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E-Book

Was ist Leben?

Die lebende Zelle mit den Augen des Physikers betrachtet

AutorErwin Schrödinger
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783492974431
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Zu den Büchern, die die Welt bewegten, gehört Erwin Schrödingers Meisterstück naturwissenschaftlicher Prosa »Was ist Leben?«. Die Vorlesungen des Physikers und Nobelpreisträgers sind erstmals 1944 veröffentlicht worden. In der Einführung zur Neuausgabe erklärt der Biologe und Physiker Ernst Peter Fischer, wie Schrödinger damit die Erforschung der physikalischen Struktur genetischer Information begründet hat.

Erwin Schrödinger, geboren 1887 in Wien, gestorben 1961 in Wien, war Professor für Physik in Zürich, Berlin, Oxford, Graz, Dublin und ab 1956 in Wien. Wegweisend waren seine Erkenntnisse auf den Gebieten von Wellenmechanik, relativistischer Quantentheorie, Gravitationstheorie und einheitlicher Feldtheorie. Für seinen Beitrag zur Quantentheorie erhielt er mit Paul Dirac 1933 den Nobelpreis.

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Leseprobe

Ernst Peter Fischer

»Was ist Leben?« – mehr als vierzig Jahre später


Die moderne Biologie ist nicht das Werk von Biologen. Sie ließen sich in den vierziger Jahren das Heft ihrer Wissenschaft aus der Hand nehmen. Dies wird vor allem bei einem Blick auf 1943 deutlich, das Jahr, in dem Erwin Schrödinger in Dublin die Frage »Was ist Leben?« vom Standpunkt des Physikers aus diskutierte. Zur selben Zeit wurden in den Vereinigten Staaten zwei Experimente erfolgreich abgeschlossen, die heute als Beginn der Molekularbiologie gelten.

Der Mediziner Salvador Luria und der Physiker Max Delbrück untersuchten damals mikroskopische Partikel, die Bakterien angreifen und zerstören konnten. Ihnen war aufgefallen, daß nach einer gewissen Zeit der Vermehrung nicht mehr alle Bakterien diesen sogenannten Phagen zum Opfer fielen. Einige Zellen überlebten nun den Angriff – sie waren resistent geworden. Wie war es dazu gekommen? Hatten sich die Bakterien den Phagen gezielt angepaßt oder war ihnen eine zufällige Änderung des genetischen Materials (Mutation) sozusagen zu Hilfe gekommen?

Luria und Delbrück gelang 1943 der Nachweis, daß die Bakterien tatsächlich aufgrund einer spontanen Mutation resistent geworden waren (Luria und Delbrück, 1944). Diese Arbeit ermöglichte mit einem Schlag eine genetische Analyse von Bakterien; das Ergebnis bereitete den Weg für die Entwicklung der Molekularbiologie. Das neue Fach explodierte, als 1946 entdeckt wurde, daß Bakterien und Phagen auch sexuell aktiv sind, also genetisches Material untereinander austauschen und neu kombinieren. Ihren ersten Höhepunkt erreichte die moderne Genetik 1953, als die Struktur des Erbmaterials ermittelt werden konnte. James Watson (ein Schüler von Luria) und Francis Crick (ein Physiker) erkannten, daß Gene als Doppelhelix gebaut sind. Sie bilden eine Art molekularer Strickleiter, die sich als Doppelschraube emporwindet (Watson und Crick, 1953).

Die Grundlage zu diesem Erfolg war in dem zweiten entscheidenden Experiment von 1943 gelegt worden. Zur gleichen Zeit, als Schrödinger in Dublin ganz allgemein die Stabilität von Genen diskutierte und eher beiläufig die damals revolutionäre Idee eines genetischen Codes vorschlug, führten der Mediziner Oswald Avery und seine Mitarbeiter Untersuchungen an Bakterien durch, die Lungenentzündung verursachen können; dabei gelang ihnen der Nachweis, daß vererbbare Eigenschaften dieser Zellen an das Vorhandensein einer bestimmten Sorte von Molekülen gebunden sind. Die Wissenschaftler konnten deren chemische Identität ermitteln und so mitteilen, daß Gene aus DNS (Desoxyribonukleinsäure) bestehen (Avery et al., 1944). Genauer betrachtet, hatte Averys Gruppe nachgewiesen, daß eine vererbbare Eigenschaft der Bakterien durch solche Nukleinsäuren festgelegt wird. Erst acht Jahre später gelang nämlich der Nachweis, daß dies für alle derartigen Eigenschaften gilt (Hershey und Chase, 1952). Damit war der Weg zur Entdeckung der Doppelhelix frei – das Zeitalter der Molekularbiologie hatte begonnen.

