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E-Book

Wie der Minister die Jungfrau zersägte

Die heimlichen Parallelen zwischen Politik und Zauberei

AutorHarry Keaton
VerlagFrankfurter Allgemeine Zeitung GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl228 Seiten
ISBN9783956012143
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Zersägte Jungfrauen, Kartentricks und die große Politik - wie passt das zusammen? Viel besser als man glaubt, behauptet Profi-Zauberer Harry Keaton. Mit seinem Buch tritt er den verblüffenden Beweis an. Dabei verlässt er sich nicht auf Plattitüden, sondern enthüllt originell, kenntnisreich und unterhaltsam die Gemeinsamkeiten. Der Autor weiht die Leser ein. Er enthüllt einige streng gehütete Geheimnisse der Zauberkunst, verrät welche Techniken Angela Merkel anwendet, und beantwortet u. a. folgende Fragen: Wozu benötigt Alexis Tsipras die Strategie des Forcierens? Wie nutzt Wladimir Putin das Out-to-Lunch-Prinzip für seine Macht? Während der Lektüre treffen Sie auf viele bekannte Politiker, z. B. Helmut Kohl, Willy Brandt, Karl-Theodor von Guttenberg, Silvio Berlusconi, Hillary Clinton oder Donald Trump. Mal seziert Keaton die Täuschungen nach allen Regeln der Kunst, mal beschreibt er in kurzweiligen Essays das Wesen von Politik und Magie. Der Lese- bzw. Showeffekt: Die genialen, schlitzohrigen und manchmal auch gefährlichen Täuschungen der Politstars lassen uns staunend zurück. Amüsante Anekdoten von Präsidenten, Kanzlern, Ministern, Quacksalbern und Magiern tragen zum Lesevergnügen bei.

Dr., ist professioneller Zauberer und Moderator. Vor seiner Laufbahn als Entertainer arbeitete er als Journalist und promovierte über die Sprache der Politik. Im Fernsehen sagte er das Ergebnis einer Bundestagswahl exakt vorher. Keaton tritt für Unternehmen in ganz Europa auf. Mit seinem Theaterprogramm - einer Mischung aus Magie und Kabarett - ist er in Deutschland auf Tour. Seine Hände hat der Künstler für je eine Million Euro versichern lassen. Zu seinen Zuschauern zählen viele Prominente, darunter ein Prinz, zwei Bundeskanzler, mehrere Ministerpräsidenten und natürlich zahlreiche Fans aus dem Showbusiness. Der Pazifikstaat Mikronesien würdigte Keaton mit einer offiziellen Briefmarke.

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Leseprobe

2. Der trickreiche Dr. Wladimir Putin


Wladimir Wladimirowitsch Putin, Präsident der Russischen Föderation. Sohn einer Putzfrau und eines Arbeiters. Beherrscht Kampfsportarten wie zum Beispiel Judo. War sieben Jahre KGB-Offizier (sowjetischer Geheimdienst, heute FSB). Spricht fließend Deutsch, seine Frau Ljudmila – mittlerweile von ihm geschieden – arbeitete einst als Deutschlehrerin. Putin war von 1985 bis 1990 in der DDR stationiert, hauptsächlich in Dresden. Fühlte sich von Moskau beim Zusammenbruch der DDR verraten, namentlich von Gorbatschow, und empfindet den Zerfall der Sowjetunion als die „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“.

Mitarbeit im Wahlkampfstab von Boris Jelzin, später wird Putin zum Präsidenten gewählt. Der neue Staatschef ist ganz anders als seine Vorgänger. Er trinkt keinen Alkohol, spricht Fremdsprachen (was kaum ein Machthaber in Moskau zuvor vermochte), trägt gut sitzende Anzüge, treibt viel Sport. Das russische Volk schätzt sein hartes Vorgehen im Tschetschenien-Krieg. Macho-Sprüche. Putins System wird auch „gelenkte Demokratie“ genannt; Kennzeichen hierfür ist die „Vertikale der Macht“, also die lückenlose Umsetzung der Befehlskette. Barack Obama nannte Putin einmal ein „gelangweiltes Kind in der letzten Reihe der Klasse“.

Der Präsident will, dass Russland wieder eine Großmacht wird. Nach der Annexion der Krim ist der Kremlchef in seinem Land so populär wie noch nie. Während Putins Amtszeit sind viele seiner Freunde zu großen Reichtümern gekommen.

