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E-Book

Gehirn&Geist Familie 3 - Erwachsen werden

Eine Forschungsreise durch das Jugendalter

AutorSpektrum der Wissenschaft
VerlagSpektrum der Wissenschaft
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl82 Seiten
ISBN9783958921863
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
den Schulen wirklich lernen? Und wie kommt man gelassen durch die Prüfung? Der 3. Teil der Gehirn&Geist-Sonderheftserie Familie zur 'Jugendzeit' vermittelt Ihnen psychologisches Wissen rund um die aufregende Lebenswelt von Teenagern - von der späten Kindheit bis ins frühe Erwachsenenalter. Namhafte Psychologen berichten über die neuesten Erkenntnisse zu Pubertät, Schule und der Psyche von Jugendlichen - anschaulich, lebendig, fundiert. Aus dem Inhalt: • Biorhythmen und Schule - Warum Teenager morgens nicht gut lernen • Gelassen durch die Prüfung - Was gegen die Angst vor dem Examen hilft • Smartphones & Co - Schaden Handys der jugendlichen Entwicklung? • Suizid verhindern - Wie Lehrer gefährdete Schüler erkennen • Magersucht - Auch das Gehirn nimmt ab • Ausgezogen - Wie sich das Heimweh lindern lässt • Eltern-Burnout - Sind Sie gefährdet?

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Leseprobe

SCHULE UND STUDIUM

Zu früh zum Lernen


BIORHYTHMUS In Deutschland beginnt die Schule traditionell um 8 Uhr, was für viele Jugendliche problematisch ist: Ihre innere Uhr ist noch auf Schlafen eingestellt, sagen Chronobiologen.

VON STEFANIE REINBERGER

Auf einen Blick: Von Eulen und Lerchen

1 Jeder Mensch verfügt über einen individuellen Schlaf-wach-Rhythmus. So genannte Eulen gehen tendenziell spät ins Bett und werden morgens spät wach, Lerchen hingegen schlafen früher ein und stehen morgens zeitig auf.

2 Laut Forschern verschiebt sich der Chronotyp in der Pubertät nach hinten – und zwar sowohl bei Eulen als auch bei Lerchen.

3 Ein früher Schulbeginn ist daher gerade für Jugendliche schädlich: Er sorgt für schlechtere Noten und könnte auch zu gesundheitlichen Problemen beitragen, insbesondere bei jenen Schülern, die ohnehin zu den Spätaufstehern gehören.

Erinnern Sie sich noch an Ihre Schulzeit? Genau: Das war die Phase Ihres Lebens, in der der Wecker grundsätzlich mitten in der Nacht klingelte. Beim Frühstück bekamen Sie vor Müdigkeit keinen Bissen herunter. Anschließend dämmerten Sie im Schulbus dem Unterrichtsbeginn entgegen. Die ersten Stunden waren eine Qual, und an das korrekte Lösen von quadratischen Gleichungen war vor der großen Pause nicht zu denken.

Wenn es Ihnen damals so ging, befinden Sie sich in bester Gesellschaft. Laut einer Studie aus dem Jahr 2012 schlafen zwei von drei Jugendlichen zu wenig. Wissenschaftler der Universität Marburg und des Dillenburger Instituts für Gesundheitsförderung & -forschung hatten 8800 Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 16 und 25 Jahren zu ihren Schlafgewohnheiten befragt. Das Ergebnis: Im Durchschnitt schliefen die Studienteilnehmer während der Woche nur etwas mehr als sechseinhalb Stunden pro Nacht, jeder fünfte sogar weniger als sechs Stunden. Zum Vergleich: Laut Expertenempfehlung sollten sich Teenager zwischen 14 und 17 Jahren mindestens acht bis zehn Stunden Nachtruhe gönnen, junge Erwachsene immerhin noch sieben bis neun Stunden. Kein Wunder also, dass zwei Drittel der Befragten angaben, sich tagsüber weder fit noch leistungsfähig zu fühlen.

Sollen sie doch früher ins Bett gehen, sagen viele Erwachsene. Dann können sie morgens auch frisch und munter zur Schule kommen. »Disko-Hypothese« nennt Till Roenneberg von der Ludwig-Maximilians-Universität in München diese Argumentation – denn dahinter stehe die Annahme, dass Jugendliche absichtlich die Nacht zum Tag machen. Als Chronobiologe beschäftigt sich Roenneberg mit biologischen Rhythmen wie dem Schlaf-wach-Zyklus. Für ihn ist die Forderung, Schüler müssten ihr Schlafverhalten ändern, nicht haltbar. Denn die Forschung zeigt: Teenager können gar nicht eher schlafen, sie sind dann einfach noch nicht müde. Vielmehr beginne der Unterricht viel zu früh. »Für Schüler, die um acht oder früher in der Schule sein müssen, startet der Unterricht biologisch gesehen mitten in der Nacht«, sagt der Münchner Wissenschaftler. Und das hat gravierende Folgen für Lernerfolg und Gesundheit.

Menschen ticken nicht alle gleich. Es gibt ausgeprägte Frühaufsteher, so genannte Lerchen, die abends entsprechend zeitig ins Bett gehen. »Eulen« dagegen sind spät in der Nacht noch leistungsfähig, müssen aber dafür morgens länger schlafen. Zwischen diesen beiden Extremen existieren alle möglichen Chronotypen. Zu welcher Sorte man gehört, bestimmen unter anderem die Gene: Mittlerweile sind mehr als 20 Erbgutfaktoren bekannt, die auf die innere Uhr einwirken. Und wahrscheinlich sind das noch längst nicht alle.

