Kapitel 3
Jupps Trainerzeit
So erfolgsverwöhnt der Spieler Jupp Heynckes ist, so steinig ist der Anfang als Trainer. Bis er seine ersten Trainererfolge feiern kann und schließlich vom Nimbus des Großmeisters und gelassenen Gentlemans umgeben ist, ist es noch ein langer Weg. Doch wie Heynckes immer wieder betont, gehört es zu seinem Charakter, aus Enttäuschungen Motivation zu ziehen.
Und davon gibt es auf seiner langen Trainerlaufbahn weiß Gott genug. Immer wieder weht ihm auch vonseiten der Spieler und der Medien steifer Gegenwind um die Nase. Von vielen Spielern wird er als Schleifer gefürchtet, von manch anderem als inkompetent und stur, ja sogar als Unterdrücker bezeichnet. Das wird sich zwar im Laufe der Jahre wandeln, aber eines stimmt ganz sicher: Der Trainer Jupp Heynckes ist nicht leicht zu durchschauen und nur schwer einzuschätzen. Er lässt sich nicht gern in die Karten blicken. Kein Wunder, schließlich will Heynckes gewinnen. Immer und um jeden Preis. Das macht es seinen Spielern nicht immer einfach. Doch schlussendlich wird ihm der Erfolg recht geben.
Cheftrainer auf dem Bökelberg
Seinen ersten Trainerposten bekommt er 1978 bei seiner geliebten Borussia. Als Assistent von Udo Lattek kann er ein Jahr lang von dem routinierten Trainer lernen, bevor er die Fohlen als Cheftrainer übernehmen soll.
Und so viel sei vorneweg gesagt: Es ist kein leichtes Erbe, das Heynckes da antritt. Nach zehn Jahren Spitzenfußball, sowohl in der Bundesliga als auch auf dem internationalen Parkett, sind die Erwartungen hoch. Außerdem rückt er früher als geplant auf den Posten des Cheftrainers. Eigentlich ist es mit Gladbach-Manager Grashoff so abgesprochen, dass Heynckes erst 1980 die sportliche Verantwortung bei der Borussia übernehmen soll. Als Udo Lattek davon erfährt, kommt es zum Streit. Dass er schon bald von einem Trainer-Grünschnabel wie Jupp Heynckes ersetzt werden soll, schmeckt Alphawolf Lattek überhaupt nicht. Daher zieht er nach der ersten gemeinsamen Saison mit Heynckes die Reißleine und wechselt nach München.
Als Jupp Heynckes in der Saison 1979/80 mit gerade einmal 34 Jahren zum Cheftrainer der Fohlen-Elf befördert wird, ist er der damals jüngste Coach der Bundesliga. Passenderweise trainiert er auch die jüngste Elf der damaligen Zeit und mausert sich entgegen einiger kritischer Stimmen schon bald zu »dem« Trainertalent schlechthin. Dabei fordert er eine hohe Disziplin von seinen Spielern, lässt sie viel Ausdauertraining absolvieren und tritt innerhalb der Mannschaft sehr autoritär auf. Der Spaß am Fußball weicht immer mehr dem Erfolgsdruck. Seine Arbeit bereitet ihm dennoch Freude, doch das Trainerdasein ist etwas ganz anderes als das unbeschwerte Spielerleben.
Jupp Heynckes hat große Visionen und legt auch als Trainer einen einzigartigen Ehrgeiz an den Tag. Er will die Borussia wieder zu einer Spitzenmannschaft machen, nachdem sie in der Vorsaison trotz UEFA-Cup-Triumph gegen Belgrad in der Liga nur Zehnter wurde. Dabei kommt es Heynckes zugute, dass er sich schon als Spieler viele Gedanken über das Trainergeschäft gemacht hat. Schon früh ist ihm aufgefallen, was vielen Trainern fehlt: Sie waren zwar fachlich top, vernachlässigten in seinen Augen aber die persönliche Beziehung zu den Spielern.
»Technik und Taktik sind zweitrangig, wenn man gute Spieler hat«, bringt Heynckes seine Philosophie auf den Punkt.16
In seinem Umgang mit den Spielern legt er großen Wert auf Zuwendung und Verständnis. Und doch verlangt er ihnen auf dem Platz viel ab und gilt bei vielen seiner Spieler als angespannter und pedantischer Schleifer. Dazu kommt dann noch seine berühmt-berüchtigte Dünnhäutigkeit, die ihm innerhalb der Mannschaft schnell den Spitznamen »Osram« einbringt. Wie die gleichnamige Glühbirne fängt auch Jupp Heynckes’ Kopf oft wie auf Knopfdruck an zu strahlen. In Drucksituationen schießt ihm schnell das Blut bis in die Ohren.
Als seinem Spieler Wolfram Wuttke dieser Spitzname einem Reporter gegenüber herausrutscht, greift die Sportpresse ihn umgehend auf. Der Spitzname verbreitet sich in Windeseile, und Heynckes ist von da an in ganz Fußballdeutschland als »Osram« bekannt. Schnell wird der Spitzname zum gern benutzten Angriffspunkt seiner Kritiker. Heute schießt dem routinierten Triple-Trainer nicht mehr so schnell das Blut in den Kopf, doch in seinen ersten Trainerjahren sieht man ihn oft mit knallroter Birne am Spielfeldrand oder bei Pressekonferenzen. Dies geht aber nicht, wie viele vermuten, auf eine cholerische Ader des jungen Coachs zurück. Vielmehr muss Heynckes noch lernen, dass er als Cheftrainer auf einmal im Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit steht.
