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Krüger-Bei

Ein deutsch-maghrebinisches Schicksal

AutorMounir Fendri
VerlagThelem / w.e.b Universitätsverlag und Buchhandel
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl236 Seiten
ISBN9783945363935
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Im Jahr 1881 führte Karl May beim deutschen Lesepublikum Krüger-Bei ein, einen deutschen Exilanten, der es am Hof des Beys von Tunis zum Kommandanten der Leibwache gebracht habe. May schreibt hier ein schweres und keineswegs mit Erfolg gesegnete Lebensschicksal um: Johann Gottlieb Krüger aus Mecklenburg war mit geringer Schulbildung in die Fremdenlegion eingetreten, aus ihr in Nordafrika desertiert und auf Irrwegen durch die Berberei schließlich am Hof des Beys von Tunis als kärglich besoldetes Mitglied der Leibwache aufgenommen worden. - Hier werden von Mounir Fendri, dem Entdecker der handschriftlichen Lebensbeschreibung Krügers, diese Manuskripte zum ersten Mal mit einer umfassenden biographischen Einleitung und gründlichen Kommentaren herausgegeben. Mit den Beiträgen von Walter Schmitz zur Kolonialkultur in Deutschland und von Martin Lowsky zu Karl May gewährt der Band einen umfassenden Einblick in Phantasie und Wirklichkeit des kolonialen Zeitalters. Johann Gottlieb Krüger aber gewinnt hier erstmals seine eigene Stimme.

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Leseprobe

Mounir Fendri


Über Johann Gottlieb Krüger und
seine Lebensbeschreibung

Ungleich wie die Meeres pfläche

So ist meine Lebens Bahn

Wilde Ströme sanfte Bäche

Trieft mich auch sehr Wudersahm

Wohl mir wenn ich in sichere Häfen

Freudich in der Ferne Blik

Wohl mir wenn ich, werde sagen

Mir hatt die Reise Wohlgeglückt

Johan Gottlieb Krüger, jetz genant Muhamed ben

Abdollah Nimse, Schathar, Throngarde, in Tunis

Den Kennern von Karl Mays üppiger Romanwelt ist die Figur des »Krüger-Bei« wohl vertraut. Seit Entdeckung der hier wortgetreu wiedergegebenen eigenhändigen Aufzeichnungen des Preußen Johann Gottlieb Krüger, Anfang der 1990er Jahre,90 weiß man, dass es sich bei dieser Figur um keine fiktive, sondern um eine real historische Person handelt, die bestimmte, für die damalige Epoche deutscher Geschichte, die Epoche des Vormärz, typische Zeitumstände aus der deutschen Heimat in die nordafrikanische Fremde verschlugen.

Mitentscheidend bei diesen Zeitumständen waren die europäische Kolonialexpansion mit der Eroberung Algeriens seit Sommer 1830 und das dafür vermehrt in Einsatz gebrachte Armeekorps der Fremdenlegion.

Per Dekret vom 9. März 183191 wurde die Fremdenlegion, Frankreichs »Légion Etrangère«, unter der Regierung von König Louis-Philippe ins Leben gerufen.

Abb. 6: Umschlagsbild von Karl Mays Krüger Bei-Roman.

Besonders infolge der Einnahme Algiers im Juli 1830, als Auftakt zur bald beschlossenen Kolonialeroberung von ganz Algerien, war der Bedarf an zusätzlichen Kräften für den kriegerischen Einsatz aus dem Ausland groß. Den mobilisierten Werbern waren, zwischen hochtrabenden Verheißungen und finanziellem Anreiz, alle Überzeugungsmittel recht, um Willige zu rekrutieren. Ein ergiebiges Reservoir bot, damals und weiterhin noch,92 abgesehen von den Flüchtlingsströmen nach den gescheiterten Revolutionen von 1830 in Polen und Italien, das Staatenkonglomerat des Deutschen Bundes. Die rückständige soziale, politische und wirtschaftliche Lage Deutschlands in dieser Zeit der Restauration und des Vormärz, des industriellen Aufbruchs und der wachsenden sozialen Frage, war jedenfalls ein fruchtbares Feld für solche Anwerbung. Es lag zweifellos nicht nur an der demographischen Proportion, dass die Mehrheit der Fremdenlegionäre in den Anfängen aus Deutschen bestand. Von sechs Bataillonen von je 1000 Mann setzten sich um 1835 vier aus deutschen Landsleuten zusammen.93

