Am Anfang war das Wort ... oder: Logo und Motto gesucht
Vermutlich gibt es kein gesellschaftliches und kein kirchliches Großereignis, über das nicht auch öffentlich munter gestritten wird. Ein sportliches Großereignis findet statt und sofort klagen Menschen über die Verschmutzung der Städte durch randalierende Fans, die Behinderung des öffentlichen Verkehrs durch Scharen von Reisebussen und fragen, warum die öffentliche Hand ein solches Ereignis mit Millionen subventioniert, statt dass die Eintrittspreise entsprechend angehoben werden. Bei jedem Kirchentag finden sich begeisterte Besucherinnen und Besucher ebenso wie scharfe Kritiker. Insofern überrascht es nicht, dass auch das Reformationsjubiläum 2017 begeisterte Zustimmung und schroffe Ablehnung auf sich gezogen hat. Manchmal zeigen sich bei solchen Großereignissen alle Schwierigkeiten gleich zu Beginn, manchmal wird aber auch gleich zu Beginn schon deutlich, was für Chancen in einem solchen Projekt liegen. Beides, Chancen wie Schwierigkeiten einer großen Feier anlässlich des Jahres 2017, wurden bereits bei der Suche nach einem Logo und einem Motto, das die vielfältigen geplanten Aktivitäten zusammenhalten sollte, deutlich.
Spuren solcher anfänglicher Debatten um den Inhalt der Feierlichkeiten finden sich immer noch im Netz: Wenn man die Adresse „www.luther2017.de“ im Internet eingibt, erscheint eine von der Staatlichen Geschäftsstelle Luther 2017 und der Geschäftsstelle der EKD für das Reformationsjubiläum gemeinsam verantwortete Homepage. Sie führt unter dem Leitwort „Reformationsjubiläum 2017. Staunen. Entdecken. Jubeln“ nicht nur die vielen Veranstaltungen des Jubiläums und der voraufgehenden Dekade seit 2008 auf, sondern stellt auch einen Spiegel der anfänglichen Diskussionen darüber dar, was man eigentlich feiern solle. Die Internetadresse zeigt, dass man ursprünglich ein „Luther-Jubiläum“ zur Erinnerung an den 500. Jahrestag des sogenannten Thesenanschlags am 31. Oktober 2017 feiern wollte, aber bald erkannte, dass eine rein auf die Person Luther und ein hinsichtlich seiner Historizität durchaus umstrittenes, gern heroisch verklärtes Ereignis konzentrierte Feierlichkeit zu kurz greifen würde. So sprach man auch zunächst von einer „Luther-Dekade“, die das Jubiläum ab 2008 vorbereiten sollte, später dann von einer „Reformations-Dekade“.
Schon der Blick auf die zehn Themen der Dekade macht deutlich, dass die Bezeichnung als „Reformations-Dekade“ die Inhalte weit besser traf – trotzdem heißt es beispielsweise auf einzelnen landeskirchlichen Homepages weiter unverdrossen: „Luther-Dekade“. Als inhaltlicher Focus für die vorbereitende Dekade wurden folgende Themen ausgewählt:
2008
Eröffnung (Erinnerung an den ersten Aufenthalt Luthers in Wittenberg im Herbst 1508)
2009
Reformation und Bekenntnis (500. Geburtstag Johannes Calvins, 75. Jahrestag der Barmer Theologischen Erklärung)
2010
Reformation und Bildung (450. Geburtstag Philipp Melanchthons)
2011
Reformation und Freiheit
2012
Reformation und Musik (800 Jahre Thomanerchor in Leipzig)
2013
Reformation und Toleranz (450 Jahre Abschluss des Konzils von Trient und 40 Jahre Leuenberger Konkordie)
2014
Reformation und Politik
2015
Reformation – Bild und Bibel (500. Geburtstag Lucas Cranachs des Jüngeren)
2016
Reformation und die Eine Welt
2017
Reformationsjubiläum
Die interessante Verbindung von thematischen Aspekten der Reformation und ihrer Folgewirkungen mit verschiedenen Jubiläen von Personen, Institutionen und Texten während der Dekade ist vergleichsweise einmalig in der Geschichte der Reformationsjubiläen und provozierte natürlich sofort die Frage, ob für eine so lange Vorbereitung und Vorfeier auch der lange Atem vorhanden sei. Mit Blick auf das letzte Jahr, das große Jubiläum 2016/2017, wird man diese Frage ohne langes Zögern bejahen können.
Das Programm der Dekade, die natürlich in unterschiedlicher Intensität gefeiert und mit Veranstaltungen ausgefüllt wurde – besonders reich war das kirchenmusikalische Angebot quer durch das ganze Land im Themenjahr „Reformation und Musik“ 2012, wenn der Eindruck nicht täuscht –, dokumentierte bereits, dass man beim Thema „Reformation“ nicht eine einzige Person feiern konnte. Neben Luther traten Calvin und Melanchthon, aber auch der Wittenberger Unternehmer und Malerfabrikant Lucas Cranach, und die Ausweitung machte deutlich, dass alle Anstrengungen zur Kirchenreform im 16. Jahrhundert ein Werk vieler Akteure aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen war.
