Vorwort
Warum faszinieren uns die alten Tempel, Kultstätten, Heiligtümer, Blocksberge, Steinkreise, Opfersteine oder Urnenfriedhöfe unserer Vorfahren? Weil wir durch sie glauben, wenigstens ein bißchen in ihre spirituelle Welt eindringen zu können. Denn sie waren unbestreitbar als naturverbundene Menschen viel spiritueller, als moderne Menschen es je sein könnten. Sie wußten aus eigener Erfahrung Dinge, die uns verschlossen sind, ähnlich wie die Indianer. Gleichzeitig geht auch ein unterschwelliges Grausen von diesen Orten aus, da wir hier düstere Geschichten von Blut- oder gar Menschenopfern vermuten.
Die Kenntnis dieser Orte, an denen Menschen von heute scheinbar achtlos vorübergehen, hilft uns aber auch, uns in unserer Vergangenheit vertikal zu verorten: Wir sind danach eben nicht als Unwissende zufällig an irgendeinem beliebigen Ort der Erde, sondern wir sind das vorläufige Ende einer langen Geschlechterfolge, deren frühere Generationen an diesen Orten die Verbindung zu ihren Göttern suchten und fanden. Wir verstehen unsere Welt besser, da wir wissen, wie etwas anfing und zugleich sehen, wo es hingegangen ist. Wir haben damit zwei Punkte in der Entwicklungslinie, die wir nun leicht zu noch nicht erreichten Punkten der Zukunft verlängern können. Wenn wir also wissen, woher wir kommen und wo wir sind, wissen wir, wohin es weitergehen kann (oder auch nicht, wenn wir es absichtlich verhindern wollen).
Wir finden in diesem Buch Heiligtümer der germanischen Semnonen und der Wenden. Diese sollen angeblich „Slawen“ (eigentlich: sclaveni) sein und keine Germanen. Diese Theorie halte ich für falsch; die Wenden sind die Nachkommen der Wandalen und damit Ostgermanen. Deswegen sind auch die Wenden unsere direkten Vorfahren. Erst ab dem 4. Jh. kam der lateinische Begriff „paganus“ (= ländlich, heidnisch) nach und nach auf. Aber man hatte, bis es soweit war, das Problem, die noch heidnischen Stämme irgendwie von christlichen zu unterscheiden. Man nahm dazu den schon älteren Begriff „sclaveni“ („ich mache Kriegsbeute“), da in der Region, wo noch Heiden lebten, auch Menschen für die Sklaverei eingefangen wurden; so konnte „sclaveni“ zugleich „Sklaven“ und „Heiden“ bedeuten. Zu dieser Frage habe ich mich in meinem Buch „Der Slawen-Mythos“ (Norderstedt 2016) ausführlich geäußert, auf das ich hiermit verweise. Hier reicht es für uns zu wissen, daß keine fremden Völker in unserer Heimat lebten, sondern germanische Stämme, die viele heutige Menschen auch unter ihren eigenen Vorfahren haben.
Neben dem allgemeinen Interesse für die Geschichte oder die Religion der Vorfahren, die jeder Mensch in unterschiedlichem Maße hat, gibt es heute auch immer mehr Menschen, die sich ganz bewußt wieder zur Religion der vorchristlichen Zeit hinwenden, weil ihnen die Kirchen nicht die Antworten geben können, die sie suchen. Für diese Menschen, zu denen ich mich auch zähle, sind die Heiligtümer geheime Zugänge in eine andere Welt, in die Welt der Götter und Geister; der Schlüssel dazu sind alte Riten und Bräuche, die zu ganz bestimmten Zeiten am richtigen Ort ausgeübt werden müssen, um einen derartigen Zugang zu öffnen und die dort schlummernden spirituellen Kräfte zu erwecken. Auch hängen an solchen Orten noch oft die Gedanken der heidnischen Vorfahren, die wir aufnehmen können, um so in ihre Welt hineinzublicken.
In der heidnischen Zeit achtete man darauf, daß Unberufene solche Orte nicht betreten durften; zuweilen schützten Palisadenzäune oder sogar Wälle solche Heiligtümer, zumindest aber Wasserläufe, die man ohne Kahn nicht leicht überwinden konnte. Wichtige Heiligtümer hatten zumindest einen Priester, der in der Nähe wohnte oder sogar Wächter, die den Ort schützten, denn oft wurde dort Gold- und Bronzeschmuck niedergelegt, der ja nicht entwendet werden sollte (heutige Archäologen freuen sich über solche Opferhortfunde). Oder es wurden dort Menschen bestattet, deren Ruhe man nicht stören wollte. Es konnte leicht geschehen, daß man in Unwissenheit den Zorn der Gottheit erregte, wenn man Ihr Heiligtum einfach betrat und nichts opferte.
