3 Arbeitsfeld Soziale Schuldnerberatung
Was Sie in diesem Kapitel lernen können
Die Soziale Schuldnerberatung steht vor vielfältigen Herausforderungen. Wie die Hinweise auf ihre Entstehung und Entwicklung zeigen, ist die Unterstützung von verschuldeten Menschen ein Thema seit den Anfängen der Sozialen Arbeit und der darin eingelassenen Vorformen der Schuldnerberatung. Daraus sind Arbeitsansätze und Beratungsschwerpunkte hervorgegangen, die das gegenwärtige Profil der Sozialen Schuldnerberatung prägen. Die Umsetzung der fachlich begründeten Arbeitsansätze erfordert allerdings gesetzliche und finanzielle Rahmenbedingungen, die nicht immer gegeben sind, wie aktuelle Diskussionen zeigen. Schließlich ist zu fragen, inwieweit es bisher gelungen ist, das professionelle Profil der Sozialen Schuldnerberatung zu konturieren.
3.1 Entstehung und Entwicklung
Den Beginn der Sozialen Schuldnerberatung in der Sozialen Arbeit zu datieren, bereitet Schwierigkeiten. Die Unterstützung von Menschen in Armut ist nahezu immer auch mit Schuldenfragen verbunden. Die Schuldnerberatung bzw. ihre Vorläufer sind mithin ein integraler Bestandteil der Sozialen Arbeit, die aus der Armenfürsorge hervorgegangen ist. Frühe Formen der Schuldnerberatung sind im Zusammenhang mit Konsumentenkrediten zu beobachten, die in der sogenannten industriellen Revolution seit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts aufkommen. So wurde beispielsweise schon in dieser Zeit der Absatz von Fahrrädern, Möbeln und Nähmaschinen für die Heimarbeit durch den Ratenverkauf forciert. Wer dann die Raten nicht vereinbarungsgemäß tilgen konnte, war vielfach mit außergerichtlichen Rateneintreibern konfrontiert, die eine Vorform moderner Inkassounternehmen darstellten. Im Rahmen der Armenhilfe wurden Lösungen für diese Probleme gesucht. Es wurde zwischen Schuldnern und Gläubigern vermittelt, in Armut geratene Menschen in der Haushaltsführung und im Umgang mit Geld unterstützt und es wurden Wege zur Rückzahlung aufgelaufener Schulden gesucht (vgl. Schwarze 1998, S. 32f.).
Wählt man hingegen bei der Suche nach dem Beginn der Sozialen Schuldnerberatung den Zeitpunkt, von dem an der Begriff explizit gebraucht wurde, beginnt ihre Geschichte in den 1970er Jahren. 1977 wurde die erste allgemeine Schuldnerberatungsstelle der Stadtverwaltung Ludwigshafen eröffnet, seit Mitte der 1980er Jahre erfolgte dann ein rasanter Ausbau. Jetzt wurden nicht mehr nur spezielle Zielgruppen wie Wohnungslose oder Straffällige angesprochen, sondern allgemein Menschen mit Schuldenproblemen. Die Soziale Schuldnerberatung etablierte sich in dieser Zeit als Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit (vgl. Schruth 2011a, S. 18f.). Zwei Varianten sind bis heute zu unterscheiden. Zum einen die integrierte Soziale Schuldnerberatung, die in Verbindung mit der Bearbeitung von Problemen wie Sucht, Wohnungslosigkeit oder Erwerbslosigkeit erfolgt, die vielfach auch mit Schulden einhergehen; zum anderen die spezialisierte Soziale Schuldnerberatung, bei der das Thema Schulden im Mittelpunkt steht. In der integrierten Sozialen Schuldnerberatung werden in der Regel solche Ausschnitte des Beratungsspektrums umgesetzt, die der Existenzsicherung dienen (Sicherung des Einkommens, Pfändungsschutz und Lösung von Primärschulden, also vor allem Miet- und Energieschulden). Soweit darüberhinausgehende Formen der Unterstützung erforderlich sind, erfolgt die Überleitung in die spezialisierte Soziale Schuldnerberatung, in der eine grundlegende finanzielle Sanierung einschließlich der Schuldenregulierung gemeinsam mit den Ratsuchenden angestrebt wird (vgl. Stark 2012, S. 8).
Die Soziale Schuldnerberatung entwickelte sich aus der Praxis für die Praxis, die Suche nach Arbeitsformen für den Umgang mit überschuldeten Ratsuchenden stand und steht im Mittelpunkt. Eine theoretische Fundierung auf der Grundlage der Theorien der Sozialen Arbeit gibt es bis heute nicht, allenfalls werden Theorieausschnitte importiert, die aber nicht zu einem theoretisch kohärenten Verständnis der Sozialen Schuldnerberatung geführt haben. Entwicklungsimpulse gehen bisher vor allem von äußeren Faktoren aus. Mit dem Anstieg und der Verfestigung von Arbeitslosigkeit wuchs der Druck auf die Soziale Schuldnerberatung, die der steigenden Nachfrage bis heute nicht angemessen gewachsen ist, wie Wartezeiten und der Zeitdruck in der Beratung belegen. Ein weiterer Entwicklungsschub ging von der Einführung des Verbraucherinsolvenzverfahrens 1999 aus. Im Zuge dieser Entwicklung erfährt die Soziale Schuldnerberatung eine Erweiterung ihres Aufgabenfeldes, sie ist nun auch zuständig für den außergerichtlichen Einigungsversuch, der dem gerichtlichen Entschuldungsverfahren vorgeschaltet ist, sowie für die Anbahnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens ( Kap. 6.4). Die Soziale Schuldnerberatung wird nach § 305 Insolvenzordnung, soweit die gesetzlich definierten Voraussetzungen erfüllt sind, zur Schuldner- und Insolvenzberatung. Wenn also hier von Sozialer Schuldnerberatung die Rede ist, sind fortan immer diese beiden Arbeitsebenen gemeint.
