Im Februar 1980, mit fünfzehn, sah ich Paul Schraders American Gigolo (Ein Mann für gewisse Stunden) im National Theatre in Westwood und hatte keine Ahnung, dass der Film vom Minimalismus des französischen Filmemachers Robert Bresson beeinflusst war, oder dass das Ende – das falsche Alibi, das eine Figur einer anderen anbietet – direkt von Bressons Pickpocket geklaut war. (Als ich 2012 das Drehbuch für Schraders The Canyons schrieb, enthielt meine vorletzte Szene eine Version dieser Alibiabsprache zwischen Lindsay Lohan und James Deen, eine modernisierte Variation der Schlussszene von Pickpocket, nur dass mein Vorbild Gigolo war und nicht Bresson.) Im Rückblick ist der Einfluss, den American Gigolo auf mich hatte, unmöglich einzuschätzen, und es ist ja auch kein großartiger Film – wirklich nicht, das sagt selbst sein Regisseur. Doch er hat unseren Blick auf Männer verändert, indem er nämlich auch sie zu (Lust-)Objekten werden lässt, und ebenso meine Sicht auf und Erfahrung von Los Angeles; insofern war der Einfluss sicher ungeheuer und unbestreitbar. Der Film spielt im Los Angeles des Jahres 1979, dessen Bewohner im Ma Maison und im Perino’s, im Scandia und Le Dome speisen. Julian Kay, der Titelheld, lebt in einem schicken Apartment in Westwood, trägt Armani, fährt in einem Mercedes-Cabrio durch die leeren Straßen und verdient seinen Lebensunterhalt als Callboy für reiche ältere Frauen, wofür er sich in der Lounge des Beverly Hills Hotel herumtreibt. Er ist außerordentlich schön – der Film zeigt Richard Gere auf dem Höhepunkt seiner Attraktivität, er ist dreißig, sieht aber jünger aus. Julian hat zwei Zuhälter, die ihm Arbeit verschaffen: Die eine ist eine blonde, geschiedene Frau, die in Malibu lebt und von Nina Van Pallandt gespielt wird, der andere ein großer, böser Schwarzer, dargestellt von Bill Duke, der in der West Side lebt, in einer mit Warhol-Drucken dekorierten Hochhauswohnung. Wir erfahren nicht, ob die Frau von dem anderen Zuhälter weiß – vielleicht ist das zu Anfang wichtig, vielleicht auch nicht, entscheidend ist aber, dass Julian ein glücklicher, oberflächlicher Kapitalist ist, über den wir ansonsten recht wenig wissen. Er existiert einfach, gleitet durch diese Welt, ist ein Schauspieler. Irgendwann erzählt er jemandem, er sei in Turin geboren, doch wir wissen nicht, ob das stimmt, denn in der vorherigen Szene hat er einer Kundin vorgelogen, er sei als Jugendlicher Poolpfleger im Beverly Hills Hotel gewesen. Der Plot setzt sich in Bewegung, als Julian ein Mord angehängt wird und aus American Gigolo ein Krimi wird. Erzählerisch eigentlich nichts Besonderes, und die Auflösung ist sauber und einfach. Aber das spielt alles keine Rolle, denn das gesamte Design des Films ist so verführerisch und überwältigend.
American Gigolo war Paul Schraders dritter Film als junger Regisseur, und alles, was er bei den ersten beiden Filmen gelernt hatte, zahlt sich hier aus: die gleitenden Kamerafahrten, die atemberaubenden Szenenbilder, die dramatische Ausleuchtung – all das kreiert sein gnadenloses Bild von Los Angeles als leuchtend bunte Einöde. Der Film ist ein sonnenheller Neo-Noir, bedrohlich und schön, und traf den Nerv der Zeit: Er hatte etwas von der New Wave der späten 70er, minimalistisch und chic, üppig und zersetzend zugleich, und zugleich einen schwulen Vibe, der in der damaligen Kultur allgegenwärtig schien. Das Massenpublikum hatte noch keinen Mann so gefilmt und zum Objekt gemacht gesehen wie jetzt Richard Gere. Die Kamera begaffte seine Schönheit, streifte über seine Haut, verschlang sein pubertäres Schmollen, ließ sich von seinem nackten Fleisch in den Bann ziehen, und Gere war der erste Hauptdarsteller in einem Film der großen Studios, der sich von vorn völlig nackt zeigte. Eigentlich sollte John Travolta die Rolle spielen, doch wenige Wochen vor Drehbeginn zog er sich aus dem Projekt zurück. Vielleicht hätte das Publikum Travoltas Ernsthaftigkeit anziehender gefunden als Geres Leere; Travolta hätte die Sache vielleicht menschlicher gemacht – der Figur instinktiv Humor verliehen – und dem Film damit mehr Realismus. Doch mit Gere im Zentrum fühlt sich der Film kühl und distanziert an, und zu diesem Zeitpunkt stand ihm Humor noch nicht zu Gebot. Ihn umgibt eine gewisse Traurigkeit, doch die vertreibt nicht das Gefühl, dass Julian Kay weniger ein Charakter ist als eher eine Idee, eine Abstraktion, ein Schauspieler, und ganz sicher ist er nicht sympathisch.
