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E-Book

Der Tätowierer von Auschwitz

Die Geschichte des Lale Sokolov - basierend auf wahren Begebenheiten

AutorHeather Morris
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783492992640
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Eine Geschichte von Menschlichkeit, Mut, Liebe und Hoffnung 1942 wurde Lale Sokolov nach Auschwitz deportiert. Seine Aufgabe war es, Häftlingsnummern auf die Unterarme seiner Mitgefangenen zu tätowieren, jene Nummern, die später zu den eindringlichsten Mahnungen gegen das Vergessen gehören würden. Er nutzte seine besondere Rolle und kämpfte gegen die Unmenschlichkeit des Lagers, vielen rettete er das Leben. Dann, eines Tages, tätowierte er den Arm eines jungen Mädchens - und verliebte sich auf den ersten Blick in Gita. Eine Liebesgeschichte begann, an deren Ende das Unglaubliche wahr werden sollte: Sie überlebten beide. Eindringlich erzählt Heather Morris die bewegende, wahre Geschichte von Lale und Gita, die den Glauben an Mut, Liebe und Menschlichkeit nie verloren. - Die wahre Geschichte eines Holocaust-Überlebenden - »Ein Buch, das nicht nur von den Schrecken des Holocaust erzählt, sondern auch von tiefer Liebe.« STERN ONLINE - Für Leser von 'Schindlers Liste' und 'Der Junge mit dem gestreiften Pyjama'

Die gebürtige Neuseeländerin Heather Morris ist eine internationale Bestsellerautorin, die sich leidenschaftlich für Geschichten vom Überleben, der Widerstandsfähigkeit und der Hoffnung einsetzt. Im Jahr 2003, als sie in einem großen öffentlichen Krankenhaus in Melbourne arbeitete, wurde sie einem älteren Herrn vorgestellt, der »vielleicht eine erzählenswerte Geschichte hat«. Der Tag, an dem sie Lale Sokolov traf, veränderte beider Leben. Ihre Freundschaft wuchs und Lale begab sich auf eine Reise der Selbsterkenntnis, indem er ihr die intimsten Details seines Lebens während des Holocausts anvertraute. Aus Lales Geschichte wurde ihr erstes Buch »Der Tätowierer von Auschwitz«, das bei Piper erschien, ebenso wie der Folgeband »Das Mädchen aus dem Lager - der lange Weg der Cecilia Klein«.

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Leseprobe

KAPITEL 2

»Aufstehen! Alle nach draußen!«

Pfeifen schrillen, Hunde bellen. Das Sonnenlicht eines klaren Morgens fällt durch die Tür in Block 7 hinein. Die Männer lösen sich voneinander, klettern von ihren Pritschen herunter und drängen nach draußen. Bleiben direkt vor der Baracke stehen. Keiner will zu weit weg. Sie warten. Und warten. Keine Spur mehr von denen, die eben noch gebrüllt und gepfiffen haben. Die Männer scharren mit den Füßen, flüstern mit ihren Nachbarn. Ein Blick auf die anderen Blöcke zeigt, dass es dort genauso ist. Was nun? Warten.

Endlich kommen ein SS-Mann und ein Häftling auf Block 7 zu, und alle verstummen. Keine Vorstellung. Der Häftling liest von einem Schreibbrett Nummern vor. Der SS-Mann steht daneben, wippt ungeduldig mit dem Fuß, klopft sich mit seinem Schlagstock auf den Oberschenkel. Die Häftlinge brauchen einen Moment, bis sie verstehen, dass die Nummern sich auf die Tätowierung auf ihrem linken Arm beziehen. Als der Appell zu Ende ist, sind zwei Nummern ohne Antwort geblieben.

»Du …« – der Häftling, der die Zahlen vorgelesen hat, zeigt auf einen Mann am Ende der Reihe – »geh noch mal rein und schau, ob da noch wer ist.«

Der Mann sieht ihn fragend an. Er hat kein Wort verstanden. Sein Nebenmann flüstert ihm den Auftrag zu, und er beeilt sich, ihn auszuführen. Kurz darauf kommt er wieder heraus, hält die rechte Hand hoch und streckt Zeige- und Mittelfinger aus: zwei Tote.

Der SS-Mann tritt vor. Er spricht Deutsch. Die Häftlinge haben bereits gelernt, den Mund zu halten und gehorsam zu warten, bis hoffentlich einer von ihnen übersetzen kann. Lale versteht alles.