Die Physiker und die Biologie


Es braucht nicht betont zu werden, daß Schrödinger über die beiden erwähnten Versuche von 1943 nicht informiert war, als er seine Frage stellte »Was ist Leben?«. Seine Abhandlung, die im Dezember 1944 veröffentlicht wurde, verlor damit nicht an Aktualität. Auch in den Neuauflagen nach 1948 ging Schrödinger zum Beispiel nicht auf die weiterführenden Arbeiten von Max Delbrück ein; er begnügte sich mit der Diskussion der Untersuchung, die Delbrück 1935 in Zusammenarbeit mit einem Genetiker und einem Physiker »Über die Natur der Genmutation und der Genstruktur« publiziert hatte (Timoféef-Ressovsky, Zimmer und Delbrück, 1935). Mit dem hier vorgestellten Material bot sich Schrödinger die Gelegenheit, grundsätzliche Fragen zu stellen. Die Fragen nämlich, ob Physik und Biologie miteinander verträglich sind und ob Leben aus den Gesetzen der Physik erklärt werden kann. Seine Fragen sind heute noch genauso schwierig zu beantworten wie damals.

Wir wollen an dieser Stelle versuchen, eine einfachere Frage zu beantworten. Warum legten die Physiker etwa von 1935 an ein so starkes Interesse für die Biologie – genauer gesagt: für die Genetik – an den Tag? Beide Wissenschaften hatten sich von Beginn des 20. Jahrhunderts an getrennt, aber in gewisser Weise parallel entwickelt, wie Schrödinger in seinen Vorlesungen ausführt. Der Entdeckung des Wirkungsquantums im Jahre 1900 durch Max Planck korrespondiert die Wiederentdeckung der Mendelschen Gesetze der Vererbung. Sie wurde durch das Studium von sprunghaft auftretenden Mutationen möglich, die an Quantenzustände erinnerten.

Eine Aufgabe der Physik in den folgenden Jahrzehnten bestand darin, die Atome und vor allem ihre Stabilität zu erklären. Diese Bemühungen führten 1925/26 zu einer neuen Theorie der Materie, deren zwei mathematische Formulierungen mit den Namen Werner Heisenberg (Matrixmechanik) und Erwin Schrödinger (Wellenmechanik) verbunden sind. So überzeugend die neue Mechanik die Stabilität der Atome erklärte, so umstritten waren ihre erkenntnistheoretischen Konsequenzen. Die Materie offenbarte eine duale Natur. Die Physiker konnten nicht mehr sagen, ob die Bausteine der Materie sich wie Teilchen verhielten oder ob sie sich als Wellen ausbreiteten. Und im Versuch konnten diese Eigenschaften nur durch experimentelle Anordnungen festgestellt (definiert) werden, die sich gegenseitig ausschlossen.

Um dieses neuartige erkenntnistheoretische Problem in ein Wort fassen zu können, schlug Niels Bohr 1927 sein Konzept der Komplementarität als »Lektion der Atome« vor (Fischer, 1987). Zusammen mit den Unbestimmtheitsrelationen von Heisenberg stellt Bohrs Idee die als »Kopenhagener Deutung« bekannt gewordene philosophische Interpretation der Quantenmechanik dar. Welle und Teilchen – so Bohr – sind einander komplementäre Erfahrungen, das heißt, beide können nicht zu einem anschaulichen Bild zusammengefügt werden, aber jede einzelne von ihnen liefert einen gleichwertigen Beitrag zur vollständigen Erklärung.