Und doch spielten Geres Leere und die gestalterische Strenge des Films zusammen, das Publikum konnte im Frühjahr 1980 etwas damit anfangen und machte ihn zum Star. Das Model Lauren Hutton spielt Michelle, die unglückliche Frau eines kalifornischen Senators, und auch sie sieht ziemlich hinreißend aus, doch der Film liebt seinen männlichen Hauptdarsteller – die Spannung entsteht aus Geres Schönheit und Narzissmus. Frauen waren schon immer so fotografiert und gefilmt worden, Männer jedoch nicht – das war neu, das war schwul, und letztlich beeinflusste es alles, von der Popularität der Zeitschrift GQ bis zur Präsentation von Männern in Calvin Kleins Werbekampagnen. Im Rückblick erscheint es verrückt, dass American Gigolo ein Erfolg war: Der Film ist bewusst langsam geschnitten, manchmal extrem bedächtig, und oft genug ziemlich prätentiös. Es ist darum kaum zu glauben, dass dieses Kunstprodukt mit so wenigen kommerziellen Zugeständnissen (abgesehen von der fiebrigen Anmache des Titels) tatsächlich eine große Produktion von Jerry Bruckheimer für Paramount Pictures war.
1980 begann ich das Projekt Less Than Zero (Unter Null), das 1985 in der Veröffentlichung meines ersten Romans gipfelte, und auch wenn viele meiner Anregungen von Joan Didion und dem Genre des LA Noir kamen sowie von Bands wie den Doors und X und den Eagles, war mir doch American Gigolo so sehr Vorlage, dass ich den jugendlichen Callboy ebenfalls Julian nannte. Mit fünfzehn sprach mich die moralische Mehrdeutigkeit nicht nur des Themas und der Hauptfigur selbst an, sondern auch des Filmemachens: Ich konnte mich nicht entscheiden, was der Film mir verkaufen wollte – und das gefiel mir. Blondies elektrisierendes »Call Me« explodierte wie eine Hymne über dem Vorspann, obwohl der Film doch grundsätzlich düster und pessimistisch war und Richard Geres Schönheit zugleich als Sehnsuchtsobjekt und als etwas zutiefst Zwiespältiges dargeboten wurde. Am leidenschaftlichsten bewegte mein sechzehnjähriges Ich in jenem Herbst Robert Redfords Regiedebüt Eine ganz normale Familie, und mit Timothy Huttons Figur konnte ich mich am ehesten identifizieren, aber heute kann ich ihn kaum noch anschauen. American Gigolo hingegen kann ich trotz all seiner Makel endlos betrachten. Er erschien in einer Zeit, als Filme noch weitreichende kulturelle Wirkung erzielen konnten, genau wie Romane; jetzt wirken sowohl Filme als auch Romane wie Kunstformen des 20. und nicht des 21. Jahrhunderts. Filme erscheinen uns nicht mehr als Erkundung unentdeckter, ferner Kulturen, es sei denn, sie spielen in anderen Welten. Wir fühlen uns nicht mehr ins Kino getrieben, nur um Richard Gere nackt in seinem Apartment in Westwood zu sehen, oder wie er sich durch die tanzenden Schwulen im Probe schlängelt, oder wie er einfach nur auf dem sonnenbeschienenen Rodeo Drive abhängt – um Voyeure der reichen Welt von Beverly Hills zu sein, in der American Gigolo spielt. Das alles ist vorbei: Reality-TV und Instagram sind an seine Stelle getreten.
Julian Kay ist Schauspieler – und Richard Geres Performance ist die Performance einer Performance. American Gigolo erzählt von einem Darsteller, der authentisch werden und von der Bühne abtreten muss, um seine Haut zu retten. Dieser typische Handlungsbogen – der Verlust der Unschuld – findet sich natürlich in den meisten amerikanischen Filmen, allerdings ist er hier interessanter und wortwörtlich oberflächlicher als üblich, wie auch Geres Spiel. Ich hatte ihn zum ersten Mal in meinem Zimmer in Sherman Oaks gesehen, als die überdrehte Verfilmung von Judith Rossners Bestseller Auf der Suche nach Mr. Goodbar aus dem Jahr 1977 im Z Channel lief. (Den 1975 erschienenen Roman hatte ich mit elf aus dem Bücherregal meiner Mutter genommen und gelesen.) Nach etwa fünfundvierzig Minuten des Films erscheint er als Tony, eine von Diane Keatons Eroberungen. Sie wird in einer Single-Bar auf ihn aufmerksam, weil er jemandem das Portemonnaie aus der Handtasche klauen will – aber wieso sollte sie ihn nicht auch so bemerken? Er ist wunderschön. In der folgenden Szene bringt Gere Keaton in ihrer Wohnung zum Orgasmus, wozu Donna Summer »Could It Be Magic« singt, und führt dann eine Art Kung-Fu-Kampftanz im Suspensorium auf, wobei er ein im Dunkeln leuchtendes Springmesser schwingt. Auf mich als Achtklässler wirkte das alles elektrisierend sexy (heute sieht es lachhaft aus), und in erotischer Trance verfolgte ich Geres Auftritte in den Jahren 1978 (Tage des Himmels, Heißes Blut) und 1979 (Gestern waren wir noch Fremde), so besessen wie man nur als Teenager sein kann. Es hätte auch jeder andere sein können, schätze ich, aber das zeitliche Zusammentreffen meiner Pubertät und dieser Filme gab den Ausschlag.
In dieser Karrierephase stand Gere für eine düstere...