3Kapitel 1: Die Veränderungen sind nicht das Problem
Der Anfang aller Weisheit ist, die Dinge bei ihren wahren Namen zu nennen.
Chinesisches Sprichwort
Es ist ein schrecklicher Moment,
wenn man in der Führungsrolle ist und sich umdreht –
und niemand hinter einem steht.
Franklin Delano Roosevelt,
US-amerikanischer Präsident
Die Veränderungen sind nicht das Problem; das Problem sind die Übergänge. Das ist nicht das Gleiche. Veränderungen werden durch bestimmte Situationen ausgelöst: der Umzug an einen neuen Standort, ein neuer Geschäftsführer ersetzt den Unternehmensgründer, die Rollen im Team werden neu organisiert oder neue Technologien werden eingeführt. Der Übergang ist hingegen ein dreiteiliger psychologischer Prozess, durch den Menschen gehen, wenn sie mit den Einzelheiten der neuen Situation, die durch die Veränderung entsteht, umgehen und sie verinnerlichen. Obwohl diese Übergänge in den Plänen zur Veränderung nicht erscheinen, sind sie nicht optional und ein Zusatz zur Veränderung, den man auch weglassen kann. Es ist kein zusätzlicher Luxus, den man vernachlässigen kann, bis sich die Lage entspannt und die wichtigen Dinge getan sind. Menschen durch diesen Übergang zu begleiten, ist entscheidend dafür, dass die Veränderung wie geplant durchgeführt werden kann. Wenn eine Veränderung umgesetzt wird, ohne dass die Mitarbeiter durch einen Prozess des Übergangs gehen, ist es nur eine Verschiebung der vorhandenen Stühle. Das ist gemeint, wenn jemand sagt, „dass sich alles verändert hat, heißt noch lange nicht, dass hier irgendetwas anders geworden ist.“ Das ist der Fehler, wenn eine hoch dotierte Veränderung schließlich viel Geld kostet und zu enttäuschenden Ergebnissen führt. Obwohl es so wichtig ist, durch den Übergang zu gehen, um die Ergebnisse zu erreichen, die die Organisation sich wünscht, fehlt oftmals eine Sprache für diese Prozesse.
Ein Beispiel ist Benetton. Die große italienische Bekleidungsfirma entwickelte einen vielversprechenden Plan zur Erweiterung des Sortiments.1 Man kaufte einige führende Sportwarenhersteller – Nordica 4Skischuhe, Kastle (später Nordica) Skis, Rollerblade In-Line-Skater, Prince Tennisschläger und Killer Loop Snowboards – und verfolgte dabei die Idee, dass man den Käufern dieser Marken auch Training- und Freizeitkleidung anbieten könnte, die von Benetton hergestellt wird.
Es schien eine interessante Idee zu sein und Benetton gab fast eine Milliarde Dollar aus, um die entsprechenden Unternehmen zu kaufen. Dabei ging man so vor, wie es große Unternehmen oft tun – man stellte sich vor, dass die kleineren Unternehmen hoch erfreut wären, auf diese Weise Teil einer außerordentlich erfolgreichen internationalen Marke zu werden. Man integrierte die neuen Unternehmen in das Mutterunternehmen und suchte nach den Synergien und wirtschaftlichen Möglichkeiten, die bei solchen Übernahmen immer eine zentrale Rolle spielen. Man begann damit, die Verkaufsabteilungen und Marketingteams zusammenzulegen, und verbesserte die internen Kommunikationswege, indem man die fraglichen Abteilungen an den neuen Hauptsitz für Sportsysteme in Bordentown, New Jersey, verlegte.
Das Problem bei dieser Vorgehensweise brachte ein Berater auf den Punkt, der sich immer mehr dafür einsetzen musste, die Übernahmen zu retten, nachdem sich zunehmend Schwierigkeiten einstellten: „Die Leute arbeiten in diesen Unternehmen, weil sie diese Tätigkeit lieben. … Wenn man ihnen das nimmt, dann verliert man alles, sowohl in der internen Unternehmenskultur als auch in der Wettbewerbsfähigkeit.“ Bei Rollerblade zum Beispiel verbrachten die Mitarbeiter ihre Mittagspause damit, in Minneapolis in den schön Parks am See In-Line-Skater zu fahren und vor dem Firmengebäude In-Line-Skate-Hockey zu spielen. Bei Benetton hatte man über die Bedeutung dieser Tatsache nicht ausreichend nachgedacht – und auch nicht über die Folgen der Entlassung einer großen Prozentzahl von Mitarbeitern, zum Beispiel drei Viertel der Belegschaft bei Rollerblade.
Der Berater, der versuchte, die Übernahmen zu retten, konnte die 21 verbliebenen Mitarbeiter davon überzeugen, nach New Jersey zu ziehen, aber nur, indem er ihnen Gehaltserhöhungen und Beförderungen anbot und versprach, dass sie innerhalb eines Jahres bei voller Kostenübernahme nach Minnesota zurückgehen könnten und bis zu zwei Jahre lang Abfindungen erhalten. Als sie nach New Jersey kamen, mussten sie feststellen, dass ihre Vorgesetzten vorherige Außendienstmitarbeiter von Nordica waren. (Dem Team für Tennisschläger bei Prince erging es noch schlechter, ihnen wurde gekündigt.) Der Nettoprofit – diese magische Zahl, die alles rechtfertigt – sah so aus, dass Benetton im Jahr der Übernahmen in den USA von einem Profit von fünf Millionen Dollar zu einem Verlust von 31 Millionen Dollar 5abstürzte. Nebenbei bemerkt nahmen 20 von den 21 Mitarbeitern von Rollerblade das Angebot an, nach Minnesota zurückzukehren.