Bohr war von Anfang an überzeugt, mit dieser Idee einen universellen erkenntnistheoretischen Zusammenhang sichtbar gemacht zu haben, der auch für die Biologie Konsequenzen haben sollte. Wenn schon in der Physik der Beobachter (das Subjekt) durch Auswahl der experimentellen Einrichtung Einfluß auf das zu beobachtende Objekt nimmt, dann muß dies erst recht in der Biologie gelten, in der das Subjekt selbst mehr und mehr zum Objekt wird. Diese Ansicht trug Bohr zum ersten Mal 1932 öffentlich vor (Bohr, 1985). In seinem Vortrag »Licht und Leben« bezweifelte er, daß die Erscheinungen des Lebens auf Physik und Chemie reduzierbar sind. Bohr nahm an, daß Leben und Atomphysik in einem ähnlich komplementären Verhältnis zueinander stehen wie der Wellen- und Teilchenaspekt in der Quantenmechanik.

Bohr ermutigte die Physiker, sich mit den Fragen der Biologie zu beschäftigen. Er forderte sie auf, das »andere Gesetz der Physik« zu finden, von dem auch Schrödinger in seinen Vorlesungen sprach. (Schrödinger meinte damit allerdings nicht den Gedanken der Komplementarität, dem er sehr skeptisch gegenüberstand und über den er kein Wort verlor.)

Vor allem Max Delbrück zeigte sich von Bohrs Vorschlag beeindruckt, und er beschloß, die Herausforderung anzunehmen (Fischer, 1985). Als Einstieg griff er die Frage nach der Stabilität der Gene auf, die sich Mitte der dreißiger Jahre in der Biologie genauso stellte, wie es in der Physik – in Hinblick auf die Stabilität der Atome – zwanzig Jahre zuvor der Fall gewesen war. Würde die Lösung dieses Problems jenes »andere Gesetz« erkennen lassen?

Welche Situation fand Delbrück Mitte der dreißiger Jahre in der Genetik vor? Nach der Wiederentdeckung der Mendelschen Regeln um die Jahrhundertwende hatte sich die Wissenschaft der klassischen Genetik herausgebildet, die bis dahin sozusagen alles über die Fähigkeiten des Erbmaterials in Erfahrung gebracht hatte, aber nichts über die Natur der Gene selbst wußte. Auch im Mikroskop blieben die Gene unsichtbar, dem Auge zeigten sich nur Chromosomen, von denen man wußte, daß auf ihnen die Gene wie Perlen in einer Kette aufgereiht sein mußten. Woraus aber bestanden diese Gene und wie entfalteten sie ihre Wirkung?

Der Weg zur Erforschung ihrer molekularen Struktur wurde 1927 frei – im Jahre der Kopenhagener Deutung –, als Herrmann Muller entdeckte, daß Röntgenstrahlen bei Fliegen Mutationen induzieren können. Gene wurden damit als Erbanlagen im Inneren von Zellen erkannt, die von Strahlen getroffen werden konnten. Muller war sofort klar, daß die Genetik nur dann vorankommen kann, wenn Physiker und Chemiker mithelfen würden. Der klassische Genetiker allein stehe der Frage nach der Natur des Gens hilflos gegenüber (Carlson, 1981).

Anfang der dreißiger Jahre kam Muller nach Berlin, um zusammen mit dem russischen Genetiker N. W. Timoféef-Ressovsky eine detaillierte Analyse der Mutationshäufigkeit durch Strahleneinwirkung vorzunehmen. Timoféef seinerseits kannte Delbrück, der im Hause seiner Mutter in Grunewald private Diskussionsabende organisiert hatte, um Probleme zu besprechen, die für Physiker wie auch für Biologen von Interesse waren (Fischer, 1985). Aus den Gesprächen dieser Gruppe ging die von Schrödinger vorgestellte »Dreimännerarbeit« hervor (Timoféef-Ressovsky, Zimmer und Delbrück, 1935). Mit ihr wurde mit einem Schlag klar, daß Gene Moleküle waren. Der Kölner Genetiker Peter Starlinger hat die...

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