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E-Book

Ein Hormon regiert die Welt

Wie Dopamin unser Verhalten steuert - und das Schicksal der Menschheit bestimmt

AutorDaniel Z. Lieberman, Michael E. Long
Verlagriva Verlag
Erscheinungsjahr2018
Reiheriva PREMIUM 
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783745303087
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Warum wollen wir wie besessen bestimmte Dinge haben, sind aber gelangweilt, wenn wir sie bekommen? Warum verwandelt sich die Leidenschaft von Verliebten so schnell in Desinteresse? Die Antwort liegt in einem Hormon in unserem Gehirn: Dopamin. Es ist die Quelle unseres Verlangens und lässt uns für einen kurzen Nervenkitzel alles riskieren. Dabei ist es die Aussicht auf etwas Neues, die uns antreibt, nicht die Erfüllung. Dopamin ist der Grund, warum wir forschen und entdecken, aber auch der Ursprung von Verschwendung, Risiko und Sucht. Lieberman und Long entschlüsseln auf völlig neue Weise das menschliche Verhalten, das von Dopamin gesteuert wird, und erklären, warum das Hormon, das uns seit Urzeiten antreibt, das Schicksal der Menschheit bestimmt.

Dr. Daniel Z. Lieberman ist Psychiater und Professor für Psychiatrie und Verhaltenswissenschaften an der George Washington University. Er erhielt den Caron Foundation Research Award und veröffentlichte bereits über 50 wissenschaftliche Artikel über Verhaltensforschung. Für das US-Ministerium für Gesundheit und Soziales, das US-Handelsministerium und das Amt für Drogen- und Alkoholpolitik war er als Berater für psychiatrische Fragen tätig. Michael E. Long ist Physiker und preisgekrönter Redenschreiber, Drehbuchautor und Dramatiker. Mehr als 20 seiner produzierten Stücke wurden auf New Yorker Bühnen aufgeführt. Er hat Reden für Mitglieder des US-Kongresses, US-Kabinettssekretäre, Gouverneure, Diplomaten und Präsidentschaftskandidaten geschrieben. Außerdem war er Direktor der Georgetown University, an der er heute Schreibkurse gibt.

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Leseprobe

Kapitel 1


LIEBE


Sie haben den Menschen gefunden, auf den Sie Ihr Leben lang gewartet haben. Warum also dauern die Flitterwochen nicht ewig?

In diesem Kapitel untersuchen wir die chemischen Stoffe, die bewirken, dass Sie Sex haben wollen und sich verlieben – und derentwegen sich früher oder später alles wieder ändert.

Shawn wischte ein Stück seines beschlagenen Badezimmerspiegels frei, fuhr sich mit den Fingern durchs schwarze Haar und lächelte. »So klappt es bestimmt«, sagte er.

Er legte das Handtuch beiseite und bewunderte seinen flachen Bauch. Er trainierte wie besessen, was ihm zwei Drittel eines Six-packs beschert hatte. Von dieser Besessenheit schweiften seine Gedanken zu einem noch dringenderen Verlangen ab: Schon seit Februar war er mit keiner Frau mehr ausgegangen, was nur eine nette Umschreibung dafür war, dass er seit sieben Monaten und drei Tagen keinen Sex mehr gehabt hatte. Er erschrak, als ihm bewusst wurde, dass er das so genau wusste. Diese Pechsträhne endet heute Abend, dachte er.

An der Bar inspizierte er die Möglichkeiten. An diesem Abend waren viele attraktive Frauen da. Natürlich war Aussehen nicht alles. Klar, er vermisste den Sex, aber er wollte auch jemanden in seinem Leben haben, eine Frau, der er ohne Grund eine SMS schreiben und auf die er sich jeden Tag freuen konnte. Er hielt sich für einen Romantiker, auch wenn es ihm an diesem Abend nur um Sex ging.

Immer wieder traf sich sein Blick mit dem einer jungen Frau, die mit einer redseligen Freundin an einem Stehtisch stand. Sie hatte dunkles Haar und braune Augen und fiel ihm auf, weil sie nicht die übliche Samstagabenduniform trug. Sie hatte flache Schuhe an statt High Heels und sie trug eine Jeans statt Discoklamotten. Er stellte sich vor und das Gespräch kam schnell und mühelos in Gang. Sie hieß Samantha und das Erste, was sie sagte, war, dass ein Cardio-training ihr lieber sei, als Biere zu kippen. Das führte zu einem intensiven Austausch über örtliche Fitnessstudios, über Fitness-Apps und die Vor- und Nachteile eines Trainings am Morgen gegenüber dem am Nachmittag. Er wich ihr den ganzen Abend nicht von der Seite und sie fand bald Gefallen an seiner Gesellschaft.

