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Feliks E. Dzier?y?ski

Eiserner Tschekist und gefeierter Held

AutorPhilipp Ewers
VerlagEdition Berolina
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl400 Seiten
ISBN9783958415560
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Nur 49 Jahre alt wurde Feliks Edmundowitsch Dzier?y?ski (1877-1926), Spitzname 'Eiserner Felix'. Davon stand er neun Jahre an der Spitze der Tscheka, des Nachrichtendienstes der jungen Sowjetunion, dessen Gründer er auf Geheiß von Lenin war. Diese neun Jahre sicherten ihm seinen Platz in den Geschichtsbüchern, sei es - aus westlicher Sicht - als 'Bluthund der Revolution', sei es - aus russischer Sicht - als Held, der entscheidend dazu beitrug, der jungen Sowjetunion das Überleben zu sichern. Und dies zu einem Zeitpunkt, als die meisten Beobachter sicher waren, dass diesem Staat keine Zukunft beschert sei. Wer war der Mensch Feliks E. Dzier?y?ski, was prägte ihn, wie kam er dazu, diese entscheidende Position im jungen Sowjetstaat zu übernehmen? Was versetzte ihn in die Lage, das ihm anvertraute Amt höchst erfolgreich auszufüllen? Diesen und anderen Fragen geht Philipp Ewers in der vorliegenden Biographie nach, mit der eine der wichtigsten Figuren aus dem Führungskader der jungen Sowjetunion beleuchtet wird. Ein facettenreiches und aus vielen Quellen gespeistes einzigartiges Porträt.

Philipp Ewers, geboren 1960, promovierter Historiker und Slawist und tätig als politischer Publizist. Als Russland-Kenner beschäftigt er sich in verschiedenen Publikationen mit der Geschichte sowie der aktuell-politischen Situation des wichtigsten EU-Nachbarn. Zuletzt erschien in der edition berolina: Wjatscheslaw Molotow. Realpolitik und Exzess (2017).

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Leseprobe

Vorwort

Aus westlicher Sicht ist die Sache klar. Feliks Edmundowitsch Dzierżyński war ein finsterer Verbrecher, »Stalins Henker«, auf einer Stufe mit Himmler und Heydrich. Schiebt man einmal die dabei mitschwingenden Vor- und Fehlurteile beiseite und versucht, eine etwas weniger voreingenommene Sicht auf das Leben des »eisernen Feliks« zu gewinnen, wird die Sachlage schnell weniger eindeutig. Was war er denn nun, Held oder Finsterling? Die Frage lässt sich nicht in einem Satz beantworten. Zumal aus anderem Blickwinkel sich differierende Wertungen ergeben, denen zufolge der »erste Tschekist« in vieler Hinsicht bemerkenswerte Erfolge beim Aufbau des Sowjetstaats erzielen konnte. Und das nicht aufgrund des »Headcounts«, der Zahl der angeblich von der Tscheka umgebrachten Unschuldigen. Um in diesem Widerstreit der Meinungen sicheren Grund zu gewinnen, wollen wir auf den folgenden Seiten die unumstößlichen Fakten sammeln und auf der Basis valider Daten ein Bild dieser geschichtlichen Persönlichkeit entwerfen, das den Lebens- und Zeitumständen gerechter wird.