Bald nach ihrer Gründung war die Fremdenlegion ein in der deutschen Öffentlichkeit oft debattiertes Thema. Immer wieder erhoben sich kritische und mahnende Stimmen, um vor der Versuchung dieses fremdländischen Korps und der trügerischen Verlockung seiner heimlich agierenden Werber zu warnen. Am Beispiel folgenden Beitrags, den die außerordentliche Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung vom 23. 8. 1835 als »Vaterländischen Brief« abdruckte und der aus zeitgenössischer Sicht über die mannigfaltigen Beweggründe der Betroffenen Auskunft gibt:

In dieser Fremden-Legion, diesen Heerhaufen, die jetzt in Nord-Afrika dienen, und die man nach dem nördlichen Spanien bestimmt, sind wohl vier deutsche Bataillone, wo nicht mehr. Diese deutsche Jugend, welche sie auch sey, wie auch bei der gewöhnlichen Mischung von Gutem und Argem, unter solchen Abenteuerern, das Uebergewicht des Schlimmen seyn mag, war sicher in ganz andern Absichten und Hofnungen nach Afrika gegangen. Sie hoften Alle, ein besseres Schiksal, eine Ansiedelung, ein nährendes Gewerb, wäre es auch Taglohn. Den einen trieb die Armuth, das Werbegeld, die alte Mode solcher Werbungen. Der andere entzog sich irgend einer Gefahr, Strafe oder Gefängniß. Der wollte der Familie Mißverhältnisse, Vorwürfe, Kummer, Unehre ersparen, und wo möglich wieder gut machen; den wandelte die Lust an, nach alten Napoleonischen Sagen mit Franzosen zu dienen, unter solch Zutrauen einflößendem Kommando. Der suchte die freie Weite, der Raum war ihm zu Hause auf mancherlei Weise zu eng. Der mochte ein schwankes Bild von den Hesperiden und vom unermeßlichen Afrika haben, und wann er Staub und Sand in den Augen hatte, so war es Goldsand. Bei vielen konnte in Anschlag kommen, gegen Ungläubige zu kämpfen. Sicher war das abenteuerliche Feld in der Einbildungskraft ungemessen.94

Als unmittelbarer Zeuge während eines Algier-Aufenthalts im Januar-April 1835 ging Fürst Pückler-Muskau in seiner im Jahr darauf erschienenen Nordafrika-Reiseerzählung oft auf vor Ort angetroffene Legionäre aus deutschen Landen ein: »Seltsame Schicksale sieht man in dieser Fremdenlegion zusammengewürfelt! Wer sie alle kennte, würde hier eine wahre Fundgrube für Almanacherzählungen erbeuten und das beliebte Criminelle dabei auch nicht vermissen95 Er schilderte den Weg einiger solcher »Schicksale«, die er als verirrte Landsleute in den vier der sechs Fremdenlegion-»Bataillone«96 persönlich kennenlernte.97

