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E-Book

Wie Demokratien sterben

Und was wir dagegen tun können

AutorDaniel Ziblatt, Steven Levitsky
VerlagDeutsche Verlags-Anstalt
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783641222918
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
»Das wichtigste Buch der Trump-Ära« The Economist
Ausgezeichnet mit dem NDR Kultur Sachbuchpreis als bestes Sachbuch des Jahres

Demokratien sterben mit einem Knall oder mit einem Wimmern. Der Knall, also das oft gewaltsame Ende einer Demokratie durch einen Putsch, einen Krieg oder eine Revolution, ist spektakulärer. Doch das Dahinsiechen einer Demokratie, das Sterben mit einem Wimmern, ist alltäglicher - und gefährlicher, weil die Bürger meist erst aufwachen, wenn es zu spät ist. In ihrem mehrfach preisgekrönten Bestseller zeigen die beiden Politologen Steven Levitsky und Daniel Ziblatt, woran wir erkennen, dass demokratische Institutionen und Prozesse ausgehöhlt werden. Und sie sagen, wie wir diese Entwicklung stoppen können. Denn mit gezielter Gegenwehr lässt sich die Demokratie retten - auch vom Sterbebett.

Steven Levitsky ist Professor für Lateinamerikastudien und Professor für Regierungslehre an der Harvard-Universität. Seine Forschungsschwerpunkte sind politische Parteien, Demokratien und Autokratien sowie die Rolle von informellen Institutionen vor allem in Südamerika. Sein gemeinsam mit Daniel Ziblatt verfasstes Buch, der New-York-Times-Bestseller 'Wie Demokratien sterben' (DVA 2018), wurde in über dreißig Sprachen übersetzt und u.a. als bestes Sachbuch des Jahres mit dem NDR Kultur Sachbuchpreis ausgezeichnet. Ihr neues Buch »Die Tyrannei der Minderheit« wurde in den USA ein New-York-Times-Bestseller und erschien 2024 bei DVA.

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Leseprobe

EINLEITUNG


Ist unsere Demokratie in Gefahr? Nie hätten wir gedacht, dass wir einmal diese Frage stellen würden. Seit 15 Jahren denken wir als Kollegen über das Versagen der Demokratie an anderen Orten und zu anderen Zeiten nach – in den dunklen 1930er Jahren in Europa, den repressiven 1970er Jahren in Lateinamerika –, veröffentlichen Bücher und Studien darüber und führen Studenten an dieses Thema heran. Jahrelang haben wir neue Arten des Autoritarismus überall auf der Welt erforscht. Die Frage, wie und warum Demokratien sterben, war für uns ein beruflicher Schwerpunkt.

Doch nun stellen wir fest, dass wir uns unserem eigenen Land zuwenden müssen. In den letzten beiden Jahren haben wir Politiker Dinge sagen hören und tun sehen, die in den Vereinigten Staaten ohne Beispiel waren, von denen wir aber wissen, dass sie andernorts Vorboten demokratischer Krisen waren. Das bange Gefühl, das uns und viele andere Amerikaner beschleicht, versuchen wir mit dem Gedanken zu beschwichtigen, dass es bei uns doch gar nicht so schlimm sein könne. Wir wissen zwar, dass Demokratien stets zerbrechlich sind, aber die Demokratie, in der wir leben, hat es doch irgendwie geschafft, der Schwerkraft zu trotzen. Unsere Verfassung, unser Glaube an Freiheit und Gleichheit, unsere historisch robuste Mittelschicht, unser großer Wohlstand, unser hoher Bildungsstand und unsere große, weitgefächerte Wirtschaft: all dies sollte uns gefeit machen gegen einen Zusammenbruch der Demokratie, wie wir ihn anderswo erlebt haben.

