Die systemischen Grundsätze als Basis für eine Systemische Strukturaufstellung
»Wenn wir uns darauf einigen können,
dass es eine Vielfalt von Facetten dieser Grundsätze gibt,
die in ihrer Komplexität hier nicht erfasst werden können,
dann macht diese Aufzählung Sinn.« (UN, S. 198)
Die Systemischen Grundsätze sind ein verlässlicher Leitfaden bei allen unseren Beratungen. Während wir ein Gespräch führen, laufen sie als Hintergrundwissen immer mit.
Sie ermöglichen uns, »kunstfertige Fragen zur Unterbrechung von leidvollen Mustern« (MVvK, mdl.) zu stellen. Die bei den Systemischen Strukturaufstellungen verwendeten Grundsätze beruhen zum Teil auf Erfahrungen, die über Jahrzehnte von unterschiedlichen Therapieschulen gemacht wurden. Eine besonders wichtige Rolle spielt dabei der Ansatz von Ivan Boszormenyi-Nagy, auf den einerseits die Idee der Wichtigkeit generationsübergreifender Muster (transgenerationelle Solidarität) und andererseits die Betonung von Ausgleichsbedingungen in menschlichen Beziehungssystemen zurückgehen (der Ausgleich von Geben und Nehmen). Diese Ideen von Ivan Boszormenyi-Nagy wurden einerseits in der Heidelberger Schule von Helm Stierlin, Fritz Simon, Gunthard Weber und anderen aufgegriffen und weitergeführt; andererseits wurden sie von Bert Hellinger (Schuld und Unschuld aus Systemischer Sicht) und in der Ausdehnung auf Anwendungen auf Aufstellungen im Organisationsbereich von Gunthard Weber aufgenommen und weitergeführt.
Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd haben die Systemischen Grundsätze vervollständigt, systemtheoretisch umdefiniert und auf soziale Systeme im Allgemeinen und darüber hinaus anwendbar gemacht. Sie ordnen die Grundsätze im Unterschied zu einigen anderen Schulen in ein konstruktivistisches Weltbild ein, sehen sie also weder normativ im Sinne von Vorschriften noch deskriptiv im Sinne von Beschreibungen, sondern kurativ, im Sinne von heilsamen Empfehlungen. Wir fragen daher immer: »Was könnte dem System dienen, damit es ihm besser geht?« Wichtige Aspekte dieser Prinzipien finden wir in fast allen Systemen, sei es eine Familie, eine Organisation, das Innenleben eines Projekts, die Teile eines Logos, die Organe eines Körpers etc.
Wir können uns darauf verlassen, dass sie überall dort, wo Klarheit gefragt ist, richtungsweisend sind. Aber eben nur richtungsweisend und nicht bestimmend. Wir sagen niemals, so ist es, so muss es sein und so funktioniert es dann. Mit einer dogmatischen Auffassung der systemischen Grundsätze werden wir den vielfältigen Möglichkeiten, die Systeme entwickeln, um gut zu überleben, nicht gerecht. Was wir sagen können, ist, dass die Erfahrung zeigt, dass bestimmte Anordnungen dazu beitragen, dass ein System sich wohler fühlt und dass es andere Anordnungen gibt, die sich aus der Erfahrung heraus als eher problematisch herausgestellt haben.
Systemorientierungen
Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd haben eine Einteilung der Systemischen Grundsätze getroffen, die sich an der Ausrichtung des jeweiligen Systems orientiert (SyStTP, S. 49).
I. Orientierung auf Existenzsicherung
Für die meisten Systeme ist die Sicherung der eigenen Existenz wesentlich. Dazu gehört in der Regel die Kenntnis von eigenen Grenzen und das Wissen darum, wer dazugehört. Das gilt unter anderem für Familien, für Organisationen und für Körpersysteme.
In Organisationen erlischt die Zugehörigkeit üblicherweise nach dem Ausscheiden aus der Organisation.
II a Wachstumsorientierung
Wenn die Möglichkeit des Wachstums für ein System wesentlich ist, ist die Herstellung guter Bedingungen von besonderem Interesse. Dazu gehört, dass nicht nur die Grenzen des Systems klar sind, sondern auch, dass in einem gewissen Sinne eine Art Vorrang derer, die früher da waren, abgesichert ist. Nach dem Motto: Wir bleiben hier für immer die ersten, auch wenn wir jetzt auf fünf oder hundert gewachsen sind. Das gilt sowohl für Familien als auch für Organisationen und andere Systeme. Bei einem Logo könnte es zum Beispiel wichtig sein, dass alte Teile des Logos, die übernommen werden, wenn das Logo wächst, als »die älteren Teile des Systems« gewürdigt werden.
Es gibt aber auch Systeme, die nicht mehr wachsen können. Zum Beispiel bleiben GründerInnen unter sich, weil niemand später dazukommen kann. Auch eine Gruppe von Überlebenden einer Katastrophe kann nicht wachsen. Die Gruppe bleibt auf jene beschränkt, die ursprünglich dabei waren.
II b Fortpflanzungsorientierung
Wenn es für ein System wesentlich ist, dass es sich fortpflanzen kann, das heißt, dass sich neue Systeme ähnlicher Art aus dem ursprünglichen bilden können (z.B. Tochtergesellschaften), so sollten nicht nur die Systemgrenzen gut geklärt sein, sondern es sollten auch Bedingungen geschaffen werden, die solche Neubildungen fördern. Dazu gehört, dass für die Dauer dieser Grenzbildung die Betonung der zeitlichen Reihenfolge zwischen den Systemen umgedreht werden sollte.
