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Die Pforten der Wahrnehmung • Himmel und Hölle

Erfahrungen mit Drogen

AutorAldous Huxley
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl144 Seiten
ISBN9783492976565
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Die beiden epochemachenden Essays Aldous Huxleys berichten von Entdeckugsreisen zu den »Antipoden unseres Bewusstseins«, in Regionen des Seins, die nur im Zustand der Entrückung zu erreichen sind, In den »Pforten der Wahrnehmung« schildert Huxley seine Experimente mit Meskalin, die zu einer außerordentlichen visuellen Wahrnehmungsfähigkeit führten, zum Erlebins des »Wunders der reinen Existenz«. Die moralische und geistige Quintessenz dieser Erfahrung wird auch in dem Essay »Himmel und Hölle« analysiert, in dem der Autor darlegt, dass sich das Paradies der »Neuen Welt des Geistes« durch Emotionen wie Furcht und Hass in sein Gegenteil verkehren kann.

Aldous Leonard Huxley, geboren 1894 in Godalming/Surrey, in Eton erzogen, studierte nach einer schweren Augenkrankheit englische Literatur in Oxford und war ab 1919 zunächst als Journalist und Theaterkritiker tätig. 1921 begann er mit der Veröffentlichung seines ersten Romans »Die Gesellschaft auf dem Lande« seine literarische Laufbahn. Von 1938 an lebte er in Kalifornien. Huxley starb 1963 in Hollywood.

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Himmel und Hölle


Vorwort


Dieses kleine Buch ist eine Fortsetzung der »Pforten der Wahrnehmung«. Für jemanden, bei dem das »Licht der Vision« niemals spontan aufleuchtet, ist die Erfahrung mit Meskalin doppelt erhellend. Sie beleuchtet bislang unbekannte Regionen seines eigenen Denkens und Fühlens und zugleich indirekt das Denken anderer, denen es eher gegeben ist, Visionen zu erblikken, als ihm selbst. Wenn er seine eigene Erfahrung in Betracht zieht, gelangt er zu einem neuen und besseren Verständnis der Art und Weise, in der diese anderen Geister etwas wahrnehmen, in der sie fühlen und denken, zu einem besseren Verständnis der kosmologischen Vorstellungen, die jenen als selbstverständlich erscheinen, und der Kunstwerke, mittels deren sie sich kraft eines inneren Impulses ausdrücken. Im folgenden habe ich versucht, die Ergebnisse dieses neuen Verständnisses festzuhalten.

A. H.

In der Geschichte der Naturwissenschaften ging der Naturaliensammler dem Zoologen voraus und folgte auf die Vertreter der Naturreligion und der Magie. Er hatte aufgehört, Tiere im Geist der Verfasser von Bestiarien zu studieren, für die die Ameise der verkörperte Fleiß, der Panther, überraschenderweise, ein Emblem Christi, die Wildkatze ein skandalöses Beispiel hemmungsloser Laszivität war. Aber er war lediglich ansatzweise Physiologe, Ökologe oder Verhaltensforscher. Es war sein oberstes Bestreben, eine Bestandsaufnahme zu machen und viele Tierarten zu fangen, zu töten, auszustopfen und zu beschreiben.

Wie auf der Erde vor hundert Jahren, so gibt es in unserer Psyche noch immer das dunkelste Afrika, das noch nicht kartographierte Borneo und das Amazonasbecken. Hinsichtlich der Fauna dieser Gebiete sind wir noch keine Zoologen, wir sind lediglich Naturforscher und Naturaliensammler. Das ist eine bedauerliche Tatsache, aber wir müssen sie hinnehmen, wir müssen das Bestmögliche aus ihr machen. So wenig qualifiziert die Arbeit des Sammlers auch sein mag, sie muß getan werden, bevor wir zu den höheren wissenschaftlichen Aufgaben des Klassifizierens, Analysierens, Experimentierens und Theoretisierens fortschreiten können.

