1 Persönlichkeitsentwicklung, Gesundheit und Outdoortraining – Eine Einführung
Persönlichkeit entwickelt und verändert sich über das ganze Leben hinweg. Kerngedanke der Persönlichkeitsentwicklung in diesem Buch ist die Grundannahme der humanistischen Psychologie nach Rogers, wonach Menschen sich ständig selbstaktualisieren und wachsen. Das Ideal, wie Rogers es nennt, die „fully functioning person“, ist eine Persönlichkeit, die sich selbst akzeptiert, die Gefühle reichhaltig wahrnehmen und erleben kann, die Klarheit über ihre Ziele, Werte und Bedürfnisse sowie Vertrauen in die eigenen Kompetenzen hat (Rogers 1991).
Die nachfolgenden Kapitel zeigen Modelle, die jeweils unterschiedliche Aspekte von Persönlichkeitsentwicklung in den Vordergrund stellen. Alle haben gemein, dass ihre Erkenntnisse auf wissenschaftlichen Forschungen basieren und einem neuen Zweig der angewandten Psychologie, der Positiven Psychologie entstammen.
„Positive Psychologie ist wissenschaftliche Forschung zu optimaler menschlicher Leistungsfähigkeit. Positive Psychologie hat das Ziel, Faktoren zu entdecken und zu stützen, die Einzelnen und Gemeinschaften dabei helfen aufzublühen [...]. Die Positive Psychologie beinhaltet eine Verpflichtung für wissenschaftlich arbeitende Psychologen, ihre Aufmerksamkeit auf die Quellen psychischer Gesundheit zu richten und damit über bisherige Betonungen von Krankheit und Störungen hinauszugehen“ (Blickhan 2015, 23).
Die Positive Psychologie untersucht, was das Leben lebenswert macht. Sie erforscht Faktoren, die zu einem zufriedenen, glücklichen und gesunden Leben führen. Ein zentrales Modell der Positiven Psychologie ist das Flourishing-Konzept des Psychologen und Soziologen Keyes, welches die inhaltliche Klammer der Persönlichkeitsentwicklung und Gesundheitsförderung in diesem Buch bildet (Keyes 2002). Flourishing heißt übersetzt „Aufblühen“ und bedeutet im weitesten Sinne, dass Menschen Wohlbefinden erleben, eine positive Grundhaltung im Leben entwickeln und positive soziale Beziehungen erleben.
In seinem Doppel-Kontinuum der geistigen Gesundheit (Abb. 1) beschreibt Keyes anschaulich, was Flourishing bedeutet und welche Faktoren zu Flourishing führen. In dem empirisch untersuchten Modell wird die Dimension Krank- vs. Gesund-Sein durch eine zweite Dimension Aufblühen (Flourishing) vs. Verkümmern (Languishing) erweitert (Keyes 2002).
Abb. 1: Doppel-Kontinuum der psychischen Gesundheit (Keyes 2002 und Blickhan 2015)
Mit „be functioning well psychologically and socially“ umfasst Flourishing nach Keyes (2002, 210) ein hohes Maß an Wohlbefinden und positiven Emotionen sowie eine psychische und soziale Leistungsfähigkeit. Languishing definiert er als Leere, Stagnation und ein Leben in stiller Verzweiflung, bei der geringe psychische Leistungsfähigkeit vorliegt. Nach Keyes ist der optimale Zustand, psychisch gesund und voll leistungsfähig zu sein.
In einer in den USA durchgeführten Studie fand er heraus, dass nur etwa 17 % der Erwachsenen dieses optimale Level erreichen. Ca. 60 % der Untersuchten waren weder aufgeblüht noch verkümmert, 12 % waren zwar psychisch gesund, aber verkümmert und bei 16 % wurden Verkümmerung und eine psychische Erkrankung (Depression oder Angststörung) festgestellt (Keyes 2002).
Zusammengefasst bedeutet das: Nicht jeder Mensch, der psychisch gesund ist, führt automatisch ein glückliches und zufriedenes Leben, und nicht jeder, der psychisch oder chronisch krank ist, führt ein unglückliches Leben. Daher: Flourishing kann Menschen mit psychischen Erkrankungen, wie Depression oder Angststörungen, nicht nur bei der Gesundung unterstützen, sondern darüber hinaus auch zu einem erfüllteren Leben bei psychisch Gesunden beitragen. In seiner Studie benennt Keyes drei Faktoren, die zum Flourishing gehören:
Subjektives Wohlbefinden: Dies versteht er als Grad der Lebenszufriedenheit und das Verhältnis von positiven zu negativen Gefühlen. Wer zufrieden ist mit seinem Leben und insgesamt mehr positive als negative Gefühle erlebt, dessen subjektives Wohlbefinden ist hoch.
Psychisches Wohlbefinden: Es beschreibt das individuelle Erleben von Selbstakzeptanz, positiven Beziehungen, Autonomie und Selbstbestimmung, Sinn im Leben sowie das Erleben von Selbstwirksamkeit.