Betrachtet man die sowjetische Nationalgeschichte von ihrem Ende her, so fällt auf, dass die Leninstatuen zumeist stehen blieben, selbst in der von Westblock-U-Boot Jelzin auf Geheiß seiner US-Berater 1991 in die Unabhängigkeit verstoßenen Ukraine (Jelzin rief nach der Unterzeichnung der Kapitulationserklärung der Sowjetunion vulgo Vereinbarungen von Beloweschskaja Puschtscha, als Erstes US-Präsident Bush an, um ihm die freudige Mitteilung persönlich zu übermitteln) – erst nach dem EU-Putsch 2013/14 änderte sich das: Als Zeichen für die gewaltsame Neuorientierung der mit Russland eigentlich traditionell untrennbar verbundenen Ukraine fielen nun die Leninstatuen im ganzen Land. Soweit das Schicksal der Leninstatuen. Dzierżyński selbst fiel schon 1989, unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Ostblocks der Damnatio memoriae zum Opfer, jener aus der Antike bekannten Strategie, durch die Vernichtung sämtlicher Abbilder die Erinnerung an eine bestimmte geschichtliche Persönlichkeit auszulöschen. In Warschau fiel seine Statue, und der nach ihm benannte Platz wurde anderweitig benamst. In Moskau räumten übereifrige Helfershelfer westlicher Okkupationsstrategien 1991 die Statue vor der Lubjanka ab (aber schmolzen sie zumindest nicht ein, sondern archivierten sie). Mit den Abbildern Dzierżyńskis sollte auch die Erinnerung an die Sowjetunion möglichst schnell vernichtet werden. So wie in den östlichen Berliner Stadtteilen nach der Okkupation durch die BRD 1990 ruckzuck sämtliche Spuren der DDR-Vergangenheit beseitigt wurden, von der Zerstörung des Lenin-Denkmals (Good bye, Lenin!), der Umbenennung des gleichnamigen Platzes, bis hin zum Abriss des Palastes der Republik und stattdessen der Reproduktion ex nihilo des Hohenzollernschlosses. In ihrem Übereifer entfernten die Geschichtsfälscher sogar das »Schandmal« der DDR, den »antifaschistischen Schutzwall« rund um Westberlin, fast restlos, so dass für eine »Gedenkstätte« nur noch ein paar wenige Mauer­teile an der Bernauer Straße übrig blieben, die dann zum »Mahnmal« hochgejazzt wurden.

Eines ist von vornherein sicher. Anfang, Entstehung und Überleben der Sowjetunion im ersten Lustrum, im ersten Jahrfünft, in den kritischen ersten Jahren 1917 bis 1922, wären ohne Dzierżyński nicht denkbar. Seine Rolle war zentral in den revolutionären Anfängen der So­wjetunion und dem Ringen um ihren Bestand während des Bürgerkriegs und der ausländischen Interventionen zwischen 1918 und 1920. Vergleicht man diese Phase der Geschichte der Sow­jetunion mit ihrem Ende unter Bresch­new und Gorbatschow, dann wird das gesamte Ausmaß der Erstarrung, der Versteinerung, der Verorthodoxierung von Staat und Gesellschaft deutlich. Am Anfang der Geschichte der Sowjetunion steht, nach Lenins gezielter Nutzung der kaiserlich-deutschen Unterstützung, der ebenso virtuose wie siegreiche Kampf um ihr Überleben in den ersten kritischen Monaten und Jahren, als Feinde von allen Seiten in die junge russische Sowjet­union eindrangen und ihr Überleben mehr als einmal an einem seidenen Faden hing (zur deutschen Unterstützung Lenins vgl. Johannes Seiffert: Die größten Täuschungen der Geschichte. Berlin 2016, sowie Philipp Ewers: Putin verstehen? Russische Außen- und Sicherheitspolitik der Ära Wladimir Putin. Berlin 2016.). Damals waren Persönlichkeiten wie Lenin, Trotzki und Dzierżyński in der Lage, alle Kräfte zu bündeln und am Ende den Sieg zu erringen. Knapp sieben Jahrzehnte später war der von ihnen geschaffene, erste sozialistische Staat der Welt nicht mehr in der Lage, den vielfältigen, multifrontalen, polymorphen, offenen und verdeckten Angriffen des Westblocks standzuhalten. Gefangen in ihrer eigenen Erstarrung und der suboptimal organisierten Kaderauswahl nicht mehr nach Leistung, sondern weitgehend nach Parteidienstjahren, mangelte es an fähigen Anführern auf allen Ebenen. Das versammelte Personal erwies sich als unfähig, die staatlichen Strukturen als unzureichend, um ein Überleben dieser Gesellschaft am Ende des 20. Jahrhunderts weiterhin zu gewährleisten. Während die chinesischen Genossen mit Deng Xiaoping einen Denker und Visionär an der Spitze hatten, der seit 1978 dar­auf hinarbeitete, die exzessive (und per se zerstörerische und keineswegs kreative) Dynamik der kapitalistischen Wirtschaftsweise dem Sozialismus dienstbar zu machen, sie also zu kanalisieren, zu domestizieren und somit für die Weiterentwicklung der sozialistischen Gesellschaft zu nutzen, verbunden mit der weiterhin führenden Rolle der Partei und sozialistischer Gesellschaftsstrukturen, fand der Sowjetsozialismus in den achtziger Jahren keinen Ausweg mehr aus der Negativspirale wirtschaftlichen und politischen Niedergangs Richtung Kapitulation. Angesichts der schwer und opferreich erkämpften Errungenschaften sozialistischer Gesellschaften ist es umso beschämender, wie leichtfertig sie am Ende dahingegeben wurden, wie gering der Widerstand gegen die gesamtgesellschaftliche Kapitulation war. Einer Kapitulation gegenüber dem triumphierenden Kapitalismus, der jauchzenden Hochfinanz und den Salut schießenden imperialistischen Streitkräften, die sich dann umgehend ans Werk machten, die Überlassenschaften des Sozialismus auf Kapital- und NATO-Kurs zu bringen. Natürlich unter Ausschluss Russlands, das – unabhängig von der dort gerade vorherrschenden Gesellschaftsform – vom Westblock unabänderlich als Erz- und Erbfeind betrachtet wird, mit dem es nichts anderes als Zwist und Konkurrenz beziehungsweise erbarmungslosen Kampf bis aufs Messer geben kann.

