Das Königreich Jesu
Auch das Königreich Jesu Christi ist kein Gebiet, das diesem Äon, der Welt, angehört. Jesus Christus hat gelehrt: "Wenn ich im Geist Gottes die Dämonen austreibe, so ist zu euch das Reich Gottes gekommen" (Matth. 12,28). Der Ausdruck "Reich Gottes" kann noch genauer übersetzt werden mit "Königreich Gottes". Es ist das ein Bereich, in dem Jesus Christus König ist. Das Reich kommt zu den Menschen, wenn diese das Wort Gottes empfangen und gerettet werden. Wie das vor sich geht, zeigt das Beispiel von Zachäus, von dem Jesus sagt: "Heute ist diesem Hause Heil widerfahren" (Luk. 19,9). Man kann auch übersetzen: "Heute ist diesem Hause Rettung widerfahren." Wo Jesus Christus seine Königsherrschaft aufrichtet, da ist Rettung, da ist Befreiung von Sünde.
Das bedeutet: An einem Ort, wo beispielsweise Jesus einem von Dämonen besessenem Menschen begegnet, treffen zwei völlig entgegengesetzte Königreiche aufeinander. Da begegnet das Königreich Gottes (Matth. 12,28) einem anderen Königreich (Matth. 12,26), nämlich dem des Satan. Wir dürfen uns diese beiden Königreiche nicht wie zwei geographische Gebiete vorstellen, so daß die Grenze zwischen den Gebieten verschoben werden könnte. Vielmehr ist es so: In einem Gebiet, im Palästina der Römerzeit, begegnet der König des Königreiches Gottes einem Gefangenen aus dem Königreiche Satans.
Solange wir das nicht verstehen, können wir uns die Welt nur entweder als Königreich Satans oder als Königreich Gottes vorstellen. Diese Denkweise hat auch die englische Bibelübersetzung NIV beeinflußt. In 1. Joh. 5,19 heißt es wörtlich: "Die ganze Welt liegt im Argen." Die englische Übersetzung NIV gibt diese Worte folgendermaßen wieder: "the whole world is under the control of the evil one" (die ganze Welt ist unter der Kontrolle des Bösen). Diese Übersetzung ist durch den Urtext nicht gedeckt. Zwar wird in der Bibel der Teufel als „Fürst dieser Welt“ (Joh. 16,11) bezeichnet, doch der auferstandene Christus spricht: „Mir (also nicht dem Teufel) ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“ (Matth. 28,18). Außerdem predigt der Apostel Paulus, daß Gott die Grenzen der Völker festgesetzt hat (Apg. 17,26).
Der Teufel verfinstert den Sinn einzelner Menschen. Aber Gott hat alles unter Kontrolle. Der Teufel verführte die Söhne Jakobs, ihren Bruder Joseph in die Sklaverei zu verkaufen. Der Teufel verführte irgendwelche Räuberbanden, Hiobs Knechte zu erschlagen und dessen Vieh zu rauben. Der Teufel fuhr in das Herz des Judas, so daß dieser Jünger Jesus verriet. Aber all diese Sünden baute Gott in seine Weltregierung ein. Wenn der Teufel bei der Versuchung Jesu sagt: denn sie (all diese Macht und ihre Herrlichkeit) ist mir übergeben und wem ich will, gebe ich sie“ (Luk. 4,6), so dürfen wir nicht übersehen, wer hier spricht. Wir dürfen nicht übersehen, daß diese Worte die Verkündigung des Teufels sind, daß es der Teufel ist, der den Eindruck erwecken will, er sei der Alleinherrscher auf Erden.
In diese Welt, in diesen Äon, ragen zwei Machtbereiche hinein: nämlich das Königreich Gottes und das Königreich Satans. Das ist möglich, weil weder das Königreich Gottes, noch der Teufel den Gesetzen des dreidimensionalen Raumes mit Länge, Breite und Höhe unterworfen ist. Da die beiden Königreiche nicht räumlich sind, ist ein Übergang ohne Ortswechsel möglich.
Jesus war König des Königreiches Gottes und lebte gleichzeitig in der innerweltlichen Machtsphäre des Teufels. Zu seinen Nachfolgern spricht Christus: "Der Knecht ist nicht größer als sein Herr. Haben sie mich verfolgt, so werden sie auch euch verfolgen" (Joh. 15,20).
Jesu Nachfolger lebten im Königreich Jesu, und doch befanden sie sich auch gleichzeitig im römischen Zirkus, wo sie den Löwen vorgeworfen wurden. Dort im römischen Zirkus gab es auf kleinstem Raum ein Maximum an teuflischen Scheußlichkeiten. Trotzdem sahen Jesu Nachfolger im römischen Zirkus, und zwar im Rachen des Löwen, das Tor zum Himmel. Hier überschneiden sich zwei Ebenen: Eine Ebene ist die räumliche Wirklichkeit, der beispielsweise auch der Hügel Golgatha und der römische Zirkus angehören. Anders geartet ist die Wirklichkeit, der die Engel- und Dämonenmächte angehören.
Ein Land dieser Welt kann nie deckungsgleich mit dem Reich Gottes oder mit dem Reich Satans sein. Doch das Reich Gottes ragt in diese Welt hinein. Johannes der Täufer und auch Jesus selbst verkündigen: "Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen" (Matth. 3,2; 4,17).
