1ORGANISATION DER SCHULGEMEINSCHAFT
Der Unterricht bleibt die zentrale Aufgabe der Schule, aber Ganztagsschulen, die Öffnung der Schulen gegenüber außerschulischen Institutionen, Partnern und Einflüssen, vor allem aber eine Gesellschaft mit schwindendem kulturellen Konsens und sehr unterschiedlichen Werten haben das Schulleben dramatisch verändert. Die Schulen sollen eine gemeinsame Basis schaffen, die auch außerhalb der Schule trägt. Diese Aufgabe können sie aber nur erfüllen, wenn schon Gemeinsamkeiten zwischen Eltern und Schülern sowie Lehrern vorhanden sind und eine grundsätzliche Kooperationsbereitschaft und Einigkeit hinsichtlich der Ziele besteht. Doch es herrscht eben nicht immer und überall Einigkeit.
BEFREIUNG VOM UNTERRICHT
Die Schule ist der gemeinsame Lernort für Schüler mit allen erdenklichen religiösen und weltanschaulichen Prägungen. Sie könnte ihren Bildungs- und Erziehungsauftrag, zu dessen zentralen Elementen die Integration einer äußerst heterogenen Schülerschaft in eine gemeinsame Gesellschaft gehört, nicht erfüllen, wenn Eltern und Schüler die Anpassung der Unterrichtsinhalte an ihre religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen einfordern oder sich von der Unterrichtsteilnahme befreien lassen könnten. Der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag rechtfertigt demnach eine Beeinträchtigung religiöser und weltanschaulicher Erziehungsziele der Eltern.
UNTERRICHTSBEFREIUNG AUS RELIGIÖSEN GRÜNDEN
Eine zwölfjährige muslimische Schülerin verweigerte aus religiösen Gründen die Teilnahme am koedukativen Schwimm- und Sportunterricht. Die Schülerin erklärte zudem, ein Burkini sei keine Lösung für die Teilnahme am koedukativen Schwimmunterricht, da es ihr verboten sei, männliche Mitschüler zu berühren oder von diesen berührt zu werden.
War die Rechtsprechung zunächst von einem unter bestimmten Bedingungen gegebenen Befreiungsanspruch ausgegangen, hat das Bundesverwaltungsgericht eine Befreiung durch seine aktuelle Rechtsprechung nahezu vollständig ausgeschlossen (BVerwG, Az.: 6 C 25.12). Entscheidend für diese Änderung der Rechtsprechung waren eine geänderte Gewichtung der Religionsfreiheit und des schulischen Erziehungsauftrags sowie die Erfindung des Burkini.
Die Eltern und die Schülerin müssten sich auf ein religiöses Verhaltensgebot mit imperativem Charakter berufen. Dieser imperative Charakter fehlt bei religiösen Überzeugungen, die lediglich Vorgaben für alltägliches Verhalten ohne unmittelbaren Bezug zum religiösen Bekenntnis, zur Vornahme kultischer Handlungen oder zur Ausübung religiöser Gebräuche machen.
Nicht alles, was religiös begründet wird, steht also in gleichem Maße unter dem Schutz der Religionsfreiheit. Die Tatsache, dass die meisten Frauen und Mädchen muslimischen Glaubens die Teilnahme an einem koedukativen Sport- oder Schwimmunterricht nicht als aus religiösen Gründen verboten ansehen, zeigt, dass es sich hierbei lediglich um eine auf religiöse Auffassungen gestützte soziale Regel, aber nicht um ein unabdingbares Glaubenselement des Islam handelt. Die Verpflichtung zur Teilnahme am koedukativen Schwimm- oder Sportunterricht stellt daher keine besonders gravierende Beeinträchtigung der Religionsfreiheit dar.
Das Tragen eines Burkinis im koedukativen Schwimmunterricht entschärft zudem nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts den Konflikt von Glaubensfreiheit und staatlichem Bildungs- und Erziehungsauftrag. Verweigert eine Schülerin diese Kompromisslösung, kann sie sich nicht länger auf ihre Glaubensfreiheit berufen. Dem Argument, es sei einer Schülerin nicht zuzumuten, in einem Ganzkörperschwimmanzug am Schwimmunterricht teilzunehmen, hält das höchste deutsche Verwaltungsgericht entgegen, derjenige, der auf die konsequente Umsetzung seiner religiösen Überzeugungen im Rahmen des Schulunterrichts dringe, müsse grundsätzlich akzeptieren, dass er sich hierdurch in eine gewisse, für andere augenfällig hervortretende Sonderrolle begibt. Daraus entstehende Belastungen seien im Falle des Tragens eines Burkinis hinzunehmen, zumal die Lehrer unangemessenen Reaktionen der Mitschüler entgegentreten könnten.
Auf die Realitäten des Lebens weist das Gericht auch hin, wenn es anmerkt, das Gebot, sich nicht mit dem Anblick von Jungen und Männern in knapp geschnittener Badebekleidung zu konfrontieren, laufe darauf hinaus, vom Anblick einer Bekleidungspraxis verschont zu werden, die auch außerhalb der Schule zum allgemein akzeptierten Alltagsbild, jedenfalls an bestimmten Orten, beziehungsweise zu bestimmten Jahreszeiten, gehört. In der Konfrontation der Schüler mit der in der Gesellschaft vorhandenen Vielfalt an Verhaltensgewohnheiten, wozu auch Bekleidungsgewohnheiten zählen, bewährt und verwirklicht sich die integrative Kraft der öffentlichen Schule in besonderem Maße.