Ein weltweites Phänomen

Doch auch das Alter hat einen Einfluss auf unseren inneren Rhythmus. Kleine Kinder werden in der Regel früh wach, ebenso wie ältere Menschen. In der Pubertät allerdings, das haben Chronobiologen längst herausgefunden, verschiebt sich der Schlaf-wach-Rhythmus deutlich nach hinten (siehe »Schlafphasen im Lebensverlauf«). Das gilt völlig unabhängig davon, ob der betreffende Teenager grundsätzlich eher zu den Eulen oder zu den Lerchen zählt. Warum das so ist, kann niemand mit Sicherheit sagen. »Evolutionär gesehen wird es einen Grund haben, dass sich in diesem Alter die Hauptaktivität auf eine spätere Tageszeit verschiebt«, sagt Thomas Kantermann, Chronobiologe an der Universität Groningen in den Niederlanden. »Welchen, darüber können wir nur spekulieren.« Klar ist: Dass Jugendliche abends nicht müde werden und morgens nicht aus den Federn kommen, ist keine Modeerscheinung moderner Großstädter. »Wir beobachten dieses Phänomen auf der ganzen Welt und in allen Kulturen«, so Kantermann. Selbst von pubertierenden Rhesusaffen weiß man, dass sich der innere Rhythmus in diese Richtung verschiebt.

Mittlerweile belegt eine ganze Reihe von Studien, dass der natürliche Schlaf-wach-Rhythmus von Jugendlichen mit dem traditionell frühen Schulbeginn in Deutschland kollidiert – und dass dies unweigerlich zu schlechteren Leistungen führt. Besonders betroffen sind Teenager, die ohnehin eher zur Gruppe der Eulen gehören. »Im Extremfall müssen diese Schüler aufstehen, wenn sie biologisch gesehen gerade ihren Schlafmittelpunkt erreicht haben«, sagt Kantermann. Wenn die innere Uhr Schlafenszeiten zwischen 2 und 10 Uhr vorgibt, liegt der Schulbeginn noch in der chronobiologischen Nacht. Das beeinträchtigt nicht nur die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit während des Unterrichts, das tagsüber Gelernte wird auch schlechter im Gedächtnis abgespeichert. Denn diese Arbeit erledigt das Gehirn vor allem im Schlaf.

Und was ist mit den Lerchen unter den Teenagern? Würden sie nicht darunter leiden, wenn die Schule später beginnen würde, weil ihre Konzentration nachmittags vielleicht schwindet? Kantermann und seine Kollegen wollten das genauer wissen. Sie untersuchten, wie sich unterschiedliche Prüfungszeiten auf die Leistungen von Jugendlichen auswirken. Dazu ließen sie 741 niederländische Schülerinnen und Schüler zunächst den Münchner Chronotyp-Fragebogen ausfüllen, den Roenneberg mit seinem Team entwickelt hat. So erfuhren die Wissenschaftler, welche Probanden eher zu den Eulen und welche zu den Lerchen gehörten. Gleichzeitig sammelten sie Informationen über das Schlafbedürfnis der Schüler und darüber, wie viel Schlaf diese tatsächlich bekamen.

Dann analysierten die Forscher eine Datenbank mit insgesamt 4734 Zensuren, die ihre Probanden zu unterschiedlichen Tageszeiten erzielt hatten. Das Ergebnis war eindeutig: Ausgeprägte Eulen und Schüler, die weniger als sieben Stunden pro Nacht schliefen, hatten im Durchschnitt schlechtere Noten. Das lag insbesondere an Klausuren, die in den frühen Morgenstunden geschrieben wurden. Schüler mit frühen Chronotypen dagegen hatten einen klaren Vorteil gegenüber ihren unausgeschlafenen Mitschülern: Bei Prüfungen, die zwischen 8.15 und 9.45 Uhr stattfanden, aber auch noch in der Zeit von 10 bis 12.15 Uhr schnitten die Lerchen besser ab als die Eulen. Erst am frühen Nachmittag, bei Prüfungszeiten zwischen 12.45 und 15 Uhr, glichen sich die Leistungen der beiden Chronotypen an. »Für gerechte Ausgangsbedingungen müsste man Klausuren also grundsätzlich auf den frühen Nachmittag verlegen«, fordert Kantermann.

Die Problematik geht jedoch weit über Lernerfolge und gute Noten hinaus. Wer jahrelang entgegen seinem natürlichen Schlaf-wach-Rhythmus leben muss, leidet zwangsläufig unter chronischem Schlafmangel. Roenneberg prägte in diesem Zusammenhang den Begriff »sozialer Jetlag«: Zwischen dem gesellschaftlich vorgegebenen Rhythmus und dem, was die innere Uhr vorgibt, klafft eine Lücke. Das ist vergleichbar mit dem Effekt, den Flüge über Zeitzonen hinweg verursachen. Allerdings begleitet der soziale Jetlag die Betroffenen über Jahre hinweg – oft sogar das ganze Leben lang. Und das ist höchst ungesund: Neben der schulischen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt Schlafentzug auch das Immunsystem, er trägt zu Übergewicht und Depressionen bei. Außerdem erhöht das Leben gegen die innere Uhr das Risiko für Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auch aus gesundheitlichen Gründen fordern deshalb Chronobiologen und Schlafforscher, dass die Schule später beginnen soll.

Während bisherige Erkenntnisse vorwiegend aus dem Labor oder aus Feldstudien stammten, wagen erste Pilotschulen bereits einen Schritt nach vorn. So beginnt der Schultag im Hamburger Gymnasium Marienthal seit dem Schuljahr 2014 /2015 statt um 8 Uhr erst um 8.30 Uhr. Es sei in erste Linie darum gegangen, etwas Stress aus dem Unterrichtsalltag rauszunehmen, so die damalige Schulleiterin Christiane von Schachtmeyer. Wie gut...

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