„Boris Jelzin“, so schrieb 1999 die Zeitung Moskowskije nowosti nach Putins Ernennung, „zog aus seinem vom häufigen Benutzen klebrig gewordenen Kader-Kartenspiel den kleinen unscheinbaren Direktor des FSB hervor und ernannte ihn zu seinem Nachfolger. Was wird dieser müde, farblose Mann, ohne eine Spur von Anziehungskraft geschweige denn Charisma, dieser wenig einprägsame Mensch schon können?“

Jelzins Nachfolger wurde nicht lediglich unterschätzt, nein: Eine journalistische Befragung der politischen und wirtschaftlichen Elite Russlands beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos ergab, dass niemand Genaueres über ihn zu sagen wusste. Da hat also das größte Land der Welt – ein Land mit riesigen Öl- und Gasvorräten sowie Nuklearwaffen – einen neuen Präsidenten und offenbar ist allen ein Rätsel, wer der Mann ist.

Putin, schreibt Masha Gessen1, trete bewusst als undurchschaubarer, emotionsloser Mann auf, der sich nicht in die Karten sehen lasse. In ihrem gleichnamigen Buch nennt die Autorin den Präsidenten einen „Mann ohne Gesicht“. Er ist wie ein gerissener Pokerspieler oder Zauberer, der seine Geheimnisse nicht preisgeben will. Jelzins Nachfolger will sich unter keinen Umständen ausrechnen lassen. Er weiß pragmatisch Positionen zu wechseln und seinen Handlungsspielraum zu erweitern: Mal vergleicht sich der Staatschef mit dem Pazifisten Ghandi (ja, das tut er!2), dann wieder – durchaus selbstironisch – mit Kaa, der Schlange aus dem Dschungelbuch.3 Die Riesenschlange versteht sich auf die Kunst des Hypnotisierens und ist gefährlich, weil sie so schlau ist (von Rudyard Kiplings Dschungelbuch waren auch andere fasziniert: Der große Nachkriegszauberer Helmut Schreiber gab sich den Künstlernamen Kalanag – in Anlehnung an den Elefanten Kala Nag).

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 stimmt Putin zu, dass die Amerikaner im Kampf gegen den Terror Militärbasen der ehemaligen Sowjetrepubliken nutzen dürfen. Selbst der russische Verteidigungsminister ist von dieser Entscheidung überrascht, von der westlichen Welt ganz zu schweigen. Während des Ukraine-Konflikts hatte im Westen zudem niemand ernstlich mit der Annexion der Halbinsel Krim gerechnet (listig vergleicht Putin seinen Überraschungscoup mit der deutschen Wiedervereinigung4). Und ebenso geheim – und überraschend – waren die militärische Intervention in Syrien September 2015 und dann der schnelle, konsequente Rückzug im März 2016.

Vielleicht rührt Putins Faible für Geheimes aus seinen Kindheitstagen. Als kleiner Junge träumte er von einer geheimen Macht. Angeregt wurde er durch einen Roman mit dem Titel Der Schild und das Schwert – ein Bestseller in der damaligen Sowjetunion. Seine Hauptfigur war ein sowjetischer Geheimagent, der in Deutschland arbeitete. Das Buch wurde auch fürs Fernsehen bearbeitet und die Serie erfreute sich großer Beliebtheit. „Über eine Art geheimer Macht zu verfügen“, das ist laut Gessen, was Putin sich wünscht: „Es beeindruckte mich stark, dass eine kleine Einheit, eine Einzelperson tatsächlich etwas erreichen konnte, das einer ganzen Armee nicht gelang (…). Ein einziger Geheimagent konnte das Schicksal Tausender Menschen bestimmen. Zumindest sah ich es so.“5 Putins familiäres Umfeld begünstigt derartige Phantasien. Seine Kindheit sei nicht sehr emotional gewesen, verrät der Russe irgendwann dem deutschen Journalisten Hubert Seipel. Man habe sich in der Familie gegenseitig nichts erzählt: „Jeder lebte irgendwie in sich selbst.“6

Wunschträume von einer geheimen Macht kennen wir Zauberer nur zu gut. Die Kindheit war eine ohnmächtige Zeit, so war es auch für mich.

Doch die Zauberei gewährte nur mir allein Zugang zu einem Geheimwissen und ermöglichte kleine Fluchten. Denn zur Welt der Magie hatten die Erwachsenen keinen Zugang. Sie, die sonst alles wussten und bestimmten, hatten keine Erklärung für meine Kunststücke. In diesen Momenten fühlte sich der Keaton Junior stark und mächtig und alles schien möglich zu sein.

