I. Die Motoren der Globalisierung
1. Staaten
Am Anfang der Benennung der „Motoren“ oder „Treibern“ der Globalisierung stehen die Nationen, deren Regierungen sich verstärkt nach dem Ende des I. und des II. Weltkriegs Gedanken darüber gemacht haben, wie sie ihre eigene Wirtschaft wieder beleben und in Zukunft derart zerstörerische Konflikte vermeiden könnten. Nationen, die miteinander reden, sich in supranationalen Organisationen wie der UN organisieren und gemeinsam agieren, Menschen, die miteinander Handel treiben und in intensivem – nicht nur in wirtschaftlichem – Kontakt miteinander stehen, werden sich, so der gewiss zutreffende Grundgedanke, wohl kaum mehr bekriegen.
Wer miteinander spricht und handelt, führt gegeneinander keinen Krieg
In der Geschichte der Weltwirtschaft gab es aber auch ohne Zutun der Politik schon viele Beispiele für grenzüberschreitenden Handel. Bereits im frühen Mittelalter wurden mit dem Austausch von Gewürzen, Stoffen, Agrarprodukten, Edelmetallen etc. gute Geschäfte gemacht, später fallen einem dazu Namen ein wie Marco Polo, die Fugger oder die Hanse. Friedlich ging es dabei nicht immer zu: Die Ausplünderung neu entdeckter Länder in Mittel- und Südamerika oder die Drangsalierung der Kolonien sind dafür nur einige von vielen Beispielen. Grundsätzlich ging es in dieser Zeit um den bloßen Export oder Import von Gütern, die lokal nicht verfügbar und daher umso begehrter waren. Sie wurden mangels internationaler Zahlungsmittel im Wege des Tausches bezogen – wenn sie überhaupt bezahlt wurden – und konnten örtliche Bedürfnisse besser – oder überhaupt erst – befriedigen. Bei der heutigen Globalisierung geht es aber um mehr.
Schon 1947 wurde das erste weltweite Freihandelsabkommen abgeschlossen
Die Schaffung von Freihandelszonen begann unmittelbar nach dem II. Weltkrieg. Die WTO („World Trade Organisation“), die damals noch GATT („General Agreement on Tariffs and Trade“) hieß, organisierte bereits 1947 in Genf mit 23 Ländern das erste „Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen“, in der Stadt, in der sich diese Organisation dauerhaft niederlassen sollte. Später folgten weitere „Runden“ (Abkommen) mit zusätzlichen Ländern, die nach den Namen der Orte oder der Länder benannt wurden, in denen verhandelt wurde, wie z. B. 1949 in Annecy, 1973 in Tokio und 1986 in Uruguay.
Bis zum Fall der Mauer steckte auch eine (macht-)politische Strategie hinter den Bemühungen der Staaten, den internationalen Warenverkehr zu intensivieren, nämlich das Motiv, sich den Einfluss auf möglichst viele Länder und dabei besonders auf den Zugang zu deren Rohstoffen zu sichern. Die Westmächte auf der einen und der sogenannte Ostblock auf der anderen Seite versuchten, durch militärischen Beistand, durch Investitionen, Subventionen, Austausch von Personal und präferentielle Handelsbeziehungen die Gunst noch nicht gebundener Länder für sich zu gewinnen.
Aus einer zweigeteilten Welt wurde ab dem 9. 11. 1989 „ein Dorf“
Es gab damals quasi einen globalen Wettbewerb zwischen den demokratischen, marktwirtschaftlich organisierten auf der einen und den kommunistischen, staatswirtschaftlich ausgerichteten Staaten auf der anderen Seite. „Sieger“ in diesem „Kalten Krieg“ war, wer sich als erster ein noch neutrales Land als Partner sichern konnte. Diese konkurrierende und sich gegenseitig mit Zusagen, Verlockungen und Drohungen übertrumpfende Strategie hat mit dem Fall der Mauer am 9. 11. 1989 ihr natürliches Ende gefunden. Der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama traute sich daraufhin, 1992 ein Buch herauszubringen mit dem Titel „The End of History“ (dt.: „Das Ende der Geschichte“). Erst seit dieser Zeit kann man im Grunde von „einer Welt“ und von „der Globalisierung“ sprechen.
Zunächst ging es bei den internationalen Freihandelsvereinbarungen darum, internationalen Handel überhaupt erst zu ermöglichen oder zu vereinfachen, also um die Einführung von „Meistbegünstigungsklauseln“, um den Abbau von Einfuhrschranken und von Einfuhrquoten sowie um die (schrittweise) Reduzierung von Zöllen. Später, als Einfuhrzölle weitgehend Geschichte waren, verhandelte man verstärkt die Beseitigung verbliebener, nicht-tarifärer Handelsbarrieren, die gegenseitige Anerkennung nationaler Produktstandards, die Lösung problematischer Haftungsfragen etc. Diese Themen stehen auch bei den transatlantischen Freihandelsabkommen Ceta sowie TTIP im Vordergrund.