Die Einführung des SGB II und SGB XII hat zu weiteren Veränderungen der Sozialen Schuldnerberatung beigetragen. Insbesondere die Nennung der Schuldnerberatung in § 16a SGB II als Beitrag zur Überwindung von Vermittlungshemmnissen bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beinhaltet die Gefahr, dass die Soziale Schuldnerberatung als Instrument der Jobcenter wahrgenommen wird und ihre Beratungshoheit verliert (vgl. Stark 2012, S. 8f.). Die Einbindung der Sozialen Schuldnerberatung in das Verbraucherinsolvenzverfahren und in das SGB II hat Auswirkungen auf die Inhalte der Sozialen Schuldnerberatung, die damit zumindest teilweise mehr den rechtlichen Vorgaben als den sozialarbeiterisch-beraterischen Erkenntnissen unterliegt. Für die fachliche Weiterentwicklung ist diese Konstruktion mit Risiken behaftet.
Die Entstehung und Entwicklung der Sozialen Schuldnerberatung als spezialisiertes Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit seit den 1970er Jahren war keineswegs selbstverständlich. In der Anfangszeit konkurrierten unterschiedliche Akteure um die Deutungshoheit. Überschuldung hatte vor unterschiedlichen verbraucherrechtlichen Reformmaßnahmen zunächst viel zu tun mit sittenwidrigen Kreditverträgen, Zinswucher und der Übervorteilung von Verbrauchern. Folgerichtig stand das Thema Überschuldung sowohl bei der Anwaltschaft als auch in der Verbraucherarbeit auf der Tagesordnung. Die Soziale Arbeit hat allerdings im Ergebnis die Soziale Schuldnerberatung zu ihrer Sache gemacht, sie wurde und wird darin von den politisch Verantwortlichen unterstützt. Gelungen ist ihr dies mit der vertieften Ausrichtung auf die Schuldner und nicht auf die Kreditwirtschaft und die strukturellen Rahmenbedingungen, unter denen Überschuldungsrisiken zugenommen haben. Mit der Betonung der psychosozialen Folgen, die aus einer Überschuldung resultieren, ist es der Sozialen Arbeit gelungen, ihre exklusive Zuständigkeit dafür zu sichern, insbesondere die persönlichen Belastungen der Betroffenen im Beratungsprozess zu bearbeiten (vgl. Ebli/Herzog 2016, S. 724f.). In den einzelnen Arbeitsansätzen kommt diese Ausrichtung zum Ausdruck.
3.2 Arbeitsansätze und Profile
Fokussierte Beratung
Die Soziale Schuldnerberatung und allen voran die Ratsuchenden sind in vielen Fällen mit einer Fülle von Problemen konfrontiert, die immer wieder auch Kooperationen mit anderen sozialen Diensten und Einrichtungen des Gesundheitswesens oder der Justiz erfordern. Typologisch kann grob unterschieden werden zwischen Ratsuchenden, die lediglich Sachinformationen über Schulden und Möglichkeiten der Regulierung benötigen, die sie in Eigenregie umsetzen, und Ratsuchenden, die daneben auf punktuelle Hilfe wie Anschreiben an Gläubiger oder auf Unterstützung in der Beantragung von Sozialleistungen angewiesen sind. Hinzukommen als dritte Gruppe Ratsuchende, die auf eine umfängliche Unterstützung im Umgang mit den wirtschaftlichen, rechtlichen, familiären, sozialen und persönlichen Implikationen einer Überschuldung angewiesen sind (vgl. Just 2012, S. 15f.). Die dritte Gruppe dominiert im Alltag der Sozialen Schuldnerberatung. Die Soziale Schuldnerberatung ist mit dieser Ausrichtung als fokussierte Beratung zu verstehen, die auf Schwerpunkte wie hier die Bearbeitung von Schulden in einer breiten Perspektive ausgerichtet ist und im Idealfall eine multiprofessionelle Besetzung begründet. Fokussierte Beratung wird vor allem in kommunalen oder gemeinnützigen Einrichtungen unter gesetzlichen Rahmenbedingungen mit einem formalisierten Zugang auf der Basis eines theoretischen und methodischen Hintergrundes angeboten (vgl. Stimmer/Ansen 2016, S 49). Die Soziale Schuldnerberatung erfüllt diese Kriterien vollständig.
Beratung
In der Grundform handelt es sich bei der...