Und trotzdem sind wir besorgt. Heutzutage behandeln amerikanische Politiker ihre Konkurrenten als Feinde, sie schüchtern die freie Presse ein und erkennen die Ergebnisse von Wahlen nicht an. Sie versuchen, die institutionellen Puffer unserer Demokratie – Gerichte, Nachrichtendienste, Aufsichtsbehörden und so weiter – zu schwächen. Und Amerika ist nicht allein. Beobachter sind in zunehmendem Maße beunruhigt, denn die Demokratie scheint weltweit in Gefahr zu sein – selbst dort, wo sie seit langem als selbstverständlich gilt. In Ungarn, der Türkei und Polen gehen populistische Regierungen gegen demokratische Institutionen vor. In Österreich, Frankreich, Deutschland, den Niederlanden und anderswo in Europa haben extremistische Kräfte in Wahlen enorme Zugewinne erzielt. Und in den Vereinigten Staaten wurde zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte ein Mann zum Präsidenten gewählt, der keinerlei Erfahrungen im Staatsdienst besitzt, kaum durch Bekenntnisse zu den verfassungsmäßigen Rechten auffällt und klare autoritäre Neigungen an den Tag legt.

Was bedeutet all dies? Erleben wir derzeit den Niedergang und Fall einer der ältesten und erfolgreichsten Demokratien der Welt?

In Santiago de Chile herrschte schon seit Monaten eine angespannte Atmosphäre, als am Mittag des 11. September 1973 Flugzeuge am Himmel auftauchten. Die in Großbritannien hergestellten Hawker Hunters bombardierten La Moneda, den klassizistischen Präsidentenpalast im Zentrum der Stadt, und setzten ihn in Brand. Der drei Jahre zuvor als Kandidat eines linken Bündnisses ins Amt gewählte Präsident Salvador Allende saß im Palast fest. In seiner Amtszeit hatte Chile unter sozialen Unruhen, einer Wirtschaftskrise und politischer Lähmung gelitten. Allende hatte angekündigt, er werde seinen Posten erst räumen, wenn seine Arbeit getan sei, aber jetzt war der Augenblick der Wahrheit gekommen. Unter dem Kommando von General Augusto Pinochet brachten die Streitkräfte das Land unter ihre Kontrolle. Am frühen Morgen hatte Allende in der Hoffnung, dass die Masse seiner Anhänger auf die Straße gehen würde, um die Demokratie zu verteidigen, im Radio eine kämpferische Rede gehalten. Doch der Widerstand blieb aus. Die Militärpolizei, die den Präsidentenpalast bewachte, ließ ihn im Stich, und seine Ansprache fand kein Echo. Wenige Stunden später war Allende tot – ebenso wie die chilenische Demokratie.

So stellen wir uns den Tod von Demokratien vor: durch Waffengewalt. Während des Kalten Kriegs waren Staatsstreiche für annähernd drei Viertel der Zusammenbrüche von Demokratien verantwortlich. In Argentinien, Brasilien, der Dominikanischen Republik, Ghana, Griechenland, Guatemala, Nigeria, Pakistan, Peru, Thailand, der Türkei und Uruguay bereiteten sie der Demokratie ein Ende. In jüngerer Zeit wurden 2013 der ägyptische Präsident Mohamed Mursi und 2014 die thailändische Ministerpräsidentin Yingluck Shinawatra durch Militärputsche gestürzt. In all diesen Fällen brachen die Demokratien auf spektakuläre Weise durch Waffengewalt zusammen.

Aber es gibt noch eine andere Art des Zusammenbruchs, die zwar weniger dramatisch, aber genauso zerstörerisch ist. Demokratien können nicht nur von Militärs, sondern auch von ihren gewählten Führern zu Fall gebracht werden, von Präsidenten oder Ministerpräsidenten, die eben jenen Prozess aushöhlen, der sie an die Macht gebracht hat. Manche dieser Führer reißen die Demokratie rasch ein, wie Hitler es 1933 nach dem Reichstagsbrand getan hat. Häufiger indes erodieren die Demokratien langsam und in kaum merklichen Schritten.1

Hugo Chávez in Venezuela, zum Beispiel, war ein politischer Außenseiter, der gegen die nach seiner Meinung korrupte herrschende Elite zu Felde zog und eine »authentischere« Demokratie aufzubauen versprach, die den enormen Reichtum des Landes nutzen würde, um das Los der Armen zu verbessern. Geschickt ging er auf die Wut der einfachen Venezolaner ein, von denen sich viele durch die etablierten Parteien missachtet und missbraucht fühlten, mit dem Ergebnis, dass er 1998 zum Präsidenten gewählt wurde. »Die Demokratie ist krank«, stellte eine Frau aus Chávez’ Heimatstaat Barinas am Wahlabend fest. »Und Chávez ist das einzige Gegenmittel, das wir haben.«2