»Ihr bekommt zwei Mahlzeiten am Tag. Eine morgens und eine abends. Wenn ihr bis abends durchhaltet.« Er unterbricht sich, ein zynisches Lächeln im Gesicht. »Nach dem Frühstück arbeitet ihr, bis wir euch sagen, dass Schluss ist. Ihr werdet dieses Lager weiterbauen. Es werden noch viel mehr Leute hierhergebracht.« Sein Lächeln wird zu einem stolzen Grinsen. »Gehorcht eurem Kapo und den Vorarbeitern, dann werdet ihr den Sonnenuntergang erleben.«

Man hört ein Scheppern, und mit einem Blick über die Schulter sehen die Häftlinge ein paar Männer herankommen, die zwei Kessel und Stapel kleiner Blechnäpfe tragen. Frühstück. Ein paar Häftlinge streben auf sie zu, als wollten sie ihnen Hilfe anbieten.

»Jeder, der sich rührt, wird erschossen«, bellt der SS-Mann und hebt das Gewehr. »Zweite Chancen gibt es nicht.«

Der SS-Mann geht, und der Häftling, der den Appell durchgeführt hat, wendet sich an die Gruppe. »Ihr habt es gehört«, sagt er in polnisch gefärbtem Deutsch. »Ich bin euer Kapo. Zur Essensausgabe bildet ihr zwei Reihen. Wer sich beschwert, muss mit Konsequenzen rechnen.«

Die Männer drängeln sich in Reihen, mehrere fangen an, einander flüsternd zu fragen, ob jemand verstanden hat, was »der Deutsche« gesagt hat. Lale übersetzt es denen, die am nächsten stehen, und lässt es sie weitersagen. Er wird so viel wie möglich übersetzen.

Als er vorn in der Reihe ankommt, nimmt er dankbar einen kleinen Blechnapf entgegen, dessen Inhalt über die rauen Hände schwappt, die ihn ihm entgegenschieben. Er tritt zur Seite und mustert das Essen. Es ist eine braune Brühe, ohne irgendetwas Festes, den Geruch kann er nicht identifizieren. Weder Tee noch Kaffee noch Suppe. Er befürchtet, er würde das stinkende Gebräu wieder hochwürgen, wenn er es langsam trinkt. Also schließt er die Augen, hält sich die Nase zu und schluckt es in einem Zug. Andere haben weniger Erfolg.

Aron neben ihm hebt seinen Napf zu einem ironischen Toast. »Ich hatte ein Stück Kartoffel, und du?«

»Mein bestes Essen seit Ewigkeiten.«

»Bist du immer so positiv?«

»Frag mich heute Abend noch mal«, erwidert Lale zwinkernd. Als er seinen leeren Napf dem Häftling zurückgibt, der ihn ihm gereicht hat, dankt er ihm mit einem schnellen Nicken und einem halben Lächeln.

Der Kapo brüllt: »Wenn ihr Faulpelze mit dem Essen fertig seid, in Reihen antreten! Ihr habt noch Arbeit vor euch!«

Lale gibt die Anweisung weiter.

»Ihr folgt mir«, schreit der Kapo, »und ihr folgt den Befehlen des Vorarbeiters. Von jeder Bummelei erfahre ich.«

Lale und die anderen finden sich vor einer halb fertigen Baracke wieder, die genauso aussieht wie ihr eigener Block. Andere Häftlinge sind bereits da: Zimmerer und Maurer, die alle still im geordneten Rhythmus gewohnter Akkordarbeiter am Werk sind.

»Du. Ja, du. Hoch auf das Dach. Du kannst da oben arbeiten.«

Der Befehl geht an Lale. Er blickt sich um, sieht eine Leiter, die aufs Dach führt. Zwei Häftlinge hocken dort, warten auf die Ziegel, die ihnen hochgereicht werden. Die beiden rücken zur Seite, als Lale kommt. Das Dach besteht nur aus Holzlatten für die Ziegel.

»Sei vorsichtig«, warnt ihn einer der Arbeiter. »Geh etwas weiter rüber und schau uns zu. Es ist nicht schwer – du wirst es schnell raushaben.« Ein Russe.

»Ich heiße Lale.«

»Vorstellung später, okay?« Die beiden Männer wechseln einen Blick. »Verstehst du mich?«

»Ja«, erwidert Lale auf Russisch. Die Männer lächeln.

Lale sieht zu, wie sie die schweren Lehmziegel aus den Händen entgegennehmen, die sie über die Dachkante reichen, damit an die Stelle kriechen, wo die letzten Ziegel abgelegt wurden, und sie sorgfältig überlappend anlegen, bevor sie für den nächsten Ziegel wieder an die Leiter krabbeln. Der Russe hat recht – es ist keine schwierige Arbeit –, und schon bald hilft ihnen Lale, die Ziegel in Empfang zu nehmen und anzulegen. An diesem warmen Frühlingstag hindern ihn nur der beißende Hunger und die Krämpfe, genauso schnell zu arbeiten wie die erfahreneren Kollegen.