Viele Faktoren führten dazu, dass sich zwischen ihnen eine langfristige Beziehung entwickelte: gemeinsame Interessen, dass sie sich in der Gegenwart des anderen wohlfühlten, sogar die Getränke und ein wenig Verzweiflung. Doch nichts von alledem war der wahre Schlüssel zur Liebe. Der entscheidende Faktor war, dass sie beide unter dem Einfluss einer bewusstseinsverändernden chemischen Substanz standen. So wie alle anderen in der Bar auch.

Und das gilt genauso für Sie.

WAS IST MÄCHTIGER ALS LUST?


Im Jahr 1957 entdeckte Kathleen Montagu Dopamin im Gehirn. Sie forschte im Labor des Runwell Hospital in der Nähe von London. Anfangs hielt man Dopamin nur für einen chemischen Stoff, den der Körper zur Produktion von Norepinephrin braucht. So wird Adrenalin genannt, wenn es im Gehirn gefunden wird. Dann aber fielen Wissenschaftlern seltsame Vorgänge auf. Nur 0,0005 Prozent der Gehirnzellen – eine von zwei Millionen – bildeten Dopamin, aber diese Zellen schienen einen übergroßen Einfluss auf das Verhalten zu haben. Studienteilnehmer empfanden Glück, wenn sie die Dopaminproduktion ankurbelten, und unternahmen große Anstrengungen, diese seltenen Zellen zu aktivieren. Tatsächlich konnten sie unter bestimmten Umständen dem Drang, das Wohlbehagen auslösende Dopamin zu aktivieren, nicht widerstehen. Manche Wissenschaftler gaben dem Dopamin den Namen Lustmolekül und die Bahnen der Dopamin produzierenden Zellen im Gehirn wurden Belohnungssystem genannt. Im Volksmund und in der Populärwissenschaft wird Dopamin auch gern als Glückshormon bezeichnet.

Der Ruf des Dopamins als Glückshormon wurde durch Experimente mit Drogenabhängigen weiter gefestigt. Die Forscher injizierten ihnen eine Mischung aus Kokain und radioaktivem Zucker, sodass sie herausfinden konnten, welche Teile des Gehirns die meisten Kalorien verbrannten. Sobald das intravenös verabreichte Kokain wirkte, wurden die Teilnehmer gebeten einzuschätzen, wie high sie waren. Die Wissenschaftler entdeckten, dass der Rausch umso stärker war, je aktiver das Dopamin-Belohnungssystem war. Sobald der Körper das Kokain aus dem Gehirn abgebaut hatte, ließ die Aktivität des Dopamins nach und der Drogenrausch flaute ab. Weitere Studien erbrachten ähnliche Ergebnisse. Nun stand die Rolle des Dopamins als Lustmolekül beziehungsweise Glückshormon fest.

Andere Forscher versuchten, die Resultate zu reproduzieren, erlebten dabei jedoch eine Überraschung. Sie hielten es für unwahrscheinlich, dass die Dopaminbahnen sich entwickelt hatten, um Menschen zum Drogenmissbrauch zu ermuntern. Die Drogen führten vermutlich nur eine künstliche Form der Dopaminstimulation herbei. Den Wissenschaftlern erschien es wahrscheinlicher, dass die evolutionären Prozesse, die zur Bildung von Dopamin geführt hatten, der Notwendigkeit entsprangen, den Überlebens- und Fortpflanzungstrieb zu fördern. Deshalb ersetzten sie Kokain durch Essen und erwarteten die gleiche Wirkung. Das Ergebnis überraschte alle. Das war der Anfang vom Ende des Dopamins als Lustmolekül.

Die Forscher fanden heraus, dass Dopamin nichts mit Lust zu tun hat. Es löst ein viel einflussreicheres Gefühl aus. Dopamin zu verstehen, erweist sich als der Schlüssel zur Erklärung und sogar zur Vorhersage einer eindrucksvollen Bandbreite menschlichen Verhaltens: Kunst, Literatur und Musik zu schaffen, nach Erfolg zu streben, neue Welten und neue Naturgesetze zu entdecken, über Gott nachzudenken – und sich zu verlieben.