Heute hat die Großstadt viele der Heiligtümer eingenommen, und wir können davon ausgehen, daß von den spirituellen Kräften in der Steinwüste des Häusermeeres nichts mehr geblieben ist. Denn die spirituellen Kräfte sind mit der Natur verbunden und wurden durch regelmäßige Kultfeste gestärkt. Fehlt die Natur und bleiben die Feste aus, dann schwinden auch die spirituellen Kräfte an so einem Ort. Das ist der Zustand von vielen der heiligen Plätze, aber nicht von allen. Einige der Heiligtümer liegen noch heute im Walde und sind damit relativ unberührt. Oft sind es inzwischen Naturschutzgebiete geworden, weil in ihnen die spirituellen Kräfte, die unsere heidnischen Vorfahren aktiviert haben, immer noch so stark sind, daß bis heute dort die Natur vielfältig und urwüchsig ist.
Umso wichtiger ist es, daß wir, so wir nun über diese Plätze informiert sind, alles tun, um sie in ihrer ursprünglichen Unversehrtheit zu erhalten.
Seit alten Zeiten sind bestimmte Verhaltensregeln überliefert, die einzuhalten uns eine gern geübte Pflicht sein sollte. Man kann es vielleicht mit dem Verhalten auf einem Friedhof oder in einer Kirche vergleichen; an solchen Orten verbieten sich bestimmte Dinge von selbst. Ich fasse einmal die wichtigsten Regeln zusammen:
- An diesen Orten sollten Besucher immer ein Gebet für die dort einst verehrten Gottheiten sprechen.
- Man sollte immer etwas opfern, also eine Gabe niederlegen (Blumen, eine Cent-Messingmünze, Weihrauch, Speise), sonst – so heißt es in den Überlieferungen – hat man Unglück, da man die Wesenheiten verärgert.
- Man sollte an dem Orte ruhig sein, weder laut reden, noch anderweitig lärmen, sich auf den Ort besinnen und sich andächtig verhalten.
- Natürlich soll man dort nicht rauchen oder Müll hinwerfen oder seine Notdurft verrichten. Selbst mit Schneuzen hat eine Verwandte von mir an so einem Ort sehr negative Erfahrungen gemacht.
- Wenn man einen Kult zelebrieren möchte, dann sollte dieser ein heidnischer aus unserer Kultur sein und sich an die dort verehrten Gottheiten richten, denn zuweilen sind sich Gottheiten gegenüber auch nicht gut. Man würde also in einem Heiligtum des Gottes Baldur niemals Seinen Gegenspieler Hödur verehren. Auch schwarzmagische Handlungen verbieten sich an solchen Orten und die Gefahr für diejenigen, die das an so einem Ort praktizieren, ist besonders groß.
- Überliefert ist ferner, daß manche Heiligtümer gar nicht, andere nur von Frauen betreten werden durften, daß man sie nur gewaschen ansehen und betreten und keine Waffen mit hineinnehmen durfte. Streitereien mußten hier unterbleiben, es waren „Friedensstätten“.
Das sind nun vielleicht erst einmal abschreckende Regeln, aber sie sind aus spirituellen Gründen notwendig.
Viele Heiligtümer sind noch heute in Gefahr, zerstört zu werden. Der wendische Opferstein von Pichelswerder wurde gestohlen, andere Opfersteine könnten gleichfalls gestohlen werden, Schatzsucher könnten Raubgrabungen machen und dabei Grabstellen zerstören, Schmierfinken könnten Steine besprühen; Fanatiker anderer Religionen könnten destruktiv wirkende Rituale durchführen usw. Deswegen hatten sich vor 30 Jahren alle damaligen heidnischen Gemeinschaften geeinigt, keine Angaben zu Heiligtümern zu veröffentlichen. Aber heute hält sich niemand mehr daran, auch fehlt dann das Wissen über diese Orte auch in heidnischen Kreisen, daher habe ich mich doch – durchaus mit schlechtem Gewissen und nach reiflicher Erwägung des Für und Wider – durchgerungen, dieses Buch herauszugeben und apelliere an alle, die es lesen, diese Orte zu schützen und zu erhalten. Es geht auch nicht um einen bestimmten Opferstein, sondern um den Ort, wo er lag. Der Stein wurde nicht angebetet, er war immer nur Mittel zum Zweck. Ein Stein ist ersetzbar (nur der Archäologe bedauert, wenn es nicht mehr der originale Opferstein ist), die Kenntnis von dem Ort aber kann verlorengehen. Wenn im Kölner Dom der Dreikönigsschrein fehlen würde, und vielleicht noch ein Altar, würde man mit einem neuen Altar dort weiterhin Gottesdienste abhalten.
Wer das Buch aufmerksam liest, wird erkennen, daß es doch recht viele Heiligtümer gab und gibt. Das ist kein Wunder, denn ich führe Heiligtümer aller Zeiten gleichzeitig auf, die vielleicht früher nie gleichzeitig in Benutzung waren. Auch sind natürlich Fehler möglich, da nicht jedes Heiligtum durch die drei Hauptkriterien bezeugt ist, die ich als ideal ansehe, sofern alle drei zugleich zutreffen:
- Sagen von dem Ort,
- Bedeutsame Flurnamen,
- Archäologische Belege.
Wenn ich also nur einen Flurnamen habe, nicht mehr, höchstens noch einen in der Natur herausragenden Ort, dann ist so ein Heiligtum eben leider nicht „sicher“ als Heiligtum bewiesen, sondern nur „unsicher“. Habe ich aber zwei („wahrscheinlich“) oder alle drei Kriterien („sicher“), dann kann ich mit...