Ein Konzern, der eine Tochtergesellschaft ins Leben ruft, sollte auf der einen Seite die Grenzen des neuen Systems respektieren, auf der anderen Seite sollte er ihm vorübergehend mehr Ressourcen zur Verfügung stellen als den zum Beispiel schon vorhandenen älteren Tochtergesellschaften. Ähnliches gilt für eine Familie. Das Baby bekommt für eine Weile mehr Aufmerksamkeit von den Eltern, sollte aber beizeiten seine eigenen Grenzen finden dürfen und dann seinen Platz in der Geschwisterreihe einnehmen.
Eine Sekte ist z.B. nicht fortpflanzungsorientiert, denn sie ist nicht daran interessiert, dass sich ihre Mitglieder selbstständig machen und neue Sekten gründen.
III Orientierung auf Immunkraftbildung
Auf längere Zeit überlebensfähige Systeme entwickeln in der Regel Funktionen, die als eine Art Immunsystem angesehen werden können. Es ist dann für die langfristige Überlebensfähigkeit wichtig, die Immunkraft weiter zu stärken, damit es sich im Notfall gegen Angriffe von außen verteidigen kann. Insa Sparrer schreibt dazu: »In menschlichen Systemen entspricht die Immunkraft der Kommunikationsfähigkeit, der Übernahme von Verantwortung und der Einsatzbereitschaft. Je besser die Mitglieder eines Systems miteinander kommunizieren können, umso schneller kann neue Information verarbeitet und verbreitet werden. Je höher die Einsatzbereitschaft der Mitglieder ist, umso eher gelingt es, Krisenzeiten zu überstehen.« (SyStTP, S. 51)
IV Orientierung auf Individuation
Die Anerkennung und Förderung der individuellen Fähigkeiten der einzelnen Systemmitglieder ist dann wichtig, wenn ein System sich weiterentwickeln und lernen möchte. In einem Unternehmen ist es z.B. günstig, wenn die MitarbeiterInnen ihren Fähigkeiten entsprechend eingesetzt werden und kreative Prozesse und Spezialisierungen möglich gemacht werden. Ihr Einsatz sollte auch dann gewürdigt werden, wenn z.B. das Projekt nicht sofort erfolgreich war.
In Familien gilt diese Förderung für die Kinder. Ein Kind, das in die Fußstapfen seiner Eltern treten muss und dessen individuelle Begabungen und Fähigkeiten nicht anerkannt werden, wird in seiner Weiterentwicklung meist behindert.
Die Berücksichtigung der Reihenfolge von I bis IV ist hilfreich im Sinne einer Priorität von Schritten. Sie stellt keine Wertung der Wichtigkeit dieser Themen für ein System dar. So sind natürlich das Überleben und die Möglichkeit von Wachstum und Fortpflanzung für Familien und Organisationen wichtig. Dennoch gibt es einen Unterschied darin, dass eine Organisation in der Regel ihren Daseinszweck verfehlt hat, wenn sie keine geeigneten Produkte und Dienstleistungen hervorbringt, während von einer Familie so etwas zu fordern eine eher unmenschliche Betrachtungsweise wäre. Daher ist für Organisationen das Prinzip IV von viel größerer Wichtigkeit als für Familien. Dennoch müssen beide Systeme zuerst einmal die Existenzbedingung gesichert haben.
Inhalte zu den Systemorientierungen im Detail
0. Das Prinzip der Nichtleugnung
In diesem Prinzip geht es darum, dass Handlungen in Systemen nicht auf der ausdrücklichen Leugnung von dem aufbauen sollten, was für das System gegeben ist.
IN ORGANISATIONEN
Hier geht es in Organisationen um eine Haltung, die für alle nachfolgenden Grundsätze wichtig ist. Bevor ein Unternehmen z.B. etwas verändert, braucht es einen Überblick über den Zustand des Teams, des Projekts, des Unternehmens und das Bewusstsein, dass jede Veränderung für alle Systemmitglieder, aber auch für die Systemelemente (z.B. für Projekte, Werte usw.) von Bedeutung ist. Verdrängung oder Missachtung von Gegebenheiten führt häufig langfristig zu Schwierigkeiten. Wesentliche Themen, wie Werte, offizielle und inoffizielle Agenden, Regeln usw. sollten klar angesprochen werden. Denn wenn Neues Erfolg haben soll, braucht es zunächst die Anerkennung des Zustands, von dem wir ausgehen, sonst zeigen sich vielleicht später Widerstände aufgrund übersehener Tatsachen an anderen Stellen. Auch sogenannte »Kleinigkeiten« spielen eine Rolle. Plötzlich sitzt z.B. nach einer Geschäftserweiterung eine Person mehr im Büro. Der Platz des Einzelnen verringert sich: Dieser Verzicht sollte angesprochen und anerkannt werden.
Eine Analyse, die nicht nur Gewinne und Verluste berücksichtigt, sondern auch systemische Faktoren, fragt immer auch:
Was bedeutet eine Entscheidung, eine Haltung, eine Handlung, eine Strategie usw.
•für die MitarbeiterInnen?
•für die Unternehmens- und/oder die Teamwerte?
•für die Corporate Identity (inklusive des...