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E-Book

Johann Baptist und Dominikus Zimmermann

Virtuose Raumschöpfer des Rokoko

AutorChristine Riedl-Valder
VerlagVerlag Friedrich Pustet
Erscheinungsjahr2017
Reihekleine bayerische biografien 
Seitenanzahl144 Seiten
ISBN9783791761190
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Die Gebrüder Zimmermann leisteten einen entscheidenden Beitrag zur Entstehung und Vollendung des süddeutschen Rokoko. Aufgewachsen im Milieu der Wessobrunner Stuckkünstler, blieben sie diesem Kreis zeitlebens eng verbunden und prägten ihn nachhaltig. Der ältere, Johann Baptist, Stuckateur und Freskant, war ab 1720 für die Wittelsbacher tätig und schuf an der Seite von François Cuvilliés die Prunkräume des höfischen Rokoko in der Münchner Residenz, der Amalienburg und Schloss Nymphenburg. Dominikus, der als Stuckateur, Altarbauer und Baumeister eine bürgerliche Karriere einschlug, erreichte eine einzigartige Synthese von OrNament und Architektur. Durch ihre Zusammenarbeit gelangen den Brüdern Spitzenleistungen der Raum- und Dekorationskunst. Ihr Spätwerk, die 'himmlische' Wies, gilt als Juwel des Rokoko und gehört seit 1983 zum unesco-Welterbe.

Christine Riedl-Valder, Dr. phil., geb. 1957, arbeitet als Kulturjournalistin; zahlreiche Beiträge zu Literatur, Kunst und Geschichte Bayerns.

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Leseprobe

1   Kindheit und Jugend im Pfaffenwinkel


»Gebirdig von Wesobrun«


Johann Baptist und Dominikus Zimmermann wurden in ein Umfeld hineingeboren, das ideale Voraussetzungen für eine Künstlerkarriere bot. Zwischen Lech und Loisach in Oberbayern liegt der »angulus monachorum« – die »Ecke der Mönche« –, volkstümlich schon im 18. Jh. als »Pfaffenwinkel« bezeichnet. Diese Region, eine hügelige Voralpenlandschaft mit Wäldern, Wiesen, Flüssen, Seen und Mooren, brachte schon seit der Karolingerzeit höchste kulturelle Leistungen hervor und verfügte über eine Dichte an Klöstern und Wallfahrtskirchen, wie man sie kaum anderswo in Deutschland findet: Andechs, Benediktbeuern, Bernried, Beuerberg, Dießen, Ettal, Habach, Hohenpeißenberg, Polling, Rottenbuch, Schlehdorf, Steingaden, Vilgertshofen, Wessobrunn … Hier trifft man noch heute überall auf die Spuren der Gebrüder Zimmermann und ihres Umkreises. Auch der Höhepunkt ihres gemeinsamen künstlerischen Schaffens, die Wieskirche, steht in ihrer einstigen Heimat.

Ein bedeutendes Zentrum dieser gelehrten und geistlichen Welt des Pfaffenwinkels war die uralte Benediktinerabtei Wessobrunn. Wie in ganz Bayern bestand hier nach den Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges und den anschließenden Jahrzehnten des Verfalls ein dringender Bedarf an Baufachleuten. Abt Leonhard Weiß, der um 1680 die Erneuerung der Anlage in Angriff nahm, zog für die Arbeiten klostereigene Untertanen mit heran. Zur Wessobrunner Hofmark gehörten die nahegelegenen Dörfer Gaispoint und Haid, die damals aus wenigen Dutzend kleiner Holzhäuser bestanden. Unter den Bewohnern dieser sogenannten Sölden befanden sich viele Maurer. Sie wurden in den Werkstätten des Klosters zunächst für den eigenen Bedarf zu versierten Facharbeitern ausgebildet, bevor viele von ihnen sich dann aufgrund der steigenden Nachfrage als Stuckateure spezialisierten. Das Stuckhandwerk hatte im letzten Drittel des 17. Jhs. goldenen Boden, denn zahlreiche Gebäude, die noch aus der Spätgotik stammten, sollten nun im Barockstil modernisiert werden. So kam es, dass um die Wende zum 18. Jh. zahlreiche Familien in diesem Metier arbeiteten und in den folgenden Jahrzehnten auch auf Baustellen in ganz Süddeutschland und den angrenzenden Gebieten ihren Unterhalt verdienten.

