Einleitung
Es ist zu schaffen
„Meine lieben Freunde, wir haben uns heute hier versammelt, um vor Gott die Vereinigung dieses Mannes und dieser Frau im Bund der Ehe zu bezeugen. Gott hat diesen Bund gestiftet, als er die Welt schuf, und unser Herr Jesus Christus krönte ihn durch seine Gegenwart, als er bei der Hochzeit zu Kana in Galiläa sein erstes Wunder vollbrachte …“
Mit diesen Worten beginnt die Trauzeremonie.
Es ist ein Ritual, so alt wie unsere Zeitrechnung – und so jung wie die Herzen der beiden Menschen, die in diesem Augenblick da vorne stehen. (Die Brautpaare scheinen mit jedem Jahr jünger zu werden.) John leitet die Zeremonie. Braut und Bräutigam sind gute Freunde von uns. Sie sind bis über beide Ohren ineinander verliebt. Wir, ihre Freunde und Angehörigen, haben uns herausgeputzt und sind gekommen, um ihnen beizustehen und sie zu feiern. Die Kirche strahlt im Kerzenglanz. Der Blumenschmuck ist herrlich. Der Bräutigam wirkt angespannt, aber glücklich. Die Braut ist nervös und wunderschön. Plötzlich frage ich mich, ob ich auch auf der richtigen Seite Platz genommen habe: Die Freunde der Braut links, die vom Bräutigam rechts – oder war es genau umgekehrt? Die Brautjungfern sehen toll aus. Schade, diese Kleider werden sie niemals wieder tragen.
John fährt fort: „Die Verbindung von Mann und Frau – mit Herz, Leib und Verstand – wurde von Gott gestiftet, damit sich beide daran erfreuen können …“
Er wirkt elegant in Anzug und Krawatte. Ich erinnere mich noch daran, wie gut er an unserer Hochzeit in diesem sagenhaften Frack ausgesehen hat. Ich hoffe, er wird mich nachher bei der Feier zum Tanz bitten.
„Darum sollen wir uns nicht unbedacht oder leichtfertig auf die Ehe einlassen, sondern mit Ehrfurcht, aus einem bewussten Entschluss heraus und im Einklang mit den Zielen, zu denen Gott die Ehe gestiftet hat.“
Die Liturgie bringt uns zur Ruhe. In der Kirche wird es stiller, das Hüsteln hört auf, die Menschen hören aufmerksam zu.
„Wer führt diese Braut zum Altar, damit sie die Ehe mit diesem Mann eingeht?“
Egal, wie viele Hochzeiten ich bereits miterlebt habe, dieser Zeremonie mit dem Eheversprechen, dieser Wolke von Zeugen haftet etwas unbeschreiblich Bewegendes an. Etwas … wie soll ich es nennen? Etwas Mystisches.
„Daniel und Megan, ihr seid dabei, euch selbst um des anderen willen aufzugeben; ihr schlagt jede Warnung in den Wind, gebt eure Unabhängigkeit und Isolation und all das andere auf, nur um dieser Verbindung willen. Ihr werdet einander eure unsterbliche Liebe versprechen. Doch bevor ihr das tut, sollten wir die Dinge beim Namen nennen – das ist der reine Wahnsinn!“
Damit hat John die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Anwesenden.
„Ja, es ist eine wunderbare Aussicht, die wahre Liebe zu erfahren. Doch in der Realität finden wir sie selten. Jeder sehnt sich nach Liebe, doch nur wenige scheinen zu finden, wonach sie sich sehnen. Und noch weniger Menschen sind in der Lage, diese Liebe lebendig zu erhalten. Warum um Himmels willen erscheint ihr in dieser Kirche, um euch öffentlich auf ein solches Risiko einzulassen? Auf etwas so Gefährliches, so Unerhörtes? ‚Das Herz hat seine eigenen Gründe, von denen der Verstand nichts weiß‘, so sagte einst Pascal. Tief in eurem Herzen liegt eine Sehnsucht – nach Nähe, Schönheit und Abenteuer. Und egal, was andere sagen, wir suchen nach diesem Ersehnten, solange wir leben.
Liebe Freunde, ich weiß, was Sie jetzt denken. Während Sie dieser Hochzeit beiwohnen, sagt etwas in Ihrem Herzen: ‚Ja, vielleicht. Vielleicht funktioniert es diesmal. Vielleicht bei diesem Paar.‘ Doch könnte es nicht sein, dass Daniel und Megan – bei all der Zerbrechlichkeit ihres Menschseins – vor unseren Augen Zeuge eines Urbildes sind, einer Metapher für etwas viel Realeres und Grundlegenderes? Ich möchte behaupten, dass es hier nicht um das übliche Spiel der Leidenschaften geht. Die Dinge sind nie so, wie sie scheinen. Wer genau hinsehen will, muss mit den Augen des Herzens schauen. Das ist das Geheimnis jedes Märchens, weil es auf den Kern des Evangeliums verweist, auf das Geheimnis des Lebens.
Die Bibel sagt uns, dass wir Engel beherbergen, wenn wir einen Fremden bei uns aufnehmen. Die Schlange im Garten ist in Wahrheit der Fürst der Finsternis. Auch der Zimmermann aus Nazareth ist weit mehr, als das Auge uns erschließt. Die Dinge sind nicht so, wie sie scheinen. Und darum müssen wir wieder auf das Evangelium hören – und auf die Märchen, die auf es verweisen –, wenn wir unser Leben und noch mehr unsere Ehe verstehen wollen. Um uns herum entfaltet sich ein viel größeres Geschehen – Ereignisse von größter Tragweite. Jemand entzündet eine Lampe und die Liebe geht verloren. Jemand öffnet eine Büchse und das Böse schwirrt hinaus in diese Welt. Jemand nimmt einen Apfel und die Menschheit stürzt in einen finsteren Abgrund. Um uns herum ereignen sich Dinge von größter Tragweite. Und eines davon ist diese Hochzeit.
