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E-Book

Würde

Was uns stark macht - als Einzelne und als Gesellschaft

AutorGerald Hüther
VerlagKnaus
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783641219208
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Wir alle wollen in Würde sterben, aber sollten wir nicht erst einmal in Würde leben?
»Unsere Würde zu entdecken, also das zutiefst Menschliche in uns, ist die zentrale Aufgabe im 21. Jahrhundert«, sagt der Neurobiologe Gerald Hüther. Ohne diesen inneren Kompass laufen wir in einer zunehmend komplexer werdenden und von ökonomischen Kriterien bestimmten Welt Gefahr, die Orientierung zu verlieren. In diesem sehr persönlichen Buch zeigt Gerald Hüther, wie wir unsere Würde zurückgewinnen.



Prof. Dr. Gerald Hüther, geb. 1951, gehört zu den renommiertesten Entwicklungsbiologen und Hirnforschern Deutschlands. Der Vorstand der Akademie für Potentialentfaltung schreibt Sachbücher, hält Vorträge, berät Politiker und Unternehmer und ist häufiger Gesprächsgast in Rundfunk und Fernsehen. Er versteht sich als Brückenbauer zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und gesellschaftlicher bzw. individueller Lebenspraxis mit dem Ziel, günstige Voraussetzungen für die Entfaltung der menschlichen Potentiale zu schaffen. Ein besonderes Anliegen ist dem dreifachen Vater, neue Wege anzustoßen, wie wir Kindern ihre angeborene Begeisterung fürs Lernen erhalten können. Hüther ist Autor mehrerer Bestseller, darunter »Jedes Kind ist hoch begabt« (mit Uli Hauser), »Würde: Was uns stark macht - als Einzelne und als Gesellschaft« und »Raus aus der Demenz-Falle! Wie es gelingen kann, die Selbstheilungskräfte des Gehirns rechtzeitig zu aktivieren«.

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Leseprobe

IN DIESEM BUCH erfahren Sie nicht, wie Sie noch schöner und noch erfolgreicher werden. Auch nicht, wie Sie es schaffen können, in noch kürzerer Zeit noch besser zu leben. Es verspricht keine sieben Geheimnisse des, keine acht Schritte zu, keine Formel für. Dieses Buch passt nicht in unsere heutige, von Effizienzdenken und Erfolgsstreben geprägte Zeit. Es mag viele Argumente dafür geben, dass es im Leben um Geld und Macht und den eigenen Vorteil geht. Wer noch immer von der Richtigkeit dieses Denkansatzes überzeugt ist, sollte dieses Buch lieber jetzt schon beiseitelegen. Es wird in seinem Hirn nur Verwirrung stiften, denn die Wiederentdeckung des Gefühls oder gar die Bewusstwerdung der eigenen Würde ist mit dem, was dieses Streben nach Anerkennung und Erfolg den Menschen abverlangt, unvereinbar. Und genau darum geht es in diesem Buch.

Woran wollen wir uns orientieren bei dem, was wir denken, sagen und tun?

Woran wollen wir uns orientieren bei dem, was wir denken, sagen und tun? An dem, was wir vorfinden, weil es sich in dieser Weise bisher so entwickelt hat, oder an dem, wie es sein müsste, damit wir das, was uns als Menschen ausmacht, bewahren und weiterentwickeln können?

Die Ansammlung von immer mehr Wissen hat uns bei der Suche nach Antworten auf diese wichtige Frage nicht so recht weitergebracht. Wir wissen längst, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Aber auch wenn dieses Wissen nicht einfach nur von anderen übernommen, sondern durch Nachdenken aus einer eigenen Erkenntnis gewonnen wird, hat das, was wir dann erkannt haben, meist keine unmittelbaren Auswirkungen auf unser Handeln. Wie viele Menschen haben erkannt, dass so vieles, was sie tun, nicht dazu beiträgt, gesund zu bleiben, glücklich zu werden und ihre Talente und Begabungen zu entfalten! Aber etwas erkannt zu haben, heißt nicht, dass es uns auch wirklich berührt. Und wenn es uns nicht berührt, ändert sich auch nichts im Hirn. Ganz anders ist es, sobald wir etwas nicht nur wissen oder erkennen, sondern wirklich zu verstehen beginnen. Dann dringt dieses nun gewonnene Verständnis in alle Fasern unseres Seins. Es geht unter die Haut, macht uns wach und berührt uns, weil es mit einer Aktivierung der emotionalen Bereiche in unserem Gehirn einhergeht. Wer irgendwann verstanden hat, was ihm in seinem Leben wirklich wichtig ist, kann nicht mehr länger so weiterleben wie bisher. Deshalb verspricht dieses Buch nicht noch mehr Wissen darüber, was die Würde des Menschen ausmacht. Darüber ist genug geschrieben worden. Es geht auch nicht um eine neue Erkenntnis über das, was ein würdeloses Leben bedeutet. Es geht um ein tiefes Verständnis des Umstandes, dass wir als Menschen, jede und jeder Einzelne von uns, ohne uns dessen bewusst zu sein, dabei sind, genau das zu verlieren, was uns ausmacht: unsere Würde.

