Kapitel 2 Mainzer Affären – Pariser Umrisse
Joseph von Erthal war kein schwacher Fürst: Als Bischof der mächtigsten Erzdiözese in deutschen Landen verfügte er über enorme Geldmittel. Mainz galt, was Reichtum und Eleganz betraf, gleich nach Wien als zweite Stadt im Reich.[145] Als »Erster« der sieben Kurfürsten, die den Kaiser wählten – als Erzkanzler des Reiches –, war der Mainzer Erzbischof zudem Zünglein an der Waage, wenn die deutschen Kurfürsten den römisch-deutschen Kaiser wählten.[146] Er hatte immensen politischen Einfluss. Georg Forster konnte diese Machtfülle aus nächster Nähe beobachten: Am 14. Juli 1792 – wohl nicht zufällig am dritten Jahrestag des Sturms der Pariser auf die Bastille – krönte der Mainzer Erzbischof den Habsburger Franz Joseph Karl (1768–1835) in Frankfurt am Main zum Nachfolger des verstorbenen Kaiser Leopold II. (1747–1792), der nur zwei Jahre regiert hatte.
Anlässlich des Fürstenkongresses, zu dem Joseph von Erthal nach der Kaiserkrönung einlud, war Georg Forster Zeuge diverser Festlichkeiten in Mainz, wo mit dem frisch gekürten Kaiser Franz II. und Preußenkönig Friedrich Wilhelm II. (1744–1797) die mächtigsten Männer des Reiches zusammentrafen: »Vom frühen Morgen an wimmelten die Straßen von wohlgekleideten Personen, und gegen Mittag war das Gewühl von Kutschen rauschend genug, um einer Hauptstadt den Rang streitig zu machen. Bei Hofe folgten Feste, Schmäuse, Konzerte, Bälle, Erleuchtungen, Feuerwerke …«, notierte Forster.[147] Gleichzeitig registrierte er den Unmut, der sich bei vielen Mainzern gegen die aristokratischen Emigranten richtete, die vor der Französischen Revolution in Scharen nach Mainz geflohen waren und vom Mainzer Fürstbischof hofiert wurden. Wie sehr es in der Stadt gärte, ließ sich schon im Sommer 1791 an der Spaltung der Mainzer Lesegesellschaft ablesen: Unter den politisch Interessierten der Domstadt wollten die einen die französische revolutionäre Presse lesen, die anderen alle aufrührerischen Schriften aus ihrem Zirkel verbannt wissen. Georg Forster, der einen »Umsturz« in Deutschland nach französischem Vorbild für keine glückliche Idee hielt, geriet in immer größere Distanz zum Adel, der »ganz blind vor Wuth« die deutschen Fürsten »zum Kriege gegen Frankreich hetzt«, wie er notierte.[148] Dies umso mehr, als der Mainzer Kurfürst mit seinen aufklärerischen Anwandlungen brach.[149] Joseph von Erthal wurde zu einer der Galionsfiguren im Kampf gegen das revolutionäre Frankreich. Das Manifest des Mainzer Fürstenkongresses vom Sommer 1792, das Paris im Falle eines Angriffs auf die französische Königsfamilie mit exemplarischer Bestrafung drohte, trug denn auch seine Handschrift. Im August 1792 schloss sich der Mainzer Kurfürst der österreichisch-preußischen Koalition gegen Frankreich an und stellte 2000Kurmainzer Soldaten für die monarchische Invasion zur Verfügung, die nur wenige Wochen später – am 20. September 1792 – durch die Kanonade von Valmy gestoppt wurde und zur Proklamation der Französischen Republik führte.[150]
In seiner Rolle als Hofrat und Chef der Universitätsbibliothek hatte Georg Forster seinen Landesherren noch kurz zuvor als »Vater des Vaterlands« und »Beschützer und Wohlthäter der Wissenschaft und Künste« ansprechen müssen.[151] Der Machtwechsel in Mainz nach dem Einzug der Franzosen unter General Custine schaffte diese feudale Buckelei ab. Forster trennte sich von Kniebundhosen, Schuhschnallen und Perücke und wurde citoyen – zum Bürger Forster. Und sein Zuhause, die Neue Universitätsstraße 5, schließlich zur Schaltzentrale der Macht.