Gleich der Giraffe und dem Schnabeltier sind die Wesen, die die entlegenen Zonen der Psyche bewohnen, äußerst unvorstellbar. Dennoch gibt es sie, sie sind wahrnehmbare Realitäten, und als solche können sie von niemandem unbeachtet gelassen werden, der ehrlich versucht, die Welt, in der wir leben, zu verstehen.

Es ist schwierig, es ist fast unmöglich, von psychischen Vorgängen anders als in Gleichnissen zu sprechen, welche der vertrauteren Welt materieller Gegenstände entnommen sind. Wenn ich von geographischen und zoologischen Metaphern Gebrauch gemacht habe, dann nicht mutwillig, aus bloßem Hang zu einer pittoresken Ausdrucksweise, sondern weil solche Metaphern sehr zwingend das grundlegende Anderssein entlegener psychischer Kontinente, die völlige Selbstherrlichkeit und Selbstgenügsamkeit ihrer Bewohner beschreiben. Ein Mensch besteht aus dem, was ich die Alte Welt persönlichen Bewußtseins nennen möchte, und, jenseits eines trennenden Ozeans, aus einer Reihe von Neuen Welten – den nicht gar so fernen Virginias und Carolinas des persönlichen Unbewußten und der vegetativen Seele; dem Fernen Westen des kollektiven Unbewußten mit seiner Flora von Symbolen, seinen Stämmen eingeborener Archetypen; jenseits eines zweiten, gewaltigeren Weltmeers, des Alltagsbewußtseins, sind die Gegensätze angesiedelt, liegt die Welt visionären Erlebens.

Geht man nach Neu-Süd-Wales, sieht man Beuteltiere in der Landschaft umherhüpfen. Und geht man zu den Antipoden der bewußten Psyche, stößt man auf allerlei Arten von mindestens ebenso wunderlichen Geschöpfen wie Känguruhs zum Beispiel. Man erfindet jene Geschöpfe ebensowenig, wie man diese Beuteltiere erfindet. Sie leben ihr eigenes Leben in völliger Unabhängigkeit. Der Mensch kann sie nicht beherrschen. Er kann nicht mehr tun, als sich in das psychische Äquivalent Australiens zu begeben und sich dort umzusehen.

Manche Menschen entdecken nie bewußt ihre Antipoden. Anderen gelingt eine gelegentliche Landung. Noch anderen (aber das sind wenige) fällt es nicht schwer, dort ein- und auszugehen. Für den Naturforscher der Seele, den Sammler psychologischer Muster, besteht die erste Notwendigkeit darin, eine sichere, leichte und verläßliche Methode zu finden, sich und andere aus der Alten in die Neue Welt zu versetzen, sich vom Kontinent mit den vertrauten Kühen und Pferden auf den Kontinent mit den Känguruhs und den Schnabeltieren zu begeben.

Es gibt zwei Methoden dafür. Keine von ihnen ist vollkommen, aber beide sind hinreichend verläßlich, leicht und gefahrlos, um ihre Anwendung seitens derjenigen zu rechtfertigen, die wissen, was sie tun. Bei der ersten gelangt die Seele mittels einer chemischen Substanz an ihr fernes Reiseziel – durch Meskalin oder durch Lysergsäure. Bei der zweiten ist das Beförderungsmittel psychologischer Art, und die Überfahrt zu den Antipoden der Psyche vollzieht sich mittels Hypnose. Die zwei Vehikel tragen das Bewußtsein in dasselbe Gebiet; aber das chemische bringt seine Fahrgäste tiefer ins Innere der terra incognita.[8]

Wie und warum ruft Hypnose die bei ihr beobachteten Wirkungen hervor? Wir wissen es nicht. Für unsere gegenwärtigen Zwecke brauchen wir es auch nicht zu wissen. Wir wollen in diesem Zusammenhang nur festhalten, daß einige Hypnotisierte im Trancezustand in eine Region der psychischen Antipoden versetzt werden, wo sie die Äquivalente von Beuteltieren vorfinden – seltsame psychische Geschöpfe, die entsprechend dem Gesetz ihres eigenen Wesens ein selbständiges Dasein führen.

