Die Errichtung eines freien Marktes aller europäischen Mitgliedstaaten, des sogenannten Binnenmarktes, ist ein seit der Gründung des europäischen Wirtschaftsraums angestrebtes Ziel[26], welches durch die Verabschiedung europäischer Richtlinien verwirklicht wurde.[27] Diese legislativen Maßnahmen erstrecken sich durch alle Wirtschaftsbereiche und betrafen mit der Vermittlerrichtlinie der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft[28] (im nachfolgenden EWG) erstmalig die Versicherungswirtschaft. Sie verfolgte das Ziel, die Ausübung der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit für VU zu erleichtern. Im Jahr 1999 erkannte die Europäische Gemeinschaft (im Nachfolgenden EG) als Nachfolgerin der EWG, dass die Richtlinie nicht den gewünschten Abbau der Binnenmarkthindernisse bewirkte[29], mit der Folge, dies im Rahmen des Finanzmarktrahmen-Aktionsplans ändern zu wollen.[30] Auf dieser Grundlage entstand die Richtlinie 2002/92/EG, die am 09.12.2002 vom europäischen Rat verabschiedet und im weiteren Zeitverlauf als IMD bekannt wurde.
Die legislative Umsetzung der IMD erfolgte in Deutschland durch die Neuregelung des Versicherungsvermittlergesetzes (im Nachfolgenden VersVermG), welches am 22.05.2007 schlussendlich mit einer deutlichen Verspätung in Kraft trat. Ursprünglich hätte die Umsetzung bis zum 15.01.2005 erfolgen müssen.[31] Das neue VersVermG induzierte neben diversen Änderungen im Versicherungsaufsichts- (im Nachfolgenden VAG) und Versicherungsvertragsgesetz (im Nachfolgenden VVG) auch die Einführung des § 34d der Gewerbeordnung (im Nachfolgenden GewO). Der neue § 34d GewO reformierte die Berufszulassung des VV, indem er für diesen erstmals eine Erlaubnispflicht einführte.[32] Die Erlaubnis wird von der zuständigen Industrie- und Handelskammer (im Nachfolgenden IHK) erteilt, wenn der VV einen guten Leumund[33], geordnete Vermögensverhältnisse[34], eine Berufshaftpflichtversicherung und einen Sachkundenachweis[35] vorweisen kann. Befreit von diesem Grundsatz sind VV, die eine Patronatserklärung[36] ihres VU erhalten haben, produktakzessorische VV[37], Annexvermittler bzw. sonstige Bagatellvermittler[38] sowie VV mit einer Gewerbeerlaubnis eines anderen Mitgliedstaates der EU. Unabhängig von ihrer Erlaubnispflicht müssen sich aber alle VV in ein öffentliches Versicherungsvermittlerregister eintragen lassen.[39] Die Registrierungs- und Erlaubnispflicht definierten somit erstmals signifikante Hürden für die Berufszulassung und konnten als Markteintrittsbarrieren betrachtet werden.[40] Neben der Berufszulassung wirkte sich die IMD auch auf die Berufsausübung aller VV aus. Die alte Gesetzgebung unterschied den VV in Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler (im Nachfolgenden VM).[41] Der Versicherungsvertreter hat als Erfüllungsgehilfe des VU keine direkte Vertragsbeziehung zum VN und konnte deswegen schuldvertragsrechtlich von diesem nicht unmittelbar haftbar gemacht werden. Für vor- und nachvertragliche Pflichtverletzungen des Versicherungsvertreters haftete somit im Außenverhältnis stets das VU.[42] Im Innenverhältnis kann dieser im Falle eines eigenen Verschuldens vom VU in Regress genommen werden.[43]
Im Gegensatz zum Versicherungsvertreter ist der VM Sachverwalter des VN. In dieser Funktion haftete er schon damals im Falle einer Pflichtverletzung stets direkt gegenüber dem VN.[44] Trotz dieser für den VN verbesserten Haftungssituation galten bei der Berufsausübung für VM keine vorgeschriebenen Mindestvorgaben, wie z.B. in Form einer Prüfung, ob die gelieferte Beratungsleistung den individuellen Beratungsbedarf des VN vollständig abdeckte. Die Folge war, dass die damalige Gesetzgebung eine bewusste oder unbewusste Unterberatung[45] des VV akzeptiert hatte und dadurch die Vermittlung anstatt die Beratung in den Vordergrund gestellt wurde.[46] Deswegen und aufgrund der beschriebenen eingeschränkten Haftungsverantwortung eines Versicherungsvertreters wurde im Rahmen der IMD auch die Berufsausübung maßgeblich neu definiert. Mit der Einführung umfangreicher Informations-, Analyse-, Frage-, Beratungs-, Dokumentations-, Mitteilungs-, Beratungs- und Schadenersatzpflichten[47] wurde diesem Missstand versucht Rechnung zu tragen. Sie waren eingebettet in die VVG-Informationspflichtverordnung (nachfolgend VVG-InfoV) bzw. die übergeordnete VVG Reform, die damit einen erstmaligen Mindeststandard in der Vermittlung von Versicherungsprodukten darstellte.