Oft waren es ex-Legionäre, die schon seit Mitte der 1830er Jahre durch abschreckende (oft anonym publizierte) Erlebnisberichte zur Vorsicht gegenüber der Legionsfalle mahnten. Einer der ersten war August Jäger, der seine bittere Erfahrung als Algerien-Legionär in einem 1834 erschienenen Buch schilderte.98 Ein anderer war jener Albert Kuhn, der im nachträglichen Reuebekenntnis über den folgenschweren Entschluss in jugendlicher Begeisterung, das Tübinger Stift mit der Fremdenlegion zu vertauschen, sagte: »Leichtgläubig, wie wir waren, noch unbekannt mit französischen Ränken und Pfiffen, und im festen Vertrauen auf Versprechungen, welche nie gehalten wurden, und auch nie gehalten werden sollten, kannte unser Jubel keine Grenzen«.99 Ein anderer Protagonist, Georg von Rosen, der die Rekruten der Fremdenlegion mit den »Landsknechten des Mittelalters« verglich100, stellte seinem Erlebnisbericht folgende patriotische Mahnverse voran: 101

Das Vaterland, das theure, sollst Du lieben

Und den Beruf, worein es Dich gestellt,

Dies ist die Pflicht, von der Natur geschrieben

In Deine Brust; dies das Gesetz der Welt.

Es straft sich selbst, wer diese Pflicht verkennet,

Hinaus in’s Leben übermäßig stürmt,

Wie ein Phantom, dem keine Ruh vergönnet,

Er heimathlos von Land zu Lande rennt.

Abb. 7: Zeichnung eines Fremdenlegionärs in typischer Uniform. Verscshiedentlich zur Umschlaggestaltung von Erwin Rosens Erlebnisroman »In der Fremdenlegion« verwendet.

Desgleichen hätte ebenso gut von Johann Gottlieb Krüger stammen können, einem der zahlreichen Schicksalsgenossen der Jäger, Kühn und Rosen im Vormärz-Deutschland. Ihm war nicht vergönnt, jemals in die gleichermaßen verlassene Heimat, die Mark Brandenburg, zurückzukehren und über seine Erlebnisse im Dienste und Gefolge von Frankreichs Kolonialtruppen reuend und mahnend in einem Buch öffentlich Bericht zu erstatten. Dass er den Plan dazu gehegt hatte, davon zeugen seine eigenhändigen Aufzeichnungen, die vor einiger Zeit als Manuskript wieder ans Tageslicht gefördert werden konnten.

Über den Fund dieses authentischen, kulturgeschichtlich relevanten Dokuments eines vormärzlichen deutsch-maghrebinischen Erlebnisses im Nachlass Gustav Nachtigals in der Berliner Staatsbibliothek ist im Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1992 ausführlich berichtet worden.102 Da liegt Krügers eigenhändige Lebensgeschichte seit dem ersten (1863–1868) oder dem zweiten (1882–1884) Tunesien-Aufenthalt Nachtigals als Fremdeinlage in zwei Konvoluten unter den Papieren des vormals bekannten Afrika-Forschers.103 Aus Nachtigals Briefen geht hervor, dass sich beide Landsleute in Tunis begegnet sind, zum ersten Mal im Frühjahr 1863, als Nachtigal, der Pastorensohn aus Stendal, vom algerischen Bôna/Annaba kommend, einen Erkundungsbesuch in der nordafrikanischen Hauptstadt unternahm, bevor er sich da bis Ende 1868 als praktizierender Arzt niederließ.1045 Jahre später, nach der transsaharischen Afrikareise (1869–1875), die Nachtigals Ruhm als »Afrikaforschers« begründete, war er im April 1882 im Auftrag Bismarcks nach Tunis zurückgekommen, um da (bis zu seiner Kamerun-Mission und seinem Tod 1885) das Konsulat des Deutschen Reiches zu leiten. Aus seiner privaten Korrespondenz und den erhaltenen Tagebuchnotizen geht nicht nur die enge Verbindung mit dem preußischen Landsmann Krüger hervor, sondern auch der explizite Hinweis auf einen unmittelbaren Zugriff auf Krügers autobiographische Aufzeichnungen. In einem Schreiben vom 8. 10. 1863 an die Mutter in Stendal kommt Nachtigal zum wiederholten Mal auf Krüger zu sprechen und fügt...

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