Wunderbar menschlich
20. Januar 1985
2. Sonntag nach Epiphanias
Johannes 2,1-11
Der Abschnitt über die Hochzeit zu Kana steht noch im Zusammenhang mit dem Epiphaniasfest. Es geht um die Offenbarung Gottes in dem Menschen Jesus. Und es geht – vom Menschen her betrachtet – um den Glauben an diesen Jesus als den von Gott Gesandten, also um den Glauben an Jesus als den Christus.
Bevor ich auf dieses Doppelthema von Offenbarung und Glaube zu sprechen komme, möchte ich auf den besonderen Charakter dieser Wundergeschichte hinweisen. Die Verwandlung von Wasser in Wein ist ja nicht gerade die Art von Wundern, die wir von Jesus gewohnt sind. Es ist überhaupt bemerkenswert, dass Jesus sich hier zusammen mit seiner Mutter, seinen Brüdern und seinen Jüngern auf einer Hochzeit befindet, einer fröhlichen und – man kann wohl hinzufügen – „ausgelassenen“ Feier. Denn immerhin hatten die Gäste schon so viel getrunken, dass ihnen der Wein inzwischen ausgegangen war.
Es muss gar nicht so sein, dass wir hier einen historischen Bericht vor uns haben. Die Frage, ob Jesus wirklich auf einer solchen Hochzeit zugegen war, können wir getrost zurückstellen. Bemerkenswert ist, dass Johannes sich nicht scheut, eine solche Geschichte über Jesus zu überliefern und damit Gefahr zu laufen, bei denen Anstoß zu erregen, die Jesus gern nur in seriösen Situationen auftreten sehen möchten.
Anstößig mag diese Geschichte auch denen erscheinen, die sich auf die griechische Mythologie verstehen und denen bekannt ist, dass der griechische Gott des Weines, Dionysos, sich gerade durch dieses Wunder als göttliches Wesen zu erkennen gab, dass er Wasser in Wein verwandelte. Möglicherweise ist aus dem Dionysoskult dieses Motiv zu den Christen gedrungen und hat ihren Bericht über die Wunder Jesu beeinflusst. Diese möglichen Zusammenhänge haben jedenfalls Johannes nicht davon abgehalten, diese Wundererzählung in sein Evangelium aufzunehmen. So kann nun jeder von uns, der an einer fröhlichen Hochzeitsfeier teilnimmt und dabei gern ein paar Gläser guten Weines trinkt, dies in dem Bewusstsein tun, dass Jesus selbst sich nicht zu schade gewesen ist, einmal auf diese Ebene des rein Menschlichen hinabzusteigen.
Nun sollten wir diese Szene aber nicht weiter missbrauchen – etwa durch den genüsslichen Hinweis darauf, dass Jesus hier die Hochzeitsgesellschaft mit immerhin etwa 600 Litern Wein versorgt hat. Damit würden wir ihr einen Zweck unterschieben, der ihr nicht zu eigen ist.
Es geht hier nicht um die Bejahung einer weltlichen Festlichkeit. Wir können nur sagen: Die weltliche Festlichkeit erscheint Johannes nicht als unangemessener Kontext, um das zum Ausdruck zu bringen, worum es ihm eigentlich geht. Es geht ihm um dieses: um die Offenbarung Gottes in Christus. Oder wie es im Text heißt: „Jesus offenbarte mit dem, was er auf der Hochzeit tat, seine Herrlichkeit.“
Nun müssen wir noch genauer hinschauen, was da steht. Johannes schreibt: „Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat.“ Nehmen wir erst einmal das Wort „Zeichen“. Damit ist doch Folgendes gesagt: Wir sollen das Geschehen nicht nur vordergründig verstehen, nicht nur wörtlich nehmen als das, was da steht, sondern wir sollen das äußere Geschehen hinterfragen; denn es weist über sich hinaus. Das Wunder ist ein äußeres Zeichen für eine hintergründige Aussage. Diese hintergründige Aussage muss uns vor allem interessieren.
Wenn es hier heißt: „Es war das erste Zeichen, das Jesus tat“, dann dürfen wir wohl auch die anderen Zeichen, und d. h. die anderen wundersamen Geschehnisse heranziehen, um uns den hintergründigen Sinngehalt erschließen zu lassen. Um hier nur vier der anderen Zeichen zu nennen: die Heilung des seit achtunddreißig Jahren gelähmten Mannes am Teich von Bethesda, die Heilung des Blindgeborenen, die Speisung der Fünftausend und eine Totenauferweckung, die Auferweckung des Lazarus. Diese anderen Zeichen haben durchaus etwas Verbindendes: Sie sind auf eine menschliche Notlage bezogen. Es ist wichtig, sich das einmal vor Augen zu führen.
Die Wunder Jesu sind nicht dadurch etwas Besonderes, dass sie ein bloß spektakuläres Geschehen darstellen. Jesus biegt nicht auf magische Weise grade Löffel krumm oder zaubert Tiere aus dem schwarzen Hut hervor. Bei den über ihn berichteten Wundern handelt es sich um die wundersame Verwandlung menschlichen Leids in Freude. Es ist dieses wunderbare Ziel und Ergebnis seiner Wundertätigkeit, die ihn als göttliche Gestalt auszeichnet, nicht das Magisch-Zauberhafte des Hergangs.