Soziales Wohlbefinden: Dies meint soziale Akzeptanz und Wachstum, soziale Integration sowie das Erleben von Zusammenhalt und das Leisten eines sozialen Beitrages in der Gesellschaft (Keyes 2002; Blickhan 2015).
1.1 Persönlichkeitsentwicklung und Gesundheit
In ähnlicher Weise wie die Positive Psychologie beschreibt die Gesundheitspsychologie Gesundheit. Wie eng Persönlichkeitsentwicklung und Gesundheit miteinander verbunden sind, zeigt schon die Definition von Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 1948:
„Gesundheit ist der Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen [...]“ (WHO 1948).
In dieser Definition wird deutlich, dass Gesundheit nicht die Abwesenheit von Krankheiten ist, sondern ein dynamischer Prozess, in dem körperliche, soziale und psychische Faktoren sich gegenseitig bedingen. Nach diesem Verständnis stehen „gesund leben“ und Wohlbefinden in einem engen Zusammenhang. Es wird auch deutlich, dass neben den physischen und psychischen Faktoren ebenfalls die soziale Eingebundenheit eine wichtige Rolle spielt. Gesundheit ist also mehr als eine Frage des richtigen Essens, der ausreichenden Bewegung oder des korrekten Sitzens. D. h., sie ist ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Zu diesem Verständnis zählt auch die Annahme, dass der Umgang mit Krankheiten oder Lebenskrisen leichter fällt, je mehr psychisches und soziales Wohlbefinden erlebt werden (Brinkmann 2014). 2004 fasste die WHO diesen Gedanken in dem Begriff der psychischen Gesundheit neu:
„Psychische Gesundheit ist ein Zustand des Wohlbefindens, in dem der Einzelne seine eigenen Fähigkeiten ausschöpft, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv und fruchtbar arbeiten kann und in der Lage ist, einen Beitrag zu seiner oder ihrer Gemeinschaft zu leisten“ (WHO 2004, 12, Übersetzung des Autors).
Der Medizinsoziologe Antonovsky geht davon aus, dass Gesundheit ein Gleichgewicht ist, welches immer wieder hergestellt werden muss. Auch er beschreibt, dass sich Menschen zwischen den zwei Polen gesund und krank befinden, wobei sie sich immer mehr in Richtung Krankheit bewegen (Pathogenese). Den Prozess des aktiven Herstellens von Gesundheit nennt Antonovsky Salutogenese. In seinem Konzept geht er davon aus, dass Menschen im Leben verschiedenen Stressoren ausgesetzt sind, welche unter bestimmten Umständen „krank machen, neutral sind oder gesund erhalten“ können (Blickhan 2015, 36). Wie die Stressoren wirken, hängt von der Einstellung ab, die Menschen zum eigenen Leben haben. Die wichtigsten drei Faktoren, die vor Krankheit schützen, nennt Antonovsky Kohärenzsinne. Diese sind Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaf-tigkeit des eigenen Lebens (Antonovsky/Franke 1997).
Persönlichkeitsentwicklung und psychische Gesundheit hängen also eng miteinander zusammen, weil ähnliche Faktoren zur Förderung identifiziert werden können. Subjektives Wohlbefinden, das Erleben von positiven Emotionen sowie von Selbstwirksamkeit und Handlungsfähigkeit, die Bedeutung der Sinnhaftigkeit des Tuns und die Wirkung der sozialen Eingebundenheit durch das Erleben positiver Beziehungen sind dabei wesentliche Faktoren.
1.2 Persönlichkeitsentwicklung und Resilienz
Im Zusammenhang mit psychischer Gesundheit fällt auch immer wieder der Begriff Resilienz. Obwohl dies ein häufig genutzter Begriff ist, existiert keine allgemeingültige Definition. Grundsätzlich wird aber unter Resilienz die Widerstandsfähigkeit gegenüber Krisen (Blickhan 2015) verstanden.
„Mit Resilienz wird die innere Stärke eines Menschen bezeichnet, persönliche Lebenskrisen wie zum Beispiel schwere Krankheiten, lange Arbeitslosigkeit oder den Verlust von nahestehenden Personen ohne anhaltende Beeinträchtigung durchzustehen“ (Blickhan 2015, 48).
Resilienz wird im Laufe des Lebens erlernt. Die Forschung nennt verschieden Faktoren, die Resilienz fördern. Hierzu zählen u. a.:
Personale Faktoren: Ein wesentlicher Faktor für Resilienz ist das Erleben einer tragfähigen und verlässlichen Bindung in der Kindheit. Dabei reicht es durchaus aus, eine verlässliche Bezugsperson im Leben gehabt zu haben, die das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit vermittelt hat. Ob diese in der Familie, einer Gemeinschaft oder in der Schule erlebt wurde, ist dabei zweitrangig (Werner 1992).
Kognitive Faktoren: Menschen die optimistisch in die Zukunft schauen, die in der Lage sind, in Problemsituationen Alternativen im Leben zu entwickeln und diese Lösungen auch umzusetzen, sind in der Regel widerstandsfähiger...