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Entwicklung der Sklaverei in Zahlen und Fakten
Zur Geschichte der Sklaverei
Es gibt heute mit 30 bis 45 Millionen Sklaven in absoluten Zahlen mehr Sklaven als je zuvor, aber prozentual gesehen wird ein geringerer Prozentsatz der Weltbevölkerung versklavt. Der Gewinn von geschätzten 150 Milliarden US-Dollar pro Jahr ist ebenso so hoch wie nie zuvor und doch ist der prozentuale Anteil der Sklavenwirtschaft an der Weltwirtschaft ebenfalls niedriger als je zuvor.
Sklaven waren zu allen Zeiten üblich, im Haus, im Bett, in der Landwirtschaft, als Soldaten. Die Versklavung von Besiegten war in der Geschichte immer selbstverständlich und das ungeschriebene Recht der Sieger und der Herrschenden. Die frühen Reiche der Babylonier, Ägypter, Perser bauten darauf ebenso auf wie die Griechen, Römer und später auch etwa die Araber und Wikinger. Seit frühester Zeit bis etwa 1850 waren alle Imperien der Welt auch auf Sklaverei aufgebaut. Noch Stalin und Hitler arbeiteten mit gewaltigen Arbeitsstraflagern, Gulags und KZs. Nordkorea und China machen das bis heute vor.
Die Sklaverei ist mit der Entstehung des Frühkapitalismus eng verbunden.10 Sklaverei spielt in der Geschichte der Hanse (Eroberung des Nordens und Ostens) ebenso eine zentrale Rolle wie für die Vormachtstellung Venedigs und anderer italienischer Zentren des Kapitalismus wie Amalfi, Genua, Neapel und Palermo sowie Florenz als Bankenzentren. Große Bankhäuser wie die Fugger und Wesler investierten früh gewaltige Summen in den Sklavenhandel via Italien.
Daneben gab es immer schon die Kin-Sklaverei, wobei Kin bei den Ethnologen die Verwandtschaft im weiten Sinne bezeichnet. Kin-Sklaverei war und ist kaum erkennbar, wurde und wird oft durch Adoption oder Heirat überspielt, etwa bei der Zwangsverheiratung von Kriegsgefangenen. China kannte etwa immer schon die mui tsai, die kleinere Schwester, arme Mädchen, die von reichen Familien adoptiert und als Haushaltsklaven und/oder Konkubinen missbraucht wurden.
Alle Sklaverei beruhte in der Geschichte auf Gewalt und Gewalt ging immer mit Sklaverei einher. Das afrokubanische Sprichwort »Die Gewalt hat immer einen Sklaven.«11 beschreibt das treffend.
Die Gewalt hat immer einen Sklaven.
Bis 1890 lebte die Masse der Menschen weltweit in unfreien Verhältnissen.12 Der britische Adelige und Forscher Arthur Young schätzte im Jahr 1772, dass weltweit nur 5 % der Menschen »frei« seien.
Zur Zahl der Opfer weltweit
Wie viele Menschen sind von Menschenhandel betroffen und arbeiten als Sklaven und Sklavinnen jeder Art? »Aussagen über das Ausmaß von Menschenhandel scheinen nach wie vor problematisch. Einigkeit herrscht darüber, dass Kriminalitätsstatistiken, die das Hellfeld von Fällen wiedergeben, wenig aussagekräftig sind.«13 Also muss geschätzt werden, wofür aber viele Rahmendaten im Umfeld zur Verfügung stehen.
Dabei geht es jeweils um ganz unterschiedliche Zahlen. Die Zahl, wie viele Menschen in einem Jahr konkret über Landesgrenzen hinweg verschoben wurden, sagt nichts darüber aus, wie viele Menschen insgesamt versklavt werden. Viele wurden schon in früheren Jahren gehandelt, viele weitere werden innerhalb eines Landes verschoben, minderjährige Sexsklaven können von ihren Eltern vermarktet werden.
Wie viele Menschen also sind schätzungsweise insgesamt betroffen?
Es gibt gemäß der australischen Walk Free Foundation und ihrem jährlichen Global Slavery Index, zuletzt 2016,14 45,8 Mio. Sklaven weltweit. 58 % aller Sklaven leben in fünf Ländern: Indien, China, Pakistan, Bangladesh und Usbekistan. Die höchsten Prozentsätze an Sklaven finden sich in Nordkorea (4,373 % der Einwohner), Usbekistan (3,973 %), Kambodscha (1,648 %), Indien (1,403 %), Katar (1,356 %). Deutschland liegt mit 15 anderen westlichen Demokratien (vor allem Westeuropa, USA, Neuseeland) auf dem Platz mit dem geringsten Prozentsatz an Sklaven. Im globalen Süden hat Brasilien diesen Platz inne, in der Gruppe derer, die auf Platz 2 liegen, mit 0,078 %.
Ich persönlich halte aufgrund meiner eigenen Recherchen und der Beschäftigung mit den Definitionen die Zahl von Global Slavery Index 2016 von 45,8 Mio. Sklaven für am realistischsten.
Die zur UN gehörende International Labour Organisation und die Walk Free Foundation haben in einem Bericht 2017 ihre jeweiligen früheren Studien durch neue gemeinsame Standards abgelöst und sind zu völlig neuen Ergebnissen gekommen.15 Anti-Slavery International folgt diesen Zahlen.16
Demnach gab es im Jahr 2016 40,3 Mio. Sklaven, 20,1 Mio. in erzwungener Arbeit, 4,8 Mio. in sexueller Ausbeutung und 15,4 Mio. in erzwungenen Ehen. Das sind 5,4 Sklaven pro 1 000 Weltbürger.