Über die physiologischen Wirkungen des Meskalins wissen wir wenig. Wahrscheinlich (darüber besteht keine Sicherheit) greift es in das die Gehirntätigkeit regelnde Enzymsystem ein. Dabei setzt es die Wirksamkeit des Gehirns herab, das uns dabei hilft, unseren Geist auf die Probleme des Lebens auf der Oberfläche unseres Planeten zu konzentrieren. Diese Verringerung der sogenannten biologischen Leistungsfähigkeit des Gehirns scheint den Eintritt gewisser Kategorien von seelischen Vorgängen in unser Bewußtsein zu gestatten, welche normalerweise ausgeschlossen bleiben, weil sie keinen Wert für unser Überleben besitzen. Zu einem ähnlichen Eindringen biologisch wertlosen, aber ästhetisch und manchmal auch spirituell wertvollen Materials kann es als Folge von Krankheit oder Ermüdung kommen; es läßt sich auch durch Fasten oder zeitweiliges Eingeschlossensein in dunklen Räumen und völlige Stille herbeiführen.[9]

Ein unter der Wirkung von Meskalin oder Lysergsäure stehender Mensch hat keine Visionen mehr, wenn ihm eine große Dosis Nikotinsäure verabreicht wird. So läßt sich auch die Wirksamkeit des Fastens als eines Mittels, das visionäres Erleben herbeiführt, erklären. Indem das Fasten die Menge verfügbaren Zuckers verringert, setzt es die biologische Leistungsfähigkeit des Gehirns herab und ermöglicht so das Eindringen von Material, das keinen Wert für unser Überleben besitzt, ins Bewußtsein. Überdies entfernt es, indem es einen Vitaminmangel verursacht, die bekanntlich die visionäre Erlebnisfähigkeit hemmende Nikotinsäure aus dem Blut. Ein anderer Hemmschuh für das visionäre Erleben ist die alltägliche Wahrnehmungsfähigkeit. Experimentalpsychologen haben herausgefunden, daß ein Mensch, wenn man ihn in eine reizarme Umgebung versetzt, wo es kein Licht, keine Geräusche und keine Gerüche gibt, oder wenn man ihn in ein lauwarmes Bad setzt, wo er nur mit einem einzigen, kaum wahrnehmbaren Ding in Berührung kommen kann, sehr bald beginnt, ›allerlei zu sehen« , »allerlei zu hören« und ungewohnte körperliche Sensationen zu haben.

Milarepa in seiner Höhle im Himalaja und die Säulenheiligen der Thebaïs bedienten sich eines sehr ähnlichen Verfahrens und erzielten im wesentlichen die gleichen Ergebnisse. Unzählige Bilder der Versuchung des heiligen Antonius bezeugen die Wirksamkeit einer kargen Diät und einer eingeschränkten Umwelt. Es ist offenkundig, daß Askese aus zwei Beweggründen geübt wird. Menschen peinigen ihren Körper nicht nur in der Hoffnung, auf diese Weise vergangene Sünden zu sühnen und künftiger Bestrafung zu entgehen, sondern auch, weil sie sich danach sehnen, die Antipoden der Psyche aufzusuchen und dort einigen visionären Besonderheiten zu begegnen. Aus Erfahrung und aus Berichten anderer Asketen wissen sie, daß Fasten und eine reduzierte Wahrnehmung der Umwelt eine Entrückung in eine Welt bewirken werden, nach der sie sich sehnen. Ihre Selbstbestrafung ist vielleicht die Pforte zum Paradies. (Sie mag auch – und dies soll später noch erörtert werden –...

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