Es vergehen mehrere Stunden, bis sie Pause machen dürfen. Lale will zur Leiter, aber der Russe hält ihn auf.

»Hier oben ist es sicherer. So weit oben sehen sie einen nicht so gut.«

Lale folgt den Männern, die offensichtlich den besten Platz kennen, um sich zu setzen und auszustrecken: die Ecke, in der breitere Balken das Dach verstärken.

»Seit wann seid ihr hier?«, fragt Lale, sobald sie sich gesetzt haben.

»Ungefähr zwei Monate, glaube ich. Schwer zu sagen nach einiger Zeit.«

»Woher kommt ihr? Ich meine, wie kommt ihr hierher? Seid ihr Juden?«

»Eins nach dem anderen.« Der Russe schmunzelt, und der Jüngere, Kräftigere verdreht die Augen über die Unwissenheit des Neuen, der noch lernen muss, wo in diesem Lager sein Platz ist.

»Wir sind keine Juden, wir sind russische Soldaten. Wir wurden von unserer Einheit getrennt, und die Scheißdeutschen haben uns gefangen genommen und ins Arbeitslager gesteckt. Und du? Jude?«

»Ja. Ich war in einem großen Transport, der gestern aus der Slowakei ankam – lauter Juden.«

Die Russen wechseln einen Blick. Der Ältere wendet sich ab, schließt die Augen, hält das Gesicht in die Sonne und überlässt das weitere Gespräch seinem Gefährten.

»Schau dich um. Von hier oben kannst du sehen, wie viele Blöcke da gebaut werden und wie viel Land sie dafür vorsehen.«

Lale stützt sich auf die Ellbogen und lässt den Blick über das weitläufige Gelände innerhalb des Elektrozauns schweifen. Blöcke genau wie der, an dessen Bau er gerade mitwirkt, erstrecken sich bis in weite Ferne. Entsetzen befällt ihn, als er sich vorstellt, was vielleicht aus diesem Ort werden wird. Er ringt um Worte, will sich sein Unwohlsein nicht anmerken lassen. Er lehnt sich zurück, wendet den Kopf ab und versucht sich verzweifelt in den Griff zu bekommen. Er darf keinem vertrauen, möglichst wenig von sich erzählen, muss vorsichtig sein …

Der Mann beobachtet ihn. »Ich habe die SS prahlen hören, das hier wird das größte KZ überhaupt.«

»Wirklich?«, fragt Lale. Er zwingt sich, nicht bloß zu flüstern. »Tja, wenn wir das zusammen bauen, könnt ihr mir doch auch eure Namen sagen.«

»Andor«, sagt er. »Und dieser Rüpel da ist Boris. Der redet nicht viel.«

»Reden kann einen hier das Leben kosten«, murmelt Boris, während er Lale die Hand reicht.

»Was könnt ihr mir sonst noch über die Leute hier sagen?«, fragt Lale. »Und wer zum Teufel sind diese Kapos?«

»Sag du’s ihm«, meint Boris gähnend.

»Also, das sind russische Soldaten wie wir, aber nicht viele, und dann die ganzen anderen Winkel.«

»Winkel – dieses grüne Dreieck, das mein Kapo trägt?«

Andor lacht. »Ja, die grünen Winkel sind die schlimmsten – das sind die Kriminellen: Mörder, Vergewaltiger, solche Leute. Sie eignen sich gut als Wachen, weil sie sowieso zum Fürchten sind. Andere sind wegen ihrer politischen Einstellung gegen die Deutschen hier. Sie haben einen roten Winkel. Manche, aber nicht viele, haben auch einen schwarzen Winkel – das sind Arbeitsscheue, die halten nicht lange durch. Und dann gibt es da noch dich und deine Freunde.«

»Wir tragen den gelben Stern.«

»Ja, ihr tragt den Stern. Euer Verbrechen ist, dass ihr Juden seid.«

»Warum habt ihr keine Farbe?«, fragt Lale.

Andor zuckt die Achseln. »Wir sind einfach bloß Feinde.«

Boris schnaubt. »Sie beleidigen uns, indem sie unsere Uniformen an euch verteilen. Etwas Schlimmeres können sie uns eigentlich gar nicht antun.«

Eine Pfeife schrillt, und die drei gehen wieder an die Arbeit.

An diesem Abend...

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