Vorwort
Dieses Buch wäre nicht geschrieben worden, hätte man Donald J. Trump nicht im November 2016 zum Präsidenten gewählt. Wie viele Amerikaner war ich verblüfft über dieses Ergebnis und beunruhigt über seine Konsequenzen für die Vereinigten Staaten und die Welt. Es handelte sich um die zweite große Wahlüberraschung des Jahres – die erste war im Juni die Entscheidung Großbritanniens gewesen, aus der Europäischen Union auszutreten.
Ich hatte einen großen Teil der beiden letzten Jahrzehnte damit verbracht, über die Entwicklung moderner politischer Institutionen nachzudenken: darüber, wie der Staat, die Rechtsstaatlichkeit und die demokratische Verantwortlichkeit entstanden waren, wie sie sich entfaltet und einander beeinflusst hatten und wie sie schließlich verkümmern konnten. Lange vor Trumps Wahl hatte ich geschrieben, dass die Institutionen der Vereinigten Staaten verfallen, weil der Staat zunehmend von mächtigen Interessengruppen vereinnahmt und in eine starre Struktur gezwungen wird, die sich nicht reformieren kann.
Trump selbst war sowohl das Produkt dieses Verfalls als auch einer seiner Urheber. Die Verheißung seiner Kandidatur bestand darin, dass er als Außenseiter seinen Wählerauftrag nutzen wollte, um das System aufzurütteln und es wieder funktionsfähig zu machen. Die US-Amerikaner waren der parteipolitischen Stagnation überdrüssig und sehnten sich nach einem starken Anführer, der das Land wiedervereinigen konnte, indem er die von mir so genannte Vetokratie durchbrach, das heißt die Fähigkeit von Interessengruppen, kollektives Handeln zu blockieren. Ein derartiger populistischer Aufschwung hatte auch Franklin D. Roosevelt 1932 ins Weiße Haus befördert und die Politik der USA zwei Generationen lang umgestaltet.
Das Problem mit Trump war zwiefältig, denn es hatte sowohl mit seinen politischen Methoden als auch mit seinem Charakter zu tun. Sein Wirtschaftsnationalismus würde die Lage wahrscheinlich für genau die Wählerkreise verschlechtern, die ihn unterstützten, und seine offenbare Vorliebe für autoritäre Machthaber statt für demokratische Verbündete drohte die internationale Ordnung zu destabilisieren. Was seinen Charakter betraf, so war es schwierig, sich eine Person vorzustellen, die weniger für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten geeignet gewesen wäre. Die Tugenden, die man mit überragender Führerschaft assoziiert – fundamentale Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, nüchternes Urteilsvermögen, Hingabe an das öffentliche Interesse und eine eindeutige moralische Richtschnur –, gingen ihm völlig ab. Trumps Hauptaugenmerk hatte während seiner gesamten Karriere auf Selbstdarstellung gelegen, und es machte ihm nicht das Geringste aus, Menschen oder Regeln, die ihm im Weg standen, mit allen verfügbaren Mitteln zu überrollen.
Trump repräsentiert einen breiteren Trend der internationalen Politik in Richtung des populistischen Nationalismus.[1] Populistische Führer sind bemüht, ihre Macht durch die Legitimität zu konsolidieren, die sie aus demokratischen Wahlen beziehen. Sie wollen eine direkte charismatische Verbindung zum »Volk« herstellen, das oftmals nach sehr eingegrenzten, ethnischen Begriffen definiert wird, die große Teile der Bevölkerung ausschließen. Institutionen behagen ihnen nicht, und so sind sie stets versucht, die Gewaltenteilung zu untergraben, welche dafür sorgt, die persönliche Macht des Staatschefs in modernen liberalen Demokratien einzuschränken: die Gerichte, die Legislative, unabhängige Medien und eine unparteiische Bürokratie. Andere zeitgenössische Regierungschefs, die man dieser Kategorie zuordnen kann, sind Wladimir Putin in Russland, Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei, Viktor Orbán in Ungarn, Jarosław Kaczyński in Polen und Rodrigo Duterte auf den Philippinen.
Der globale Drang zur Demokratie, der Mitte der siebziger Jahre begann, ist, wie mein Kollege Larry Diamond schreibt, in eine globale Rezession übergegangen.[2] Im Jahr 1970 gab es nur rund 35 repräsentative Demokratien – eine Zahl, die in den folgenden drei Jahrzehnten stetig anstieg, bis sie Anfang des 21. Jahrhunderts fast 120 erreichte. Die stärkste Beschleunigung fand zwischen 1989 und 1991 statt, als der Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa und der UDSSR eine demokratische Welle in der gesamten Region auslöste. Seit Mitte der Nullerjahre hat sich der Trend jedoch umgekehrt, und die Anzahl der demokratischen Staaten ist wieder gesunken. Gleichzeitig sind autoritäre Länder wie China selbstbewusster geworden.
