Psychotherapie hilft immer. Heilt sie auch?
Hilfe
Kann ich denn der Zeit nicht helfen,
die in Klagen sich verzehrt?
Kann das nur ein Fürst der Elfen,
Oder nur ein Korsarenschwert?
Können das nur Riesengeister,
Nur ein Mogul, nur ein Lord,
So ein Wollsack-Hexenmeister,
Fürchterlich in Gold und Wort?
Können das nur Professoren,
die, zur Schöpfung angestellt,
Ob sie gleich sich selbst verloren,
sagen: Allso sei die Welt?
Habe lange mich gekümmert,
Wie denn ich der Welt auch dien`,
Und fast meine Welt zertrümmert,
weil so nutzlos sie mir schien.
Aber jüngst fand ich sie wieder,
Und ich lachte, lachte laut,
als die Sippschaft meiner Lieder
mich umarmte liebetraut.
Lachte, dass ich, was ich habe,
suchte, wo nicht Lieder sind.
Dass ich für die Herzensgabe,
bin für meine Hütte blind.
Bin ich auch kein Fürst der Elfen,
und kein Riesengeist, kein Held.
Kommt ich möchte euch dennoch helfen,
lieb euch machen Zeit und Welt.
Mächtig ist der Geist der Schwachen.
Heitrer Geist beseele mich.
Lernt ich heiter mit mir lachen,
nicht umsonst dann lebt auch ich.
Joachim Ringelnatz
Dass Psychotherapie hilft, ist durch die Forschung bewiesen.
Dass ein Mensch, die PsychotherapeutIn, sich eine Stunde Zeit nimmt für ihre, seine KlientIn, auf sie einfühlsam, ehrlich und respektvoll eingeht, bewirkt unglaublich viel.
Aktuelle Belastungen, privat oder beruflich, finden hier einen Rahmen zur Reflektion, auch einen Ort für die Gefühle, Ängste und Träume.
Das beweisen alle Forschungsergebnisse. So hilft jede Art von Therapie immer.
Aber kann Psychotherapie auch heilen?
Bei tiefsitzenden Ängsten, traumatischen Erfahrungen und schwereren psychischen Belastungen, die ihren Ursprung im Unbewussten und Verdrängten haben, helfen nur vertiefte Formen von Präsenz, die diese Bereiche des Unbewussten im Limbischen System im Gehirn erreichen. Um diese zu erreichen und befreiende Erfahrungen zu ermöglichen, sind der real anwesende Mensch mit all seinen Sinnen, der Rhythmus des Atems für eine wirkliche Wahrnehmung unerlässlich.
Gene Gendlin beschreibt es mit diesem „a, a, a, a“ bis sich Neues formen und entfalten kann und es braucht auch Ruhe und Zeit, dass es sich in das bestehende innere System integrieren kann.
Norman Doidge (2015) schreibt in seinem Buch „Wie das Gehirn heilt“ über die Neuroplastizität des Gehirns.
Unser Gehirn ist über neue Erfahrungen in der Lage zu heilen. Die TherapeutIn muss nur den Raum, die Zeit, ihre Aufmerksamkeit bereitstellen, die bewusste Präsenz der KlientIn fordern und den Prozess mit ihrer Erfahrung begleiten und mitgestalten. Dann entwickelt das Gehirn selbst unglaubliche innere Inszenierungen, die neue gesunde Bereiche aktivieren, belastende verändern und eine neue innere Ordnung schaffen.
„Das Gehirn heilt!“ (Doidge 2015)
Das Gehirn braucht dazu Anregungen, Impulse,
die als unermessliche Ressourcen in jedem Menschen selbst angelegt sind
und ein ganz besonderes Klima, eine tiefe Sicherheit und Geborgenheit, Vertrauen auch in sich und das Leben in diesem therapeutischen Setting, damit sich das alles entfalten kann;
und das lebendige ganz reale Erleben von TherapeutIn und KlientIn, auch wenn es nur das gemeinsame sich in diesem Raum im Hier und Jetzt sitzen fühlen, den Atem wahrnehmen, und gemeinsame innere Erlebnisse der KlientIn miteinander zu teilen, sind unerlässlich.
Die KlientIn ist aber die alleinige HeldIn und GestalterIn dieser inneren und äußeren Geschichte.
Gene Gendlin betont, dass selbst ein fremder Begriff, der nicht von der KlientIn kommt, diesen Prozess schon stören kann.
Astrid Schillings schreibt dazu 2007: „Die Schlichtheit, mit der Gendlin den entscheidenden Wirkfaktor in der therapeutischen Beziehung beschreibt, nämlich dass nichts zwischen einem selbst und dem Menschen, der zur Therapie kommt, stehen darf, hat mich tief berührt. Keine Technik von Zurücksagen oder Spiegeln oder Focusing – alles zur Seite stellen und erst mal nur da sein, von Mensch zu Mensch. Wenn das nicht geschehe, so sagt er, werde Therapie möglicherweise zwar immer professioneller’ aber letztlich unbrauchbar und teuer.“
Rogers geht noch einen Schritt in seinem Weltbild weiter. Nicht nur das Vertrauen in die Selbstheilkräfte der KlientIn spielen dabei eine Rolle, nein auch das Vertrauen in eine größere gesamte Leben fördernde und unterstützende Struktur des gesamten Universums spielen eine elementare Rolle.
