2.1 Zehn Formatmerkmale von Supervision
Eine einheitliche Meta-Theorie der Supervision, unter die alle Aspekte supervisorischen Handelns subsumiert werden könnten, fehlt nach wie vor (Belardi 2015, S. 133; Petzold u. a. 2003, S. 164; Schreyögg 2003, S. 83). Man mag das beklagen (Petzold u. a. 2003; Gröning 2016), weil man einer eindeutigen wissenschaftlichen Expertise eine wirkmächtige Durchschlags- und Überzeugungskraft zutraut; man kann aber auch in der Vielfalt einer praxisbezogenen Theoriebildung eine Chance sehen (Möller 2001, S. 320 f.) oder mit Rolf Haubl »nach Wegen […] suchen, wie sich die Erzeugung von Wissen durch wissenschaftliche Forschung und die praktische Erzeugung von Erfahrungswissen in wechselseitiger Anerkennung miteinander verbinden lassen« (2009, S. 190 f.) und bereichern.
Als Minimalkonsens lassen sich nach der Durchsicht unterschiedlichster Supervisionskonzepte zehn Formatmerkmale festhalten, auf die Sie sich verlassen bzw. berufen können, wenn Sie es mit Supervisor*innen zu tun haben, die eine von den großen Dachverbänden zertifizierte Weiterbildung vorweisen können.
- 1)
Supervision basiert auf wissenschaftlich fundierten und praxiserprobten Konzepten.
- 2)
Supervision wird von Personen verantwortet und geleitet, die in einer zertifizierten, praxisbezogenen, mehrjährigen Weiterbildung eine entsprechende Beratungskompetenz erworben haben und sich den damit verbundenen fachlichen und ethischen Standards verpflichtet wissen.
- 3)
Supervision beschreibt einen Beziehungsraum, der in besonderer Weise geschützt ist. Neben der Pflicht zur Verschwiegenheit gehört dazu, jedem Menschen mit Respekt zu begegnen und mit Macht und Abhängigkeit verantwortungsvoll umzugehen.
- 4)
Supervision richtet sich an Personen, die ihr berufliches Handeln in einem zeitlich begrenzten Prozess in vertiefter Weise verstehen wollen und bereit sind, sich zu verändern.
- 5)
Supervision hat die Interdependenz persönlicher Anteile, professioneller Rolle(n) und Fragen der Organisation im Blick. Dabei arbeitet sie mehrperspektivisch, um so die Entscheidungs- und Handlungsspielräume zu erweitern. »Im konzeptionellen Mittelpunkt von Supervision stehen die Reflexion, die Mehrperspektivität sowie ein situativer, fall- und prozessbezogener Ansatz: Supervision berät, bildet und begleitet« (Hausinger in DGSv 2011, S. 9) und dient so der umfassenden Professionalisierung.
- 6)
Supervision zielt darauf ab, die Entwicklung der Selbst- und Fremdwahrnehmung zu fördern und damit die Selbstwirksamkeit zu stärken.
- 7)
Supervision unterstützt die Supervisand*innen in Krisen, leitet an, die eigenen Ressourcen präziser zu erkennen und effektiver einzubringen, um so die Arbeitsfähigkeit zu sichern.
- 8)
Supervision ermutigt dazu, unter Berücksichtigung der institutionellen Rahmenbedingungen unterschiedliche Lösungsansätze zu entwickeln. Der bzw. die Supervisor*in hält sich mit eigenen Lösungsvorschlägen zurück, unterstützt vielmehr die Supervisand*innen, das eigene Lösungspotenzial in den Blick zu nehmen und zu nutzen.
- 9)
Supervision hat dabei die Auswirkungen der Verhaltensänderungen im Blick und weiß sich dem Postulat der Nachhaltigkeit verpflichtet.
- 10)
Supervision dient der Qualitätssicherung beruflichen Handelns und stellt sich zugleich selbst der Überprüfung, indem sie den Supervisionsprozess evaluiert.