Die Familie Zimmermann: Im Handwerkermilieu verankert


Elias Zimmermann (1656–um 1695), der Vater der berühmten Brüder, wuchs in einem der Holzhäuser in Gaispoint auf. Ähnlich wie Wessobrunn war Gaispoint ursprünglich ein Flurname, der in diesem Fall auf eine eingezäunte Ziegenweide (mhd. »geiz« = »Ziege«, »biunde« = »Gehege«) verwies. Das Dorf und auch den Nachbarort Haid sucht man heute jedoch vergeblich auf der Landkarte. Beide Gemeinden erhielten 1853 die amtliche Erlaubnis, den Namen Wessobrunn anzunehmen. Elias war ein Sohn des Bäckers Jakob Zimmermann und dessen Frau Johanna, geb. Huber. Da sein älterer Bruder Augustin als Erstgeborener für die Weiterführung des elterlichen Betriebes bestimmt war, durfte er eine andere Ausbildung wählen und entschied sich für das florierende Baugewerbe. Nach der Lehre verdiente er sich seinen Unterhalt als Maurer, Gipsmeister und Zimmerer.

1679 heiratete er im Alter von 23 Jahren Justina Rohrmoser aus dem 20 km entfernten Dorf Raisting. Dem Paar wurde als erster Sohn Johann Baptist geboren, der am 3. Januar 1680 getauft wurde. Zwei Jahre später erwarb die Familie von Benedikt Walser, dem Mitglied einer Stuckateurenfamilie, um 60 Gulden (fl.) das Anwesen Haus-Nr. 26 in Gaispoint. Es handelte sich um eine Sölde, also ein Holzhaus mit etwas Grundbesitz, auf der man einen Garten, ein paar Obstbäume und Wiesen bewirtschaften und eine Kuh halten konnte. Das Gebäude trug später den Hausnamen »beim Lies« (von »Elias«; das Grundstück, auf dem ein Nachfolgebau steht, hat heute die Adresse Zimmermannstr. 4). Im gleichen Jahr kam die Tochter Maria zur Welt, drei Jahre später, 1685, wurde Dominikus geboren. Der Wessobrunner Pfarrer trug damals ins Taufbuch fälschlich das Datum des 31. Juni ein, so dass man bis heute nicht weiß, ob es sich um den 30. Juni oder den 1. Juli handelte. Dominikus’ Taufpate Thomas Zöpf stammte aus der Verwandtschaft seiner späteren Gattin.

Weitere Geschwister des berühmten Brüderpaares waren Georg (* 1693), der noch als Kleinkind verstarb, Severina (1687–1764), die 1710 den Stuckateur Dominikus Gebhardt heiratete, und Maria Catharina (* 1694), die 1717 mit ihrem Mann, ebenfalls einem Stuckateur, später das Elternhaus übernehmen sollte.

Elias Zimmermann war nachweislich 1688/89 im Pfarrhof Ottobeuren und dessen Priorat Eldern tätig. Er erhielt 1692 als »Gipsmeister« für Stuckarbeiten im Nebengebäude von Schloss Türkheim, das im Besitz Herzog Maximilian Philipps von Bayern war, eine Zahlung. Ein Jahr später arbeitete er zusammen mit Kollegen für den Freiherrn von Westernach im Ostflügel des Schlosses Kronburg bei Memmingen. Von diesen Werken hat sich leider nichts erhalten.

Sein Beruf brachte es mit sich, dass er die Familie oft Anfang des Frühjahrs verlassen musste, um auf fernen Baustellen sein Geld zu verdienen. Erst im Spätherbst, wenn das Wetter nicht mehr mitspielte, kehrte er zurück. In der Winterzeit leistete er dann daheim in seiner Werkstatt Vorarbeiten für die nächste Saison, indem er z. B. mit Hilfe von Modeln Stuckornamentteile auf Vorrat goss, die dann beim nächsten Auftrag als Wand- und Deckenschmuck ihre Verwendung fanden. Die Sorge um die Kinder und die kleine Landwirtschaft blieben indes Aufgabe der Frau. Die Kinder besuchten bis zum Alter von etwa zwölf Jahren den Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen beim örtlichen Schulmeister und in der Religionslehre beim Pfarrvikar. Danach wurden sie ins Arbeitsleben mit eingebunden und traten ihre jeweils gewählte Ausbildung an.

