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E-Book

Bis zum Geständnis

Die spektakulärsten Verhöre von Guantanamo bis Anders Breivik

AutorPeter Kirsch
Verlagriva Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783959718332
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Es gibt Wahrheiten, die so ungeheuerlich sind, dass man sie kaum ertragen kann. Und es gibt Menschen, die alles dafür tun, dass diese Wahrheiten nicht ans Licht kommen. Doch Lügen lassen sich durchschauen. Entweder durch gute Ermittlungsarbeit oder durch eine besonders geschickte und ausgeklügelte Verhörtechnik. Peter Kirsch hat die spannendsten und außergewöhnlichsten Verhöre zusammengetragen, die zeigen, wie Kriminalisten und Profiler vorgehen, wie es ihnen gelingt, Lügen zu entlarven, Täter zu überführen und zu einem Geständnis zu bringen. Grausame Wahrheiten kommen zum Vorschein, wenn zum Beispiel eine Frau ihren Priester beschuldigt, sie hypnotisiert und anschließend vergewaltigt zu haben, oder ein vorbestrafter Kinderschänder nichts von dem verschwundenen Mädchen aus der Nachbarschaft wissen will. Und was ließ ein Arzt unter dem Deckmantel eines alten Eides wirklich in einem Konzentrationslager geschehen? Von der Inquisition bis in die Gegenwart, von Guantanamo bis Berlin stellt dieses Buch 18 spannende Fälle vor, die nur aufgrund des Geschicks der Ermittler gelöst werden konnten. Ein Buch, das zeigt, dass es auf die richtige Technik ankommt, um jemanden zu einem Geständnis zu bringen.

Peter Kirsch, Jahrgang 1988, arbeitet als freier Journalist und Autor für überregionale Medien. Er schreibt unter verschiedenen Namen für Die Welt, Die Zeit, den Stern, die Süddeutsche Zeitung und den Rolling Stone. Als Ghostwriter veröffentlichte er mehrere Bücher, die sich monatelang auf den Bestsellerlisten hielten. Kirsch lebt in München, Berlin und Hamburg.

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Leseprobe

DAS VERSCHWINDEN VON MARY ALLEN

Das Leben in Montgomery ist ein gemütliches Leben. Das könnte an der Hitze liegen. An der drückenden Hitze, die das kleine Städtchen in Alabama jeden Sommer für ein paar Monate in den Würgegriff nimmt. Stephen Miller kennt diese Hitze. Und er kennt Montgomery. Er arbeitet schon seit über 20 Jahren im Police Department der Stadt. Miller ist ein erfahrener Polizist. Ein Mann, der auf die Tugenden der klassischen Polizeiarbeit schwört: Genaues Hinsehen. Gezielte Ermittlungen. Präzises Nachfragen. Es sind eben jene Fähigkeiten, die ihn erkennen ließen, dass eine bestimmte Fallakte, die auf seinem Tisch landete, eine besondere Akte war. Obwohl sie auf den ersten Blick doch so harmlos wirkte.

Mary Allen ist verschwunden.

Eine Freundin hat sich bei der Polizei gemeldet. Sie habe Mary schon seit mehreren Wochen nicht mehr gesehen. Sie habe alles versucht: Sie ist bei Mary zu Hause vorbeigegangen. Sie hat wieder und wieder angerufen. Sie hat sogar Briefe geschrieben. Aber Mary Allen antwortet nicht mehr. Und bei jedem Anruf wimmelte Marys Ehemann sie nur ab: Mary sei gerade nicht da. Mary sei gerade nicht zu sprechen. Mary habe gerade keine Zeit. Auch auf der Arbeit ist Mary nicht mehr erschienen. Sie jobbte als Kassiererin in einem kleinen Supermarkt. Bei den Mitarbeitern und bei den Kunden galt sie als besonders beliebt.

Eigentlich war Mary, Ende 60, schon in Rente. Und dennoch arbeitete sie regelmäßig in dem kleinen Laden, um ihren Unterhalt ein wenig aufzubessern. Ihr Verschwinden sei »ein bisschen merkwürdig«, gab ihr Chef zu Protokoll. Mary habe bloß einen kurzen Brief geschickt, in dem sie von heute auf morgen kündigte. Das sei komisch gewesen. Mary habe doch schon seit so vielen Jahren in dem Laden gearbeitet. Man kannte sich gut. Man war doch beinahe so etwas wie eine Familie. Und dann nicht mal ein persönlicher Abschied? Ob er sich denn Sorgen machen würde, hat die Polizei den Supermarkt-Chef bei einer ersten Vernehmung gefragt. »Nein«, sagte er. Das nun nicht. Ordnungsgemäß gekündigt habe sie ja. Und er sah keinen Grund, warum er sich um Mary Sorgen machen sollte. Sie sei eine resolute Frau. Vielleicht habe sie einfach etwas Besseres gefunden.

