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Das Netz

Die Konstruktion des Unabombers & Das 'Unabomber-Manifest': Die Industrielle Gesellschaft und ihre Zukunft

AutorLutz Dammbeck
VerlagEdition Nautilus
Erscheinungsjahr2015
ReiheNautilus Flugschrift 
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783960541028
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
In seinem rasanten Laptop-Roadmovie ist der Autor den schwindelerregenden Verbindungen von Systemtheorie, Kybernetik, Militär und Bewusstseinsprotokollen auf der Spur. Den Recherchen zu Ursprüngen und Voraussetzungen weltweit vernetzter Systeme ist eine deutsche Übersetzung des sogenannten Unabomber-Manifests angehängt. Die weltweite Vernetzung von Computern, Institutionen, Menschen ist längst Realität. In seinem Film »Das Netz«, der 2004 auf dem »european media art festival« mit dem Hauptpreis ausgezeichnet wurde, hat Lutz Dammbeck den Ursprüngen dieser Entwicklung nachgespürt. Seit den 1940er Jahren entwarfen Kybernetik, Multimediakunst, LSD-Versuche und Systemtheorie die faszinierende Vision einer offenen, globalen und vernetzten Weltgesellschaft. Einer der bekanntesten Gegner dieser technologischen Gesellschaft ist der so genannte Unabomber, der von 1978 bis 1995 durch eine Serie von Bombenanschlägen auf namhafte Wissenschaftler die USA erschütterte. Dammbeck hat beeindruckende Dokumente über die Entwicklung der Kybernetik und militärischer Verteidigungsstrategien zu Tage gefördert. Er hat Interviews mit den Protagonisten der Cyber-Elite geführt: dem Verleger John Brockman, den Informatikern Stewart Brand und David Gelernter, dem Physiker Heinz von Foerster u.a. Diesen Stimmen stellt er Auszüge aus Briefen des hochbegabten ehemaligen Harvard-Mathematikprofessors Ted Kaczynski entgegen, mit dem er nach dessen Verhaftung einen jahrelangen Briefwechsel führte. Kaczynski war 1996 als mutmaßlicher Unabomber verhaftet und zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden. Nach einer Krebsdiagnose starb er 2023 in der Haft durch Suizid.

Lutz Dammbeck, geb. 1948 in Leipzig, Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, lebt seit 1986 als Maler und Filmemacher in Hamburg. Sein Film und Buch »Das Netz« von 2004/2005 ist Teil seiner künstlerischen Auseinandersetzung mit den Zusammenhängen von Kunst, Macht, Wissenschaft und Philosophie, die er seit 1983 in einer Art Gesamtkunstwerk mit dem Titel HERAKLES KONZEPT reflektiert (www.herakleskonzept.de).

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Leseprobe

Chris schreibt zusammen mit einem der FBI-Agenten ein Buch über den Fall, das er heute im Heimatmuseum von Lincoln und im Internet vertreibt.

Im Auftrag des FBI sucht und findet Chris auch eine zweite Hütte von Ted, angeblich dessen geheime Werkstatt für den Bombenbau. Das ist wichtiges Beweismaterial für die Theorie des FBI:Ted Kaczynski ist der Unabomber.

Chris: In die Nähe von Teds erster Hütte, in der er wohnte, zogen mehr und mehr Leute. Da war Lärm, und er hatte nicht mehr die Ruhe und Abgeschiedenheit, wie als er hierher kam. Als Ted 1971 hierher zog, lebten hier oben nur vier Leute, und so hatte Ted es ziemlich einsam. Naja, und bis zu seiner Verhaftung kamen Butch und alle möglichen Leute dazu. Ted war lieber allein, sodass er arbeiten konnte, ohne von jemandem überrascht zu werden, oder dass jemand an seine Tür klopfte oder einfach vorbeikam.

Deshalb baute er sich eine kleine geheime Hütte, von der aus er in den Wald rausgehen konnte und wo er abgeschieden lebte und vollkommen zufrieden war und nicht damit rechnen musste, von irgendjemandem überrascht zu werden.

Sehen Sie, hier, hier ist so ein Haufen Schrottteile … und genau unter dieser Dose lagen mehrere Verbindungsstücke, Rohrverbindungsstücke, die angebohrt waren … erste Teile von Sprengkörpern, Bomben. Und hier sehen sie die erste Hütte, die er sich gebaut hat…

Butch: … bevor irgendwas passierte.