Es ist kein Wunder, dass es potenziellen neuen Demokratien wie Tunesien, der Ukraine und Myanmar schwerfällt, tragfähige Institutionen aufzubauen, und dass es der liberalen Demokratie nicht gelang, in Afghanistan oder im Irak nach den dortigen US-Interventionen Fuß zu fassen. Es ist enttäuschend, wenn auch nicht allzu erstaunlich, dass Russland zu seinen autoritären Traditionen zurückgefunden hat. Viel unerwarteter war indes, dass sogar in Ländern mit etablierten freiheitlichen Systemen Bedrohungen der Demokratie auftauchten. Ungarn gehörte zu den ersten Staaten Osteuropas, die ihr kommunistisches Regime stürzten. Als es sich sowohl der NATO als auch der Europäischen Union anschloss, schien es, wie die Politologen meinten, als »konsolidierte« liberale Demokratie nach Europa zurückgekehrt zu sein. Doch unter Orbán und seiner Fidesz-Partei ist es inzwischen zu einem Paradebeispiel der (von Orbán so genannten) »illiberalen Demokratie« geworden. Eine noch viel größere Überraschung waren jedoch die Wahlergebnisse in Großbritannien und den Vereinigten Staaten für den Brexit und für Trump.
Dies betraf die beiden führenden Demokratien, welche die moderne liberale, internationale Ordnung errichtet hatten – Länder, die während der achtziger Jahre unter Reagan und Thatcher die Wegbereiter der »neoliberalen« Revolution gewesen waren. Doch auch sie schienen sich nun einem engeren Nationalismus zuzuwenden.
Damit gelange ich zu den Ursprüngen des vorliegenden Buches. Seit ich Mitte 1989 meinen Essay The End of History?1 sowie 1992 das Buch The End of History and the Last Man2 veröffentlichte,[3] werde ich regelmäßig gefragt, ob Ereignis X meine These nicht widerlege. X konnte ein Putsch in Peru sein, der Krieg auf dem Balkan, die Serie der Terroranschläge vom 11. September, die globale Finanzkrise oder, in jüngster Zeit, Donald Trumps Wahl und die oben beschriebene Welle des populistischen Nationalismus.
Die meisten dieser kritischen Äußerungen beruhten auf einem schlichten Missverständnis meiner These. Ich hatte das Wort Geschichte im hegelianisch-marxistischen Sinne verwendet, das heißt als langfristige evolutionäre Beschreibung menschlicher Institutionen, die man alternativ als »Entwicklung« oder »Modernisierung« hätte bezeichnen können. Das Wort Ende war nicht im Sinne von »Terminierung«, sondern von »Ziel« oder »Bestimmungsort« gemeint gewesen. Karl Marx hatte nahegelegt, dass das Ende der Geschichte eine kommunistische Utopie sein werde, und ich wies nur darauf hin, dass Hegels Version, in der die Entwicklung zu einem liberalen marktwirtschaftlichen Staat führt, plausibler sei.[4]
Dies bedeutet nicht, dass meine Ansichten im Lauf der Jahre unverändert geblieben wären. Die gründlichste Neuerwägung, die ich habe liefern können, ist in meinen beiden Büchern The Origins of Political Order und Political Order and Political Decay zu finden, die insgesamt als Bemühung gesehen werden können, Das Ende der Geschichte im Licht meines heutigen Verständnisses der Weltpolitik umzuschreiben.[5]
Die beiden wichtigsten Änderungen meines Denkens haben erstens mit der Schwierigkeit zu tun, einen modernen, unpersönlichen Staat aufzubauen – ich habe dieses Problem als »Weg nach Dänemark« bezeichnet –, und zweitens mit der Möglichkeit, dass eine zeitgenössische liberale Demokratie verfällt oder sich rückwärtsentwickelt.
Außerdem entgingen meinen Kritikern zwei weitere Details: Sie hatten nicht bemerkt, dass hinter dem Titel des ursprünglichen Artikels ein Fragezeichen stand, und sie hatten die Schlusskapitel des Buches Das Ende der Geschichte nicht gelesen, die sich mit dem Problem von Nietzsches letztem Menschen befassen.
In beiden Publikationen wies ich darauf hin, dass weder Nationalismus noch Religion demnächst als Kräfte der Weltpolitik verschwinden würden, und zwar deshalb, weil die zeitgenössischen liberalen Demokratien das Problem des »Thymos« noch nicht vollauf gelöst hätten. Thymos ist der Teil der Seele, der sich nach Anerkennung seiner Würde sehnt; »Isothymia« ist das Bedürfnis, anderen gegenüber als gleichwertig zu gelten, während »Megalothymia« den Wunsch darstellt, von anderen als überlegen betrachtet zu werden. Moderne liberale Demokratien versprechen und sorgen auch überwiegend für ein Minimum an einheitlichem Respekt, das in Individualrechten, der Herrschaft des Gesetzes und im Wahlrecht zum Ausdruck kommt. Allerdings garantiert dies nicht, dass die Bürger einer Demokratie in der Praxis alle in gleichem Maße respektiert werden, schon gar nicht Angehörige von Gruppen, die politisch oder gesellschaftlich marginalisiert worden sind. Ganze Länder können sich missachtet fühlen, was zuweilen einen aggressiven Nationalismus entfesselt, ebenso wie Anhänger einer Religion, die meinen, dass ihr...