststellung des besten Friedrich-Kenners unserer Tage, dem Wiener Historiker Alphons Lhotsky, fußen: Friedrich habe, vermutlich aufgrund schmerzlicher Erfahrungen in der Jugendzeit, eine zeitlebens äußerst reservierte Einstellung zum anderen Geschlecht bewahrt.
Auffällig ist, daß Friedrich in einer Ära, da Fürsten bereits an der Schwelle der Geschlechtsreife heirateten oder verheiratet wurden, immer wieder vor einer Bindung zurückschreckte. Es gab zahlreiche Eheanbahnungen, die sich jedoch im letzten Augenblick stets zerschlugen. Friedrich selbst hat am Scheitern dieser Projekte keinen unwesentlichen Anteil gehabt.
Er war bereits siebenunddreißig, als er die einundzwanzig Jahre jüngere Prinzessin Eleonore von Portugal heimführte, vorwiegend wohl aus dem Grund, weil die junge Dame aus dem stürmisch aufwärts strebenden Kolonialreich eine der begehrtesten Partien Europas war und Friedrich sich stets in verzweifelten Geldnöten befand. Wie sehr ihn die hinreißende Schönheit der zarten, dunkelhaarigen Kindfrau mit den riesigen schwarzen Augen beeindruckt hat, ist nicht dokumentiert. Belegt ist nur, daß der große, ein wenig linkisch wirkende Mann mit den fahlen Haaren weiß wie die Wand wurde und zu zittern begann, als er und seine Braut einander zum ersten Mal in Siena begegneten.
Man schrieb das Jahr 1452, und Friedrich befand sich auf dem Weg nach Rom, wo er von Papst Nikolaus V. zum Kaiser gekrönt werden sollte. Praktischerweise wurde an Ort und Stelle auch die Trauung vollzogen, einer der wenigen Anlässe, bei denen das junge Paar einige Worte wechselte – assistiert von einem Dolmetscher, denn Eleonore hatte bis dahin noch keine Zeit gefunden, Deutsch zu lernen.
Nach Trauung und Krönung – übrigens die letzte in Rom –, die mit großem Pomp auf Kosten des Papstes gefeiert wurden, zogen die Neuvermählten in getrennte Quartiere. Sie hielten es auch so auf der Reise nach Neapel, wo König Alphons, ein Onkel der jungen Frau, mit...