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Grundeinkommen kontrovers

Plädoyers für und gegen ein neues Sozialmodell

VerlagBeltz Juventa
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl260 Seiten
ISBN9783779952862
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Über das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) wird gegenwärtig in der Öffentlichkeit vieler Länder kontrovers diskutiert. Es handelt sich hierbei um einen steuerfinanzierten Universaltransfer, den sämtliche Bürger zwecks Sicherstellung ihres Lebensunterhalts ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Verpflichtung zur Erwerbsarbeit erhalten sollen. Manchem erscheint die Debatte über das bedingungslose Grundeinkommen als Prinzipienstreit, in dem es den Kontrahenten um tragende Wertvorstellungen hinsichtlich der künftigen Gesellschaftsentwicklung geht: Für die einen sind die bisherigen Geld-, Sach- und Dienstleistungen des bestehenden Sozialstaates teilweise weniger großzügig, aber womöglich zielgenauer; für die anderen soll dieses Sozialmodell durch ein neues Sicherungsarrangement für alle Wohnbürger ersetzt werden, das diese aus den Zwängen eines bürokratischen Systems befreit und es ihnen ermöglicht, frei über ihre Arbeits- und Lebensbedingungen zu entscheiden.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge war bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2016 Hochschullehrer für Politikwissenschaft an der Universität zu Köln und 2017 Kandidat der Linkspartei bei der Bundespräsidentenwahl. Dr. Kuno Rinke ist Studiendirektor an einem Gymnasium und Redakteur der Zeitschrift »Politisches Lernen«.

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Leseprobe

Thomas Straubhaar

Was ist ein Grundeinkommen und wie funktioniert es?


Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein zugleich liberales, egalitäres und individualistisches Konzept. Es stellt keine paternalistischen Vorbedingungen an staatliche Hilfe und wird bedingungslos allen, unbesehen persönlicher Verhaltensweisen und Eigenschaften, Lebens- oder Familienformen in Höhe des soziokulturellen Existenzminimums vom Staat gewährt. Alle werden unabhängig von Alter, Geschlecht, Familienstand, Beruf, Qualifikationen und Kenntnissen oder Wohnort gleich behandelt.

1.Eine alte Idee findet neuen Zulauf


„Es gibt Ideen, die ihren Weg zwar langsam machen, die aber nicht einfach wieder weggehen, weil nicht jedermann sie sogleich aufnimmt. Dazu gehört der Gedanke, daß es für alle Bürger entwickelter, zivilisierter Gesellschaften ein garantiertes Mindesteinkommen geben sollte.“1 Was Lord Dahrendorf – ehemaliger Vorstandsvorsitzender der liberalen Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit – bereits vor 30 Jahren erkannte, bewahrheitet sich auch beim Grundeinkommen: Gut Ding will Weile haben!

Die Idee des Grundeinkommens ist nämlich alles andere als neu. Ganz im Gegenteil: Sie ist „uralt“.2 Wenn man von Thomas Morus, Thomas Spence und anderen mittelalterlichen Vordenkern dieser Idee absieht, gehen ihre Ursprünge auf das 19. Jahrhundert zurück. Zu den bekanntesten Befürworter(inne)n im 20. Jahrhundert gehörten die britische Ökonomin und Politikerin Juliet Rhys-Williams sowie die US-amerikanischen Ökonomen Milton Friedman und James Tobin. Lady Rhys-Williams machte bereits 1943 den sozialpolitisch motivierten Vorschlag eines existenzsichernden Sozialtransfers an alle: “The State owes precisely the same benefits to all of its citizens, and should in no circumstances pay more to one than to another of the same sex and age, except in return for services rendered.”3 Für Rhys-Williams war der Wegfall einer entwürdigenden „Bittstellerei“ und einer von Misstrauen geprägten fortwährenden Kontrolle durch staatliche Behörden der entscheidende Vorteil einer staatlichen Existenzsicherung ohne Gegenleistung.

Milton Friedman prägte den Begriff „negative Einkommensteuer“ als Verknüpfung von Einkommensteuer und Sozialtransfers und brachte diese Idee in den 1960er-Jahren erneut in die Diskussion.4 James Tobin entwickelte auf derselben Basis das Konzept einer garantierten staatlichen Mindestsicherung.5 Die Ideen von Friedman und Tobin wurden danach vom ehemaligen Harvard-Ökonom Philippe van Parijs aufgegriffen, der sich vehement für das Grundeinkommen einsetzte und 1986 das heutige Basic Income Earth (damals noch: European) Network (BIEN) gründete.6

In (West-)Deutschland begann in den 1980er-Jahren eine Diskussion über ein von der Erwerbsarbeit entkoppeltes staatlich finanziertes garantiertes Grundeinkommen.7 Sie wurde dann von der „Agenda 2010“ und den Hartz-Reformen befeuert. Denn die Konzepte „Fördern und Fordern“ (in Deutschland) bzw. „Workfare statt Welfare“ (in den USA) erschienen vielen zynisch: Staatliche Unterstützung an eine Erwerbspflicht zu koppeln, „obgleich für Millionen diese Erwerbsarbeit nicht zugänglich ist“, wirkt (bis heute und im Zeitalter der Digitalisierung mehr denn je) widersprüchlich.8

