Glossar: Erläuterungen zu den wichtigsten in diesem Band verwendeten Begriffen
Gruppe
Formal versteht man unter einer Gruppe ganz allgemein zwei oder mehr Menschen, die miteinander interagieren und sich gegenseitig in ihren Bedürfnissen und Zielen beeinflussen (Cartwright & Zander 1968; Lewin 1948, zit. nach Aronson et al. 2008: 275).
Behnisch u. a. konkretisieren diese allgemeine Definition für die soziale Gruppe folgendermaßen:
Demnach bilden Menschen „eine Gruppe,
1. wenn sie sich als zusammengehörig erleben
2. an gemeinsamen Aufgaben tätig werden und gemeinsame Ziele anstreben
3. Normen und Verhaltensvorschriften für einen bestimmten Bereich teilen
4. Ansätze von Aufgabenteilung und Rollendifferenzierung entwickeln
5. mehr Interaktionen untereinander als nach außen zeigen
6. sich mit ‚einer gemeinsamen Bezugsperson oder einem gemeinsamen Sachverhalt oder einer Aufgabe‘ identifizieren (Sader 1997: 39)
7. sich ‚räumlich und/oder zeitlich von anderen Individuen der weiteren Umgebung‘ unterscheiden (ebd.).“ (Behnisch u. a. 2013: 13 f.)
Gruppenpädagogik
Gruppenpädagogik stellt nach einer klassischen Definition von Magda Kelber einen bewusst in dieser Form gestalteten Erziehungsprozess dar:
„Die Gruppenpädagogik stellt bewußt die kleine überschaubare Gruppe in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen. Hier können die persönlichen Beziehungen entstehen, ohne die eine Erziehung unmöglich ist. Solche kleinen Gruppen werden durch ein gemeinsames Anliegen (Sport, Musik, Kameradschaft, Arbeit) zusammengeführt. Die Gruppenpädagogik befaßt sich mit der bewußt pädagogisch geleiteten Gruppe. Nicht alles, was in kleinen Gruppen geschieht, ist schon Gruppenpädagogik.“ (1959: 4, zit. nach Behnisch u. a. 2013: 68)
Eine neuere, noch umfassendere Definition stammt von C. Wolfgang Müller (1987: 130):
„Die Gruppenpädagogik ist eine Methode, die bewußt die kleine überschaubare Gruppe als Mittelpunkt und Mittel der Erziehung einsetzt, und zwar beruht die pädagogische Hilfestellung auf einer Durchleuchtung und bewußten Beeinflussung des Gruppenprozesses. Das ist eine formale Bestimmung. Inhaltlich handelt es sich
1. um die Ablösung einer autoritären durch eine partnerschaftliche Erzieherhaltung;
2. um das Freimachen der Aktivität des Einzelnen in einem gemeinsam gestalteten Tun (Programm);
3. um das Ernstnehmen der selbsterzieherischen Tendenz schon in Kindheit und Jugendzeit; um das Raumgeben für ursprüngliche, entwicklungsgemäße Gemeinschafts- und Ausdrucksformen;
4. um ein pflegendes, bildendes oder führendes Arbeiten des Gruppenleiters in einer aktiv an ihrer Entwicklung mitbeteiligten Gruppe.“
Christian Schrapper (2009: 189 f.) findet am Vergleich von vier exemplarischen Gruppen (Kita-Gruppe, Heimgruppe, Gruppe in einer Jugendvollzugsanstalt und Jugendgruppe im Konfirmandenunterricht) „das Gemeinsame und Typische (…) für Gruppen, in denen Pädagogik gemacht wird“, in
1. „der sozialen „Struktur einer absichtsvoll ‚komponierten‘ Zahl von Menschen, genannt Gruppe. (…)
2. Die Organisation dieser vier Gruppen ist ebenfalls nicht zufällig, sie wird gestaltet und verantwortet von dafür eigens benannten Institutionen, die mit Aufträgen und Ressourcen ausgestattet (…) ihre pädagogischen Aufträge und Absichten realisieren.
3. Neben der so in mehrfacher Weise bestimmten sozialen Struktur dieser pädagogischen Gruppen ist auch ihre Leitung eindeutig definiert; auch hier wird nichts dem Zufall überlassen, wenngleich die vier Gruppen (…) ihre jeweils eigenen Hierarchien, Regeln und Rollen ausprägen. Die daraus in allen vier Gruppen in jeweils spezifischer Weise – abhängig von Strukturen und Personen – geprägten und gespeisten Spannungsverhältnisse von formeller und informeller Einflussnahme machen einen wesentlichen Teil der pädagogischen Kultur dieser Lerngruppen aus.
