Kapitel 1
Stapellauf
Für Kenner der Schifffahrtsbranche hatte es sich lange angebahnt, dennoch schlug das Ereignis hohe Wellen: Im Juni 2017 stellte die Hamburger Rickmers Holding AG – eine der großen und traditionsreichen Reedereien Deutschlands (die »Rickmer Rickmers« im Hafen ist weit über die Stadtgrenzen bekannt) – einen Insolvenzantrag. Kurz zuvor hatte der Vorstand der maßgeblich finanzierenden HSH Nordbank AG das Sanierungskonzept des Unternehmens abgelehnt. Man könnte diesen Vorgang als eine halbwegs normale unternehmerische Episode ansehen, wenn die Firma nicht erst im Jahr 2013 Anleihen über insgesamt 250 Millionen Euro ausgegeben hätte. Anleger, die diese öffentlich handelbaren Finanzprodukte seinerzeit erworben hatten – und darunter finden sich viele Privatanleger –, müssen nun mit einem Totalverlust rechnen. Dabei waren Anleger, die in den Schifffahrtsmarkt investiert hatten, ohnehin Kummer gewohnt – und zwar in der Größenordnung von mehreren Milliarden und mit einem ganz anderen Finanzprodukt: Sie hatten vorher mit geschlossenen Schiffsfonds gewaltige Verluste erlitten.
Fast zehn Jahre nachdem im Zuge der Weltfinanzkrise 2008 Hunderte geschlossener Schiffsfonds in Schieflage gerieten, leiden viele Fondsanleger und inzwischen auch der deutsche Steuerzahler noch immer unter den drastischen finanziellen Folgen. Bis heute haben sich die Schifffahrtsbranche und deren Financiers nicht von diesem harten Schlag erholt – und so hat sich auch für die Anleger nichts zum Guten gewendet. Zehn Milliarden Euro verloren die Investoren von geschlossenen Schiffsfonds allein bis 2014.1 Mit der Insolvenz der Rickmers Holding AG schließt sich damit ein Kreis, auch wenn die damit versenkten 250 Millionen Euro dagegen fast nebensächlich erscheinen. Sinnigerweise zog bei der Rickmers Holding AG ausgerechnet die HSH Nordbank AG die Reißleine – der einst größte Schiffsfinanzierer der Welt, der Hunderten von Schiffsfonds überhaupt erst zur Taufe verholfen hatte. Heute steckt die Bank selbst in massiven Schwierigkeiten und hat ihre Verluste auf den Steuerzahler übertragen.
Dieses Buch beleuchtet den ungezügelten Markt der geschlossenen Schiffsfonds, Gier, arglistige Kapitäne, Hintermänner, die unter falscher Flagge segelten und Investitionen mit fremdem Geld völlig am Bedarf vorbei tätigten. Die Pleite der Schiffsfonds ausgehend von der Finanzkrise 2008 ist ein Lehrbeispiel für eine geplatzte Blase, die von vielen Akteuren über Jahre hinweg aufgebläht wurde – da bis dahin alles wie geschmiert lief: 2008 verfügte Deutschland auf diese Weise über die weltgrößte Flotte an Containerschiffen, maßgeblich finanziert durch deutsche geschlossene Fonds. Das ging zwar eine Weile gut; auch da sich alle Beteiligten selbst in die Tasche logen. Aber auf weite Sicht waren Schiffsfonds mit ihren langen Laufzeiten und anderen fatalen Aspekten eine völlige Fehlkonstruktion – unabhängig von der Wirtschaftskrise 2008/2009. Ursache davon waren besonders die horrenden Gebühren und sonstigen Erträge der Emissionshäuser, der Reeder und der beteiligten Dienstleister, allen voran der Banken.
Neben den Investmenthäusern und Reedern – den offiziellen Initiatoren, die oft zu ein- und derselben Unternehmensgruppe gehörten – rückt dabei die zweifelhafte Funktion der Banken in den Fokus, und zwar mehrfach: Zum einen finanzierten sie die Schiffe mit umfassenden Krediten. So forcierten sie den Bau immer neuer Schiffe, die gar nicht mehr benötigt wurden – und initiierten damit letztlich die Fonds. Schließlich kassierten sie mit unzähligen Finanzprodukten ab – mit Währungs- und Zinsabsicherungen, mit Pfandbriefen oder Stillhalteprämien – sie verdienten gutes Geld an der gesamten Verwertungskette im Leben eines Schiffes und einer Fondsgesellschaft. Die nächste unsaubere Rolle spielten sie im Vertrieb, bei dem sie einen guten Teil der Schiffsfonds an die – oft unerfahrenen – Anleger brachten. Doch damit nicht genug: Viele Banken waren im Besitz der Bundesländer. Ihr Gebaren konnte am Ende nur durch Milliarden-Steuergelder gerettet werden.
Auf die Spitze getrieben wurden die Machenschaften aller Beteiligten jedoch durch Winkelzüge, die dem Markteinbruch folgten: Als die Finanzakrobatik nicht mehr aufging, wurden die Schiffe – über einen mehr oder weniger erzwungenen Beschluss der Anleger oder zwangsweise über eine gesteuerte Insolvenz – auf eine neue »Hülle« übertragen. Hier entwickelte sich ein modernes Hütchenspiel im großen Stil. Die Anleger der Fonds verloren in der Regel alles.
Dabei waren die Schiffsfonds oft für die Altersvorsorge vorgesehen, Privatanleger hatten nicht selten 100.000 Euro investiert. Wer die durch enorme Interessenkollisionen hervorgerufenen Risiken und den Funktionsmechanismus der Schiffsfonds und des Marktes gekannt hätte, wäre wohl kaum eingestiegen. Denn wer versteht schon Gesellschaftsverträge, Fondsprospekte und die komplexen Risiken des Marktes, die sich hier auf verhängnisvolle Weise gegenseitig hochschaukelten?
