DIE TRÄUME
Meine Seele wurde ordentlich durchgespült. Mit allen möglichen Facetten. Ich konnte spontan aus vollem Herzen loslachen, dann wieder heulen wie ein Schlosshund.
Häufig war das morgens der Fall. Denn ich hatte seit einigen Tagen, recht schräge Träume, an die ich mich auch in allen Einzelheiten erinnerte und Frau Schmitt erzählte. Sie fand dies immer sehr unterhaltsam. Die Farbe Rot war sehr häufig zu sehen. Da war z.B. folgender Traum: Meine Showtruppe, bestehend aus 7 Tänzerinnen und ich hatten in einem Einkaufscenter einen Auftritt. Die Tänzerinnen hatten rote Showkostüme an. Eine andere Tanztruppe lag diagonal auf einer recht großen Fläche. Das Lackoutfit war rot. Meine Tänzerinnen wollten dann aber nicht mit mir mitgehen. Was ich nicht fassen konnte. In diesem Center befand sich auch eine große Bühne. Nur war diese ein Stockwerk tiefer zu sehen. Durch ein großes Loch blickte ich hinunter. Stellte dazu noch fest, dass sie abschüssig war. Hielt mich an einer Metallstange fest, damit ich nicht runterfalle. Die Stühle um die Bühne herum, waren in U-Form gestellt. Publikum war nicht da. Alle hatten rote Schuhe an. Ich nenne diesen den „ROTEN Traum“. Keine Ahnung was mir dies sagen sollte. Es muss mit meinem Berufsleben zusammenhängen. Weil viele meiner Träume mit der Showtruppe zu tun hatten. Am Ende dieses Traumes hab ich nur ein Wort ganz deutlich gehört: SCHREIB!!!! Das ist doch crazy, oder?! Und während ich meiner Wandergesellin den Traum erzählte, fing ich an zu heulen und konnte einfach nicht aufhören. Das ging bestimmt so 20 Min. Nachdem dann der Vorrat an Taschentücher verbraucht war und ich mich langsam wieder beruhigt hatte, versuchten wir beide den Traum zu deuten. Waren uns einig, dass die Antwort sicher später kommen würde.
Ein anderes Mal träumte ich von einem Gorilla der meiner Schwester gehörte. Dann von einem ca. 30cm kleinem Gnom mit dickem Bauch und noch dickerem Kopf. Schwarz und schnell in seinen Bewegungen. Den wollte ich eigentlich mitnehmen, weil ich ihn so niedlich fand, aber als in ihn berührte, stellte ich fest, dass er ganz wabbelig ist und aus Kot bestand. Dann träumte ich von Fehlgeburten, Unfällen, Autos. Einmal von einem kleinen Mädchen, das am Beckenrand stand. Es war aber kein Wasser darin sondern Treibsand, welches das kleine Mädchen fast verschluckt hätte, wenn ich es nicht noch am Arm herausgezogen hätte.( bei diesem Traum, bin ich mir sicher, dass ICH das kleine Mädchen war) Um sich als Erwachsener im realem Leben selbst annehmen und lieben zu können, muss man sich hin und wieder als kleines sechs jähriges Kind vorstellen und dieses schutz- und liebebedürftige Lebewesen in den Arm nehmen und immer wieder sagen, ich hab dich lieb. Du bist Großartig. Ich passe auf dich auf. Dir wird nichts Böses geschehen. Es bedarf ein wenig Übung und Konzentration, bis diese Bilder sichtbar für einen werden. Aber es hilft. Gerade, wenn man wie ich, nicht die beste Kindheit hatte. Denn bei uns zuhause gab es viel Streit zwischen meinen Eltern. Lautstark vor allem. Häufig abends oder auch nachts. Wenn dies der Fall war, hielt sich meine Schwester, sie ist zwei Jahre älter als ich, immer die Ohren zu und versteckte sich unter ihrer Bettdecke. Ich hingegen, stand auf und versuchten meinen Eltern zu sagen, sie sollen nicht streiten und sich vertragen. Es hat aber nie etwas genützt. Sie schicken mich wieder ins Bett. Für uns waren diese Zeiten mit viel Angst und Traurigkeit verbunden.
Es kam auch schon mal vor, dass es zu Handgreiflichkeiten gekommen ist. Mein Vater hatte viel getrunken. Meine Mutter manchmal auch. Dann trennten sich unsere Eltern. Meine Mutter heiratete wieder. Wir bekamen noch ein Schwesterchen. Natürlich hat uns unsere Mutter geliebt. Aber sie hatte wenig Zeit für uns. Viel Umarmung gab es nicht. Auch hörte sie selten zu, wenn ich ihr was erzählt habe. Ich erinnere mich sehr gut daran, dass ich immer alles richtig machen wollte, damit sie nicht schimpft und vielleicht ein Lob ausspricht. Das war wirklich sehr, sehr selten der Fall. Ein Grund sicher, warum es mich auf die Bühne gezogen hat. Da bekommt man Applaus, wenn man etwas gut macht. Ich weiß heute, dass viele „Bühnenkinder“ eine schwere Kindheit hatten.
All diese Träume haben mit der Seele zu tun. Die sich nun auf diesem Weg immer häufiger bemerkbar macht.