Wo also war Mary Allen? Miller las sich die Fallakte mehrfach gründlich durch. Die Kollegen hatten bereits mehrere Zeugen befragt. Aber es gab nur eine Person, die wirklich Auskunft geben konnte: Marys Ehemann Ronald. Die beiden lebten zusammen in einem kleinen Haus am Stadtrand. Nicht die beste, aber auch nicht die schlechteste Gegend. Bei seiner ersten Befragung hatte Ronald gesagt, dass Mary sich ein paar Tage Urlaub gegönnt hätte. Sie habe einfach mal raus gewollt. Aber mittlerweile waren drei Monate vergangen. Und sie war noch immer nicht aufgetaucht. Miller bestellte den Mann auf das Revier. Es sollte eine Standardbefragung werden. Miller kam die Sache merkwürdig vor. Aber einen Kriminalfall sah er noch nicht.

Es kommt immer wieder vor, dass Menschen als vermisst gemeldet werden, die gar nicht wirklich vermisst sind. Nur weil Mary sich seit einiger Zeit nicht mehr bei ihrer Freundin gemeldet hat, muss noch lange nichts Schlimmes passiert sein. Vielleicht hat sie wirklich einen neuen Job. Hat sich neu orientiert. Vielleicht hatte sie keine Lust mehr, sich mit ihrer Freundin zu treffen. Ihr Ehemann würde Licht in das Dunkel bringen.

*

Ronald Allen kommt pünktlich auf das Revier. Ronald ist ein untersetzter und ziemlich gemütlich wirkender Mann. Er passt gut in diese Stadt. Frührentner, 61 Jahre alt, grau meliertes Haar. Gelernter Handwerker. Ronald hat keinen Anwalt dabei. Wozu sollte er auch einen Anwalt brauchen? Freundliche Begrüßung. Fester Händedruck.

»Danke, dass Sie die Zeit gefunden haben«, begrüßt ihn Miller.

»Na, was ist denn los, Detective, dass Sie mich auf das Revier bestellen? Ich komme mir vor wie ein Verbrecher. Habe ich etwas angestellt?«

»Ich hoffe doch nicht, Ronald«, sagt Miller und lacht. »Ich habe nur ein paar Fragen. Alles Standard. Sie haben nichts zu befürchten. Es geht um Ihre Frau.«

»Ach, das Thema. Ich habe Ihrem Kollegen doch schon alles erzählt.«

Das stimmte. Kurz nachdem die Vermisstenanzeige aufgegeben wurde, war eine Polizeistreife bei den Allens vorgefahren. Auch das – Routine. Die Streifenbeamten befragten den Ehemann an der Haustür. Damals sagte Ronald, dass seine Frau für ein paar Tage verreist sei. Kein Grund sich Sorgen zu machen. Aber Miller wollte sich nun nicht mehr bloß auf einen kurzen Smalltalk verlassen. Er wollte ausführlich mit Ronald sprechen. Ein Gespür für die Lage entwickeln. Er brachte den Ehemann in einen kleinen Verhörraum. In der Ecke stand ein Ventilator. Es war ein verdammt heißer Tag.

»Sind Sie einverstanden, dass wir das Gespräch mitfilmen?«, fragt Miller.

»Aber natürlich«, bestätigt Allen. »Wenn Sie mir nur verraten würden, worum es eigentlich geht.«

»Das wissen Sie doch, Ronald. Es geht um Ihre Frau. Es geht um Mary. Sie ist verschwunden. Und wir würden gerne wissen, ob es ihr gut geht. Damals haben Sie meinen Kollegen gesagt, Ihre Frau sei für ein paar Tage verreist. Das ist nun schon drei Monate her.«

»Sie schauen mich an, als würden Sie mir einen Vorwurf machen, Sir.«

»Ich mache nur meinen Job, Ronald.«

Es entsteht eine kleine Pause. Die beiden Männer mustern sich. Der Ton ist freundlich, aber eine gewisse Spannung liegt in der Luft. Ganz normal, denkt sich Miller. Eine Verhörsituation ist immer auch eine Ausnahmesituation. Jede Frage wird als Angriff verstanden. Miller lächelt. Er will die Situation etwas entspannen. Sein Gegenüber reden lassen. Hören, was er zu sagen hat. Je sicherer sich Ronald fühlt, desto offener wird er aussagen.