In schwierigen Diskussionen um die Neugestaltung des Sozialstaates während Zeiten einer immens hohen Arbeitslosigkeit gewann das bedingungslose Grundeinkommen gegen Mitte des vergangenen Jahrzehnts neuen Zulauf. Populär wurde die Forderung „Einkommen für alle“ von Götz W. Werner.9 Der anthroposophisch argumentierende Gründer und Chef der „dm“-Drogeriemarktkette wollte einer „neuen Ethik“ und damit auch dem Unternehmertum („Lebensunternehmer“) zum Durchbruch verhelfen: „Du bekommst ein Grundeinkommen und hast damit die Möglichkeit, ja die Bringschuld, deine Talente in der Gesellschaft wirksam werden zu lassen. Zeig, was du kannst! […] Gewiss aber ist, dass mehr geleistet würde und damit mehr verteilt werden könnte. Der Kuchen würde größer! Und das Geld würde sinnvoller genutzt.“10

Politisch wurde das bedingungslose Grundeinkommen vom damaligen Thüringer Ministerpräsidenten Dieter Althaus vorangetrieben. Er legte im Sommer 2006 das Konzept des „Solidarischen Bürgergeldes“ vor.11 Der Vorschlag wurde heftig und breit diskutiert.12 Dabei standen drei Aspekte besonders in der Kritik, auf die im Folgenden einzugehen sein wird:

Erstens bezweifelte man die Finanzierbarkeit.13 Zweitens wurde das Grundeinkommen als „Arbeitsplatzvernichtungsprämie“ gebrandmarkt, das „vielen Erwerbslosen irrigerweise als ‚Schlaraffenland ohne Arbeitszwang‘ erscheint, in Wirklichkeit aber ein wahres Paradies für Unternehmer wäre, in dem Arbeitnehmer weniger Rechte und Gewerkschaften keine (Gegen-)Macht mehr hätten.“14 Und drittens wurde die Bedingungslosigkeit als falsches Signal bewertet, das Arbeitsanreize untergrabe und dazu führe, dass „sich Menschen weniger als bisher qualifizieren und weniger als bisher arbeiten.“15

Natürlich sind die kritischen Gegenstimmen ernsthaft zu prüfen. Aber die meisten Einwände richten sich nicht allein auf das bedingungslose Grundeinkommen. Sie zielen ganz grundsätzlich auf die Zukunft des Sozialstaates. Der wird jedoch bei einem „Weiter so wie bisher!“ stärker gefährdet sein als durch das Grundeinkommen. Die Digitalisierung wird mehr Arbeitsplätze vernichten und die Ineffektivität einer aktivierenden Sozialpolitik heftiger aufdecken, als deren Befürworter/innen vermuten. Deshalb dürfen Zukunftsrisiken nicht isoliert für das bedingungslose Grundeinkommen, sondern müssen im Vergleich zum Bestehenden und zu den Alternativen bewertet werden.

Der länger andauernde wirtschaftliche Aufschwung hat mitgeholfen, die grundsätzlichen Probleme des heutigen Sozialstaates zu vernebeln. Eine generelle Reform schien weniger dringend als schon zu Zeiten hoher Massenarbeitslosigkeit um die Mitte des vergangenen Jahrzehnts. Aber erst schleichend, dann beschleunigt durch die strukturellen demografischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Veränderungen und schließlich befeuert durch die Folgewirkungen der Digitalisierung erhält das bedingungslose Grundeinkommen wieder stärkere Aufmerksamkeit.

Insbesondere die Analysen der beiden Forscher Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee am Massachusetts Institute of Technology (MIT) führten zu der Frage, wie menschliche Arbeit im „Zweiten Zeitalter der Maschine“ gegenüber Robotern mit künstlicher Intelligenz bestehen könne.16 Auch wenn die Autoren der Bedingungslosigkeit eines Grundeinkommens skeptisch gegenüberstanden, plädierten sie doch für eine negative Einkommensteuer.

Wissenschaftler wie Christoper Pissarides oder der britische Ökonom Anthony Atkinson suchten ebenfalls nach neuen Antworten auf die sozialen (Verteilungs-)Fragen, die durch die Digitalisierung aufgeworfen werden.17 Auch einige Manager/innen schlossen sich der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen an, darunter Sheryl Sandberg von Facebook oder Dileep George von Vicarious, der davon überzeugt ist, dass „Maschinen die besseren Menschen sein“ werden.18

Unter dem Eindruck der Diskussionen auf dem Weltwirtschaftsforum 2016 in Davos forderte dessen Gründer Klaus Schwab als Folge der Vierten Industriellen Revolution dann auch prompt Lösungen, „die allen ein Mindesteinkommen garantieren“.19 Weiter sagte Schwab: „Ganz offensichtlich verändert die Digitalisierung etwas sehr Grundsätzliches im Zusammenspiel von Mensch und Maschine, auch wenn vielen noch nicht ganz klar war, was es exakt bedeutet.“20

Es ist eher kein Zufall, dass ausgerechnet Persönlichkeiten, die als Führungskräfte täglich mit der Digitalisierung und ihren fundamentalen Veränderungen von Wirtschaft und Gesellschaft zu tun haben, einem bedingungslosen Grundeinkommen gegenüber positiv eingestellt sind. So hat sich...

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