Das Gebot, keine männlichen Mitschüler zu berühren oder von diesen berührt zu werden, kann im Schwimmunterricht durch Lehrkräfte und die betroffene Schülerin in einem Maße verwirklicht werden, wie es auch außerhalb des Schwimmunterrichts im schulischen und außerschulischen Alltag möglich ist (BVerwG, Az.: 6 C 25.12). Damit liegt es an der Schülerin selbst, sich entsprechend zu verhalten, und an den Mitschülern, Rücksicht zu nehmen. Ein darüber hinausgehender Anspruch besteht nicht.
Auch damit, dass ein Befreiungsantrag nur eine einzelne Unterrichtsstunde oder eine überschaubare Zahl von Unterrichtseinheiten betrifft, kann eine Unterrichtsbefreiung nicht hinreichend begründet werden. Ein Anspruch auf Unterrichtsbefreiung könnte allenfalls bestehen, wenn ein religiöses Verhaltensgebot aus Sicht der Eltern imperativen Charakter aufwiese, also den Kern des religiösen Bekenntnisses, die Vornahme kultischer Handlungen oder die Ausübung religiöser Gebräuche beträfe. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit dieser Rechtsprechung nahezu jede Möglichkeit der Befreiung vom Unterricht wegen der Unterrichtsinhalte oder -methoden aus religiösen Gründen ausgeschlossen.
UNTERRICHTSBEFREIUNG AUFGRUND VON RELIGIÖSEN FEIERTAGEN
Die Befreiung vom Unterricht an bestimmten religiösen Feiertagen ist in Erlassen der Bundesländer geregelt.
Eltern hatten, nachdem ihr Beurlaubungsantrag abgelehnt worden war, ihren Sohn am 21. Juni, dem Welthumanistentag, nicht zur Schule geschickt. Auf dem Zeugnis wurde ein unentschuldigter Fehltag aufgeführt. Die Eltern forderten die Streichung dieses Zeugnisvermerks und verlangten außerdem die Verpflichtung des Bundeslandes, den Welthumanistentag in das Verzeichnis der unterrichtsfreien Tage aufzunehmen.
Der Schüler durfte dem Unterricht am 21. Juni nicht fernbleiben, auch wenn die Eltern der Auffassung sind, der Welthumanistentag sei zu Unrecht nicht in die Liste der unterrichtsfreien Feiertage aufgenommen worden. Dies berechtigte die Eltern nicht zur »Selbsthilfe«, denn sie waren nicht ohne Rechtsschutz, da sie gegen die Versagung der Beurlaubung gerichtlich hätten vorgehen können.
Ein Bundesland ist nicht verpflichtet, den Welthumanistentag generell als unterrichtsfreien Tag zu behandeln. Eltern und Schüler haben keinen Anspruch darauf, dass das Bundesland von ihnen für wichtig gehaltene weltanschauliche Feiertage als unterrichtsfreie Tage behandelt (VG Berlin, Az.: 3 K 1020.11).
Die Entscheidung gewinnt zusätzlich an Überzeugungskraft, wenn man sich vorstellt, an welchen Tagen noch alle Schüler einer Klasse anwesend wären, wenn jede religiöse oder weltanschauliche Gruppierung an ihren Feiertagen eine Unterrichtsbefreiung beanspruchen könnte.
SCHULPFLICHT VERSUS VERSAMMLUNGSFREIHEIT
Die Schulpflicht kann aber nicht nur mit religiösen oder weltanschaulichen, sondern auch mit politischen Überzeugungen kollidieren.
Eine besorgte 16-jährige Staatsbürgerin verließ um 11:00 Uhr die Schule, um an einer Schülerdemonstration teilzunehmen. Die Schule hatte Eltern und Schüler darauf hingewiesen, dass eine Teilnahme an der Demonstration während der Unterrichtszeit am Vormittag nicht genehmigt werde. Die Mutter der Schülerin teilte der Schule nachträglich schriftlich mit, sie billige das Verhalten ihrer Tochter und fordere die Korrektur des Zeugnisvermerks unter der Rubrik »Versäumnisse: 3 Stunden, davon 2 unentschuldigt«, da die beiden wegen der Demonstration versäumten Unterrichtsstunden als entschuldigt zu werten seien.
Bei einem Konflikt zwischen dem Schulbesuch und dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit hat im Regelfall die Schulpflicht Vorrang, es sei denn, das Anliegen der Demonstration könnte außerhalb der Unterrichtszeit gar nicht oder nur in deutlich geringerem Maße gefördert werden. Schüler können für bildungspolitische Forderungen auch am Nachmittag demonstrieren. Die wohl nicht ganz unrealistische Erwartung der Veranstalter einer Schülerdemonstration, während der Unterrichtszeit sei mit einer höheren Teilnehmerzahl als am Nachmittag zu rechnen, stellt kein Anliegen der Demonstration dar.
Die Demonstrationsteilnahme hat Vorrang, wenn es sich bei der Demonstration um eine Spontanversammlung als Reaktion auf eine akute Situation handelt. Das könnte der Fall sein, wenn der Schulträger eine Turnhalle über lange Zeit nicht saniert hat, sodass die Halle schließlich gesperrt wird, oder wenn Eltern und Schüler morgens Glasscherben und Drogenspritzen auf dem Schulgelände finden und dagegen protestieren.
Die Erlaubnis der Eltern, an einer Demonstration teilzunehmen, entbindet die Schüler nicht von der Erfüllung der Schulpflicht und die Eltern...