2.
Die theologische Brille: Was hat Islam mit Ökologie zu tun?
Inwiefern kann man aus dem Islam ökologisch sinnvolle Handlungsanweisungen für die eigene Lebensgestaltung ableiten? Was hat der Islam zum Thema Ökologie zu sagen? Kann ein Öko-Islam neue Impulse setzen, damit sich Muslime stärker mit Umweltfragen auseinandersetzen? Für diese Überlegungen hat die Muslimische Deklaration zur Natur / Muslim Declaration on Nature im Jahr 1986 in Assisi eine wertvolle Grundlage geschaffen: »Für den Muslim ist die Rolle eines Menschen auf der Erde die Rolle eines Khalifa, eines Verwalters, eines Treuhänders. Wir sind Gottes Sachwalter und Vertreter auf Erden. Wir sind nicht die Meister dieser Erde, die Erde gehört nicht uns, wir können nicht mit der Erde machen, was wir wollen. Die Erde gehört Allah und er hat ihren Schutz uns anvertraut.« In der Deklaration werden drei zentrale Konzepte des Islams festgehalten: tawhid (Ein-Gott-Glaube), khalifa (Sachwalterschaft) und akhira (Jenseits). Weitere wichtige Prinzipien sind amanah (das anvertraute Gut), fitra (die natürliche Veranlagung), ubudiya (Dienerschaft), mizan (das Gleichgewicht). Somit ergeben sich einige Grundprinzipien des Islams, die eine islamische Umweltethik ausmachen. Die genannten Konzepte sehen muslimische Autoren, die zu dem Thema forschten, wie Mawil Izzi Dien, Harfiyah Abdel Haleem oder Seyyed Hossein Nasr als Basis für eine theologisch begründete Ökologie.
tawhid bedeutet die Einheit der Schöpfung, wonach alle Dinge der Welt miteinander in Beziehung stehen. Sie sind Zeichen Gottes und somit in ihrer Existenz bewahrenswert. Gott ist Einer, daher ist auch die Natur eins, eine Einheit. Und somit steht alles in der Schöpfung zueinander in Beziehung. Dies wiederum bedeutet, dass die gesamte Welt zu schützen ist. Jeder Bestandteil in der Natur hat eine Aufgabe innerhalb der Schöpfung und ist daher von Bedeutung. Das heißt, dass alles voneinander abhängt. Tiere haben auch ihre Bedeutung in der göttlichen Schöpfungsordnung. Diese Verbundenheit erinnert an einen Hadith, in dem auch auf die gegenseitige Abhängigkeit und die Einheit hingewiesen wird, denn da heißt es, dass die Muslime wie ein einziger Körper sind. Wenn ein Teil von ihnen leidet, leidet der gesamte Körper. Im übertragenen Sinn könnte dies auch in einem breiteren Rahmen ausgelegt werden: Wenn ein Teil der Schöpfung leidet, dann leidet die gesamte Schöpfung mit.
Alle Einzelteile der Erde werden als ein Zeichen für die Allmacht Gottes gesehen. Interessanterweise hat das arabische Wort aaya zwei Bedeutungen: »Zeichen« und »Koranvers«. Denn die Verse im Koran erinnern an den Schöpfer, sind ein Zeichen, genau wie die Natur, die ein Zeichen für die Wunder der Schöpfung ist. Denn so heißt es in der Sure 30, Vers 24: »Und unter seinen Wundern ist dies: (…) und (er) sendet Wasser vom Himmel herab und gibt damit der Erde Leben, nachdem sie leblos gewesen war: hierin, siehe, sind fürwahr Botschaften (ayaat) für Leute, die ihren Verstand gebrauchen.«
Die Schöpfung ist für den Menschen eine Gelegenheit, den Glauben zu stärken, denn in der Schöpfung gibt es keinen Mangel. So wird in der Sure al-Mulk, »die Herrschaft«, der Gläubige dazu aufgefordert, seinen Blick in die Welt zu werfen und umher zu sehen. Er wird keinerlei Mängel in der Schöpfung Allahs finden. So soll der Mensch mit offenen Augen durchs Leben gehen, um die Wunder Allahs zu sehen. Und das, was man wundervoll findet, möchte man naturgemäß schützen.
Der Begriff akhira bedeutet Jenseits, das Leben nach dem Tod. Je nach den Taten, die gesetzt wurden, ist das Leben nach dem Tod bestimmt. Am jüngsten Tag wird jeder Muslim, jede Muslimin über sein/ihr Verhalten befragt und muss für das, was er oder sie getan hat, geradestehen. Diese Gewissheit nimmt Einfluss auf Entscheidungen, denn wer sich bewusst ist, dass seine Taten Konsequenzen haben werden, wird genau überlegen, wie er sich verhält.