Wenn Sie jetzt noch Lust haben, weiterzulesen, kann es sein, dass Sie im Verlauf dieses kurzen Buches genau das wiederentdecken: das Gefühl und das Bewusstsein für Ihre eigene Würde.

Wenn das Leben, vor allem das Zusammenleben mit anderen immer komplizierter wird und vieles von dem, was in der Welt geschieht, kaum noch verstehbar und erst recht nicht mehr durch eigenes Handeln beeinflussbar ist, breitet sich in jeder Gesellschaft eine zunehmende Verunsicherung aus. Ratlos suchen dann immer mehr Menschen nach Halt und Orientierung. Und viele sind bereit, jenen zu glauben und zu folgen, die zu wissen meinen und lauthals verkünden, worauf es in schwierigen Zeiten ankommt. Solche Phasen allgemeiner Verunsicherung sind Umbruchphasen einer Gesellschaft. Geschickten Demagogen bieten sie die Chance, sich mit ihren einfachen Rezepten als Wiederhersteller einer verloren gegangenen Ordnung feiern und zu Anführern wählen zu lassen. Wissenschaftlich heißt das, worum es dabei geht, Komplexitätsreduktion. Die Übernahme der Macht durch einen neuen Leithammel ist zwar eine sehr alte, ursprünglich von Herdentieren entwickelte Strategie, um wieder Ordnung in eine aufgescheuchte Meute zu bringen, aber wir Menschen nutzen eine Vielfalt an Strategien zur Komplexitätsreduktion, von denen Schafe und Büffel noch nicht einmal zu träumen imstande sind. Zum Beispiel können wir den Kopf in den Sand stecken und so tun, als sei alles in Ordnung. Das machen wir dann aber nicht gleich so offensichtlich wie der Vogel Strauß, sondern ganz unauffällig auf dem Sofa vor dem Fernseher, beim Shoppen oder Surfen oder im Stadion beim Heimspiel unserer Fußballmannschaft. Verdrängung, Ablenkung, künstliche Aufregung und neuerdings auch das Abtauchen in virtuelle Welten – all das sind uns Menschen zur Verfügung stehende Möglichkeiten, um das Leben wieder einfacher und überschaubarer zu machen, wenn es zu kompliziert zu werden droht. Dazu zählen auch alle Versuche derjenigen, die hoffen, ihr Leben werde überschaubarer, bequemer und unkomplizierter, wenn sie sich endlich in eine einflussreiche Position emporgearbeitet haben, wenn sie genug Geld verdienen und sich nun nicht mehr mit all dem komplizierten Kleinkram des alltäglichen Lebens befassen müssen, weil sie Leute dafür bezahlen können, die das für sie erledigen.

Im Gegensatz zu den Tieren verfügen wir Menschen also über sehr viele verschiedene Möglichkeiten zur Komplexitätsreduktion. Das liegt daran, dass unser menschliches Gehirn so offen für alles ist, was es dort draußen in der Welt wahrzunehmen, zu verarbeiten und zu tun gibt. Und dass dieses Gehirn nur dann eine bestimmte Leistung hervorbringen kann, wenn dort oben einigermaßen Ordnung herrscht. Sonst würden wir im Chaos unserer Wahrnehmungen und unserer Gedanken versinken. Deshalb ist Komplexitätsreduktion eine entscheidende Voraussetzung für ein einigermaßen funktionierendes Hirn. Aber nicht alles, was wir dabei als Lösung finden, erweist sich auch langfristig als tragfähig. Denn mit der Wahl eines neuen Anführers oder durch die Verengung des eigenen Blickfelds, durch Verdrängung und Ablenkung, durch das Abtauchen in virtuelle Welten oder das Streben nach Macht, Einfluss oder Reichtum werden das Leben und das Zusammenleben von Menschen ja nicht wirklich einfacher. Im Gegenteil, je mehr Leute das versuchen, desto heftiger kommen sie sich dabei über kurz oder lang ins Gehege, und dann wird es immer komplizierter.