4. Ebenso wie Zugehörigkeit und Leitung sind die Programme oder Inhalte aller vier Gruppen ausdrücklich beschrieben, meist in schriftlichen Konzepten. (…)
5. Nicht zuletzt sind alle vier Gruppen durch methodische und didaktische Konzepte ausgewiesen, die (…) durch Institutionen, Gesetze, Gruppenleiterinnen und -leiter sowie ihre konkreten Programme bestimmt werden.“
Soziale Gruppenarbeit
Soziale Gruppenarbeit ist neben der Einzelfallhilfe und der Gemeinwesenarbeit eine der klassischen Methoden der Sozialen Arbeit. Zugleich steht Soziale Gruppenarbeit in spezieller Bedeutung für Leistungen des SGB VIII § 29.
Gisela Konopka, die maßgeblich an der Etablierung der Sozialen Gruppenarbeit in Deutschland beteiligt war, definierte Soziale Gruppenarbeit als „eine Methode der Sozialarbeit, die dem Einzelnen hilft, seine soziale Funktionsfähigkeit durch sinnvolle Gruppenerlebnisse zu erkennen und um persönlichen, Gruppen- oder gesellschaftlichen Problemen besser gewachsen zu sein.“ (Konopka 1978: 39) Behnisch u. a. spezifizieren dies mit ihrem Definitionsvorschlag:
„Soziale Gruppenarbeit umfasst alle Handlungsformen, in denen die pädagogisch geleitete Gruppe ‚Ort und Medium der Erziehung‘ (Galuske 2007: 93) ist.
Der normative Bezugspunkt sozialer Gruppenarbeit ist die ‚Entwicklung der eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit‘ (§ 1 SGB VIII).
Zur Beschreibung und Reflexion sozialer Gruppenarbeit sind vier Dimensionen (Individuum, Interaktionsbeziehung, Inhalt, Kontext) unverzichtbar.
In der pädagogischen Gestaltung entwicklungsfördernder Prozesse in Gruppen kommt es auf die balancierte Wechselwirkung individueller, interaktioneller, inhaltlicher und kontextueller Aspekte an.“ (Behnisch u. a. 2013: 21)
Der Begriff Gruppendynamik wird im wissenschaftlichen Bereich für drei verschiedene Gegenstände verwendet, was beim Lesen zu Irritationen führen könnte. Er bezeichnet
ein spezifisches Phänomen, das bei wiederholter sozialer Interaktion im persönlichen Kontakt von Menschen in Gruppen auftritt;
eine Methode, mit der Prozesse in Gruppen erfahrbar gemacht und beeinflusst werden können;
die wissenschaftliche Disziplin, die diese Prozesse, Muster und Dynamiken und die Methoden der Beeinflussung erforscht.
Wir werden im Folgenden den Begriff Gruppendynamik im Sinne des Geschehens innerhalb von Gruppen verwenden, die Tätigkeit der Beeinflussung von Gruppen werden wir Gruppenleitung nennen, die wissenschaftliche Disziplin rechnen wir der Sozialpsychologie zu, ohne sie mit Gruppendynamik zu benennen.
Der gruppendynamische Prozess einer Gruppe umfasst die gesamte Entwicklung der Gruppe, die klassischen Phasen, die Verteilung der Rollen, die Bestimmung der Ziele und Aufgaben, die Bildung der Normen und Regeln, die Gestaltung der Kultur, die Verteilung von Macht, die Aufnahme neuer Mitglieder, der Umgang mit Dritten und anderen Gruppen. Jedes Handeln (aktiv und unterlassend) in der Gruppe gehört zum Prozess und ist dynamisch. Eine zentrale Grundannahme der Gruppendynamik besteht darin, dass Eigenschaften und Fähigkeiten einer Gruppe verschieden sind von der Summe der Eigenschaften und Fähigkeiten der einzelnen Personen dieser Gruppe (vgl. König & Schattenhofer 2012).
Unter Gruppenleitung, einer Gruppenleiterin oder einem Gruppenleiter verstehen wir in diesem Band die...