Der häufigste Gast in Forsters Haus war seit seinem Einzug 1788 ohne Zweifel Samuel Thomas Soemmerring, der als Junggeselle auch nachbarlich-familiären Anschluss fand. Immerhin war er es gewesen, der Georg Forster 1778 bei seiner Rückkehr nach Deutschland unter seine Fittiche genommen, den 24-jährigen Jungprofessor am Kasseler Collegium Carolinum bei den Freimaurern eingeführt und als Direktor des örtlichen Rosenkreuzerzirkels auch für alchemistische Experimente begeistert hatte. Tatsächlich vereinten die Freunde auch gemeinsame Irrwege, wie ihre mit großer Ernsthaftigkeit betriebenen Versuche, die »göttliche Ursubstanz« zu finden und Gold herzustellen.[152]
Neue Universitätsstraße 5: die Adresse der Familie Forster in Mainz, Schaltzentrale der Revolution und Treffpunkt deutscher Geistesgrößen – Männer und Frauen. © Johanna Hoppe
Sosehr Forsters Weg nach Mainz nicht zuletzt durch die Aussicht motiviert war, nach drei mageren Professorenjahren im litauischen Wilna wieder mit Soemmerring vereint zu sein, der es inzwischen am Rhein zum Leibarzt des Mainzer Kurfürsten und Chef der Medizinischen Fakultät gebracht hatte, so klafften die Weltbilder der beiden Freunde immer entschiedener auseinander. Schon die Debatte um die Natur des Menschen hatte Unterschiede in der Haltung aufscheinen lassen. Die Französische Revolution aber, die Freiheit und Gleichheit zur politischen Tagesforderung erhob, musste die Diskussion zwischen den Freunden noch erheblich anfachen. Wie lautstark die Wortwechsel im Hause Forster (oder nebenan: bei Soemmerring) in den Tagen der Mainzer Republik geführt wurden, kann man nur erahnen. Gut möglich, dass Soemmerring den politisch so engagierten Georg Forster nicht nur in seinen Briefen einen »Narren« schimpfte. Und Forster dem Leibarzt des gestürzten Herrschers umgekehrt ein »Wes Brot ich eß, des Lied ich sing« an den Kopf warf, als der sich von ihm verabschiedete, um aus dem belagerten Mainz ins nahe Frankfurt – in die Hochburg der deutschen Koalitionstruppen – zu entkommen. Verrat? Es ist nicht bezeugt, dass dieses Wort unter den Freunden fiel. Jedenfalls schickte Forster dem langjährigen Vertrauten ein prinzipielles Wort hinterher:
»Ich habe mich für eine Sache entschieden, der ich meine Privatruhe, meine Studien, mein häusliches Glück, vielleicht meine Gesundheit, mein ganzes Vermögen, vielleicht mein Leben aufopfern muß. Ich lasse aber ruhig über mich ergehen, was kommt, weil es als Folge einmal angenommener und noch bewährt gefundener Grundsätze unvermeidlich ist.«[153]
Georg Forster auf einem Stich nach einem Gemälde des Schweizer Malers Anton Graff, der Forster im Mai 1784 in Dresden porträtierte. © GDKE Rheinland-Pfalz / Landesmuseum Mainz, Ursula Rudischer
Einsam wurde es nicht im Forster-Haus, als Soemmerring die belagerte Stadt verließ – im Gegenteil: In den Tagen der Mainzer Republik wurden hier die Sitzungen des Jakobinerklubs vorbereitet und Redaktionssitzungen der Neuen Mainzer Zeitung abgehalten. Als Georg Forster zudem das Amt des Vizepräsidenten der provisorischen Administration des Landes übernahm, gaben sich Bürger, Bauern und Beamte in der Neuen Universitätsstraße 5 die Klinke in die Hand.
Dass die allabendlichen »Theestunden« im Hause Forster die geistreichste Institution von Mainz waren, hatte sich indes schon seit Forsters Ankunft herumgesprochen und rasch in ganz Deutschland verbreitet. Zu den illustren Gästen, die Forster in Mainz besuchten, gehörte als einer der ersten Wilhelm von Humboldt, der im Dezember 1788 aus seinem Studienort Göttingen anreiste. Mit Forster teilte er das Interesse an Sprachen – für das Litauische etwa, das sich Humboldt mit eiserner Disziplin aus Wörterbüchern einpaukte, während Forster noch die eine oder andere Redewendung im Gedächtnis hatte, die er als Professor an der Universität von Wilna aufgeschnappt hatte. Geradezu ins Schwärmen gerieten Wilhelm von Humboldt und der 13 Jahre ältere Forster, sobald sie auf das indische Sanskrit zu sprechen kamen, dessen Entzifferung sich Humboldt vorgenommen hatte.[154]
Sitzung der im Oktober 1792 in Mainz gegründeten Gesellschaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit, kurz: Mainzer Jacobinerklub
Forster fing so sehr Feuer, dass er sich bald darauf an die Übertragung des mittelalterlichen indischen Liebesdramas Sakontala aus dem Englischen ins Deutsche machte, was ihm – wohl zur eigenen Überraschung – enthusiastische Lobeshymnen der Dichterfürsten Goethe und Herder einbrachte.[155]
Mit Forsters Frau Therese dagegen beobachtete Wilhelm von Humboldt das funkelnde Sternenmeer am klaren Winterhimmel über dem Rhein. Die beiden kannten sich schon aus Göttingen, wo Humboldt bei Thereses Vater, Christian Gottlob Heyne, klassische Philologie studiert hatte. Nach und nach war so eine Nähe entstanden, die wohl recht unterschiedliche Gefühle auslöste. Suchte Therese ein mitfühlendes Herz, dem sie in aller Diskretion mitteilen konnte, was sie für die Schattenseiten ihrer Ehe hielt – Forsters ungenügendes Feingefühl, seine distanzierte Kühle, die Zweifel an der Stärke seiner Liebe zu ihr[156] –, so loderten im Seelentröster Humboldt begehrlichere Emotionen auf, wie er seinem Tagebuch anvertraute: »O! ich muss Deiner hier gedenken, Therese! Ich sass neben Dir auf dem Sofa, ich ergriff Deine Hand in der Fülle der Empfindung, ich küsste sie. Du gabst sie nicht, ich musste sie...