Feliks Dzierżyński war ein Kämpfer, er war einer der entscheidenden Faktoren, die das Überleben der Oktoberrevolution und der von ihr hervorgebrachten neuen sowjetischen Gesellschaftsform in den Jahren nach 1917 sicherten, also in jener kritischen ersten Phase, als der junge Sowjetstaat mehr als einmal kurz vor seinem Ende zu stehen schien. Fast ein Viertel seines Lebens, insgesamt elf Jahre, hatte er im Gefängnis beziehungsweise in Verbannung zubringen müssen. Seine Mitkämpfer verliehen ihm den Titel »eiserner Feliks«, angesichts seiner vielfältigen Verdienste im Kampf um die künftige Geschichte der Sowjetunion und angesichts seiner unbeugsamen Haltung gegenüber den Schicksalsschlägen, die sein eigenes Leben, aber auch das seines Staates betrafen. Seit seinem 17. Lebensjahr widmete sich Dzierżyński dem Kampf für eine Verbesserung der Lebensverhältnisse im damaligen russischen Zarenreich. Als Agitator der Proletarier in Kaunas und Wilna in Litauen begann er seine Karriere, die ihn schon bald zum Berufsrevolutionär werden ließ, der sein Leben im Kampf gegen das verbrecherische Zarenregime einsetzte und der sich unermüdlich für die Verbesserung der Lebensverhältnisse der »kleinen Leute«, der »Vergessenen« engagierte.

Diese Zielgruppe spielte zuletzt bekanntlich im US-Wahlkampf 2016 eine entscheidende Rolle, als Kandidat Trump versprach (eine der durchschaubarsten Wahlkampflügen aller Zeiten), sich für die »Zurückgelassenen«, die von der wirtschaftlichen Entwicklung abgehängte ehemalige weiße Mittelschicht, einzusetzen. Das brachte ihm den Wahlsieg ein – Zeichen dafür, wie groß die kritische Masse in den Industriestaaten des Westblocks mittlerweile geworden ist; in der BRD könnte man hierzu den Wahlerfolg der AfD heranziehen, die mit sage und schreibe 92 Abgeordneten im neuen »Bundestag« der Wahlperiode 2017–2021 sitzt. Dieses »Versprechen« hinderte Trump natürlich keine Sekunde lang daran, unmittelbar nach seiner Amtseinführung die Umverteilungspolitik seiner Amtsvorgänger Obama & Co. nahtlos fortzusetzen und die depravierte ehemalige Mittelklasse noch weiter zu depravieren und ihrer letzten Besitzstände zu berauben, so im Dezember 2017 durch die »Steuerreform«, die in Wahrheit eine weitere Umverteilungsrunde von unten nach oben bedeutete; aber auch durch die Reform der Krankenversicherung, die Millio­nen von US-Amerikanern diese Form der staatlichen Absicherung entzog.

Dzierżyński lernte Lenin beim 4. Parteikongress der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (RSA) persönlich kennen, der 1906 in Stockholm stattfand – die Kongresse mussten im Ausland stattfinden, da die Partei vom Zaren verboten worden war. In den Jahren danach wurde er zum engen Mitarbeiter Lenins. So ist es kein Wunder, dass Dzierżyński persönlich in die Vorbereitung und Durchführung der Oktoberrevolution 1917 in Petrograd involviert war. Unmittelbar nach der Revolution wurde er zum Vorsitzenden der Allrussischen außerordentlichen...

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