Zu Beginn seiner Lehrtätigkeit benutzte Jesus das Wort "Himmelreich", denn mit dem Wort "Gottesreich" verbanden Jesu Zuhörer die Vorstellung von einem irdischen politischen Friedensreich ohne römische Besatzungsmacht. Wenn Jesus von "Himmelreich" sprach, so lenkte er damit den Blick und die Gedanken seiner Predigthörer weg von diesem Äon und hin zu jenem Äon, der in seiner eigenen Person in diese Welt hineinreicht.
Als Jesus seine Jünger aussandte, Kranke gesundzumachen, Tote aufzuerwecken, Aussätzige zu reinigen und böse Geister auszutreiben, sollten sie auch predigen: "Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen" (Matth. 10,7). Denn dort, wo Jesu Jünger im Auftrag ihres Herrn und Meisters den Machtbereich des Teufels zurückdrängen, kommt das Himmelreich "nahe herbei".
Daß das Reich Gottes auch schon in der Zeit Jesu gegenwärtig war, erklären Jesu Gleichnisse vom Himmelreich. Jesus lehrt: "Das Himmelreich gleicht einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und auf seinen Acker säte; das ist das kleinste unter allen Samenkörnern; wenn es gewachsen ist, so ist es größer als die Kräuter und wird ein Baum, so daß die Vögel unter dem Himmel kommen und wohnen in seinen Zweigen" (Matth. 13,31f). Das Himmelreich kommt aus jener Welt; im neutestamentlichen Griechisch ausgedrückt: aus jenem Äon. Aber es wächst in dieser Welt, und zwar nicht nur irgendwann in der Zukunft, sondern bereits schon zu Lebzeiten der Predigthörer Jesu.
Das wird auch durch ein weiteres Gleichnis erläutert: "Das Himmelreich gleicht dem Sauerteig, den eine Frau nahm und unter drei Sat Mehl mengte, bis es ganz durchsäuert war" (Matth. 13,33). Wie die Frau Sauerteig in das Mehl einbrachte, so sind die Bürger des Himmelreiches unter die Menschen dieser Welt gemengt. Wie Sauerteig sein biologisches Leben an Süßteig weitergibt, so geben auch die Bürger des Himmelreiches ihr geistliches Leben, das sie aus jener Welt, aus jenem Äon, erhalten haben, an ihre Mitmenschen weiter. Auf diese Weise wächst das Himmelreich in dieser Welt.
In der Bergpredigt lehrt Jesus: "Ihr seid das Salz der Erde", "ihr seid das Licht der Welt" (Matth. 5,13f). Nachfolger Jesu bringen als "Salz der Erde" ihre in der Bergpredigt beschriebene Andersartigkeit in diese Welt hinein. Diese Bilder und der Begriff "Himmelreich" zeigen, daß das Gottesreich kein politisches Gebilde wie ein Staat ist. Sondern wie Salz eine Mahlzeit durchdringt und deren Geschmack verändert, so durchdringt das Gottesreich, dessen Bürger im Römerreich und in anderen politischen Reichen lebten und leben, eben diese Reiche.
Wie die Bürger des Gottesreiches als Salz der Erde diese Welt verändern, so geben sie auch als "Licht der Welt" Orientierung in der Finsternis, die nach Jes. 60,2 das Erdreich bedeckt. Sie sind Träger des Lichtes, mit dem Jesus gemäß den Worten des greisen Simeon die Heiden erleuchtet (Luk. 2,32). "Daran werden alle erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt" (Joh. 13,35).
Das Reich Gottes ist schon in der Gegenwart vorhanden, und nicht erst in der Zukunft. Das zeigt auch folgendes Herrenwort: "Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, wird in dieses nicht hineinkommen" (Mark. 10,15). Wenn Jesus uns in der Bergpredigt auffordert: "Trachtet am ersten nach dem Königreich (in einer Handschriftengruppe steht: Königreich Gottes) und nach seiner Gerechtigkeit" (Matth. 6,33), so setzt diese Aufforderung voraus, daß es dieses Königreich Gottes bereits in der Gegenwart gibt.
Im griechischen Urtext steht für "Gerechtigkeit" das gleiche Wort, das der Apostel Paulus im Rechtfertigungskapitel Röm. 3 gebraucht. Das bedeutet, Jesus spricht von der Gerechtigkeit, mit der wir vor Gott bestehen können. Jetzt, hier und heute, sollen wir vor Gott bestehen können; jetzt - hier und heute - sollen wir seine Gerechtigkeit suchen, die Gerechtigkeit des Königreiches Gottes.
In der gleichen Bergpredigt, in der Jesus uns auffordert, nach dem Reich Gottes und nach dessen Gerechtigkeit zu trachten, lehrt er uns auch beten: "Dein Reich komme" (Matth. 6,10). Wenn nach der Lehre Jesu das Gottesreich schon in der Gegenwart besteht, dann bitten wir in dieser Bitte, daß das Gottesreich auch zu uns komme. Das heißt, wir bitten, daß wir mit Paulus sprechen können: "So lebe nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir " (Gal. 2,20). Lebt aber Christus in uns, dann wohnt auch...