Dammbeck: Wer ist der Fotograf dieses Fotos?

Chris: Ich. Aber ich habe auch einige FBI-Fotos.

Butch: Als ich mit den FBI-Agenten sprach, war das meist Max Noël. Ich war in ständigem Kontakt mit ihm. Also, vor der Verhaftung hab ich ungefähr dreißig Tage lang mit ihm gearbeitet, habe Fototouren gemacht, Videoaufnahmen, und Ted draußen hinter dem Haus beobachtet. Aber dort nie mit der Kamera, da habe ich nur Tonaufnahmen gemacht.

Chris: Und als dann später das FBI anfing, mit mir zusammenzuarbeiten, haben sie mir auch einige Kopien von seinen Aufzeichnungen über seine Aufenthaltsorte im Wald gegeben. Er benutzte Wörter wie »mein Lieblingsplatz« oder »mein heiliger Platz«.

Butch: Und jetzt sieh dir mal seine Tagebücher an…

Chris: Ja, ich habe Kopien von einigen mitgebracht. Ich habe die mit den codierten Texten, ich hab eine Menge von denen.

Butch: Die waren codiert! Und er kann dir vorlesen, was Ted da aufgeschrieben hat. Es ist unglaublich!

Chris: Dies ist auf Spanisch geschrieben und wurde vom FBI decodiert und übersetzt… und es liest sich wie ein Who is Who wichtiger Personen. Und über seine Lager, sein geheimstes Lager – sehen Sie, er hatte sieben oder acht Lager hier im Wald.

Dammbeck: Gab es auch eine Liste seiner Anschlagsziele?

Chris: Ich habe nur einen Auszug aus der Liste hier. Denn damit bin ich wirklich vorsichtig, mit Namen, besonders mit den Namen von Leuten hier aus der Gegend. Wir wollen die Leute schützen, über die er schrieb, und ihre Familien. Denn er hat Hetzschriften gegen gewisse Personen geschrieben, die er abgrundtief hasste, wegen irgendeiner Beschädigung des Waldes, die diese Leute angeblich begangen hatten, z.B. illegal einen Baum zu fällen oder so etwas.

Dammbeck: Und die Namen auf der Liste waren Leute aus Lincoln?

Chris: Sie meinen auf der Abschussliste?

Butch: Nein, von außerhalb.

Dammbeck: Leute wie David Gelernter?

Chris: Genau.

Butch: Die Liste haben sie am Tag der Verhaftung aus der Hütte mitgebracht. Er hat alles aufgeschrieben, wirklich alles.

Chris: Es ist … es ist ein Rätsel, das ist das beste Wort, das mir dazu einfällt. Denn alles, was er machte, waren für ihn Experimente, von denen er sehr systematische Aufzeichnungen machte. Und nicht nur von den Bombenexperimenten, sondern auch von allen anderen Sachen – sehr wissenschaftlich. Er schrieb auf, wie viel von diesem oder jenem er verwendete und wie wirksam es war. Und in Bezug auf seine Bomben war er sehr pingelig, wenn er eine neue Mischung gefunden hatte, eine neue Art von Sprengkopf, wissen Sie, schrieb er auf, wie effektiv sie waren, und all solche Sachen. Er hat alle Experimente und sogar die Behälter mit Material durchnummeriert. Hier, Experiment Nummer 72, da hat er zum Beispiel eine Chemikalie analysiert, die er brauchte. Er hat zum Beispiel Red-Devil-Lauge gekauft. Er hat die Reinheit geprüft und aufgeschrieben: Es sollte reiner sein. Er hat die ganze Zeit solche Dinge analysiert.

Dammbeck: Hat er auch sich selbst analysiert? Wie in einem Selbstexperiment?

Chris: Oh, ich verstehe, worauf Sie hinauswollen. Im täglichen Leben, ja, da hat er alles notiert. Was er gegessen hat, er hat sogar ein paar kleine Rezepte aufgeschrieben, zum Beispiel für Stachelschwein-Fleischklößchen – er hat ja auch Stachelschweine gefangen und gegessen. Oder er hat notiert »Ich habe zwölf schwarze Ameisen in meine Kleidung gesetzt«, wissen Sie, es ging nur um die Zahl!