Bei Ceta und TTIP geht es auch um einen politischen Konflikt
In diesen Verhandlungen geht es weniger um Einfuhrzölle, die ohnehin schon niedrig sind und keine wirklichen Handelsbarrieren mehr darstellen. Auch besteht zwischen diesen Partnern schon lange ein intensiver Waren- und Dienstleistungsaustausch. Die noch verbliebenen Restzölle und unterschiedlichen Produkt- und Haftungsnormen sind allenfalls ein Kalkulationselement und beeinflussen – wie viele weitere Faktoren – die örtliche Preisgestaltung und Investitionsentscheidungen. Problematischer sind die sehr unterschiedlich gewachsenen und in Normen zementierten Produktions- und Verkaufsvorschriften, so dass der Export oft nur mit Veränderungen der angebotenen Produkte (wie unterschiedliche Rückspiegel bei den PKWs), mit der Anerkennung unterschiedlicher Haftungsvorschriften und mit bürokratischen Schikanen verbunden ist. Das alles kostet Zeit und Geld.
Genau dies soll nun vereinfacht, beschleunigt und verbilligt werden. Eine große Rolle bei den Verhandlungen spielt die Zulassung zu öffentlichen Ausschreibungen, bei denen bislang ausländische Anbieter massiv benachteiligt sind. Heftig kritisiert wird auch der sogenannte Investitionsschutz, der es Firmen erlauben würde, vom Staat Schadenersatz zu fordern, wenn dieser – aus welchen guten Gründen auch immer – die gesetzlichen Voraussetzungen für die Produktion oder den Verkauf bestimmter Produkte verändert. Gibt es darüber Streit, sollen die sich benachteiligt fühlenden Firmen Schadenersatz fordern können, über den letztlich (außergerichtlich organisierte) Schiedsgerichte zu entscheiden haben. Von diesen weiß man allerdings nicht, auf welcher Seite sie stehen: auf der Seite der Bürger oder der Unternehmen.
Letztlich handelt es sich bei der Diskussion über diese Abkommen um einen politischen Konflikt, nämlich um die mögliche Ausbreitung oder Vermischung als unterschiedlich empfundener Wirtschaftsmodelle, nämlich des „kapitalistischen Systems“ in den USA versus der „sozialen Marktwirtschaft“ in Europa. Dabei spielt auch ein weit verbreiteter Anti-Amerikanismus eine Rolle, der genährt wird durch mancherlei Entscheidungen der amerikanischen Regierung, die hierzulande auf deutliche Ablehnung stoßen. Hinzu kommen wachsende Zweifel an der Globalisierung an sich. Fragen des „Groß gegen Klein“ (Konzerne versus Mittelstand), „Arm gegen Reich“ (Billiglöhne versus Top-Verdienste) oder „Gewinner gegen Verlierer“ der Globalisierung treten beim Widerstand gegen diese Freihandelsabkommen mehr und mehr in den Vordergrund.
Neue Streitpunkte kommen auf die Tagesordnung internationaler Verhandlungen
Die letzte und bislang längste Verhandlungsrunde der WTO mit dem Ziel der weltweiten Liberalisierung des Handels begann schon 2001 in Doha mit insgesamt 146 Teilnehmern, konnte aber bis heute wegen offenbar unüberwindbarer Gegensätze zwischen den entwickelten Industriestaaten und den weniger entwickelten Schwellen- und Entwicklungsländern nicht vollständig zum Abschluss gebracht werden. Zu den bisher verhandelten Fragen des klassischen Freihandels kamen plötzlich die wirtschaftliche Ungleichheit und der Klimawandel auf die Tagesordnung. Da für beide Komplexe die Industriestaaten verantwortlich gemacht werden, fordern die beteiligten Entwicklungsländer bessere Bedingungen und finanzielle Ausgleichszahlungen. Die Industrieländer wiederum wollen nur ungern für „Sünden der Vergangenheit“ in Haftung genommen werden.
Jedes Land strebt zwar Vorteile für sich an, muss aber auch „Kröten schlucken“
Unvermeidbar bei solchen Verhandlungen ist, dass zugunsten zufriedenstellender Gesamtlösungen Kompromisse geschlossen werden müssen. Fast jedes Land muss sozusagen einige „Kröten schlucken“. Der Nutzen kann für jedes teilnehmende Land nämlich durchaus unterschiedlich sein. Wenn zum Beispiel die Industrieländer als Ergebnis derartiger Abkommen für sich – absolut gerechnet – größere Vorteile verbuchen können als die Entwicklungsländer, liegt dies in erster Linie daran, dass sie in die Verhandlungen höherwertige Produkte wie Maschinen und Automobile einbringen, während die Gegenseite für den Weltmarkt im Wesentlichen nur Rohstoffe, Agrarprodukte oder Textilien anbieten kann.
Auch die ärmeren Länder werden jedoch solchen Abkommen zustimmen, wenn sie mit den erzielten Ergebnissen für ihr Land einigermaßen zufrieden sind und davon ausgehen können, dass sie ohne derartige Kompromisse insgesamt schlechter dastehen würden. Trotzdem werden diese Länder gern als „Verlierer“ der Globalisierung dargestellt. Dass sie nur unter massivem Druck der reichen Länder zustimmen, gleichsam „erpresst“ werden, ist eine zwar oft wiederholte, aber kaum zu beweisende Behauptung. Spätestens seit den unterbrochenen Verhandlungen der Doha-Runde sind derartige Unterstellungen mit großen Fragezeichen...