Einmal weinte auch Frau Schmitt morgens nach dem Aufwachen. Sie hatte im Traum ihre verstorbene Mutter gesehen und gespürt. Wie ein Hauch vorbeiziehen. Ihre Mutter litt jahrelang an Depression und wählte den Freitod. Die vielen offenen Fragen und die Tatsache, dass sie dies nicht verhindern konnte, machte ihr sehr zu schaffen und war ganz sicher ein Kapitel zum Aufarbeiten auf unserer Reise.
Wir hatten uns Beide und konnten uns alles erzählen. Das war schon ein Vorteil. Klar musst du selber alles für dich sortieren, aber es tut verdammt gut, beizeiten darüber sprechen zu können und sich auszutauschen.
Und wenn diese traurigen Phasen beim Pilgern nicht enden wollen, greift das Universum wieder ein und belohnt dich mit einer Umgebung, die ich nur als Märchenhaft bezeichnen kann. Wir betraten einen Wald, der so wunderschön an Bäumen, Pflanzen und Ruhe war, dass einem das Herz aufgeht. Es fängt an zu hüpfen und ein großes Lächeln macht sich im Gesicht breit. Trotz Regen und Kälte schob sich doch für kurze Zeit die Sonne durch die Wolken und es wird immer schöner. Das Zwitschern der Vögel macht diesen Moment perfekt. Diese Gegend erinnerte mich sehr, an die im Film DIE WALTONS dargestellte heile Welt. Ich liebe diese Art von Filmen heute noch.
Dort werden Werte vermittelt, die Menschen sind bescheiden und besonders hilfsbereit. Hier spüre ich die ehrliche Liebe zu den Familienangehörigen, Nachbarn und auch Fremden gegenüber.
Als wir diesen traumhaften Märchenwald hinter uns gelassen hatten, war es dann wieder soweit. Das Wetter schlug in null Komma nix um. Grauer Himmel, kein bisschen Sonne mehr, dafür aber eine Menge „Feuchtigkeit die aus den Wolken“ kommt, eben Regen! Da wir aber gerade eine kleine Glücksgefühlsphase hinter uns hatten, ließen wir uns erst einmal nicht die gute Laune verderben. Als dann kurze Zeit später der Wind wieder zeigte was er kann, das Regencape am Körper hin und her wehte, der untere Teil des Körpers wieder ordentlich durchnässt wurde, war es mit der guten Laune schon wieder vorbei. In unserer mittlerweile gewohnten aufsteigenden Stinkelaune, fluchten wir wie üblich. Kein noch so ätzendes Schimpfwort wurde ausgelassen. „Was für den Kacke“. So ein Mist“ Das kann doch alles nicht wahr sein“. „Frau Schmitt schau mal auf den Kalender, vielleicht haben wir uns vertan und es ist doch November?“
„Nee, Moni es ist immer noch der Wonnemonat Mai und mein kaputtes Knie macht mich bekloppt“. „Weiter Frau Schmitt“. Los jetzt“. Durch Schlamm und Matsch stiefelnd erinnerte ich mich an die Aussage von Hilde Meier aus Hannover. Die ist mit 66Jahren den Weg gegangen. Sie hatte mir erzählt, dass man den schweren Rucksack irgendwann nicht mehr spürt und sich an das Gewicht gewöhnt. Das sehe ich leider ganz anders. Wann soll denn das sein? Dieses „Bleiteil“ wird gefühlt immer schwerer. Rückenschmerzen, Aua, Knieprobleme mittlerweile auch bei mir und dazu bekam ich noch Probleme mit der Achillesferse. Warum stecken wesentlich ältere Pilger das so weg? Vielleicht lag es an der noch zu erwartende kurzen Lebenszeit. Oder auch, dass viele schon einen echten Krieg hinter sich hatten. Schmerzen, Verzicht, Hunger und lange Fußmärsche schon überlebt hatten? Das kann nur die Antwort sein. Waren wir doch, im Altersvergleich relativ JUNG. Also nicht meckern und weiter. Einige Kilometer später, pilgerte doch wirklich ein männlicher Mensch mit einem Holzbein! an uns vorbei. Wie geht das denn? Wo holt der denn seine Motivation her? Wir waren echt baff. Blieben stehen und beobachteten ihn, bis er nicht mehr zu sehen war. Ok, auch das hat uns wieder einen kleinen Kräfteschub gegeben.
Die Strecke, die nun folgte war, wie sollte es auch anders sein, nichts für Weicheier. Rauf und runter, links herum, rechts herum, auch an einer gepflasterten Straße entlang. Der Weg wollte und wollte einfach nicht enden. Unser Tagesziel war Sarria. Eine relativ große Stadt. Wir bekamen Hunger. Leider gab es nirgendwo eine Bar oder ähnliches. Morgens hatte ich tatsächlich mal ein Bogadillo gegessen. War mir aber zu viel. Und somit hatte ich noch ein Halbes, belegt mit etwas Käse, davon im Rucksack.
Wir machten Rast an einem recht verfallenen Haus. Gerecht teilte ich das einzige Lebensmittel in zwei Teile. Wir aßen dieses vorher doch so gehasste Weißbrot mit Genuss. Es war für beide nicht wirklich viel. Reichte aber, um ein wenig gestärkt den Weg fortzusetzen. Ich bedankte mich beim Universum dafür, dass ich dieses kleine Stück Brot doch mitgenommen hatte. Zuhause hätte ich es wohl auf dem Teller gelassen oder auch weggeschmissen. Ja, man wird bescheidener. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten wir mit ordentlichen Schmerzen an...