Bis heute sind die Versäumnisse, Schiebungen und Delikte nicht gebührend aufgeklärt worden – weder juristisch noch politisch –, während viele Anleger große Teile ihres Geldes verloren haben. Daher zeigt das Buch nicht nur die Hintergründe einer Milliardenpleite, sondern auch, wie Anleger sich heute noch wehren und so zumindest einen Teil ihres Geldes zurückerlangen können.
In diesem Buch werde ich vor allem die Boomzeiten der Schiffsfonds beleuchten, etwa im Zeitraum zwischen 2005 und 2008, also bis zum Crash. Danach war der Markt der Schiffsfonds praktisch tot. Viele Mechanismen, die ich beschreibe, sind jedoch bis heute gültig oder liegen in der Natur von Schiffsfonds oder von geschlossenen Fonds generell. Ich werde schildern, dass die Anleger in den meisten Fällen nur verlieren konnten und dass sie zu keiner Zeit im Mittelpunkt des Interesses der Anbieter und des Produkts »geschlossene Schiffsfonds« standen.
Natürlich konnte man als Anleger durchaus Geld verdienen. Doch einerseits lag dies viele Jahre an der günstigen Besteuerung, anderseits war es eben nur das, was übrig blieb. Die Gewinne hätten viel höher sein können, wenn die Schiffsgesellschaften, also die Fonds, echte Unternehmen gewesen wären, in denen der Anteilseigner an erster Stelle steht. Dagegen waren die Schiffsfonds Cashcows für Fondsanbieter, Reeder, Banken und Dienstleister. Das gesamte Konstrukt und vor allem die Knebelverträge der Banken sorgten dafür, dass zuerst andere Geld verdienten – während ohne die Anleger die Schiffe gar nicht in Fahrt gekommen wären. Viele Beispiele für diesen Selbstbedienungsladen sind haarsträubend. Sie reichen von plumpem Betrug bis zu komplizierten Modellen in Steueroasen und verschachtelten Unternehmensgeflechten, die dem einzigen Zweck dienten, immer neue Finanzströme und Zahlungen zu generieren – auf Kosten des Fonds und damit des Anlegers. Dieses Buch soll daher den Markt, die typischen Mechanismen und die Vorgehensweisen der Akteure beleuchten und damit einen Beitrag zur gesellschaftlichen und auch rechtlichen Aufarbeitung leisten. Es stellt eine Art »Streitschrift« dar. Das Werk wird zeigen, dass Emissionshäuser, Reeder und Banken kein ehrliches Interesse am Erfolg der Produkte hatten, sondern schlichtweg nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht waren. Reeder und Banken bauten ein gewaltiges Kartenhaus auf, missbrauchten hierzu förmlich das Geld der Privatinvestoren und ließen sich dann nach dem Zusammenbruch auch noch direkt und/oder indirekt vom Steuerzahler auffangen.
In den Jahren nach der Finanzkrise sind viele kritische Wall-Street-Filme entstanden. Die bizarren Geschichten rund um Schiffsfonds hätten ebenfalls eine Hollywood-Verfilmung verdient. Damit hätten deutsche Anleger von Filmfonds – ökonomisch gesehen ebenso ein großes Desaster – wahrscheinlich endlich einmal in einen Kassenschlager investiert, allerdings ohne Happy End. Dabei war die Story der Fonds selbst nicht einmal schlecht, deswegen funktionierte sie auch zeitweise: Schiffe sind das wichtigste Transportmittel für die Langstrecke, sie sind ein Symbol der Globalisierung, die es gerade wegen der Schiffe schon seit Jahrhunderten gibt. Schließlich wurden die meisten berühmten Entdeckungsziele nur übers Meer erreicht. Daneben sind Schiffe ein Sinnbild der deutschen Exportstärke. Wenn die Tagesschau die neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamts zum Außenhandel veröffentlicht, wird oft das Bild von Containerstapeln in einem Hafen gezeigt. Es ist also durchaus verständlich, warum Privatinvestoren auf dieses Produkt bei der Vermögensmehrung setzen. Dabei ahnten sie allerdings nicht, wie kompliziert die Anlage etwa in Containerschiffe durch die Anbieter gemacht wurde – anders als ein simpel aufgebauter Container.
Einige Hinweise: An einigen Stellen im Buch werde ich zwei direkte Beispiele aus meiner Kanzleipraxis ins Feld führen, die die ganze Bandbreite der Verwerfungen beleuchten. Diese betreffen laufende gerichtliche Verfahren. Aus diesem Grund habe ich dort die Namen der beteiligten Emissionshäuser, Reeder, Banken und des Fonds sowie der Schiffe selbst anonymisiert. Einerseits möchte ich damit meine Mandanten schützen. Ich möchte aber auch nicht für Irritationen sorgen oder mir vorwerfen lassen, ich würde das Buch instrumentalisieren, um in der Öffentlichkeit eine Stimmung aufzubauen, die mir im Prozess nutzt. Dennoch sind mir gerade diese beiden Fälle wichtig, weil sie einen sehr intimen Einblick in die ungeheuerlichen Abläufe und Verfehlungen auf dem Markt geben und vor allem auch zeigen, wie genau solch ein Fondsprodukt allen Beteiligten auf den Leib geschneidert war – außer dem Anleger. Die Namen der Akteure dort sind verändert, die Sachverhalte und Zahlen stellen jedoch die...