71 % der Opfer sind weiblich, 29 % männlich. 10 Mio., also 25 %, sind minderjährig.
Misst man Sklaverei pro 1 000 Einwohner, ist die Lage in Afrika (7,6 pro 1 000), Asien und der Pazifikregion (6,1) und Europa mit Zentralasien (3,9) am schlimmsten. Zu berücksichtigen ist aber, dass für die arabische Welt und Zentral- und Lateinamerika die Daten unvollständig sind.
Von den 25,9 Mio. Zwangsarbeitern wurden 16 Mio. von privater Hand ausgebeutet, davon die Hälfte durch das System der Schuldknechtschaft (engl. debt bondage), 4,1 Mio. wurden von Staaten wie China oder Nordkorea ausgebeutet.
Die Bereiche der Ausbeutung der Arbeitskraft sind Hausarbeit (24 %), Bau (18 %), Handwerk (15 %) und Landwirtschaft und Fischerei (11 %).
3,8 Mio. Erwachsene waren Opfer der Zwangsprostitution und 1 Mio. Minderjährige wurden sexuell ausgebeutet. Davon waren 99 % Frauen und Kinder. 70 % der 3,8 Mio. werden in Asien und der Pazifikregion ausgebeutet. 14,5 Mio. sind zwangsverheiratet.
Zahl der Sklaven weltweit
| ILO/Walk Free 2017 | Global Slavery Index 2016 | Siddharth Kara 2016 |
Zahl der Sklaven | 40,3 Millionen | 45,8 Mio. | 31,2 Mio. |
geschätzter Profit | 150 Milliarden US-Dollar | | 124 Milliarden US-Dollar |
Stellen wir noch ältere Zahlen von Experten vor, die jeweils für sich mit Teams viele Jahre weltweit geforscht und fast alle Länder der Erde bereist haben:
Siddharth Kara kommt bei seinen umfangreichen Berechnungen – Stand 2007 – auf 28,2 Mio. Sklaven als Opfer von Menschenhandel, davon 1,2 Mio. Kinder.17 2017 hat er die Zahlen fortgeschrieben und kommt auf 31,2 Mio. Sklaven weltweit.18
David Batstone – Stand 2009 – schätzt die Anzahl »über 30 Millionen«19 Opfer. Kevin Bale schätzt – wieder Stand 2007 – 27,3 Mio.20 Sklaven allgemein.
Wichtig dabei ist allerdings: Bei diesen Zahlen wird die Kinderarbeit nicht mitgezählt. Denn laut der zur UN gehörigen ILO gibt es 215 Mio. Kinder in Kinderarbeit, davon 115 Mio. unter unwürdigen oder gefährlichen Bedingungen. Da viele dieser Kinder aber nach wie vor dort leben, wo sie aufgewachsen sind, und ihr Lohn ihren Familien zugutekommt, fallen sie nicht unter Menschenhandel. Erst wenn ein anderer die Leistung ausbeutet, gilt es als Zwangsarbeit.
Eine Ausnahme ist die sexuelle Ausbeutung, die bei Minderjährigen immer als Sklaverei gilt, auch wenn sie, wie bei Zwangsverheiratung oder oft im Fall der Kinderpornografie, im familiären Umfeld geschieht.
Menschenhandel in Europa
»Menschenhandel ist eines der Hauptprobleme in der EU.«21 Das Bundeskriminalamt schreibt dazu: »Nach polizeilichen Erkenntnissen agieren europaweit Netzwerke aus Zuhältern, Schleusern und Geldwäschern, die einen hohen Organisationsgrad aufweisen und teilweise der Organisierten Kriminalität zuzurechnen sind. Für eine effektive Strafverfolgung ist eine Zusammenarbeit der Behörden in Herkunfts-, Transit- und Zielstaaten von Opfern des Menschenhandels von großer Bedeutung.«22
Die zur UN gehörige Internationale Organisation für Migration (IOM) mit Sitz in Genf schätzt, dass jährlich etwa eine halbe Million Frauen und Kinder aus Ost- und Mitteleuropa nach Westeuropa gehandelt werden.
Europol hat für 2013–2014 5 909 Fälle von nationalen Polizeibehörden berichtet bekommen, die Menschenhandel betrafen.23 Für 2014 betraf das 4 127 Täter und 4 185 Opfer. 71 % der Opfer waren EU-Bürger. 69 % der Täter kamen aus den vier Ländern Bulgarien, Ungarn, Rumänien und Slowakei.
Typischerweise sind die kriminellen Gruppen lose Netzwerke mit wechselnden Aufgaben der Beteiligten, die durch Verwandtschaft, Ethnie oder Sprache verbunden sind.24
Laut dem Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) sind die am stärksten vom Menschenhandel betroffenen Regionen Zentral- und Südostasien, das subsaharische Afrika und einige südamerikanische Staaten. Die wichtigsten Zielregionen sind die zentral- und westeuropäischen Staaten sowie die USA. In Westeuropa stehen fünf Länder an der Spitze, was Drehscheibe und Empfang von Menschenhandel betrifft: Belgien, Deutschland, Griechenland, Italien und die...