Meine Lieben, vor uns stehen ein Mann und eine Frau. Doch da ist mehr, als unser Auge wahrnimmt. Gott gab uns dieses Spiel der Leidenschaften, um hier und jetzt das größte Drama aller Zeiten erneut in Szene zu setzen. Es ist das Drama der Menschheit. Eine Geschichte, die wir uns immer wieder erzählt haben – in jedem großen Mythos, in jeder Legende, jedem Gedicht und jedem Lied. Es ist eine Liebesgeschichte inmitten verzweifelter, von Kriegswirren beherrschter Zeiten. Es ist die Geschichte einer gemeinsamen Mission. Es ist eine Geschichte voller Romantik. Daniel und Megan entfalten vor unseren Augen die tiefste und geheimnisvollste Wirklichkeit dieser Welt. Das hier ist die Liebesgeschichte Gottes mit seinen Menschen.“
Ich wüsste gern, was die Zuhörer jetzt wohl denken. Was antwortet unser Herz, wenn John davon spricht, dass Liebe und Ehe noch viel geheimnisvoller sind als ein Märchen? Ich weiß, die jungen Frauen, die das gerade gehört haben, denken jetzt: Oh, ich hoffe, das ist wahr! Ich will, dass es wahr ist! Und die jungen Männer fragen sich: Wenn das stimmt, was verlangt das dann von mir? Die älteren Frauen lassen die Jahre ihrer Ehe an sich vorüberziehen und denken: Hmmm. (Dieses „Hmmm“ ist eine Mischung aus: Ja, danach habe ich mich auch mal gesehnt und: Vielleicht erfüllt es sich ja für diese junge Braut; ob es wohl auch für mich noch wahr werden könnte?) Und die älteren Männer sitzen da und denken nur: Ob es beim anschließenden Empfang wohl anständige Drinks gibt?
„Sie glauben mir nicht“, fährt John fort, „aber das liegt daran, dass wir nicht mehr wissen, was Märchen uns zu sagen haben. Wir begreifen nicht mehr, woran das Evangelium uns erinnern will. Die Märchen und das Evangelium erzählen von Gefahren. Sie sagen uns, dass das Böse etwas sehr, sehr Reales ist. Es sind Geschichten, die viel Mut und Opferbereitschaft fordern. Ein Junge und ein Mädchen auf einer gefahrvollen Reise. Wenn wir wirklich daran glauben würden; wenn wir wirklich erkennen könnten, dass diese Geschichte sich heute, hier, vor unseren Augen abspielt, würden wir uns bekreuzigen. Wir würden beten – ernsthaft und verzweifelt. Wir würden vor diesen beiden Menschen den Hut ziehen und in Erwartung dessen, was als Nächstes geschehen wird, den Atem anhalten. Daniel und Megan, nun ist es an der Zeit, dass ihr einander das Eheversprechen gebt. Danach gibt es kein Zurück mehr.“
Ich frage mich: Was wussten die Menschen früher? Was bewog sie dazu, das Eheversprechen ins Zentrum dieser Zeremonie zu rücken? Wussten sie, dass die erdrückende Last all unserer Sehnsüchte eine Ehe zum Zerbrechen bringen kann? Wussten sie, dass wir etwas viel Tragfähigeres brauchen, um diesen empfindlichen Bund zu stützen? Ich muss an ein Geheimkommando denken, an Waffenbrüder, die versprechen, das Leben für den anderen einzusetzen, bevor sie sich auf ihre gefährliche Mission begeben, die sie in dunkle Welten führen wird und deren Ausgang ungewiss ist. Auch ein Versprechen.
„… verspreche ich, dass ich dir von diesem Tage an anhangen werde – in guten und in schlechten Tagen, in Wohlstand und in Armut, in Gesundheit und in Krankheit –, bis dass der Tod uns scheidet. Ich will dich lieben und achten, so wie Gott es uns befohlen hat, und jeder anderen entsagen; es soll nur dich allein geben, solange wir beide leben.“
In der Kirche ist es nun sehr, sehr still geworden. Nur die älteren Ehepaare können abschätzen, was die beiden Verliebten sich gerade versprochen haben – möge Gott ihnen gnädig sein! Sie glauben tatsächlich, dass ihre Ehe irgendwie diese dunklere Seite des Versprechens fernhalten kann. Natürlich erträumen und erhoffen sie sich im Moment eher die guten Tage, Wohlstand und Gesundheit. Wir alle glauben das. Doch just in diesem Moment hat der stolze Eroberer Cortés seine kostbaren Schiffe in Brand gesetzt.
Als Nächstes folgen die Ringe. Ich liebe diesen Teil der Zeremonie. Was wird dem jungen Mann gesagt, der dabei ist, in den Stand der Ehe einzutreten? Was wird der jungen Frau gesagt?
„Daniel, du bist im Begriff, dein Leben hinzugeben. Du hast dich freiwillig gemeldet, um dich auf den härtesten Einsatz einzulassen, den ein Mann übernehmen kann: Du schenkst Megan dein Herz und deine Kraft – und das immer und immer wieder, für den Rest deines Lebens. Du hast eine Ahnung davon, wie schwer dieser Schritt wiegt. Darum hast du...