Mit Mindeststandards und Markteintrittsbarrieren erreichte die IMD eine höhere Professionalisierung der Versicherungsvermittlung und trug gleichzeitig zur Verbesserung des Verbraucherschutzes bei.[48] Allerdings führte der verfolgte Ansatz der Mindestharmonisierung[49] dazu, dass bei der Umsetzung der Mindeststandards in nationales Recht einzelne Länder weit über diese hinausgingen. Beispielhaft hierfür ist das teilweise eingeführte Provisionsverbot des Vereinigten Königreichs oder der Niederlande[50], mit der Folge, dass ein stark fragmentiert regulierter europäischer Versicherungsvermittlungsmarkt entstand.[51] Im Zusammenhang mit der Verabschiedung der Solvency-II-Richtlinie[52], die eine Änderung des Risikoprofils der VU gegenüber dem VN bewirkte[53], wurde dann am 17.12.2009 erstmals die notwendige Adjustierung der IMD vom europäischem Parlament gefordert. Um dieser Forderung gerecht zu werden, leitete die europäische Kommission am 26.11.2010 eine öffentliche Anhörung zur Evaluierung der IMD ein, die bis zum 28.02.2011 andauerte. Dabei wurden neben dem weiterhin unzureichend hergestellten Binnenmarkt folgende vier Problemfelder erkannt:
Erstens variierte die Informationsqualität, die ein VN innerhalb der Versicherungsvermittlung erhält, signifikant in Abhängigkeit des vermittelten Versicherungsprodukts. Zweitens wurden die vorhandenen Interessenkonflikte weiterhin vom VN als intransparent wahrgenommen. Drittens basierte die Definition der Versicherungsvermittlung auf dem Aktivitätsprinzip, d. h., der Direktvertrieb[54] von Versicherungsprodukten wurde aufgrund des fehlenden VV nicht als Versicherungsvermittlung eingestuft, sodass sich dieser Zweig des Versicherungsvertriebs dem Anwendungsbereich der IMD und den damit verbundenen Pflichten entziehen konnte. Viertens schränkten die Benachrichtigungssysteme durch ihre technische Komplexität die Kommunikation von grenzüberschreitenden Tätigkeiten der VV ein. Zusätzlich deckte die parallel laufende Neuregulierung des Wertpapierhandels in Form der Markets in Financial Instruments Directive II signifikante Inkonsistenzen zwischen der Regulierung von Investmentprodukten, die einzeln oder innerhalb eines Versicherungsmantels vertrieben werden, auf.[55]
Gestützt von dieser Erkenntnis einigten sich am 11.04.2011 Experten aus den Mitgliedstaaten der EU und der EIOPA mehrheitlich auf eine Adjustierung der IMD. Das dafür angewendete europäische Gesetzgebungsverfahren ist als sogenanntes Lamfalussy-Verfahren bekannt. Erstmals eingesetzt bei der Umsetzung des Finanzmarktrahmens-Aktionsplans im Jahre 2002 ist das Lamfalussy-Verfahren seitdem ein integraler Bestandteil bei der Beschleunigung europäischer Gesetzgebungsverfahren im Finanzsektor. Das Lamfalussy Verfahren ist nach dem Vorsitzenden des Ausschusses der Weisen, Herrn Baron Alexandre Lamfalussy, benannt und besteht aus folgenden 4 Levels:
Level 1: Rahmenrechtsakt
Level 2: Durchführungsbestimmung
Level 3: Verlautbarungen und Leitlinien
Level 4: Kontrolle und Überwachung[56]
In Level 1 wird nach Art. 294 AEUV im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren von europäischem Rat und Parlament eine Rahmenrichtlinie verabschiedet. Die Rahmenrichtlinie erfüllt zwei Funktionen: Zum einen definiert sie Grundsätze und flankiert die inhaltlichen Rahmenfelder der neuen Gesetzgebung. Zum anderen bestimmt sie die Art und den Umfang der Umsetzungsmaßnahmen bei gleichzeitiger Delegierung der Umsetzung an die Akteure in Level 2. In Level 2 werden die grundsätzlichen Inhalte der Rahmenrichtlinie mittels Durchführungsverordnungen oder delegierter Rechtsakte[57] entwickelt. Hierzu besitzt die EU-Kommission ein Vorschlagsrecht, bei dem es inhaltlich durch Konsultationen der European Securities and Markets Authority, European Banking Authority und European Insurance and Occupational Pensions Authority (im nachfolgenden EIOPA) unterstützt wird. Sowohl Durchführungsverordnungen als auch delegierte Rechtsakte bedürfen einer Zustimmung des europäischen Parlaments und des Rats. Zusätzlich erlässt die EU-Kommission in Form von Verordnungen sogenannte technische Regulierungs- und Durchführungsstandards. Im Gegensatz zu den Durchführungsverordnungen und den delegierten Rechtsakten...