Darauf zielt Supervision ab:
Die Anzahl der Möglichkeiten vermehren, die Spielräume vergrößern
Zusammenfassend lässt sich Supervision als ein professionell begleiteter Reflexions- und Beziehungsprozess beschreiben, der sichere Erfahrungsräume, Modellverhalten, Wahrnehmungen, Wissen und Kompetenzen bereitstellt (zur vertiefenden Lektüre sei empfohlen: Belardi 2015; Buer 1999; Ebbecke-Nohlen 2015; Kaldenkerken 2014; Loebbert 2016; Petzold u. a. 2003; Petzold 2007; Schreyögg 2010).
Der ethische Imperativ Heinz v. Foersters (2002, S. 60) – »Sag ihnen, sie sollten immer so handeln, die Anzahl der Möglichkeiten zu vermehren« – trifft den Selbstanspruch supervisorischen Handelns im Kern: »nämlich zur Problemlösung, zur Innovation und zur Qualitätssicherung beizutragen« (Krönchen 2012, S. 405).
Abbildung 7: Durch Supervision neue Wege erschließen
Supervisorische Leitsätze:
»Nichts ist alternativlos!«
»Wer A sagt, muss nicht B sagen!«
2.2 Abgrenzung des Beratungsformats Supervision
Um keine falschen Erwartungen zu wecken, ist es wichtig, die Möglichkeiten und Grenzen der supervisorischen Arbeit in Relation zu anderen Beratungsformaten wie Fortbildung, Fachberatung, Organisationsberatung oder auch zu einer Therapie deutlich zu benennen. Abbildung 8 zeigt die Schnittmengen von Supervision, Fort- und Weiterbildung, Training, Therapie und Organisationsberatung:
Abbildung 8: Schnittmengen zu anderen Beratungsformaten (nach Ehinger/Hennig 1997, S. 13)
Eine – wenn nicht die wesentliche – gemeinsame Voraussetzung aller Formate ist die Veränderungsbereitschaft der Ratsuchenden, so unterschiedlich die Anlässe und Ziele auch sein mögen. Das Motto der Bremer Stadtmusikanten: »Etwas Besseres als den Tod findest du überall!« hat schon so manchen Ratsuchenden ermutigt, die eigene Situation noch einmal neu und anders zu bedenken.
2.2.1 Fortbildung und Fachberatung
Bei einer Fortbildung oder Fachberatung steht das Thema bzw. ein fachliches Problem im Mittelpunkt. Eine gute Fortbildung und Fachberatung wird immer auch die wechselseitigen Ein- und Auswirkungen auf das Rollenverhalten, die Organisation und selbstverständlich auch die personenbezogenen Determinanten mit reflektieren, aber der Sachaspekt ist hier dominant.
2.2.2 Training
In den zurückliegenden fünfzehn Jahren wurden unterschiedliche Trainings entwickelt, um Lehrer*innen in ihrem Professionalisierungsbemühen zu unterstützen. Einige der bekannteren sind das Konstanzer Trainingsmodell (KTM; Tennstädt u. a. 1994), das Trainingsprogramm »Denkanstöße – Stärkung für die Schule« (Schaarschmidt/Fischer 2013; bekannt auch unter dem Titel »Potsdamer Lehrertraining«) und das unter der Federführung von Andreas Hillert (Medizinisch-Psychosomatische Klinik Roseneck) entwickelte Präventions- und Behandlungsmanual »Arbeit und Gesundheit im Lehrerberuf« (AGIL; Hillert u. a. 2016), die darauf abzielen, durch gegenseitige Unterrichtsbesuche, Komplexitätsreduktion, Selbstmanagementtechniken, Entspannungsverfahren und vor allem Übung – bei gleichzeitiger positiver Verstärkung – die Rollen- und Handlungssicherheit zu erhöhen.
Die Nähe zur Supervision und besonders zum Coaching ist nicht zu übersehen, doch sollten auch die Unterschiede deutlich benannt werden: Im Training ist bereits alles vorgegeben – der Trainingsinhalt, das Ziel und auch der Lösungsweg. Das kann durchaus angemessen, hilfreich und lösungsorientiert sein, wenn man sein »Problem«, das, woran gearbeitet werden soll, genau kennt und den Determinanten des Trainings grundsätzlich zustimmen ...