»Hören Sie, ich kann Ihnen nur eine Sache sagen: Mary ist weg. Und sie will nicht gefunden werden.«

»Wie meinen Sie das, Ronald?«

»Sie ist abgehauen. Sie will ein neues Leben beginnen. Alles hinter sich lassen.«

Miller setzt sich auf. Das ist eine völlig neue Ausgangslage. Etwas muss passiert sein. Entweder ist aus dem Kurztrip eine Weltreise geworden oder etwas anderes geht hier vor. Der Detective spürt, dass jetzt jede Information wichtig für diesen Fall werden könnte. »Erzählen Sie mir mehr.«

»Die Sache ist die«, sagt Ronald und atmet schwer aus. »Ich habe meine Frau vor … ich glaube, es muss wohl drei Wochen her sein … vor drei Wochen etwa mit einem Mann erwischt.«

»Mit einem Mann?«

»Offenbar ihr Liebhaber. Wir waren knapp 30 Jahre verheiratet. Und dann so was. Sie können sich wahrscheinlich denken, wie ich mich gefühlt habe. Ich meine, sie hat diesen Kerl beim Bingo kennengelernt. Können Sie sich das vorstellen? Beim Bingo!«

»Wie haben Sie reagiert, Ronald?«

»Wie sollte ich denn reagieren? Ich habe sofort alle ihre Sachen in zwei große Tüten gepackt, habe diese beiden Tüten auf den Wohnzimmertisch gestellt, und als sie nach Hause kam, habe ich ihr gesagt, dass sie verschwinden soll.«

»Und wie hat sie reagiert?«

»Gelassen, würde ich sagen. Sie sagte, dass sie sowieso abhauen wollte. Dass sie keine Lust mehr auf die Ehe hätte. Nach knapp dreißig Jahren. Ich meine, wir waren knapp dreißig Jahre verheiratet, können Sie sich das vorstellen?«

»Sie ist einfach gegangen?«

»Ja, sie ist dann zu ihrem Freund gegangen, zu ihrem neuen Mann, sie hat die zwei Tüten mit ihren Klamotten mitgenommen und dann ist sie verschwunden.«

»Wer ist dieser neue Freund? Haben Sie einen Namen? Eine Adresse? Können Sie ihn beschreiben?«

»Nein, nein. Ich habe ihn nie gesehen. Er hat vor dem Haus in seinem Auto gewartet.«

»Aber ihre Frau muss Ihnen doch irgendetwas erzählt haben. Was ist er für ein Typ? Ist er ein Latino, ein Mexikaner …«

»Nein, Quatsch. Ein Weißer. Ein ganz normaler Kerl. Aber ich habe ihn wirklich nie gesehen. Ich kann ihn nicht beschreiben und ich weiß auch nicht, wie er heißt. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, es war mir auch vollkommen egal.«

»Und das ist jetzt … drei Wochen her?«

»Drei Wochen, vier Wochen, ja, so um den Dreh. Wie auch immer. Sie müssen sich keine Sorgen um Mary machen. Sie lebt, es geht ihr gut und wahrscheinlich genießt sie jetzt ihr Leben in Mexiko.«

»Hat sie denn noch irgendetwas mitgenommen?«

»Nein, nichts.« Ronald Allen stockt kurz. Er scheint zu überlegen. »Doch warten Sie. Aber … ich weiß nicht, ob ich … Das ist … Hören Sie, ich will keinen Ärger.«

»Was für Ärger, Ronald? Kommen Sie, seien Sie doch einfach ganz ehrlich und erzählen Sie mir, was Sie wissen, okay?«

»Hören Sie«, sagt Ronald mit gedämpfter Stimme. »Meine Frau und ich, wir hatten uns etwas Geld zurückgelegt. Von einigen Jobs, die wir nebenbei gemacht haben. Das Geld haben wir aber … das haben wir nirgendwo angegeben. Kann sein, dass da ein paar Steuern drauf angefallen wären.«

»Über wie viel Geld sprechen wir?«

»30000 Dollar.«

»Und Ihre Frau hat diese 30000 Dollar mitgenommen?«

»Ja. Komplett. Außerdem hat sie noch unser gemeinsames Konto leergeräumt. Das waren … mh, das waren noch einmal gut 1000 Dollar. Sie hat es abgehoben, ohne es mit mir abzusprechen. Wieder und wieder. Immer in 200-Dollar-Schritten. Als ich es gemerkt habe, habe ich ihre Karte sperren lassen. Hören Sie, ich will keinen Ärger mit dem Finanzamt.«

»Niemand will Ärger mit dem Finanzamt,...

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