Die Probleme der Feier eines reinen „Luther-Jubiläums“ zur Erinnerung an das Jahr 1517 beginnen, wie schnell deutlich wurde, schon beim Anlass der Feier, dem „Thesenanschlag“. Bekanntlich verbindet sich mit dem Stichwort „Thesenanschlag“ eine ganze Bildwelt mit dem hammerschwingenden Luther im Zentrum, die vor allem auf das 19. Jahrhundert zurückgeht, aber seither praktisch alle Jubiläen prägte. Unvergesslich ist eine entsprechende, komplett ahistorische, aber doch einprägsame Szene aus einem Spielfilm, der für das ZDF zum letzten einschlägigen Jubiläum, dem fünfhundertsten Geburtstag Luthers im Jahre 1983, produziert wurde: Während ein Priester unter gregorianischen Gesängen einen Kelch vom Altar in ein Sakramentshaus zurückträgt, hallen wuchtige Hammerschläge durch einen großen gotischen Kirchenraum. In der nächsten Einstellung sieht man, wie Luther mit reformatorischer Energie ein Thesenblatt mit vier großen Nägeln an einer Tür festhämmert, an die ansonsten nur kleine Zettel angeheftet sind, die munter im Wind flattern. Die Vorstellung vom Hammer und vier großen Nägeln ist offenbar unausrottbar, war es nicht nur 1983, sondern auch in den Jahren vor dem Jubiläum 2016/2017. Der sprechende Ausdruck „Thesenanschlag“ tut ein Übriges, um solche Bilder im Bewusstsein zu halten. Natürlich waren schon sehr früh auch im Vorfeld des 500. Jubiläums 2017 die klassischen Einwände zu hören, nicht nur gegen die ahistorische Vorstellung, man habe im späten Mittelalter mit Hammer und Nagel Thesenpapiere an Türen genagelt (in einer großen Tageszeitung wurde 2014 von einem in Amerika lehrenden deutschen Neuzeithistoriker in einem langen Artikel darauf hingewiesen, dass zu diesem Zweck damals Wachs oder Reißzwecken verwendet wurden). Vielmehr erfolgte früh schon wissenschaftlicher Widerspruch gegen die Konzentration auf einen einzigen Menschen und auf einen einzigen, möglicherweise zunächst gar nicht besonders bedeutsamen oder sogar unhistorischen Akt an einem akademischen Anschlagbrett einer frisch gegründeten mitteldeutschen Reformuniversität (denn als solches diente die Haupttür der Wittenberger Schlosskirche hin zur Stadt). Reformationshistoriker wiesen darauf hin, dass erst im 18. Jahrhundert Luthers 95 Thesen zum Ablass, einem Appendix des Bußsakramentes, zur „Magna Charta“ einer Kritik an der Verkommenheit der Papst-Kirche stilisiert worden sind und es Luther ja eigentlich mit seinen Thesen um nichts weniger als um die Rettung der damaligen römisch-katholischen Kirche gegangen sei und zugleich um die Diskussion eines (wenn auch bedeutsamen) theologischen Problems.
Auf diese Kritik wurde, wie gesagt, bald reagiert: So entschloss man sich in Berlin und Hannover, statt eines Luther-Jubiläums ein Reformations-Jubiläum zu feiern, und benannte die zehnjährige Vorbereitungsphase um: Statt von einer „Luther-Dekade“ war nun von einer „Reformations-Dekade“, statt vom „Luther-Jubiläum“ von einem „Reformations-Jubiläum“ die Rede. Natürlich wurde auch diese neue Akzentuierung der Feierlichkeiten wieder kritisiert: Nun beklagten Menschen „das Fehlen Luthers“ im Jubiläum („das Fehlen Luthers ist ein Fehler“), bemängelten das Programm des großen Kirchentags in Wittenberg und Berlin im Jahre 2017 wegen fehlender Veranstaltungen zum Wittenberger Reformator oder konstatierten eine mangelnde theologische Tiefe bei der Präsenz von Luther und seiner Theologie in den Feierlichkeiten: „Es fehlen ernsthafte Themen wie die Botschaft von Sünde, Schuld, Tod und Hölle, sowie Gottes Liebe und Gnade“, ließ sich ein prominenter Reformationshistoriker in einer Zeitschrift vernehmen, während er anderswo einer auf eben diese Themen eingehenden Darstellung des Rates der EKD vorwarf, auf derartige Termini theologischer Tradition zu rekurrieren, sei eine „antiliberale Absage an jede Legitimität einer ‚Umformung‘ des evangelischen Christentums, die seit dem 16. Jahrhundert eingetreten sein mag“. Ob nun zu viel Luther oder zu wenig Luther, ein zu wenig theologisch profilierter oder zu wenig theologisch liberalisierter Luther: Das gewählte Logo für die einheitliche Dachmarke aller kirchlichen wie staatlichen Aktivitäten machte bis zum Schluss der Feierlichkeiten im Herbst 2017 deutlich, dass ursprünglich ein auf Luther konzentriertes Jubiläum gefeiert werden sollte, und hielt den Wittenberger Reformator mindestens optisch präsent.
Denn die sogenannte Dachmarke „500 Jahre Reformation“ rückte eines der bekanntesten Porträts Luthers, von Lucas Cranach im Jahre 1528 gemalt und durch massenhafte Verbreitung zu einer Art Ikone des Reformators im kulturellen Gedächtnis geworden, in den Mittelpunkt – Luther als Gelehrter mit dem deutlich erkennbaren Barett und einem gegenüber dem Original Cranachs etwas nach unten verlängerten Universitätstalar unter Verwendung der drei...