 

Stuckmörtel, ein ideales Material für Dekorationen

Als Stuck (ital. »stucco« = Gipsputz, Stuckarbeit) bezeichnet man die plastische Dekoration aus Mörteln aller Art an Fassaden (z. B. Gesimse) und verputzten Wänden, Gewölben und Decken in Innenräumen. Die Technik zur Herstellung war schon in der Antike bekannt. Anfang des 15. Jhs. hat man das Material in den Ruinen römischer Paläste wiederentdeckt, und so kam Stuck in der italienischen Hochrenaissance wieder in Mode (z. B. bei Raffaels Loggien im Vatikan, ab 1514). Nördlich der Alpen fanden Stuckreliefs erstmals ab 1536 beim Bau der Landshuter Residenz Verwendung. Damals schufen zunächst italienische Stuckateure hochwertiges Stuckdekor in Bayern, bevor sie durch einheimische Meister abgelöst wurden. Eine Hochblüte erlebte dieses Handwerk im Barock und Rokoko (um 1575–um 1770), für deren schwungvolle, kurvige und verspielte Dekorationsformen diese Technik besonders gut geeignet war.

Der dafür benötigte Stuckmörtel ist ein Gemisch aus Sand, Kalk und/oder Gips, dem Wasser zugegeben wird. Er lässt sich in feuchtem Zustand leicht formen und ist nach dem Austrocknen sehr hart. Der frische Stuck wird mittels Schablonen, Spachteln oder mit den Händen modelliert oder in Einzelteilen in Formen gegossen, zusammengesetzt und mit Mörtel, eventuell zusätzlich mit Schrauben, Nägeln und Dübeln, an Wand oder Decke befestigt. Zur Verstärkung dienen beigegebenes Stroh, Tierhaare, Holzkohle (von J. B. Zimmermann benutzt) und Drahtgerüste. Je nach Bedarf variieren die Bestandteile des Materials. Für Flachreliefs im Innern benötigt man lediglich Gips, der mit (Leim-)Wasser angerührt wird; für dickere Schichten und voluminöse plastische Formen setzt man Kalk und Sand zu. Bei Außenwänden wird Kalkstuck verwendet, da Gips nicht wetterfest ist.

Da sich der Stuckmörtel nur in nassem Zustand in Form bringen lässt, brauchte v. a. der Handwerker, der direkt an Ort und Stelle modellierte, wie es bei den Besten im 18. Jh. üblich war, ein sicheres Formgefühl und großes handwerkliches Geschick. Um sorgfältig arbeiten zu können, musste er die Masse möglichst lange geschmeidig halten und die Aushärtezeit verlängern. Im 18. Jh. verwendete man dazu Leimwasser, Milch, Zucker und Pulver aus Eibischwurzeln, aber auch Bier und Wein. Während der dreijährigen Bauzeit der Kirche von Einsiedeln (1724–26) wurden für diesen Zweck allein 57 Eimer Wein verbraucht!

 

 

Tod des Vaters und Weiterführung des Betriebs


Elias Zimmermann starb bereits im Alter von knapp 40 Jahren. Als Vormünder der Kinder wurden der Onkel Augustin Zimmermann und der Klosterverwalter Jonas Schmidt eingesetzt. Die Witwe Justina ging bald eine zweite Ehe ein, da sie die wirtschaftliche Grundlage der Familie sichern musste: Sie heiratete am 28. April 1696 den Stuckateur Christoph Schäffler aus Haid. Aus dieser Ehe entstammte eine Tochter, die am 14. April 1697 getaufte Anna Maria. Schäffler übernahm die Werkstatt von Elias Zimmermann. Den Quellen zufolge war der 26-Jährige ein »erbarer iunger gesöll« und brachte 20 fl. Heiratsgut mit ein. Ein Erbvertrag regelte 1696, dass der elfjährige Dominikus eine Ausbildung »bey einem handtwerckh zu welchem er lust haben wird« bezahlt bekommen und jeder Sohn 15 fl., jede Tochter 25 fl. aus dem Nachlass erhalten solle. Johann Baptist stand mit 16 Jahren wohl gerade am Abschluss seiner Lehre oder befand sich schon auf Wanderschaft. Einige Jahre später sollte er bereits mit seinem Stiefvater in Ottobeuren und Amberg zusammenarbeiten.

Die Tochter Maria Catharina vermählte sich im Januar 1717 mit dem Stuckateur Johann Georg Vogl und wohnte mit ihm nach dem Tod der Mutter, die am 20. Oktober desselben Jahres starb, im Elternhaus. Aus dieser Zeit liegt auch eine Beschreibung des Familiensitzes der Zimmermanns vor. Danach umfasste er »… aine sölden...

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