So geht es also nicht. Wenn das Durcheinander in einer Gesellschaft und in den Köpfen der Menschen immer größer wird, hält das irgendwann auch das beste Hirn nicht aus. Zu viel Durcheinander im Hirn verbraucht zu viel Energie. Schon im Ruhezustand, also immer dann, wenn wir flach auf dem Rücken liegen und gar nichts denken, saugt das Hirn etwa zwanzig Prozent der vom Körper bereitgestellten Energie in Form von Glukose weg. Sobald wir die Augen öffnen, zu denken anfangen oder gar ein Problem haben, steigt dieser Energiebedarf massiv an. Und wenn es womöglich sogar viele Probleme sind, die sich kaum noch lösen lassen, bricht die normalerweise im Hirn herrschende Ordnung schnell zusammen. Dann funkt dort alles kreuz und quer, und der Energieverbrauch steigt so stark an, dass das nun auch im Körper als unangenehmes Gefühl spürbar wird. Spätestens dann fangen wir an, nach etwas zu suchen, das im Gehirn das Durcheinander abstellt und diesen viel zu hohen Energieverbrauch wieder normalisiert. Was also tatsächlich hinter unseren Bemühungen steckt, wieder einigermaßen für Ordnung im Hirn zu sorgen, ist nur vordergründig der Versuch zur Komplexitätsreduktion. Was wirklich dahintersteckt, beschreibt der zweite Hauptsatz der Thermodynamik. Dieses physikalische Grundgesetz lässt nicht allzu viele Möglichkeiten zu: Entweder gelingt es, die zur Aufrechterhaltung einer komplexen Struktur erforderliche Energiemenge zu minimieren, oder das ganze bisher aufgebaute Gebilde zerfällt in seine Einzelteile. Und dann verteilt sich die darin enthaltene Energie wieder gleichmäßig im Universum. Daran kann auch ein menschliches Gehirn nicht vorbei, ebenso wenig wie eine menschliche Gemeinschaft.

Bisher haben wir aber noch keine Antwort auf die Frage gefunden, wie es uns gelingen kann, die zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und Struktur unseres Gehirns und unserer menschlichen Gemeinschaft erforderliche Energie nicht nur kurzfristig, sondern dauerhaft zu minimieren. Was unsere Vorfahren auf der Suche nach einer Lösung für dieses Grundproblem ihrer Existenz alles versucht haben, lässt sich in den Geschichtsbüchern nachlesen. Es wurde tausendmal probiert, und tausendmal ist nichts passiert. Im Gegenteil! Unser Energieverbrauch ist ständig angestiegen. Noch nie hat ein einzelner Mensch im Durchschnitt – wie auch die Menschheit insgesamt – so viel Energieressourcen verbraucht wie heute. Noch nie hat sich das energieaufwendige Durcheinander in den Köpfen der meisten Menschen und in ihrem Zusammenleben so rasch ausgebreitet wie in den letzten Jahrzehnten. Alle ahnen, dass das so nicht mehr lange gutgehen kann, aber eine tragfähige Lösung ist nicht in Sicht. So, wie es bisher immer wieder versucht worden ist, also mit der Einsetzung eines neuen, für Ordnung sorgenden Anführers, geht es nicht.

Viele haben versucht und versuchen bis heute, anderen zu erklären, wie es gehen könnte. Dabei wurde und wird an deren Gewissen appelliert, an Werte und Normen erinnert, Druck gemacht, Gesetze erlassen und Regeln festgelegt. Es hat nichts genützt. Wir stürzen von einer Krise in die nächste, verbrauchen immer mehr Energie, plündern die natürlichen Ressourcen unseres Planeten und haben keine Ahnung, wie irgendeine Ordnung in das von uns angerichtete Durcheinander kommen soll. Stattdessen machen sich die Ersten fertig für einen Flug zum Mars.

Irgendwie, so scheint es, haben wir die Orientierung verloren. Verantwortlich dafür...

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