Die Blutzuckerkrise
Millionen Menschen haben überhöhte Blutzuckerspiegel – und viele ahnen nichts davon.
Vielleicht sind Sie ständig durstig oder müssen häufig Wasser lassen. Vielleicht heilen Ihre Wunden nur langsam, oder Sie sind ungewöhnlich müde. Oder Sie haben – was wesentlich wahrscheinlicher ist – gar keine Symptome.
Doch ein erhöhter Blutzuckerspiegel ist nicht gut für uns. Er beschleunigt den Alterungsvorgang, führt zu Typ-2-Diabetes und erhöht das Risiko für Herzerkrankungen und Schlaganfälle.
In diesem Buch geht es um den Blutzucker. Es geht um die Diabetes-Epidemie, welche die Welt in den letzten Jahren erfasst hat. Es geht auch um den heimtückischen Anstieg des Blutzuckers, der dem Typ-2-Diabetes vorausgeht – den sogenannten Prädiabetes. Dieses Buch ist ein Warnschuss. Es soll aufrütteln.
Aber es ist sinnlos, auf ein Problem hinzuweisen, solange es keine Lösung gibt. Also werde ich Ihnen eine Diät vorstellen, die einen Typ-2-Diabetes in nur acht Wochen umkehren kann. Ein Prädiabetes kann damit am Fortschreiten gehindert werden.
Warum ich das tue? Weil bei mir vor einigen Jahren Typ-2-Diabetes diagnostiziert wurde; mein Blutzucker war völlig aus dem Lot.
Zunächst ein paar Worte zu meiner Person. Ich absolvierte meine ärztliche Ausbildung am Royal Free Hospital in London. Nach dem Abschluss wandte ich mich dem Journalismus zu und mache nun seit 30 Jahren Dokumentationen zu wissenschaftlichen und gesundheitsbezogenen Themen für das BBC-Fernsehen – zunächst hinter der Kamera, in letzter Zeit auch als Moderator. Ich habe über viele große medizinische Themen der letzten drei Jahrzehnte berichtet und zahllose Experten interviewt. Diese Erfahrung verhilft mir zu einer einzigartigen Perspektive. Und ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass mir der jüngste Anstieg bei Diabositas (Diabetes plus Adipositas) Angst macht.
Ehrlich gesagt interessierte mich Ernährung lange Zeit nicht wirklich. In meiner medizinischen Ausbildung kam die Wirkung von Nahrung auf den Körper kaum vor, abgesehen vom offensichtlichen »weniger essen, mehr bewegen«, das zwar stimmen mag, aber nicht wirklich weiterhilft.
Noch vor zehn Jahren hätte ich auf die Frage, was ich über Diäten wüsste, überzeugt geantwortet, es käme darauf an, langsam abzunehmen und sich fettarm zu ernähren. Ein halbes bis ein ganzes Kilo pro Woche wäre optimal, denn mehr würde den Stoffwechsel stören und zu Jojo-Diäten führen. Gelegentlich folgte ich meinem eigenen Rat, nahm ein wenig ab und gleich wieder zu. Ich ahnte damals nicht, wie schlecht mein eigener Rat war.
Vor drei Jahren ging ich für eine Routineuntersuchung zu meiner Ärztin. Sie rief mich nach einigen Tagen an und teilte mir mit, dass nicht nur mein Cholesterinspiegel überhöht, sondern auch der Blutzucker bereits im diabetischen Bereich sei. Knapp über dem Grenzwert, aber schon diabetisch. Es war Zeit, Tabletten einzunehmen. Ich war schockiert und wusste nicht, was ich tun sollte. Mir war klar, dass dies keine Lappalie war.
Eigentlich war es aber auch keine Überraschung. Störungen des Zuckerhaushalts werden oft vererbt, und mein Vater, der mit nur 74 Jahren verstorben ist, hatte an verschiedensten Krankheiten gelitten, wie Typ-2-Diabetes, Herzinsuffizienz, Prostatakarzinom und vermutlich beginnender Demenz.
Anstatt mich auf ein Leben mit Medikamenten einzustellen, beschloss ich eine BBC-Dokumentation zu machen, in der ich alternative Wege zur Verbesserung meiner Gesundheit suchen würde.
Während der Arbeiten für die Dokumentation Eat, Fast, Live Longer stieß ich auf die Arbeiten von Wissenschaftlern wie Prof. Mark Mattson vom National Institute on Aging und Dr. Krista Varady von der Universität Illinois in Chicago, die sich mit dem sogenannten »intermittierenden Fasten« beschäftigten.
In jahrelangen Tierversuchen und zahlreichen Humanstudien zeigten sich viele Vorteile durch eine periodische Reduktion der Kalorienaufnahme. Dazu gehören nicht nur Gewichtsabnahme, sondern auch eine positive Wirkung auf Stimmung und Gedächtnis.
Also begann ich mit dem, was ich als 5:2-Diät bezeichnete (normales Essen an fünf Tagen der Woche, Kalorienreduktion auf etwa 600 an den übrigen zwei Tagen), und fand es gar nicht so schwierig. Ich nahm in zwölf Wochen neun Kilo ab, mein Blutzucker- und mein Cholesterinspiegel normalisierten sich. Als die Dokumentation fertig war, schrieb ich mit Mimi Spencer das Buch The Fast Diet, in dem nicht nur der wissenschaftliche Hintergrund des intermittierenden Fastens beleuchtet, sondern auch die praktische Umsetzung erläutert wird.