Das Konzept von khalifa bedeutet die Sachwalterschaft. Doch was ist unter einem Sachwalter zu verstehen? Der Begriff des Sachwalters, des khalifa, wird in der Literatur oft unübersetzt gelassen, denn die deutsche Sprache kann nicht in einem Wort die ganze Bedeutung des Begriffes wiedergeben. Die Erde ist nicht im Besitz des Menschen, sondern sie ist für die Zeit, die er auf ihr lebt, ein wertvolles Gut, auf das er achten muss. Das Prinzip des Menschen als Sachwalter wird im Koran in der Sure al-Baqarah, Vers 30, »Die Kuh« beschrieben. Der Mensch erhielt die Aufgabe von Allah, Sachwalter auf der Erde zu sein, obwohl die Engel darauf hingewiesen haben, dass der Mensch ein Geschöpf ist, das Unfrieden stiftet und zu allerlei zerstörerischen Handlungen fähig ist. Ganz im Gegensatz zu den Engeln, die in ihrem Wesen nur Allah dienen und lobpreisen. Sie sind jedoch nicht zu eigenständigen Entscheidungen oder Gefühlen fähig, und das stellt den größten Unterschied zum Menschen dar. Der Mensch hat die Fähigkeit zu entscheiden, ob er seine Vernunft und seinen Verstand einsetzen möchte, um zu zerstören oder konstruktiv zu wirken, um zu schädigen oder zu schützen. »Ich weiß, was ihr nicht wisst«, antwortete Allah den Engeln. Denn außerdem ist der Mensch lernfähig und imstande, Großes zu leisten. Doch ob er diese Fähigkeit für das Wohl aller nutzen wird oder seine Macht weiter ausbauen möchte, ist seine Entscheidung. Und somit stehen seine Verantwortlichkeit, sein Gottesbewusstsein und seine Demut gegenüber der Schöpfung auf dem Prüfstand. Wird er das tun, was die Schöpfung erhält, und somit dem Schöpfer dienen? Oder wird er seinen eigenen Interessen folgen und achtlos die Schöpfung, die Natur, ausbeuten?
In enger Verbindung mit khalifa steht die amanah: das anvertraute Gut. Das Prinzip der amanah bedeutet, dass, was einem anvertraut wurde, so zu bewahren, dass es in demselben Zustand, in dem man es erhalten hat, zurückgegeben werden kann. Im Zusammenhang mit Ökologie ist mit amanah also die Erde, die Schöpfung, gemeint, auf die der Mensch achten und die er in unversehrtem Zustand zurückgeben soll. Im Koranvers (33:72) ist beschrieben, wie Allah den Himmeln, der Erde und den Bergen die Verantwortung angeboten hatte. Doch diese lehnten die amanah ab. Der Mensch aber nahm sie an und ließ sich auf diese Aufgabe ein.
Das nächste Prinzip ist die fitra, die natürliche Ordnung. Sie beinhaltet den ursprünglichen Zustand des Menschen vor der Beeinflussung seines natürlichen Wesens durch äußere Umstände nach seiner Geburt. Denn der Mensch ist aus islamischer Perspektive als ein Wesen erschaffen, das mit der Natur harmoniert. Davon wird die Pflicht zu einem achtsamen Umgang mit der Natur abgeleitet.
Die ubudiya ist die Dienerschaft, denn der Mensch ist ein Diener Allahs. Ihn soll er anbeten und ihm soll er dienen. Er hat durch die Aufgabe, Sachwalter der Schöpfung zu sein, Macht erhalten, doch sie ist eingeschränkt. Er ist Allahs Willen unterworfen. Er ist an die (Natur-) Gesetze gebunden, die ihn umgeben. Somit besteht die Herausforderung darin, dass er den richtigen Umgang mit seinen Ressourcen findet. Das Prinzip der ubudiya macht dem Menschen klar, dass er seine Grenzen hat. Dass er die Mitte finden muss, in dem, was er tut, denn er braucht eine Ausgewogenheit. Ausgewogenheit zwischen der Demut als Diener Gottes einerseits und andererseits dem Wissen, dass er durch seine Vernunft als einziges Wesen Entscheidungen fällen kann und sich dadurch vom Rest der Schöpfung unterscheidet.
Der Begriff mizan bedeutet »Waage«. Die Schöpfung ist aus islamischer Perspektive in vollkommener Balance erschaffen worden. Dieses ökologische Gleichgewicht darf nicht gestört werden. Alles, das exzessiv betrieben wird, ist schädlich. Der Mensch ist konkret dazu aufgefordert, dieses empfindliche Gleichgewicht auf der Erde möglichst zu erhalten. Er hat die Erlaubnis, sich von den Früchten der Erde zu ernähren, doch er darf ihre Ressourcen nicht verschwenden oder gar ausbeuten.
Diese Prinzipien werden als die Säulen der Umweltethik im Islam betrachtet. Sie definieren die Werte des Korans, die auch in den Handlungen und Worten des letzten Propheten der Muslime, Muhammad, ersichtlich werden, zum Beispiel in den folgenden drei sinngemäß übersetzten prophetischen Überlieferungen:
»Wer auch immer einen Baum pflanzt und sich darum kümmert, bis er reift und Früchte trägt, wird belohnt.«
»Wenn ein Muslim einen Baum pflanzt oder auf einem Feld sät, von dem andere Menschen und Vögel essen: All das sind Wohltaten.«
»Die Welt ist grün und schön, und Gott hat dich als seinen Verwalter darüber berufen.«
Auch die Fauna muss geschützt werden, und ihr Wert wird in der Koranstelle 80:24-32 beschrieben....