Noch einmal die Aussage von Carl R. Rogers (1980): „Wenn ich irgendwie in Berührung bin mit dem Unbekannten in mir, wenn ich vielleicht in einem etwas veränderten Bewusstseinszustand bin, dann -was auch immer ich tue – scheint voller Heilung zu sein. Dann ist einfach nur meine PRÄSENZ erlösend und hilfreich für den anderen.“
„Es gibt nichts, was ich tun könnte, um diese Erfahrung zu erzwingen, aber wenn ich mich entspanne und dem transzendentalen Kern in mir nahe bin.... scheint es mir, dass mein Geist / meine Seele (my inner spirit) sich ausstreckt (to reach out) und die Seele des anderen berührt hat. Unsere Beziehung geht über sich selbst hinaus (transcends) und wird Teil von etwas Größerem. Tiefgehendes Wachstum und Heilung und Energie sind gegenwärtig.“ (Rogers, 1980)
Mit diesen Worten beschreibt Rogers aber auch ein besonderes Weltbild. Dabei entfaltet sich seine humanistische Ausrichtung hinein in den Kosmos.
Die Überzeugung einer großen positiven Ordnung, energetisch auf Entfaltung und Wachstum gerichtet, klingt hier durch.
Diese Sicherheit, Gelassenheit, Geborgenheit in einem wunderbaren Kosmos, der Liebe atmet, lässt Rogers auf eine besondere Weise präsent sein.
Er öffnet in sich und auch für die KlientIn den Zugang zu dieser Welt, zum Leben.
Psychisch belastete Klienten haben die Menschen, ihre Umwelt keineswegs fördernd und liebevoll erlebt, aber sie haben daraus gelernt und sind die Menschen geworden, die sie sind, auch mit ihrer besonderen Geschichte und den daraus gewonnenen Erkenntnissen und Talenten. Und diese Kräfte und Ressourcen sind in ihnen präsent und müssen nur wieder entdeckt und aktiviert werden.
In „Focusing“ beschreibt Gene Gendlin, wie diese kosmische Ordnung in der inneren „Fortsetzungsordnung“ (order of carrying forward) wirksam werden kann.
Wenn sich beide, die TherapeutIn und die KlientIn ganz bewusst körperlich anwesend fühlen und sich beide dem „felt sense“ dem körperlich ganzheitlich spürbaren Zustand der KlientIn zuwenden, dem Zeit und Raum geben, sich zu entfalten und diesen Prozess gemeinsam begleiten, entwickelt sich Neues. Und dieses „Neue“, der „felt shift“, sind einmalige Gegenwartsmomente in der Beziehung von KlientIn und TherapeutIn.
Ja, auch meine Erfahrung ist:
das Gehirn heilt, wenn es neue Erfahrungen auf eine sehr elementare Art und Weise im therapeutischen Setting mit dem kreativen Potential des Gehirns verbunden, machen kann. Diese müssen aber wie beim Baby im Körper und im Kontakt mit einer anderen Person, der TherapeutIn, grundgelegt werden.
Daniel Stern (2015) beschreibt in dem „Tagebuch eines Babys“ dass Joey zwischen der achten und zwölften Lebenswoche einen enormen Entwicklungssprung macht. Die Fähigkeit, in sozialen Kontakt mit anderen Menschen zu treten, beginnt sich zu entfalten: Zum ersten Mal zeigt sich bei ihm das „soziale LächeIn“. Er beginnt Laute zu bilden, und hält bereits längere Zeit einen Blickkontakt aufrecht. Fast über Nacht ist aus ihm ein soziales Wesen geworden.
„Noch sind allerdings die ganz intensiven sozialen Interaktionen auf die allernächste Nähe beschränkt, das heißt auf den Kontakt von Angesicht zu Angesicht und auf das „Hier und Jetzt zwischen uns“. Diese intensive, unverfälschte Form seiner Beziehung dauert etwa bis zu seinem sechsten Monat und wird alle seine künftigen Kontakte zu anderen Menschen und sein Verständnis für ihr Verhalten prägen.“
Dieses archaisch sein Gegenüber wahrnehmen, die Stimme hören und sich wahrgenommen fühlen, ist für jede Begegnung von elementarer Bedeutung und damit auch für jede neue Erfahrung im therapeutischen Setting.
Damit wird deutlich, dass jeder Beziehungskontakt zuerst einmal, sich gegenseitig wirklich real anwesend wahr zu nehmen im Hier und Jetzt, unbedingt notwendig ist. Rogers nennt es, zu der KlientIn einen psychologischen Kontakt zu haben. Und er meint sicher damit, ihm einfach einmal...