Shawn wusste, dass er verliebt war. Seine Unsicherheit legte sich. Jeden Tag hatte er das Gefühl, dass ihm eine goldene Zukunft bevorstand. Je mehr Zeit er mit Samantha verbrachte, desto begeisterter war er von ihr. Jedes Mal, wenn er an sie dachte, schienen die Möglichkeiten grenzenlos zu sein. Seine Libido war stärker denn je, aber nur in Bezug auf sie. Andere Frauen existierten nicht mehr. Besser noch: Als er versuchte, ihr sein Glück zu beschreiben, unterbrach sie ihn und sagte, sie empfinde genau das Gleiche.

Shawn wollte sichergehen, dass sie für immer zusammenbleiben würden. Deshalb machte er ihr eines Tages einen Heiratsantrag. Sie sagte Ja.

Einige Monate nach ihren Flitterwochen änderten sich die Dinge. Anfangs waren sie voneinander besessen gewesen, doch mit der Zeit erschien ihnen ihre drängende Sehnsucht immer weniger drängend. Die Überzeugung, dass alles möglich war, war nun weniger stark, weniger zwingend und stand nicht mehr im Mittelpunkt. Ihre Euphorie ließ nach. Sie waren nicht unglücklich, aber die tiefe Befriedigung der früheren gemeinsamen Tage schwand allmählich. Das Gefühl, ihre Möglichkeiten seien grenzenlos, kam ihnen immer unrealistischer vor. Sie dachten nicht mehr ständig aneinander. Andere Frauen zogen Shawns Aufmerksamkeit auf sich, obwohl er nicht die Absicht hatte fremdzugehen. Auch Samantha flirtete manchmal, auch wenn es nicht mehr als ein Lächeln war, das sie mit dem Studenten austauschte, der an der Kasse Lebensmittel in Tüten packte.

Sie waren glücklich miteinander, doch der frühe Glanz ihres neuen Lebens wich langsam dem Eindruck, alles sei wie in ihrem alten Leben. Die Magie, worin auch immer sie bestanden haben mochte, verblasste.

Genau wie in meiner letzten Beziehung, dachte Samantha.

Alles schon mal erlebt, dachte Shawn.

AFFEN UND RATTEN UND WARUM LIEBE VERBLASST


In mancherlei Hinsicht sind Ratten leichter zu studieren als Menschen. Wissenschaftler können mit ihnen viel mehr anstellen, ohne fürchten zu müssen, dass der Ethikausschuss an ihre Tür klopft. Um die Hypothese zu testen, dass sowohl Nahrung als auch Drogen die Dopaminproduktion anregen, pflanzten Forscher Elektroden in Rattengehirne ein, sodass sie die Aktivität einzelner Dopaminneuronen direkt messen konnten. Dann bauten sie Käfige mit Rutschen für Futterpellets. Die Ergebnisse entsprachen ihren Erwartungen. Kaum hatten sie das erste Pellet eingeworfen, feuerte das Dopaminsystem der Ratten. Volltreffer! Natürliche Belohnungen stimulieren die Dopaminaktivität ebenso gut wie Kokain und andere Drogen.

Dann taten sie etwas, das ihre Kollegen versäumt hatten. Sie führten ihr Experiment weiter und überwachten die Gehirne der Ratten, wann immer sie Futterpellets in die Käfige rutschen ließen, Tag für Tag. Die Resultate waren völlig überraschend. Die Ratten fraßen das Futter so begeistert wie immer. Offensichtlich schmeckte es ihnen. Aber ihre Dopaminaktivität flaute ab. Warum hörte das Dopamin auf zu zünden, obwohl die Stimulierung weiterging? Die Antwort darauf lieferten zwei sonderbare Quellen: ein Affe und eine Glühbirne.

Wolfram Schultz ist einer der einflussreichsten Pioniere der Dopaminforschung. Als Professor für Neurophysiologie an der Universität Freiburg in der Schweiz interessierte er sich für den Einfluss des Dopamins auf das Lernen. Er pflanzte winzige Elektroden in die Gehirne von Makaken, dorthin, wo Dopaminzellen sich häuften. Dann setzte er die Affen in eine Vorrichtung, die zwei Lampen und zwei Behälter enthielt. Ab und zu leuchtete eine der beiden Lampen auf. Eine Lampe kündigte Futter im Behälter auf der rechten Seite an, die andere zeigte an, dass sich im linken Behälter Futter befand.

Die Affen brauchten eine Weile, bis sie die Regel kapierten. Zunächst öffneten sie die Kisten wahllos und hatten damit in etwa der Hälfte der Fälle Erfolg. Wenn sie ein Pellet fanden, feuerten die Dopaminzellen...

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