Kapitel 4 Lernen und Erziehen bei Vorschulkindern (S. 18-19)
Die wichtigsten Voraussetzungen für erfolgreiches Lernen sind angeborene Neugier, körperliches und seelisches Wohlbefinden, Freude am Lernen und eine anregende Umgebung. Ein Kind benötigt also Liebe und Geborgenheit, damit es gut lernen kann. Sonst verliert es sein naturgegebenes Interesse an der Umwelt und wird passiv. Gleichzeitig hängt Lernen von entwicklungsspezifischen Fähigkeiten ab, die erst herangereift sein müssen, bevor Lernen effektiv stattfinden kann. Das Kind sucht sich dann aus der Vielzahl der Angebote intuitiv diejenigen heraus, die seinen aktuellen Interessen entsprechen. Dieser Prozess hat sich über die lange Dauer der menschlichen Evolution optimiert und funktioniert umso besser, je passender dem Kind die seinem Entwicklungsstand angemessenen Erfahrungsmöglichkeiten angeboten werden. Es dauert z. B. bis zum Alter von 5 Jahren, bis das Kind im Spiel beim Hantieren mit Bausteinen die zwei Raumrichtungen vertikal (in die Höhe) und horizontal (in die Breite) miteinander verbindet. Erst dann ist ein Kind in der Lage, mit Bausteinen Treppen, Häuser, Schuppen, Fahrzeuge usw. nachzubauen. Man sollte sich also davor hüten, ein Kind, dessen Interesse darin besteht, Behälter ein- und auszuräumen, was im Alter von 9 bis 15 Monaten eine beliebte Beschäftigung ist, bereits dahingehend zu „fördern“, zweidimensionale Bauten zu errichten. Solch eine, sicherlich gut gemeinte „Förderung“ bedeutet für das Kind eine Überforderung und vermittelt ihm Gefühle der Unlust und der Frustration. Diese missliebigen Gefühle wiederum verhindern weitere Lernfortschritte und lassen das Kind in seiner Entwicklung eher stagnieren. Gute Förderung besteht darin, dem Kind zu helfen, die anstehenden Aufgaben selber zu bewältigen. Je höher der mit dem Lernen verbundene Lustgewinn, desto höher ist auch die innere Bereitschaft des Kindes zum Lernen. Die Selbstbestimmung und Eigenkontrolle beim Lernen führen zu bleibenden Erfahrungen beim Kind. Deshalb sollten dem Kind keine Aufgaben abgenommen werden, die es selber bewältigen kann. Dies führt zu Enttäuschung und Unselbstständigkeit und dem Gefühl, inkompetent und unbeholfen zu sein. Hierunter leiden das Selbstbewusstsein, das Selbstwertgefühl und die Selbstständigkeit des Kindes sehr. Das Kind wird unsicher, traut sich nichts zu und entwickelt Ängste. Die Förderung des Kindes erfordert viel Geduld und gute Beobachtung der kindlichen Entwicklung. Reifungsbedingt noch nicht vorhandene Fähigkeiten können durch Üben nicht geschaffen oder gar erzwungen werden. Ein erstes Zahlenverständnis z. B. entwickelt ein Kind erst im Alter von 3 bis 3½ Jahren, und erst mit 7 Jahren ist das Zahlenverständnis voll entwickelt.
Ein Kind lernt nicht den Eltern zuliebe oder im Hinblick auf einen späteren Nutzen oder Wissenserwerb durch das Gelernte, sondern das Kind lernt aus Lust am Lernen, also um des Lernens willen und weil ihm Lernen Spaß bereitet. Zum Beispiel bewegen sich Vorschulkinder gerne, um ihre motorischen Fertigkeiten immer weiter zu entwickeln. Der wichtigste Beitrag, den Eltern und Beziehungspersonen für die Entwicklung und das Selbstwertgefühls eines Kindes leisten können, ist, ihm die notwenige Geborgenheit und Zuwendung zu geben und es als Person (nicht als Leistungsträger!) vorbehaltlos zu akzeptieren.
Insgesamt gibt es drei Formen kindlichen Lernens:
1. durch Imitation, auch soziales Lernen genannt,
2. im Umgang mit den Dingen der Umwelt, objektorientiertes Lernen genannt und
3. durch Unterweisung/Unterrichtung (Schulung durch Erwachsene).
Der Schwerpunkt des Lernens im Vorschulalter liegt auf (1) und (2) und weniger auf (3). Die Aufgabe der Eltern und der übrigen Bezugspersonen des Kindes besteht folglich vor allem darin, Vorbild zu sein und dem Kind die Bedingungen für das Lernen dem Entwicklungsstand entsprechend optimal zu gestalten und das Kind in den Bereichen zu unterrichten, für die es Interesse zeigt.
4.1 Erziehungsstil
Die Erziehung von (Vorschul-)Kindern kann über verschiedene Ansätze erfolgen. Die autoritäre Erziehung geht davon aus, dass das Kind schlecht auf die Welt kommt: Die schlechten Seiten seines Wesens müssen ihm ausgetrieben und gute anerzogen werden. Die Erziehung baut auf Gehorsam auf, der durch Zwang und sogar Gewalt erreicht wird. Der Wille des Kindes muss gebrochen werden, damit das Kind die Autorität des Erwachsenen vorbehaltlos anerkennt. Bestrafungen dienen dazu, dass Kind zu kontrollieren. Die negativen Folgen solch eines Erziehungsstils sind:
1. das Kind gehorcht nicht aus sich heraus, sondern aus Angst vor der Autorität,
2. es ist gehemmt in der Entfaltung seiner Fähigkeiten,
3. es ist nicht konflikt- und kritikfähig,
4. es ist fremdbestimmt,
5. es entwickelt ein schwaches Selbstwertgefühl.
Die autoritäre Erziehung berücksichtigt nicht, dass ein Kind biologisch darauf angelegt ist zu gehorchen. Es bindet sich an vertraute Personen, wodurch es innerlich bereit ist, sich auf Bezugspersonen auszurichten. Die antiautoritäre Erziehung definiert sich genau durch das Gegenteil: Das Kind ist von Geburt an gut und wird durch Erziehung und Regeln „verdorben“. Hier wird ebenfalls nicht berücksichtigt, dass ein Kind biologisch darauf angelegt ist zu gehorchen und daher Regel zur Orientierung braucht. Eine angeborene Unterscheidung von richtig und falsch existiert zudem nicht.
Das Fit-Misfit-Konzept beschreibt einen Mittelweg: Das Kind wird weder gut noch schlecht geboren. Es orientiert sich in seinem zwischenmenschlichen Verhalten und in seinen Wertvorstellungen an seinen Vorbildern. Das Kind macht den Erwachsenen zu seiner natürlichen Autorität, indem es sich an ihn bindet. Es lässt sich aus dieser emotionalen Abhängigkeit herausführen. Freiheit im Sinne von Selbstbestimmung kann es nur in dem Maße geben, in dem das Kind auch kompetent ist.
4.2 Förderung elterlicher Erziehungskompetenzen
Für den Erfolg eines Gewichtsreduktionsprogramms für Vorschulkinder kommt den Eltern mit ihrer Vorbild-, Motivierungs- und Unterstützungsfunktion eine entscheidende Rolle zu. Um dies realisieren zu können, stellt eine positive Eltern- Kind-Interaktion eine grundlegende Voraussetzung dar.