Irgendeine geheime Macht zu besitzen, danach sehnen sich ja die meisten Kinder: Sich unsichtbar zu machen. Superstark zu sein. Fliegen zu können. Gemessen an den vielen Kindern mit diesen Sehnsüchten sind es vergleichsweise wenige Menschen, bei denen dieser Traum zur Blaupause des gesamten Lebens wird. Bei Putin manifestiert sich die Sehnsucht nach einer geheimen Macht im festen Wunsch, ein Geheimagent zu werden. Energisch arbeitet er an seinem Ziel. Mit zwölf Jahren fragt er beim KGB an, was es denn brauche, um beim Komitee zu arbeiten. Ein juristisches Studium wäre nicht schlecht, heißt es da. Und Erfahrung im Nahkampf – Mann gegen Mann – wäre auch von Vorteil. Gegen den Willen der Eltern widmet Putin sich also einer russischen Kampfkunst namens Sambo, eine Mischung aus Judo, Karate und Ringkampf. Später konzentriert er sich auf die olympische Kampfsportart Judo. Und er beginnt Jura zu studieren und beendet das Studium mit der Promotion.

Mit 32 Jahren wird sein großer Traum wahr – endlich; er wird an der Spionageschule in Moskau ausgebildet. Wie sein Romanheld aus der Kindheit wird auch er nach Deutschland abkommandiert, als KGB-Major. Über seinen Beruf pflegte Putin zu sagen: „Ich bin Experte für zwischenmenschliche Beziehungen.“7 Seine anfängliche Freude bekommt jedoch einen empfindlichen Dämpfer. Er wird „nur“ in die DDR versetzt und nicht ins feindliche Westdeutschland. Die Agenten werden in der jeweiligen Landeswährung bezahlt. In Westdeutschland wäre sein Verdienst höher gewesen.

Dem jungen Geheimdienst-Offizier wird ein spezielles Weltbild eingetrichtert: Er sieht sich von Feinden umzingelt, wittert Intrigen und wähnt sich im permanenten Krieg. In diesem Kampf sind alle Mittel der Gegenwehr erlaubt. Da nimmt es nicht Wunder, dass Putins später große, innenpolitischen Erfolge auf Kampf und Kriegshandlungen beruhen werden – wie im Zweiten Tschetschenienkrieg und im Ukraine-Konflikt.

Vor seiner Wahl im Jahr 2000 hält sich Putin eisern an die magische Grundregel: Sage niemals vorher, was Du tun wirst. Entsprechend macht er keinerlei politische oder ideologische Andeutungen. Putin nutzt den Umstand, dass sich sein bisheriges Wirken auf die engen Grenzen des Geheimdienstes beschränkte. So kann er die Informationen über seine Person besser steuern als jeder andere moderne Politiker. Er stampft eine neue politische Partei aus dem Boden, „Eintracht“ genannt oder auch „Medwed“, der Bär (finanziell unterstützt von dem engen Vertrauten Jelzins, Boris Beresowskij). Diese Gruppierung war im Dezember 1999 ohne Programm angetreten. Das muss man sich einmal vor Augen halten: Eine neue Partei ohne Wahlprogramm kämpft für den Wahlerfolg von Putin und dieser holt aus dem Stand 52 Prozent der Stimmen. Der Wahlkampf richtete sich in erster Linie nach einem Buch über Putin, in dem er sich als Schläger mit Hang zum Jähzorn darstellt: „Damals habe ich gelernt: Wenn ein Kampf schon unvermeidlich ist, dann musst du wenigstens der Erste sein, der zuschlägt.“8

Das russische Volk hat eine Schwäche für starke Anführer. Im Gegensatz zu Boris Jelzin wirkt Putin jung, dynamisch, „nicht abhängig von Alkohol und dunklen Drahtziehern, entschieden im Kampf gegen Korruption, Verbrechen und ‚die Mafia‘“9. Für Putin passt zu diesem Zeitpunkt alles: Seine Biografie als unberechenbarer Schläger, die Begeisterung für unterschiedliche Formen des Kampfes, die Kraftmeier-Sprüche und eben der Beginn des Krieges gegen das Volk im Nordkaukasus. „Ich muss so sein, wie mein Volk will“, sagt Putin.10 Ein Feindbild hat noch jedem Machthaber geholfen, die Aufmerksamkeit seiner Bürger von eigenen Fehlern abzulenken. Schuld haben immer die anderen (siehe auch das Kapitel Vorsicht Feind! Groß, böse, mächtig!). Die Rivalität mit den USA wird für den russischen Staatschef im Verlauf...

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