Nun werden wir demgegenüber fragen müssen, wie es sich denn mit der Verwandlung von Wasser in Wein verhält. Hier handelt es sich ja nicht gerade um die Beendigung einer menschlichen Notlage, wenn man das Verzichtenmüssen auf den weiteren Sinnengenuss nicht schon als Not bezeichnen möchte. Aber hier wird doch in sehr symbolträchtiger Weise eine Aussage von zutiefst menschlicher Bedeutung gemacht.
Jesus behebt den Mangel an Wein, indem er die Hochzeitsgäste überreich mit Wein beschenkt und noch dazu mit solchem der besten Qualität und in zuvorkommender Weise, d. h. ohne dass sie es von ihm erwartet hätten oder hätten erwarten können. Die Hochzeitsgäste können ganz unerwartet aus dem Vollen schöpfen. Diese unerwartete und in unserem Leben so seltene Möglichkeit wird ihnen durch die Gegenwart Jesu beschert. Sie können aus dem Vollen schöpfen.
Natürlich geht es hier nicht speziell um den Wein. Vielmehr steht der Wein für all das, was uns durch Jesus als dem Christus überreich zuteilwird. Er steht für den Reichtum der Güte und Barmherzigkeit und Gnade Gottes. Durch Christus eröffnet sich uns die unerschöpfliche Quelle der Liebe Gottes zu uns Menschen. Wir empfangen, was wir brauchen, ja, viel mehr als das. Wo in unserem Leben so manches knapp bemessen ist und wir so oft Mangel leiden und wir uns redlich bemühen müssen, um das Notwendigste zur Verfügung zu haben, da fällt uns hier in dem Verhalten Christi der Reichtum Gottes zu.
Es gibt auch unter Menschen Reichtum, und es gibt Menschen, die aus dem Vollen schöpfen können, weil sie selbst reich sind. Und doch ist das in der Regel etwas anderes als das, was wir in unserer Geschichte erfahren. Denn da ist einer reich nicht für sich selbst, sondern um anderer willen, die Mangel leiden.
Jesus bedient sich nicht selbst. Er behält seinen Reichtum nicht für sich. Er nutzt die ihm gegebenen Möglichkeiten nicht zu seinem eigenen Wohlergehen. Er verschenkt sich selbst und macht andere reich. Das ist das eigentliche Wunder, das er vollbringt.
Dass dies ein Wunder ist, spüren wir in aller Deutlichkeit dann, wenn an uns der Anspruch ergeht, einem Mangel abzuhelfen, dem Mangel z. B. an lebensnotwendigen Nahrungsmitteln in den Hungerländern Afrikas. Wir werden dann an uns selbst spüren, wie genau wir kalkulieren, wie wir errechnen, welche Spende wir uns leisten können, und wie weh es uns tut abzugeben, auch wenn wir reichlich haben, und wie viele Gründe uns einfallen, mit unseren Gaben eher zurückhaltend zu sein.
Ich sage dies nicht moralisierend, sondern als reine Feststellung des Unterschiedes zwischen unserer menschlich-allzumenschlichen Art und der göttlichen Art Jesu. In dem Wunder des Geschenkes überreicher Fülle bis schließlich hin zur Selbstentäußerung offenbart sich das göttliche Wesen Jesu. Was uns von der Hochzeit zu Kana berichtet wird, führt uns zeichenhaft dieses Wesen Jesu vor Augen.
Nun die andere Frage: die nach dem Glauben. Für wen wird das Verhalten Jesu zur Offenbarung? Wir haben beim Lesen der Geschichte den Eindruck, dass der Hochzeitsgesellschaft im Großen und Ganzen nicht klar wird, worum es geht. Wir lesen von der erstaunten Reaktion des Tafelmeisters, davon, dass die Diener immerhin wussten, wer veranlasst hatte, dass die Krüge mit Wasser gefüllt werden sollten, der sich dann in Wein verwandelte. Aber was den Glauben angeht, lesen wir im letzten Vers ganz lapidar: „Und seine Jünger glaubten an ihn.“
Es ist nur eine kleine Schar, für die das Verhalten Jesu zur Offenbarung seines göttlichen Wesens wird. Manche nehmen den Hergang gar nicht zur Kenntnis. Manche staunen, aber denken nicht darüber nach. Manche wissen mehr, aber es rührt sie nicht an. Und andere werden durch das Geschehen im Innersten so getroffen, dass sie nicht mehr dieselben bleiben.
Johannes hat dies in seinem Evangelium besonders herausgestellt. Ja, man kann sagen, es zieht sich wie ein roter Faden durch sein Evangelium, dass es nur einige sind, die zum Glauben an Christus kommen, einige wenige, und dass der großen Mehrzahl Jesus nichts Gutes bedeutet. Zwar hat Jesus viel Wunderbares getan, was zeichenhaft auf seine göttliche Art hinwies. Und er hat das auch in seinen Reden dargetan, aber im Großen und Ganzen sind weder seine Worte noch seine Taten verstanden worden.
Wir können dies wohl aus unserer eigenen Erfahrung als eine Tatsache bestätigen: Es gibt keinen sicheren Weg zum Glauben. Es gibt keine Worte und keine Taten, die uns...