Nicht jedes schlecht geführte Transition Management hat solche destruktiven Konsequenzen, aber dieses enthält alle negativen Folgen, die dabei auftreten können. Transition Management bedeutet nicht nur, finanzielle Abschlüsse zu erreichen, sondern umfasst den einfachen Prozess, die Beteiligten durch drei Phasen zu begleiten:
1. Loslassen der alten Gewohnheiten und Identitäten. Diese erste Phase des Übergangs ist ein Ende und damit eine Zeit, in der wir den Menschen helfen müssen, mit ihren Verlusten umzugehen.
2. Eine Zeit des Übergangs, in der das Alte vorbei ist, aber das Neue noch nicht vollkommen funktioniert. Wir nennen diese Phase die „neutrale Zone“, hier geschehen die wichtigen psychologischen Neuorientierungen und es werden neue Muster geschaffen.
3. Hier kommt der Übergang zu einem Ende und ein Neuanfang wird möglich. Die Menschen entwickeln eine neue Identität, sie erfahren die neue Energie und entdecken ein neues Gefühl der Sinnhaftigkeit, durch welche die Veränderung funktionsfähig wird.
Weil der Übergang ein Prozess ist, bei dem sich die Mitarbeiter von einer alten Welt trennen und in einer neuen Welt ankommen müssen, kann man sagen, dass jeder Übergang mit einem Ende beginnt und mit einem Anfang endet.
Abbildung 1.1: Die drei Phasen im Transition Management
Während des desaströsen Ausflugs in die Sportgerätebranche beschäftigte man sich bei Benetton mit der Durchführung der Veränderung 6– Mitarbeiter zusammenzulegen und an neue Orte zu versetzen – und vergaß den Übergang. Die Mitarbeiter erlebten ein schwieriges Ende, das die Planer der Veränderung nicht einmal anerkannten. Die Mitarbeiter erlitten große psychologische Verluste (ein beliebter Ort, eine Unternehmensidentität, die mit einer geliebten Aktivität verbunden war, der Kameradschaftsgeist, der aus einem gemeinsamen Interesse und der Beschäftigung mit einer neuen, interessanten Aktivität entsteht) und das Unternehmen behandelte diese Verluste wie eine finanzielle Transaktion. Das Unternehmen erkannte nicht die Notwendigkeit für eine Unterstützung während der schwierigen neutralen Zone. Und die Hilfe beim Neuanfang beschränkte sich auf neue Stellenbezeichnungen und höhere Leistungsvorgaben.
Der Erfolg oder das Scheitern jeder Art von Veränderung – auch wenn sie wirtschaftlich oder technologisch gerechtfertigt ist – hängt davon ab, dass die betroffenen Menschen ihr Handeln umstellen. Können die Mitarbeiter die alte Arbeitsweise loslassen, gehen sie durch die schwierige Zeit zwischen dem Alten und dem Neuen und kommen schließlich an den Punkt, wo sie eine neue Arbeitsweise annehmen können? Wenn ein Unternehmen den Mitarbeitern nicht hilft, durch diese drei Phasen zu gehen, dann nützen auch die besten Trainingsprogramme wenig. Die Führungskräfte vergessen das Ende und die neutrale Zone; sie wollen mit der letzten Stufe des Übergangs beginnen. Und sie sehen nicht, was falsch gelaufen ist!
In einem anderen Beispiel startete ein Versicherungunternehmen ein Programm, um Ideen zur Kostensenkung zu sammeln. Ich weiß nicht, was es gekostet hat, aber es könnte teuer gewesen sein, weil dazu die Koordination der Aktivitäten und der Resultate von 48 Teams gehörte. Der Leiter dieses Projekts berichtete (scheinbar ohne sich der Ironie seiner Aussage bewusst zu sein), dass eine besonders kreative Idee eingereicht worden sei, die die besten Absichten des Programms zum Ausdruck brachte und potenziell jährlich 140.000 Dollar einsparen konnte: Wenn man Papier seitwärts in ein Faxgerät einlegt, dann verringert sich die Übertragungszeit um 15 Prozent. Aber dann fügte er hinzu, dass diese Idee wohl schwer umzusetzen sei, weil sie erforderte, dass die Mitarbeiter ihr Verhalten verändern.2
Diese Idee können wir also vergessen! Dann sollten wir Vorschläge finden, für die niemand sein Verhalten ändern muss. Wenn Sie das lesen, denken Sie vielleicht, dass jede relevante Idee zur Kostensenkung eine Verhaltensänderung umfasst. Ein Blatt Papier um 90 Grad zu drehen, bevor man es in das Faxgerät einlegt, ist eine kleine Veränderung im 7Vergleich zu den Verhaltensänderungen, die notwendig sind, um eine Fusion, eine Neuorganisation oder eine neue Unternehmensstrategie erfolgreich umzusetzen. Diese Veränderungen führen zu tausenden kleineren Veränderungen, bei denen erforderlich ist, eine alte Verhaltensweise loszulassen – die den Mitarbeitern Belohnungen eingebracht hat, ihnen Zufriedenheit gegeben hat, weil sie der Ansicht waren, das „Richtige“...