Heynckes kann sein Versprechen wahr machen: In den acht Jahren als Cheftrainer auf dem Bökelberg kann er zwar nicht an den großartigen Erfolg der legendären Fohlen-Elf der Siebziger anknüpfen. Trotzdem gelingt es ihm, aus seiner jungen Mannschaft eine sehr solide Truppe zu formen, die sich meist im oberen Tabellendrittel aufhält. Ja, manchmal erinnert sie mit ihrem leidenschaftlichen Konterfußball sogar ein bisschen an die große Fohlen-Elf mit Günter Netzer, Berti Vogts und Jupp Heynckes. Fünf Mal kann sich die Elf unter Jupp Heynckes für den UEFA-Cup qualifizieren, zwei Mal soll der Kampf um den begehrten Pokal sogar eine richtig enge Kiste werden.
Und das, obwohl Heynckes die Borussia in einer heiklen Umbruchphase übernimmt. Nachdem sich mit Wimmer, Bonhof und Heynckes selbst schon in der Vorsaison drei wichtige Leistungsträger vom Bökelberg verabschiedet haben, verlassen zu allem Überfluss ein Jahr später auch noch Torhüter Wolfgang Kleff, Berti Vogts und die beiden Offensivspieler Simonsen und Köppel den Verein. Heynckes muss fast die ganze Mannschaft ersetzen. In beeindruckend kurzer Zeit gelingt es ihm, aus einer Truppe junger Talente eine Mannschaft zu schmieden, die europaweit ganz vorne mitspielen kann. Spieler wie Norbert Ringels, Calle Del’Haye und vor allem auch der junge Lothar Matthäus schlagen in Gladbach ein wie die sprichwörtliche Bombe und versetzen den Bökelberg in Begeisterung. Der langjährige Stürmer der Borussia, der jetzt auf der Trainerbank sitzt, ist über die Jahre zu einer Galionsfigur des Vereins geworden. Als Trainer wird er schnell zum Publikumsliebling. Heynckes liebt den Bökelberg, und die Fans lieben ihren Jupp.
Nur die Spieler haben manchmal ihre Mühe mit dem neuen Trainer. Einerseits lernen sie viel von dem stillen Heynckes, der den Fußball so gut kennt wie kaum ein anderer. Andererseits kann aus dem stillen Trainer auch schnell ein bedrohlich brodelnder Vulkan werden, wenn es mal nicht so läuft mit seiner Mannschaft.
Auch wenn sich Heynckes sehr ins Zeug legt und mit vollem Herzblut dabei ist, bleibt die Borussia langfristig ein vergleichsweise kleiner Club, der nicht mit den größeren und vor allem finanziell besser aufgestellten Mannschaften aus Stuttgart, Hamburg oder München konkurrieren kann. Dazu kommt die Tatsache, dass Heynckes’ Club zwar Kultstatus genießt, aber ganzheitlich betrachtet doch mehr Ausbildungsverein als Titelanwärter ist. Wie schon zu seiner aktiven Zeit muss die Borussia oft ihre besten Spieler abgeben, da sie mit den verlockenden Angeboten der großen Clubs nicht mithalten kann. In den 1970ern geht insbesondere Real Madrid gerne am Bökelberg auf Shopping-Tour und kauft den Borussen die Leistungsträger weg. Heynckes ist zwar neben seiner Trainertätigkeit auch ein Top-Talentscout und holt immer wieder gute neue Spieler auf den Bökelberg, doch meist kann er sie nicht auf Dauer an seinen Verein binden.
Das Paradebeispiel ist die Verpflichtung des Ausnahmefußballers Lothar Matthäus. Als Heynckes ihn 1979 entdeckt, ist er noch Udo Latteks Co-Trainer. Auf den Tipp eines Sponsors hin entscheidet sich Heynckes, nach Herzogenaurauch zu fliegen, um sich diesen Matthäus einmal persönlich anzusehen. Der junge Franke spielt an diesem Tag gleich zweimal. Einmal für die A-Jugend und dann noch einmal am Nachmittag in der Verbandsliga. In beiden Spielen ist er der herausragende Mann, erzielt jeweils zwei Tore und hinterlässt einen extrem positiven Eindruck bei Heynckes. Darum ruft er auch noch direkt aus Herzogenaurauch bei Gladbach-Manager Grashoff an und drängt ihn, Matthäus um jeden Preis an den Bökelberg zu holen. Am nächsten Tag schon kann sich der junge Mittelfeldmann dem kritischen Blick Udo Latteks präsentieren. Wie Heynckes bereits vermutet hat, ist der Borussia-Coach sofort hellauf begeistert, und Matthäus unterschreibt sogleich einen Dreijahresvertrag.
Im Nachhinein wünscht sich Heynckes, die Borussia hätte Lothar Matthäus damals einen Zehnjahresvertrag gegeben. Schnell entwickelt sich zwischen dem Talent und seinem Entdecker eine enge Beziehung. Es ist ein echtes Vater-Sohn-Verhältnis, und Matthäus avanciert in kurzer Zeit zum absoluten Leistungsträger der Mannschaft. Nicht zuletzt, weil ihm Heynckes viel Vertrauen entgegenbringt und ihm auch in schwierigen Zeiten immer wieder den Rücken stärkt.
Matthäus ist bei seinem Transfer zu Gladbach erst 18 Jahre alt. Fußballerisch überzeugt er von Anfang an, doch abseits des Platzes hat er immer wieder Schwierigkeiten. Das bringt dem Talent zuweilen heftige Kritik ein. Zum Beispiel von Bundestrainer Jupp Derwall, der Matthäus wegen seines großen Mundwerks kritisiert. Oder auch von Berti Vogts, der Matthäus schon früh unvorteilhafte Starallüren attestiert.
Auch in persönlichen Krisen ist Heynckes für seinen Schützling da. Etwa als ihm Freundin Silvia den Laufpass gibt und Matthäus unter schwerem...