Das Buch richtet sich jedoch nicht an Diabetiker, und ich fragte mich schon damals, ob meine Erfahrung wirklich so ungewöhnlich war. Also befasste ich mich eingehender mit dem wissenschaftlichen Zusammenhang zwischen Kalorien, Kohlenhydraten, Adipositas, Insulin und Diabetes. Daraus wurde dieses Buch.
Warum jetzt?
Die gängigen Ratschläge für gesunde Ernährung stehen unter Beschuss wie niemals zuvor. Die Anweisung, fettarm zu essen, wurde durch zahllose Studien ernsthaft untergraben, aus denen hervorgeht, dass eine solche Vorgangsweise selten zum Ziel führt und kaum je durchgehalten wird.
Das Problem liegt darin, dass Menschen schnell hungrig werden, wenn sie auf Fett verzichten. Sie greifen dann vermehrt zu wertlosen, zuckerreichen Kohlenhydratlieferanten, die eine der Hauptursachen für die heutige katastrophale Ernährungssituation sind.
Und dennoch hat sich an den gängigen Ernährungsratschlägen kaum etwas geändert. Seit Jahrzehnten warnen offizielle Stellen vor gefährlichen Fetten und ignorieren die Gefahren des Zuckers völlig. Die meisten von uns wissen über den Cholesterinspiegel Bescheid, die wenigsten jedoch über Blutzucker oder gar den Insulinspiegel. Doch wir sollten uns Gedanken darüber machen, denn die Blutzuckerwerte steigen wie niemals zuvor.
Es gibt im Vereinigten Königreich mittlerweile vier Millionen Diabetiker, vor einiger Zeit kam die schockierende Meldung, dass sich der Anteil der Prädiabetiker (abnorm erhöhter Blutzuckerspiegel, aber noch nicht im diabetischen Bereich) zwischen 2003 und 2011 mehr als verdreifacht hatte, von elf Prozent auf 35 Prozent.1
In Deutschland ist die Zahl der an Diabetes Erkrankten nach Daten des Robert-Koch-Instituts von 1998 bis 2011 um 38 Prozent gestiegen. Heute sind mehr als sechs Millionen Menschen in Deutschland von Diabetes betroffen.
Nach Angaben der CDC (Centers for Disease Control) ist die Situation in den USA noch schlimmer. Es gibt mindestens 29 Millionen Diabetiker, und viele Menschen ahnen nicht, dass sie erkrankt sind.
Die Sängerin Patti LaBelle erfuhr erst von ihrem Typ-2-Diabetes, als sie auf der Bühne ohnmächtig wurde. Ihrer Mutter, die ebenfalls Diabetikerin war, wurden beide Beine amputiert, ihr Onkel erblindete durch die Krankheit.
Die Zahl der Prädiabetiker ist noch höher. Die CDC schätzen, dass 86 Millionen Amerikaner davon betroffen sind, wobei sich nicht einmal jeder Zehnte des Risikos bewusst ist.
Asiaten sind besonders gefährdet: Es gibt neuere Schätzungen, wonach mehr als 100 Millionen Chinesen an Diabetes und 500 Millionen an Prädiabetes leiden. Auch hier sind die meisten völlig ahnungslos.2
Und Prädiabetes ist ernst zu nehmen, nicht nur, weil er normalerweise zu Diabetes führt, sondern auch weil ein enger Zusammenhang zum metabolischen Syndrom, manchmal auch als Syndrom X bezeichnet, besteht.
Ich weiß nicht, ob Sie schon vom metabolischen Syndrom gehört haben – vor zehn Jahren kannte ich es noch nicht, aber mittlerweile ist es weit verbreitet. Man nennt das metabolische Syndrom auch das »tödliche Quartett«, denn neben dem erhöhten Blutzucker umfasst es noch Bluthochdruck, abdominale Adipositas und abnorme Werte bei Cholesterin und Blutfetten.
Sie alle verbindet das Hormon Insulin, über das Sie in diesem Buch noch viel mehr lesen werden.
Wenn Sie Prädiabetes haben (und ohne Tests können Sie das nicht wissen), beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass Sie innerhalb von fünf Jahren Diabetes bekommen werden, etwa 30 Prozent.
Der Schauspieler Tom Hanks wurde von seinen Ärzten aufgrund seiner anhaltend hohen Blutzuckerwerte sehr frühzeitig vor Diabetes gewarnt. Hanks war nicht stark übergewichtig, aber vermutlich zu schwer für seine individuelle genetische Anlage. Ich werde später noch näher auf die »persönliche Fettschwelle« eingehen.
Sobald Sie von Prädiabetes zu Diabetes fortschreiten, geht es schneller mit den Medikamenten los, als Sie »Coca-Cola« sagen können.
Während meiner Recherchen für dieses Buch erhielt ich eine E-Mail von der Tochter einer Diabetikerin. »Meine Mutter schämt sich«, schrieb sie mir. »Sie glaubt, es wäre ihre Schuld, dass sie nun Typ-2-Diabetes hat. Sie genierte sich immer schon für ihr Übergewicht, konnte es aber trotz aller Bemühungen nicht loswerden. Sie erzählt nicht einmal meinem Vater (mit dem sie zusammenlebt!), dass sie Diabetes hat. Ich weiß es nur, weil ich sah, wie sie einige Pillen nahm, und danach fragte.«
Pillen scheinen die Lösung zu sein. Aber sie tun nichts gegen die Grundkrankheit, ihre langfristige Wirksamkeit ist fraglich.
Außerdem bin ich überzeugt, dass viele Menschen es vorziehen würden, durch eine Umstellung ihrer Lebensweise gesund zu werden, anstatt ein Leben lang Medikamente zu nehmen. Traurig ist, dass man ihnen selten die Möglichkeit gibt.
In...