Als Chávez die versprochene Revolution in Gang setzte, tat er es auf demokratische Weise. 1999 hielt er eine freie Wahl für eine neue verfassunggebende Versammlung ab, in der seine Verbündeten eine überwältigende Mehrheit erzielten. Dies erlaubte es den chavistas, eine neue Verfassung nach ihrem Gusto zu schreiben. Es war jedoch eine demokratische Verfassung, und um ihre Legitimität zu stärken, wurden im Jahr 2000 neue Präsidentschafts- und Parlamentswahlen durchgeführt. Chávez und seine Verbündeten gewannen auch diese Abstimmungen. Doch Chávez’ Populismus löste erheblichen Widerstand aus, und im April 2002 wurde er vorübergehend vom Militär entmachtet. Aber der Putsch schlug fehl, und ein triumphierender Chávez konnte noch mehr demokratische Legitimität für sich geltend machen.

Erste klare Schritte in Richtung Autoritarismus unternahm er erst 2003. Während sein öffentlicher Rückhalt schwand, zögerte er ein von der Opposition betriebenes Referendum, das ihn das Amt gekostet hätte, so lange hinaus, bis er sich ein Jahr später durch den steigenden Erdölpreis genügend gestärkt fühlte, um die Abstimmung zu gewinnen. 2004 setzte die Regierung Unterzeichner der Abberufungspetition auf eine schwarze Liste und berief Richter aus ihrer Anhängerschaft ins Oberste Gericht. Doch der überwältigende Sieg bei seiner Wiederwahl im Jahr 2006 erlaubte es Chávez, eine demokratische Fassade zu wahren. Ab 2006 griff das chavista-Regime dann zu repressiveren Mitteln, indem es einen großen Fernsehsender schloss, Oppositionspolitiker, Richter und Medienvertreter wegen fadenscheiniger Vorwürfe verhaftete oder ins Exil trieb und die Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten aufhob, sodass Chávez für unabsehbare Zeit im Amt bleiben konnte. Als er 2012, bereits an einer tödlichen Krebserkrankung leidend, wiedergewählt wurde, war die Wahl zwar frei, aber nicht fair, denn der Chavismo kontrollierte einen großen Teil der Medien und setzte den riesigen Regierungsapparat in seinem Sinn ein. Nach Chávez’ Tod ein Jahr später gewann sein Nachfolger Nicolás Maduro eine weitere zweifelhafte Wahl. 2014 ließ seine Regierung einen führenden Oppositionspolitiker verhaften. Doch der Erdrutschsieg der Opposition in der Parlamentswahl von 2015 schien die Behauptung der Kritiker zu widerlegen, dass Venezuela keine Demokratie mehr sei. Erst als eine neue, verfassunggebende Ein-Parteien-Versammlung 2017 die Macht des Parlaments aushebelte, fast zwei Jahrzehnte, nachdem Chávez zum ersten Mal zum Präsidenten gewählt worden war, wurde das Regime in Venezuela allgemein als Autokratie betrachtet.

Auf diese Weise gehen Demokratien heute zugrunde. Die offene Diktatur, ob nun in faschistischer, kommunistischer oder militärischer Form, ist weltweit nahezu verschwunden.3 Militärputsche und andere gewaltsame Machtergreifungen sind selten geworden. In den meisten Ländern werden reguläre Wahlen abgehalten. Demokratien sterben weiterhin, aber auf andere Weise. Seit dem Ende des Kalten Kriegs sind die meisten demokratischen Zusammenbrüche nicht durch Generäle und Soldaten, sondern durch gewählte Regierungen verursacht worden.4 Wie Chávez in Venezuela haben gewählte Politiker demokratische Institutionen ausgehöhlt – in Georgien, Nicaragua, Peru, den Philippinen, Polen, Russland, Sri Lanka, der Türkei, der Ukraine und Ungarn. Der demokratische Rückschritt beginnt heute an der Wahlurne.

Der Wahlweg zum Zusammenbruch ist auf gefährliche Weise trügerisch. Bei einem...

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