Ich habe Ihnen ja von seiner genauen Beschreibung der Bäume erzählt, den Durchmesser hat er bis auf den halben Zentimeter genau angegeben. Und das vor allem in Gegenden, wo sich nichts so verändert wie die Bäume. Warum sollte man eine Baumgruppe in einem Diagramm verzeichnen und ihren Durchmesser bis auf den halben Zentimeter genau ausmessen, wenn man ganz genau weiß, dass sie ein Jahr später nicht mehr achteinviertel Zentimeter im Durchmesser haben werden, sondern vielleicht achteinhalb? Also, er hatte in der Beziehung wirklich zwei Seiten: eine, die sehr bemüht sorgfältig und wissenschaftlich war, und eine Seite, die überhaupt keinen Sinn machte.

Aber ich muss noch etwas über den Code sagen. Nur die aufwieglerischsten Dinge hat er codiert, denn das Codieren brauchte Zeit. Er hatte ein sehr ausgeklügeltes System, seine Notizbücher zu klassifizieren, je nachdem, wie belastend oder inkriminierend die Inhalte waren. Das nannte er das »queer system«. Die Klassifizierung ging von queer 1 bis queer 10. Queer 10 war das Inkriminierendste, was ihn am schwersten belastete, und queer 1 war am wenigsten belastend. So hat er sich hingesetzt und ist alle seine alten Schriften durchgegangen, die er seit Jahren angefertigt hatte, und hat jedes seiner Notizbücher klassifiziert. Ich habe eine Kopie dieses Zettels mit den Klassifizierungen, da sind zum Beispiel die Notizbücher 2, 3 und 4, in denen es hauptsächlich um das tägliche Leben geht. Einige Dinge darin waren belastend, aber er schrieb: queer 1 oder queer 2. Dann nahm er einzelne Seiten aus und schrieb z.B., Seite 269 bis 285 ist queer 7 – wissen Sie, wer würde das wissen wollen, außer ihm?

Das waren die Bereiche, wo es wirklich schwer war zu verstehen, was er sich eigentlich dabei dachte, sich so viel Mühe mit diesen alten Schriften zu machen. Denn seine Schriften sind sehr umfangreich, ich meine, das sind mindestens zwanzig- bis vierundzwanzigtausend Seiten. Er hat alles aufgeschrieben. Seine Autobiografie reicht bis in die Kindheit zurück, er schrieb alles auf, von seinem ersten Kuss, wie lange er geküsst hat – wahrscheinlich das erste und einzige Mal, dass er überhaupt ein Mädchen geküsst hat – wie lange es gedauert hat und was er darüber dachte und so. Und dann sah er sich das noch mal an und verglich es mit dem, was er für normal hielt. War das nur ein Experiment? Das sind jedenfalls wirklich schwer zu beantwortende Fragen.

Dammbeck: Hört sich an wie einige dieser wissenschaftlichen Experimente in den sechziger Jahren.

Chris: Ja, genau, wirklich.

Dammbeck: Was glauben Sie, wofür hat er diese Experimente gemacht?

Chris: Naja, das habe ich mich schon wegen dieser Codes immer gefragt. Wenn man nicht vorhat, der Nachwelt etwas zu hinterlassen, oder wenn man nicht das Gefühl hat, es wäre möglich, dass jemand das alles mal beachtet, warum schreibt man dann überhaupt erst codiert? Das ist eine Frage, die ich wirklich nicht beantworten kann. Hat er es als geistige Übung betrachtet, oder glaubte er wirklich, dass eines Tages jemand seine Schriften finden und sich darum kümmern könnte?

Komisch war nur: Als das FBI das codierte Notizbuch fand, hing der Schlüssel dazu in der Hütte – gleich daneben. Gleich neben dem Buch, also wozu das Ganze? Man hat mir gesagt, dass der Code ziemlich kompliziert war, und hätten sie den Schlüssel nicht gehabt, hätten sie eine Weile gebraucht, um den Code zu knacken.

Dammbeck: Und wie lief dann die Verhaftung ab? Die FBI-Leute kamen nach Lincoln und…?

Butch: Das FBI war überall in der Gegend verteilt und versteckt.

Chris: Ja, die taten so…

Butch: … als wären sie Geologen oder LKW-Fahrer, waren als dies und das verkleidet, sehr gut getarnt. Wir hatten nicht mal mitgekriegt, dass oben bei der 7up-Ranch weitere 70 Beamte waren – mit Computern – und andere Sachen bearbeiteten. Die hatten das alles wirklich gut getarnt. Und hier,...

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